Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 380-394
II. Epigramm.
Seit Goethes und Schillers Xenienkampfe gehörte
das Epigramm noch zum stehenden Artikel der deutschen Journal-
und Zeitungslitteratur. Das Epigramm schien nöthig für den
Leser, wie die Anekdote. Ja es gab einzelne Epigramme und
<381:> kurze Sinngedichte, die, als ob sie in der Luft
lägen, in sich wandelnder Form den Rundlauf durch die Presse
machten.
Kleist hatte, ehe er die Abendblätter herausgab, im
Mai- und Junihefte des Phöbus von 1808 zwei Serien Epigramme,
mit seinem Namen, ausgeschickt: reine Distichen, wie die Goethes
und Schillers, einen Kampfgedanken, eine Lebenserfahrung,
eine Idee ausdrückend. Die späteren Monatshefte des Phöbus
entbehren gänzlich der Epigramme. Erst in den Berliner Abendblättern
erscheinen sie wieder, als sehr bequeme Mittel, Personen und
Dingen gewisse Wahrheiten ins Gesicht zu sagen. Daneben stellt
sich das gereimte Witzwort ein, die leichte Waare, die in
einer Großstadt stets erhältlich ist.
Die Distichen in den Abendblättern sind niemals mit
Namen gezeichnet: ausgenommen allein das im 39. Abendblatte,
vom 14. November 1810,
Auf
einen glücklichen Vater.
Den 7. Novemb.
1810.
Eines verlieh ich Dir gern, der Orden ersten und höchsten,
Hängt Dir die Tochter am Hals, trägst Du den schönsten gewiß.
A.
v. A.
in dem Arnim seinen Freund Adam Müller zur Geburt seines Töchterchens
Cäcilie beglückwünscht, wie dem Kinde auch Heinrich von Kleist
im folgenden Abendblatte die Heilige Cäcilie zum Taufangebinde
darbrachte (unten S. 531). Der Wortlaut des Epigramms
findet darin seine Erklärung, daß man von einem höheren Orden,
der am Bande um den Hals getragen wird, scherzhafter Weise
zu sagen pflegt, er hänge seinem Besitzer zum Halse heraus.
Es liegt in Arnims Epigramm zugleich der Gedanke versteckt,
daß Adam Müller eine verdiente Auszeichnung vorenthalten werde.
Alle übrigen Epigramme und Sinngedichte sind anonym
oder tragen Chiffern, denen eine innere Bedeutung wohl bei-
<382:> wohnen kann, jedoch nicht beiwohnen muß.
Wir wissen, selbst zwischen Goethe und Schiller waren einige
Xenien strittig und sind es bis auf diesen Tag geblieben.
So mögen auch aus gelegentlichem Zusammenwirken der Freunde
einzelne Verse der Abendblätter entstanden sein, so daß sie
einem bestimmten Verfasser zuzuweisen, damals vielleicht schon
Kleist unmöglich gewesen wäre. Wir werden uns daher bescheiden
müssen, wenn wir in der Mehrzahl der Fälle nur ein Möglichkeits-
oder Wahrscheinlichkeits-Resultat erzielen können.
Um vorweg die Unsicherheit des Bodens, auf dem wir
uns hier bewegen, zum Bewußtsein zu bringen, stelle ich vier
Fälle zusammen.
a.
In dem 32. Abendblatt, vom 6. November 1810:
Als dem mittelmäßigen Alcest eine Auszeichnung
widerfuhr.
Den Optimaten gleich behandelt ihr Alcesten?
Man zählt ihn nicht, man hat ihn nur zum Besten.
sn.
Die Spenersche Zeitung bringt in ihrer 134. Nummer, vom
8. November 1810, denselben Gedanken in dieser Form:
Alcest,
nicht an seinem Orte.
Frage. Was zählt ihr doch Alcesten
Den
Optimaten zu?
Antw. Man zählt ihn nicht zum Besten;
Man
hat ihn nur dazu.
Friedr. Ballhorn,
Johanns Sohn.
Bedenkt man, daß die Spenersche Zeitung eine Morgenzeitung
war, ihr Druck also wenigstens Tags vorher, der Censur wegen,
im Satz fertig sein mußte, so ergiebt sich für beide Fassungen
genau dieselbe Zeit. <383:>
b.
Im 38. Abendblatt, vom 13. November 1810, lesen
wir den anonymen
Glückwunsch.
Ich gratulire, Stax, denn du ewig wirst du (sic!)
leben;
Wer keinen Geist besitzt, hat keinen aufzugeben.
während der Preußische Hausfreund in Berlin Nr. 90, vom
10. November (damals herausgegeben von Heinsius), also
ein paar Tage früher, schrieb:
Der
Unsterbliche.
Muß einst, wie Stentor breit beweist,
Der Tod den Geist vom Leibe scheiden,
So kann Er nie den Tod erleiden;
Wo schiede je von Stentorn Geist?
17.
c.
Im 21. Abendblatte, vom 24. October 1810, steht
als das erste von zwei Epigrammen hinter einander, für das
die gemeinschaftliche Chiffre xp mitgelten
soll, das Distichon
Wer
ist der Aermste?
Geld rief, mein edelster Herr! ein
Armer. Der Reiche versetzte:
Lümmel, was gäb ich darum, wär ich so hungrig,
als er!
Wieder im Preußischen Vaterlandsfreunde, aber sieben Monate
später, in Nr. 39 vom 14. Mai 1811, begegne ich
bei der gleichen Unterzeichnung, wie vorher, den Versen
Reich
an Lump.
Almosen dir? der von uns beiden
Das beßre Loos gezogen hat!
Du schmeckst tagtäglich Hungersfreuden,
Und ich bin ewig satt.
17.
<384:>
d.
Im 77. Abendblatte, vom 31. December 1810, liest
man, anonym, die folgenden
Seufzer
eines Ehemanns.
Seit uns des Priesters Hand
Am Traualtar verband,
Hat meine Frau was bin ich doch geplagt!
Nie wieder Ja gesagt.
und genau dieselben Verse stehen vorher schon, am 18. December
1810, im Nürnberger Korrespondenten von und für Deutschland
Nr. 352: woher sie also Kleist entnommen hat.
Aus alledem ergibt sich das Resultat, daß von einem
sicheren Zu- oder Absprechen der Originalität der Gedanken
weder in diesen vier Fällen, noch vielleicht in anderen, die
Rede sein darf.
Das erste Reimpaar von diesen vier Sinngedichten
steht, schon durch die Ueberschrift angedeutet, im Gegensatze
zu Arnims Epigramm: Jemandem der verächtlich als mittelmäßiger
Alcest, also als ein Mann von dem Charakter der bekannten
Lustspielfigur mäßigen Werthes gekennzeichnet wird, war eine
Auszeichnung zu Theil geworden, wie sie nur den Vornehmsten
und Besten zuzufallen pflegte. Es kann sich nur um einen Mann
an sichtbarer Stelle gehandelt haben. Und ich meine, daß Iffland
angeärgert werden sollte, gegen den die Abendblätter damals
schärfer vorzugehen anfingen. Iffland hatte 1810 als Einer
von sehr Wenigen den neugestifteten Rothen Adlerorden dritter
Klasse erhalten, was gleich zu manchen Späßen, selbst auch
Arnim, Anlaß gab. Gerade damals ließ Iffland, zur Abwehr fortgesetzter
Angriffe aus dem Publicum, durch die Presse gehen, daß ihm
der König als Zeichen seiner Huld ein Thee-Service geschenkt
<385:> habe, aus dem die Königin getrunken. Das imponirte
seinen Gegnern nicht, er wurde nur noch mehr bespöttelt. Die
Spenersche Zeitung that bisweilen gegen Iffland mit. Die Chiffre
sn wage ich nicht einem Deutungsspiel nach
den Buchstaben auszusetzen.
Der Glückwunsch an Stax scheint mir nicht auf
eine bestimmte den Abendblättern mißliebige Person gemünzt
zu sein, deswegen weil der Gedanke gleichzeitig in einem ganz
anders gearteten Gesellschafts- und Anschauungskreise auch
erscheint. Hier läßt sich vielleicht darthun, daß die Formgebung
der Abendblätter von Kleist selber ausgegangen ist. Man hat
bereits für andere Fälle richtig beobachtet, daß
wie bei vielen Schriftstellern auch bei Kleist
gewisse Wendungen wiederkehren. Genau einen Monat später,
im Abendblatt vom 13. December 1810, sagt Kleist in dem
Aufsatz über das Marionettentheater (oben S. 238): Allerdings,
dachte ich, kann der Geist nicht irren, da, wo keiner vorhanden
ist. Das klingt doch dem zweiten Verse unsres Reimspruchs
ähnlich. Hinzu kommt eine, an sich ganz leichte, typographische
Beobachtung zum ersten Verse, den ich gegeben habe, wie er
in den Abendblättern steht. Das du erscheint zweimal,
während es doch nur heißen dürfte, entweder
denn du wirst ewig leben
oder
denn ewig wirst du leben.
Wir belauschen hier Kleist beim Correcturgeschäft, ähnlich
wie beim Bettelweib von Locarno (unten S. 529). Er hatte
die erste Variante in den Druck gegeben; die zweite ist das
Resultat umarbeitender Correcturdurchsicht: wobei durch Setzerirrthum
der Fehler des zwiefachen du in den Text gerathen
ist. Kleist formte also bis zuletzt an diesem Glückwunsch,
<386:> und man wird ihn mit der zweiten Variante in
seine Schriften aufzunehmen haben.
Das drittgenannte Epigramm steht, wie gesagt, mit
einem andern dicht zusammen, also so:
Wer
ist der Aermste?
Geld! rief, mein edelster Herr! ein
Armer. Der Reiche versetzte:
Lümmel, was gäb ich darum, wär ich so hungrig, als er!
Der
witzige Tischgesellschafter.
Treffend, durchgängig ein Blitz, voll Scharfsinn, sind seine
Repliken:
Wo? An der Tafel? Vergieb! Wenn ers zu Hause bedenkt.
xp.
Ich glaube, daß die beiden Epigramme ihre Formgebung auch
von Kleist empfangen haben. Die kräftig-sinnliche Sprache;
das seinen Phöbus-Epigrammen charakteristische vergieb;
die fast zu kühne Zertrennung der Rede; der accurate Aufbau
der Distichen. Man zähle die Füße seiner Phöbus-Distichen
durch: Immer fällt die zweite Hälfte des Pentameters regelrecht
mit zwei Daktylen und einer schwerbetonten Silbe ab. Aus dieser
Beobachtung leite ich einen formalen Anstoß gegen den Kleistischen
Ursprung des Epigramms her:
An
die Nachtigall.
(Als
Mammsell Schmalz die Camilla sang.)
Nachtigall, sprich, wo birgst du dich doch, wenn der tobende
Herbstwind
Rauscht? In der Kehle der Schmalz überwintere
ich.
Vx.
das in den Streit um die Schweizerfamilie gehört, der, wenn
auch mit Kleists Zustimmung, wesentlich von anderer
Seite in den Abendblättern durchgefochten wurde (oben S. 225).
Hat Kleist selber es geschrieben, und nicht ein fremdes Epigramm,
dessen Form er verbessern half, aufgenommen, so müßte constatirt
werden, daß der Ausgang des Pentameters
-
- - v v -
über wintere ich
<387:>
mit dieser Silbenzählung der einzige Fall innerhalb der uns
von Kleist bekannten Epigramme wäre.
Die Unterzeichnung xp hat in den Abendblättern
nur noch ein einziges, regelrecht kleistisch gebautes Distichon
im 27. Abendblatte vom 31. October 1810:
Nothwehr.
Wahrheit gegen den Feind? Vergieb mir! Ich lege zuweilen
Seine Bind um den Hals, um in sein Lager zu gehn.
xp.
Es entspricht inhaltlich durchaus den Grundsätzen, zu denen
Kleist, als Soldat, dem Feind gegenüber erzogen war. Ich erbringe
den Nachweis kleistischer Herkunft aus der Verlobung in St. Domingo,
wo (1811, S. 15) die alte Mulattin heuchelnd erklärt,
der Schatten von Verwandtschaft mit den Negern, der auf ihren
Gesichtern ausgebreitet sei, würde sie nicht in ihrem kleinen
Eigenthum schützen, wenn wir uns nicht durch List und
den ganzen Inbegriff jener Künste, die die Nothwehr dem Schwachen
in die Hände giebt, vor ihrer Verfolgung zu sichern wüßten.
Eine größere Anzahl Distichen, darunter ein Vierzeiler,
sind mit einem W versehen. Sie zeigen alle
eine weichlichere moralisch-ästhetisirende Stimmung und eine
unsinnlichere Sprache, als Kleist sie hatte. Diesem
das kann voraus mit Sicherheit behauptet werden
gehören die Distichen nicht an. Ich stelle sie zusammen.
Im 30. Abendblatt, vom 3. November 1810:
Guter Rath.
Lasse den Thoren daheim, und send ihn nimmer auf Reisen,
Neue Thorheit allein bringt er aus jeglichem Land.
W. <388:>
Zeichen.
Hör und merk es wohl, woran du den Thoren erkennest:
Er denkt dieses Geschlechts, denket der Thoren
kein Mensch.
Ein Fuchs wittert den andern, besagt treuherzig das Sprichwort,
Kein Thor, setz ich hinzu, der nicht den anderen
merkt.
W.
Im 47. Abendblatt, vom 23. November 1810
Der Kreis.
Wo der Anfang sei? Geh doch, und frag nach dem Ende!
Hast du das Ende, dann ist dir auch der Anfang gewiß.
W.
Im 50. Abendblatt, vom 27. November 1810:
Schönheit.
Jeglichem Sinn offenbart in mancher Gestalt sich die Schönheit;
Wohl ihm, welchem sie mehr außer den Sinnen sich zeigt.
Austausch.
Wie sich die Thorheit leicht verräth in äußrer Gebärde,
Solche Gebärde führt innere Thorheit herbei.
W.
Im 56. Abendblatt, vom 4. December 1810:
Gut und Schlecht.
Wohl, wir haben gelernt, was Gut ist und auch was Schlecht
ist!
Gut ist immer das Wort, schlecht nur ist immer die
That.
W.
Im 61. Abendblatt, vom 10. December 1810:
Eigentliches Leben.
Widerstrebend besteht und zeigt allein sich das Leben:
Ohne Todesgefahr tödtet das Leben sich selbst.
W.
Im 62. Abendblatt, vom 11. December 1810:
Richtschnur.
Wisse, stets wird recht dein Handeln sein in dem Leben,
Wuchert des Handelns Kern nicht in dein Leben
hinein.
W.
<389:>
Meinem Gefühle nach sind die Verse so mäßig, daß Kleist sich
nur durch Freundschaft oder gewichtige Stellung dessen, der
sie schrieb, zur Aufnahme in sein Blatt bestimmen ließ. Wenn
das W (wie es doch scheint) der Anfangsbuchstabe
des Verfassernamens ist, so kämen meines Wissens nur Wolfart
oder Woltmann in Betracht. Nun ist Wolfarts einer
Bühnen-Artikel der Abendblätter deutlich genug mit W
t
gezeichnet, und ich gestehe, daß ich die Sprache der Distichen
mit der seiner Schriften, die ich kenne, nicht in Einklang
zu bringen vermag. Ueber Woltmanns Theilnahme an den
Abendblättern fehlt jedes positive Zeugniß. Aber der durch
seine Berliner Zeitschrift Geschichte und Politik
(an der manche der von mir behandelten Personen mitgearbeitet
haben) und durch seine Stellung einflußreiche Mann stand den
Kreisen der Abendblätter nahe genug, um gelegentlich sich
darin recht gern gedruckt zu sehen. Ich verfüge über nicht
veröffentlichte Briefe Arnims an Creuzer aus dem Jahre
1809. Da fragt Arnim, ob er wohl in Berlin Mitarbeiter an
den Heidelberger Jahrbüchern werben solle? und unter denen,
die er speciell kenne, nennt er Woltmann.
Leider enthalten Woltmanns Werke, Biographie, und (unvollzählige)
Briefe nichts, das die Beziehungen zu Arnim, Kleist und anderen,
die doch bestanden, andeutete. Woltmann begann damals seine
Verdeutschung des Tacitus erscheinen zu lassen. Die nationale
Gesinnung, die ihn leitete, drücken die Sätze, in denen er
die Voranstellung der Germania rechtfertigt, am reinsten aus.
Die den Bänden vorgedruckten Subscribenten-Listen weisen gerade
aus Kleists Umgangskreise eine Anzahl Namen auf. Die
Möglichkeit der Theilnahme Woltmanns an den Abendblättern,
mehr nicht, scheint mir zu bestehen.
Es bleiben ein paar Verse übrig, bei denen wir wieder
auf das Gebiet der politischen Kämpfe zurückzutreten haben.
<390:> Den anonymen Zweizeiler im 46. Abendblatte,
vom 22. November 1810,
An den Großherrn.
(Als er den Mufti absetzte.)
Recht hast du, Herr! Ein kleines Licht
Paßt auf den Kirchenleuchter nicht.
möchte ich auf die Entlassung des wohlwollenden, doch wenig
bedeutenden Grafen Dohna deuten; die Zeilen könnten, wie der
Glückwunsch an Stax, von Kleist geformt sein. Eine nähere
Darstellung der Umstände ist dagegen erforderlich, aus denen
die wichtigen Verse
Auf einen Denuncianten.
(Räthsel.)
Als Kalb begann er; ganz gewiß
Vollendet er als Stier des Phalaris.
(Die Auflösung im folgenden Stück.)
st.
und dann die
Auflösung des Räthsels im vorigen Blatt.
Freund, missest du des Räthsels Spur?
Durchblättere den Jason nur.
Fr. Sch.
im 11. und 12. Abendblatte, vom 12. und 13. October
1810, entstanden sind: Verse, aus denen, wie sich zeigen wird,
die Empörung der Patrioten über die Erbärmlichkeit des Rheinbundsgeistes
hervordringt.
Um freie Bahn zu haben, stelle ich vorerst die Unterfrage:
wer wohl die beiden Verspaare geschrieben habe? Das zweite
ganz gewiß, nach den Initialen der Unterschrift, kein anderer
als Friedrich Schulz. Dagegen daß man die Unterschrift des
ersten als (Kleist) verstehen müsse, wovon
die Aufnahme in die Schriften Kleists abhängig wäre,
ist ein allzu rascher Schluß gewesen. An sich kann Kleist
mit jeder Chiffre, also auch mit st, gezeichnet
haben; aber das Auf- <391:> fällige und zu Erwähnende
wäre dann: daß st nur unter diesem Verspaar
und dem folgenden (im 26. Abendblatte, vom 30. October
1810)
An die Verfasser schlechter Epigramme.
Des Satyrs Geißel schmerzt von Rosenstrauch am meisten.
Wer nur den Knieriem führt, der bleibe ja beim Leisten.
st.
Kleists Zeichen wäre. Das letzte Verspaar würde ich
Kleist sprachlich erst recht nicht zumuthen, auch nicht inhaltlich:
wie ist er im Phöbus mit seinen damaligen Widersachern im
Freimüthigen abgefahren! Es bietet sich ebenso eine andre
Möglichkeit dar, der ich den Vorzug gebe. Friedrich Schulz
war des Geheimen Staatsraaths Stägemann vertrauter Freund.
Nichts könnte uns hindern, anzunehmen, daß von st (ägemann)
das erste Verspaar herrühre, und daß Friedrich Schulz den
Schlüssel zu der Auflösung im zweiten Reimspruch lieferte.
Das Kalb und der Jason sind
die Merkworte des Räthsels, von denen aus wir die Lösung versuchen
müssen. Das goldene Kalb und der Jason waren nämlich schriftstellerische
Unternehmungen des Grafen Benzel-Sternau, der zu der Zeit,
um die es sich hier handelt, als Staats- und Cultusminister
in großherzoglich badischen Diensten stand. Graf Benzel war
ein ungemein geist- und kenntnißreißcher Mann, dem, in der
Weise wie Hippel, eine unerschöpfliche Fülle von Welt- und
Lebenserfahrung, nur mehr von oben her gewonnen, zu Gebote
stand. Einen litterarischen Namen machte er sich, nach Beginn
des Jahrhunderts, durch eine Art von Biographie, das goldene
Kalb betitelt, das als ein süddeutsches Gegenstück zu Hippels
nordisch scharfen Lebensläufen gelten darf. Von 1808 bis 1811
gab er in zwölf Bänden die Zeitschrift Jason heraus,
und diese war es, die den Zorn der deutschen Patrioten erregte.
In Graf Benzel lebte <392:> jener Geist idealer Schwärmerei
für ein nie vorhanden gewesenes allgemeines Menschenthum,
der, in unduldsame Vorliebe für das Fremde ausartend, selbst
das eigne Vaterland fast verrätherisch zum Opfer bringt. Der
deutschen Geschichte haben Vertreter dieses Geistes zu keiner
Zeit gefehlt. Damals lieferten sie Napoleon den sichern Boden,
in den er die Wurzeln seiner Rheinbunds-Politik einsenken
konnte.
Graf Benzel-Sternau sah, von seinem Platze aus, die
Welt um sich herum sehr einfach an: auf der einen Seite Mittelalter,
auf der anderen die neue Zeit des allgemeinen
Menschenthums. Für Mittelalter warfen sich, seiner
Meinung nach, Oesterreich und Preußen, Friedrichs große
Persönlichkeit die er herabsetzt mit eingeschlossen, auf;
eine neue Zeit dagegen brachte der Welt Napoleon: der
große Sohn des eignen Schicksals. Graf Benzels
Jason wurde dadurch zu einem unbedingten Rheinbunds-Blatt.
Man muß die Bände durchgelesen haben, um eine Vorstellung
von der überschwenglichen Verherrlichung Napoleons zu
erhalten, die hier ein Deutscher treibt. Ich hebe ein paar
Stellen aus. 1809 nach bejubelter Beendigung des österreichischen
Krieges: Er, der Einzig-Große, der Mann der Welt und
der Genius der Zeit, geht schöpferisch erhaben und unwandelbar
den Herosgang zum Kolossal-Ziele, und der Vergangenheit Meister,
der Gegenwart Bildner, der Zukunft Vater, gründet und sichert
er die Aera der Menschenkultur durch Staaten- und Bürger-Veredlung.
1810: In Napoleons Zentralsystem wohnen Glorie, Kraft
und Vervollkommnung. Und nun bedenke man, daß dieser
Graf in dem Lande seine amtliche Wirksamkeit entfaltete,
in welchem Heidelberg um dieselbe Zeit seinen patriotisch-romantischen
Aufflug nahm!
Ich habe mir früher einmal aus dem Heidelberger Wochenblatt
notirt, daß gerade als Wunderhorn und Einsiedler- <393:>
zeitung im Gange waren, Graf Benzel, am 23. Mai 1808,
in Heidelberg erschien. Wie mußte er diesen Mittelalter-Bestrebungen
aus Herzensgrunde abhold sein! Im Jason geht denn auch die
litterarische Befehdung der Heidelberger Romantik los, in
der jedes betagte Schneiderlied mehr gelte, als eine
Ode von Uz oder Ramler. Der Jahrgang 1809 enthält ein
Gespräch im Elysium zwischen Lessing, als dem Vertreter des
allgemeinen Menschenthums, und einem modernen Realiker.
Die Tendenz des Ganzen drückt sich sehr gut in dem Schlußtableau
aus: Während die Weisen des Alterthums Vossens Luise lesen,
die Gleim mitgebracht hat, setzen die Bedienten den
Realiker zu den Schatten ehrlicher Schneider und Schuster,
die Bier trinken, Lieder aus dem Wunderhorn singen und sie
mit dem Getöse ihrer Werkzeuge begleiten.
Noch aggressiver gegen die Patrioten wird der Ton
des Jahrgangs 1810. Namentlich ist es jetzt auf Adam Müller
und seine Elemente der Staatskunst abgesehen, als dessen natürliche
Alliirte alle romantisch-mystischen Poetiker, alle christlich-religiösen
Gemüther des neuesten Schlags hingestellt werden. Als
erschreckliche Proben dieses romantisch-mystischen Geistes
theilt Graf Benzel, ohne Arnims Namen zu nennen, Sätze
seiner Recension des Wernerschen Attila aus den Heidelberger
Jahrbüchern mit (oben S. 176) und spickt sie hämisch
mit seinen Ausrufungszeichen. Die gehässigste Sprache aber
läßt er einen Mannheimer Mitarbeiter, der v. L
n
zeichnet, gegen den berühmten Berlinischen Tugendverein
und seine Unternehmungen und Thaten führen, deren glänzendste
und größte Schills Heldenzug von Berlin nach Stralsund
gewesen sei; Schill wird noch an anderem Orte im Jason geschmäht.
Und gegen eine markante Stelle in Adam Müllers Elementen,
wo, allerdings mit absichtlicher Beziehungsmöglichkeit auf
die Gegenwart, die altrömische Administrirung eroberten <394:>
germanischen Landes besprochen wird, erfolgt die öffentliche
Denunciation, daß diese mit Frechheit erlogene
Parallele gegen das neue Königreich Westphalen und seinen
großen Gründer geschliffen sei. Nun, Unrecht hatte der Denunciant
thatsächlich nicht; wir wissen ja, wie sich Kleist über den
Handlungscommis Jerome mit haßerfüllter Verächtlichkeit
ausgelassen hat. Aber schnöde war es von einem Deutschen,
so zu schreiben. Eine Kugel, wie die, die Palm oder Schills
Offiziere niederstreckte, hätte Napoleon, nach dem Herzenswunsche
dieser Rheinbundsseelen, auch Adam Müller zudictiren sollen.
Die Berliner Abendblätter denn die Männer,
die hinter ihnen standen, bildeten die Linien auf die geschossen
wurde wehrten mit kaltem Blut den Angriff ab und
zahlten dem unverschämten Gegner gründlich heim. Die beiden
Doppelverse waren die guten Treffer, die dem Grafen Benzel
in die Glieder fuhren. Nun, meine ich, wird auch verständlich
sein, weshalb in ihnen die Vergleichung eines Kalbes,
das sich als Stier, aber als Stier
des Phalaris, d. h. Napoleons, auswachsen
werde, auf Graf Benzel angewendet worden ist. Stärkeres gegen
Napoleon, das sich in gleich unfaßbarer Form darböte, ist
in den ganzen Abendblättern nicht gesagt worden.
|