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                   Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe 
                    (Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 230-234 
                     
                    22. Zweite Aufführung der Schweizerfamilie. 
                     
                     
                     Am 26. November 1810 wurde 
                    das Singspiel in gleicher Rollenbesetzung zum zweiten Male 
                    gegeben. Inzwischen aber war die oppositionelle Stimmung der 
                    adeligen und Offizierskreise durch einen Mißgriff der Polizei 
                    noch gereizter geworden. 
                     In Erwartung der Dinge, die kommen sollten, hatte 
                    Iffland bei der ersten Aufführung für die nöthige Polizei 
                    gesorgt, und als das Pochen geschah, hielt diese, anstatt 
                    sich an die adeligen Gardeoffiziere heranzuwagen, einen jungen 
                    Mann von Civil beim Herausgehen fest, der vom Polizei-Inspector 
                    in beleidigender und die polizeilichen Befugnisse überschreitender 
                    Weise gezwungen wurde, sofort der Herbst Abbitte zu leisten. 
                    Der junge Mann war ein Schüler des Berlinischen Gymnasiums 
                    zum Grauen Kloster und zu allem, von der Polizei nicht geahnten 
                    Unglücke der Sohn des Obersten von Thümen, des Festungskommandanten 
                    von Spandau. Der Vorfall machte daher nach oben hin einen 
                    sehr peinlichen Eindruck. Das ganze Offizierscorps ergriff 
                    Parthei für den jungen Mann, der gar nicht oder doch am allerwenigsten 
                    schuldig war. Der Vater forderte empört Genugthuung. Das Ende 
                    war, daß der Polizei-Inspector dem jungen Manne in Gegenwart 
                    des Vaters und des Polizeipräsidenten Abbitte leisten und 
                    außerdem eine Disciplinarstrafe von 25 Thalern erlegen 
                    mußte. Die Sängerin Herbst ließ beim Major von Möllendorff 
                    durch ihre eigene Mutter Schritte thun, um den üblen Eindruck 
                    abzuschwächen. 
                     Trotzdem ging bei der zweiten Aufführung sogleich 
                    der Tumult los. Hören wir den wieder rz gezeichneten 
                    Bericht des 50. Abendblattes vom 27. November 1810: 
                    <231:> 
                     
                    Gestern solle die Schweizerfamilie, von Hrn. Kapellmeister 
                    Weigl, wiederholt werden. Ein heftiges und ziemlich allgemeines 
                    Klatschen aber, bei der Erscheinung der Mslle Herbst, welches 
                    durch den Umstand, daß man, bevor sie noch einen Laut von 
                    sich gegeben hatte, da capo rief, sehr zweideutig ward  
                    machte das Herablassen der Gardine nothwendig; der Herr Berger 
                    erschien und erklärte, daß man ein anderes Stück aufführen 
                    würde. 
                     Ob nun dem Publiko (wenn anders ein Theil desselben 
                    so heißen kann) das Stück misfiel; ob es mit der Mslle Herbst, 
                    für welche die Rolle der Emmeline nicht ganz geeignet schien, 
                    unzufrieden war; oder welch eine andre Ursach, bei diesen 
                    Bewegungen, zum Grunde liegen mogte  lassen wir 
                    dahin gestellt sein. Das Angenehme der Musik war, wie man 
                    hört, bei der ersten Darstellung, ziemlich allgemein empfunden 
                    worden; und auch Mslle Herbst hatte die Aufgabe mit mehr Geschicklichkeit 
                    gelöst, als man, nach den Bedingungen ihrer musikalischen 
                    und mimischen Natur, hätte erwarten sollen. 
                     Uebrigens ward das Publikum, durch die Aufführung 
                    der beiden Stücke: die Geschwister von Göthe und des 
                    Singspiels: der Schatzgräber gut genug entschädigt. 
                    In dem ersten hat Mslle Schönfeld recht wacker, und Hr. Gern, 
                    in dem andern, wie gewöhnlich, als Meister gespielt.  rz. 
                     
                    Aufs äußerste verletzt, und unfähig mit den Gegnern aus eigener 
                    Kraft fertig zu werden, nahm Iffland jetzt die Staatsgewalt 
                    zum Schutze seiner Bühne in Anspruch. Er wandte sich, am 30. November, 
                    an Hardenberg mit gereizten Ausfällen gegen die so offen, 
                    frech, und lange intendirt handelnde Parthei, die in 
                    den Zeitungen und auf öffentlichen Plätzen gegen Mslle Herbst 
                    geworben und ihr einen öffentlichen Schimpf bei dem ersten 
                    Auftreten vorhergesagt habe. Er ließ in dem Schreiben 
                    durchblicken, daß der Kommandant von Berlin, neben dessen 
                    Loge die Offiziersparthei pochte, nichts zur Verhinderung 
                    des grenzenlosen Skandals gethan habe, und gab zu größerem 
                    Nachdruck seine Entlassung. Es war von Iffland deutlich genug 
                    die Abendblätter-Parthei bezeichnet worden, denn von allen 
                    Berliner Zeitungen hatten allein die Berliner Abendblätter 
                    sich im <232:> Voraus gegen die Besetzung der Rolle 
                    durch die Herbst ausgesprochen. 
                     Hardenberg, der wohl wußte, daß Ifflands Gegner 
                    auch seine Gegner waren, griff Iffland zu Liebe und aus politischer 
                    Berechnung durch. Er brachte die Sache an den König. Es wurde 
                    eine gemischte Untersuchungs-Commission von einem Militär, 
                    dem Oberstlieutenant von Willisen, und einem Civilbeamten, 
                    dem Stadtgerichtsdirector von Schlechtendahl, eingesetzt, 
                    und das Verhör angeschuldigter oder verdächtigter Theaterbesucher 
                    begann. 
                     Major von Möllendorff, zur Verantwortung gezogen, 
                    gab schroff und ohne Umschweif zu, es sei in seiner Wohnung 
                    die Rede davon gewesen, die Herbst wäre der ihr zugetheilten 
                    Rolle nicht gewachsen. Ja, er sagte sogar selbst aus, daß 
                    die Mutter der Herbst am Tage nach dem Vorfall zu ihm gekommen 
                    sei, und ihn gebeten habe, dafür zu sorgen, daß ihre Tochter 
                    das nächste Mal mit Beifall aufgenommen und so wieder in ihrem 
                    Ansehen hergestellt werden möge. Er selbst habe aber an jenem 
                    ersten Abend die Vorstellung nicht besucht. In einer Versammlung 
                    bei Möllendorff, wurde festgestellt, sei der junge von Thümen 
                    zur Beschwerde veranlaßt worden. Trotzdem konnte Möllendorff 
                    nachweisen, daß er auch bei der zweiten Aufführung durch Verspätung 
                    das Theater erst betreten habe, als man begann das neue Stück 
                    zu geben. 
                     Im Protokoll sind noch die Aussagen einer größeren 
                    Gruppe adeliger und einer kleineren Anzahl bürgerlicher Theaterbesucher 
                    vermerkt. Sie erschienen jedoch nur gering gravirt, erklärten 
                    sich fast alle aber stereotyp gegen die anerkannt schlechte 
                    Schauspielerin und gegen das unrichtige Benehmen der Theaterdirection. 
                    Als der zwanzigste unter den Angeschuldigten erscheint nun 
                    auch  Achim von Arnim. Das Protokoll besagt von 
                    ihm: er gehört ebenfalls zu den <233:> Gesellschaften 
                    bei dem Möllendorff. Dort hat man eines Tages nach dem Vorfall 
                    behauptet, daß er mitgepocht habe. Er soll darauf aber erklärt 
                    haben, daß er bei dem Vorfall seinen Stock in die Höhe gehalten 
                    habe, damit man sehe, daß er nicht poche. Er ist in dem zu 
                    seiner Vernehmung angesetzten Termine nicht erschienen und 
                    wegen der Geringfügigkeit seiner Concurrenz nicht wieder vorgeladen. 
                    Schließlich stellte die Untersuchungs-Commission zwei Beweggründe 
                    für den Theaterskandal fest: 1) um der Herbst und der Theaterdirection, 
                    d. h. Iffland, ihre Unzufriedenheit zu erkennen zu geben; 
                    2) um den vermeintlich in von Thümen beleidigten Adligen- 
                    und Offizierstand zu rächen. Der Major von Möllendorff aber 
                    müsse, so sehr er es auch läugne, nach allen Umständen und 
                    Aussagen zu urtheilen, als der Hauptanführer der jetzigen 
                    Faction betrachtet werden. Die Affaire erhielt den Abschluß, 
                    daß ein paar Herren vom Militär und Adel auf unbestimmte Zeit 
                    aus Berlin verwiesen wurden, unter ihnen Möllendorffs 
                    Schwager von Werder. Die Strafe war eigentlich keine Strafe, 
                    denn die Betroffenen wohnten in Charlottenburg und lebten 
                    vergnügt weiter. Gegen Möllendorff konnte eine Bestrafung 
                    nicht erzielt werden; jedoch wurde eine Cabinets-Ordre des 
                    Königs unter dem 24. December 1810 erwirkt, wonach der 
                    Feldmarschall von Kalkreuth den Major von Möllendorff vor 
                    sich fordern und ihn verwarnen sollte, den gegen ihn bestehenden 
                    Verdacht durch irgend eine Handlung zu bestätigen. 
                     In Arnims Person also ist auch äußerlich actenmäßig 
                    der Zusammenhang mit den Abendblättern belegt. Kleist wurde 
                    nicht in die Untersuchung gezogen, was den Schluß nahelegt, 
                    daß er das Theater nicht besucht habe. Wahrscheinlich also 
                    sind ihm die rz-Berichte, ebenso die Vornotizen 
                    zur Affaire von anderer Seite zugestellt worden, und <234:> 
                    er wird nur redactionell an der Fassung der Stellen betheiligt 
                    sein. 
                     Die Zeitungen ließen sich diesen interessanten Stoff 
                    natürlich nicht entgehen. Welche man aufschlägt, einheimische 
                    oder auswärtige, in jeder findet man die Vorgänge, je nach 
                    dem Partheistandpunkte, breit behandelt. Die Spenersche Zeitung 
                    hielt sich den Abendblättern noch am nächsten, und zog sich 
                    dafür im Freimüthigen eine, wie es scheint, offiziöse Zurückweisung 
                    zu. Der Recensent der Vossischen Zeitung pfiff seinen einen 
                    Ton: er rühmte auch bei dieser Gelegenheit die Besetzung der 
                    Rollen und die im Gesang und Spiel gleich vorzügliche Leistung 
                    der Herbst. In der auswärtigen Presse aber tobte sich der 
                    ganze verbissene Widerwille der Aufgeklärten gegen die verhaßte 
                    Adels- und Offiziersparthei aus, wobei die Mittel der Lüge 
                    und Verdrehung das, was fehlte, ersetzen mußten. Das Morgenblatt, 
                    bedient von Saul Ascher, leistete das Menschenunmögliche. 
                    Selbst in die Zeitung für die elegante Welt war ein tendenziöser 
                    Artikel gegen die in Berlin hinlänglich bekannte und 
                    verachtete Parthei gebracht worden. Man forderte mit 
                    heuchlerischer Ehrlichkeit für das Publicum eine ihm 
                    zukommende Genugthuung, und war faute de mieux 
                    schamlos genug, die zeitweise Ausweisung der wenigen Besucher 
                    als eine solche Genugthuung auszugeben, die für die Folge 
                    von wohlthätigem Einflusse sein werde. Iffland zog, befriedigt, 
                    sein Entlassungsgesuch zurück. Aber die Herbst trat nicht 
                    mehr als Emmeline in der Schweizerfamilie auf, sondern sang 
                    überhaupt erst wieder am 11. Februar 1811 in der Oper 
                    Das unterbrochene Opferfest. Sie wurde nicht in 
                    Berlin engagirt. 
                     
                    
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