Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
Spemann 1901), 240-245
25. Verbot Arnimscher
Theaterartikel.
Es lag in Arnims Wesen, bei litterarischen Fehden das Niveau des Streites, wo es
ging, ins Allgemeine zu erheben. Er achtete fremde Ueberzeugung, wenn sie zum ganzen Mann
gehörte, und ging nur da mit Schärfe vor, wo dieses erste Erforderniß ihm zu fehlen
schien. Es scheint, daß er Iffland nicht so schroff und persönlich unvereinbar
gegenübergestanden habe, wie die meisten seiner Freunde und Theilnehmer an den
Abendblättern. Er glaubte noch an Werth und Wirkung freier Discussion, bis auch er durch
viele Praxis eines Anderen belehrt wurde.
Arnim war im Allgemeinen mit Kleists und der übrigen Freunde
Theaterforderungen einverstanden. In dem Sinne aber, wie Schlegel und Tieck der deutschen
Bühne Shakespeare vermittelten, schwebte ihm außerdem noch die Möglichkeit einer
Erneuerung des älteren deutschen und englischen Dramas vor. Er wollte Sammlungen
derselben herausgeben. Andreas Gryphius benutzend, hatte er soeben sein dramatisches Spiel
Halle und Jerusalem beendet und damit einen Weg eingeschlagen, der zu
Tiecks früheren dramatischen Arbeiten und Märchenkomödien zurückführen konnte.
Nun begann Arnim für die Abendblätter eine Reihe Artikel zu
schreiben, worin er eine principielle Beleuchtung der Streitpunkte zu geben gedachte: aber
gleich der erste Artikel wurde von der Censur gestrichen. Wir würden ohne Kenntniß der
Vorgänge sein, hätte nicht Arnim selbst durch eine Veröffentlichung des Jahres 1817, in
Gubitz Gesellschafter, Blatt 57 und 58, uns die Mittel in die Hand gegeben, das
fast Verlorene dennoch aufzuspüren. Arnim veröffentlichte nämlich dort einen Brief
Ifflands an ihn vom Jahre 1810, <241:> der, weil er Zug um Zug die Erwiderung
einer Arnimschen Zuschrift ist, wesentliche Theile derselben wörtlich enthält oder
sinngemäß wiedergiebt.
Darnach stand in dem Artikel Arnims, daß ein Dichter,
dessen näheres Vaterland unser Staat, oder gar unsere Stadt ist, ein näheres Recht habe,
mit seinen Werken zugelassen zu werden, als ein fremder Dichter, der an einem andern Orte
sein Leben und seine Verhältnisse begründen könne. Man erkennt unschwer, daß
sich diese Sätze nur auf Heinrich von Kleist beziehen können. Arnim sprach sich ferner
in dem Artikel dafür aus, daß auch Maskenstücke in dem Repertoire des Nationaltheaters
vertreten sein möchten. Nur in Wien sah man damals Maskenstücke, z. B. die von
Einsiedel nach den Alten bearbeiteten, auf der Bühne (Reichardt, Wiener Briefe 1,
34). In einer Fortsetzung der Artikelserie wollte Arnim die Frage erörtern, wieso es
käme, daß Tiecks ungemeine Anlage für das Dramatische so gar nicht benutzt worden
sei und ein Stück, wie Blaubart, das mit geringen Veränderungen in jedem Privat-Theater
gefalle, durchaus nicht gegeben werde. Auf dieses Stück, auf die Art der Veränderung,
die es erfordere, wollte er besonders aufmerksam machen.
Als jedoch sein erster Artikel von der Censur gestrichen worden war,
wandte sich Arnim unter dem 6. December 1810 direct an Iffland und sprach sich
freimüthig zu ihm über die schwebenden Differenzen aus. Er erklärte, die Schwierigkeit,
ihm einzelne wohlgemeinte Bemerkungen über das Theater mitzutheilen, worüber gar Viele
klagten, die sich für das Theater interessirten, sei der Hauptgrund der gegenwärtigen
Mißverständnisse. Der gänzliche Censurdruck, unter welchem, in Hinsicht des Theaters,
jetzt die öffentlichen Blätter schmachteten, müsse endlich nothwendig in öffentliches
Lärmen aus- <242:> arten. Denn das Gehässige des Censurzwanges werde, freilich mit
Unrecht, von den Meisten auf Iffland geworfen. Als ein Auskunftsmittel machte Arnim den
Vorschlag, Iffland möge doch selbst als Herausgeber eines Blattes auftreten, das jede
anständige Freiheit des Tadels, jeden guten Scherz, der selbst das eigne Werk treffe,
ruhig mittheile, um dem Schönen einen vorurtheilsfreien Gang zu gewinnen.
Der zweite Hauptpunkt in Arnims Brief an Iffland betraf
dasjenige, was in dem verbotenen Abendblatt-Artikel hätte ausgeführt werden sollen.
Arnim trat, wie gesagt, für Kleist ein: Wenn aber nun gar so ein Dichter, wie
Contessa, Robert (Beide kenne ich nur von Ansehen) schon Einiges mit Beifall der Bühne
übergeben hat, wie muß es ihn d. i. Kleist kränken, gegen
ganz talentlose Arbeiten, wie einige der Madame Weißenthurn, die weder die gemeinste
Neugierde, noch irgend eine höhere Anforderung befriedigen, sich zurückgesetzt zu
sehen. Ebenso müsse es unsere Nationalität kränken, daß für Tiecks
Arbeiten keine Verwendung sei.
An dritter Stelle ging Arnim auf den Skandal bei Aufführung der
Schweizerfamilie ein und sagte besänftigend: Ich kann Ihnen meine Verwunderung
nicht verbergen, daß solch eine Aeußerung des Mißfallens, wie sie selbst in dem
tyrannisch regierten Paris sehr häufig ist, von Ihnen so bedeutend geachtet werden
konnte, um sich einem Volke entziehen zu wollen, das Ihnen so viele Zeichen von Achtung
gegeben hat.
Iffland empfand den Ton dieses Schreibens deshalb so wohlthuend für
sich, als es von einem Manne kam, der der ihn so bitter befehdenden Parthei angehörte.
Darum verstand er sich am letzten Tage des Jahres 1810 zu einer sehr umständlichen
Antwort an ihn. Auch Adam Müller muß Iffland in gleichem Sinne für die Freiheit der
Theaterkritik und für Kleist angegangen haben: weshalb Iffland, der Arnims
<243:> nahe Beziehungen zu Müller kannte, sich auf diese Auseinandersetzung in
seiner Sonderantwort an Müller beziehen zu dürfen ausbat. Iffland lag ersichtlich nicht
daran, die Gegenparthei zu überzeugen was ja in keinem Verhältnisse, wo der
Wille dazu fehlt, möglich ist , sondern seinen Standpunkt darzulegen. Er hielt
seinen Brief so, daß er nicht für Arnim allein geschrieben war.
Aus Ifflands Antwort hebe ich nur das Thatsächliche aus. Die
wirklich zu ideale Forderung Arnims, als Director der Herausgeber eines ihn selber
kritisirenden Theaterblattes zu werden lehnte Iffland mit praktischen Gründen ab.
Kleists Namen nannte er nicht, legte aber die unsäglichen
Verhandlungsschwierigkeiten mit einheimischen Dichtern dar und berief sich zum
Beweise dessen auf die Theateracten, die uns ja heute, was Tieck, Werner, Kleist anlangt,
gedruckt vorliegen. Wegen der Annahme von Stücken Contessas, Roberts, der
Frau von Weißenthurn vertheidigte Iffland sich unter sehr kühler Abschätzung dessen,
was die Stücke werth wären. Erregt aber war seine Stimmung gegen die ihn seit Juni etwa
in auswärtigen Zeitungen und durch verabredete Störungen bekämpfende Parthei, die ihm
das Leben sauerer gemacht hätte, als drei Schauspielertruppen vereint es könnten. Wieder
nennt er nicht die Abendblätter. Aber er sucht sich doch gegen die von ihrer Parthei und
in ihnen erhobene Beschuldigung wegen Bestechung der Recensenten durch Geld und
Freibillets zu wehren. Und da ergiebt sich das interessante Resultat, daß an dieser
Beschuldigung denn doch etwas Wahres war. Iffland gesteht ein: Es ist aus Rücksicht
mehreren Verfassern und Künstlern die freie Entree gegeben worden, nur verwahrt er
sich, daß Bedingungen daran geknüpft gewesen wären: Man hat nicht, wie zu Paris,
ihnen gesagt, daß sie das Interesse der Direction nehmen müssen, oder, wie es dort ge-
<244:> schah, ihnen Leute zugeschickt, die mit einem derben Stoß in die Seiten
ihnen zurufen mußten: Eh bien applaudissez done, vous devez savoir
pourquoi vous êtes ici! Im Gegentheil er beklagt sich darüber, daß die also
Bevorzugten ihre freie Anwesenheit im Theater dazu benutzt hätten, die Fehler des
Theaters dem Publicum sichtbar zu machen. Die Thatsache des Freibillets für schreibende
Leute steht also fest, und daraus floß die Möglichkeit, dergleichen Maßnahmen
mißzudeuten.
Den Vorfall bei der Schweizerfamilie bezeichnet Iffland als eine
barbarische Behandlung der Schauspieler und des Publicums. Irrthümlich nimmt er an, Arnim
sei an jenem Abende nicht im Schauspiel gewesen. Er macht die Gegenparthei für das
verantwortlich, was eingetreten sei. Von der Aufführung selbst urtheilt er:
Dem. Herbst hat kein Ideal erfüllt, aber auf der Stufe zu stehen, ist
sie weder engagirt noch honorirt. Also doch auch hier eine gewisse Art des
Zugeständnisses an die Gegner. Iffland räumt ein, wegen der Schweizerfamilie die
staatlichen Autoritäten auf Maßregeln der Ruhe des Publicums aufmerksam gemacht zu
haben, erklärt aber wieder, was nach jener bekannten Begebenheit in Theatersachen
gestrichen oder nicht gestrichen sei, von wem und auf wie lange, sei ihm völlig fremd.
Wir gewahren auch in jenem Punkte Ifflands zaghaften Charakter, der sich scheute die
nothwendigen Folgen seiner Anrufung der staatlichen Machtmittel und das Gehässige des
Censurzwanges, den er thatsächlich veranlaßt hatte, offen auf sich zu nehmen.
Die Vorgänge bei der Aufführung haben Arnim vorgeschwebt, als er
kurz darauf, 1811, seine Novelle Melück Maria Blainville schrieb. Ich dränge seine
Darstellung auf die Hauptzüge zusammen. Melück tritt in Marseille als Phädra auf. Die
Stadt ist in zwei Partheien getheilt und der größere <245:> Theil steht auf der
Seite der Torcy, die bisher die Rolle der Phädra gespielt habe. Man glaubt gewiß, daß
die Melück ohne Erbarmen ausgepfiffen werde. Das Schauspielhaus ist am Abend sehr früh
schon angefüllt. Auch Partheilose waren hingegangen, mehr den Kampf, als die
Schauspielerin zu sehen. Jede Parthei hatte sich vortheilhaft zu stellen gesucht. Alles
war gespannt auf die erste Veranlassung zum Ausbruch ihrer Gesinnungen. Jetzt trat Phädra
auf allgemeine Stille. Sie sprach fort, bald leise, bald heftig, als wenn ein
Sturmwind von ihrem Munde rauschte. Da hielt die Gegenparthei sich nicht länger:
Lachen und Pfeifen verband gleich alle zu ihrem Schaden und selbst ihre besten
Freunde mußten schweigend eingestehen, daß dieser schlechte Empfang wohlverdient
sei.
Man könnte an der einen Stelle sogar einen Anklang an das Distichon
(oben S. 227) heraushören. Das Entscheidende ist jedoch, daß Arnim, der sich selbst
vielleicht zu den Partheilosen zählte, die Dinge doch im Sinne seiner Freunde, mit der
Tendenz gegen die Schauspielerin, verwerthet hat.
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