Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
Spemann 1901), 104-110
8. Erneute Verhandlungen und
Verwickelungen mit der Staatskanzlei.
Wie Kleist unter den nun folgenden
Verwickelungen litt, und wie er sich mit aller Kraft gegen
das Unterliegen anstemmte, davon reden uns die zahlreichen
Schriftstücke, die als <105:> Briefe, Eingaben oder
amtliche Bescheide gerade aus dem December 1810 erhalten sind.
Lauter Zeugnisse einer Kleists freie Thätigkeit fesselnden
Lebenszeit. Sie dürfen aber dennoch nicht in ihrem Wortlaute
als der exacte Ausdruck der ihn umdrängenden Verhältnisse
genommen werden. Unausgesprochene Dinge, empfinden wir, spielen
entscheidend mit. Der Streitpunkt wird hin und her geschoben.
Dieselbe Sache erscheint behauptet und verneint zugleich.
Diplomatisch gewandte Behandlung der Dinge auf der einen Seite:
auf der anderen Kleist mit seiner dummen deutschen Art
(wie er Fouqué schreibt) von Anfang an einen ungleichen Kampf
kämpfend. Das Interesse des Publicums an den Abendblättern
fing an zu schwinden. Die Aufnahme der officiösen Artikel
hatte sie Vielen gleichgültig, Manchem wegen des politischen
Wechsels verächtlich gemacht. Buchhändlerisch konnte ein Mißerfolg
nicht ausbleiben.
In dieser ihm aufgezwungenen Lage verlangte nun Kleist, daß die
Staatskanzlei ihn nicht fallen lasse. Er verhandelte mit seinem Censor Gruner, der nicht
aufhörte mit den Herren von der Opposition freundschaftlich weiter zu verkehren, und den
Abendblättern Tagesmittheilungen zu liefern. Gruner war mit amtlichen Instructionen
versehen worden und deutete Kleist an, daß der Staatskanzler nicht abgeneigt sei,
dem Blatte irgend eine zweckmäßige höhere Unterstützung angedeihen zu lassen.
Kleist lehnte Geld wieder ab, reichte aber Gruner Vorschläge ein, die im Wesentlichen
darauf hinausliefen, daß ihm aus den Bureaux der Verwaltungs-Chefs regelmäßig
officielle Mittheilungen zugehen sollten, und daß dann zweitens seinem Blatte auch
formell der officielle Charakter beigelegt werde. Eine Entscheidung auf die Vorschläge
aber erfolgte nicht. Der Zeitpunkt rückte heran, wo eine erneuerte Ankündigung der
Abendblätter für das nächste Quartal den <106:> Zeitungen überschickt werden
mußte. Da entschloß sich Kleist, am 3. December 1810, zu einer Eingabe an den
Staatskanzler. Seine Gruner gemachten Vorschläge würden ohne Zweifel Rücksprachen
mannigfacher Art mit den Chefs der dabei interessirten Behörden veranlassen. Hardenberg
möge schon jetzt seine Zustimmung zu einer kurzen Ankündigung geben, die sich sichtbar
für Jedermann auf die unterstützende Gnade Sr. Excellenz des Herrn Staatskanzlers
Freiherrn von Hardenberg beziehen dürfe. Er, Kleist, und mehrere der
vorzüglichsten Köpfe der Stadt, mit denen er verbunden sei, sähen dem Augenblicke
entgegen, da sie durch nähere Andeutungen oder Befehle in den Stand gesetzt sein würden,
die Weisheit der vom Staatskanzler ergriffenen Maßregeln gründlich und vollständig dem
Publicum darzulegen. So konnte Kleist nur schreiben, wenn er sich nach Gruners
Informationen überzeugt halten konnte, daß er Hardenbergs Stimmung und Absicht so
am besten träfe.
Der Staatskanzler wollte oder konnte weder Ja noch Nein sagen, ehe
sich die betheiligten Ressorts geäußert hätten. Raumer fiel inzwischen wieder die
geschäftliche Behandlung zu, die mündlich und schriftlich mit Kleist geführt wurde. Das
Resultat war, daß staatskanzlerische Artikel, sogar aus Raumers eigener Feder,
Kleist in Aussicht blieben, der officielle Charakter aber seinem Blatte nicht
ausdrücklich beigelegt wurde. Andeutungsweise geschah dies letztere freilich doch. Denn
anstatt auf den Namen Hardenbergs schlechthin, durfte Kleist sich in einer
veränderten Ankündigung, die die Genehmigung der Staatskanzlei erhielt, allgemein auf
höhere Unterstützung berufen, was im Grunde dasselbe besagte. Es lagen also
doch Versprechungen vor, die man nicht gänzlich bei Seite schieben konnte. Ein glattes
Zugeständniß des officiellen Charakters scheiterte daran, daß Kleist sich nicht mit
Haut und Haar er- <107:> geben, sondern seine Unabhängigkeit bewahren wollte. Man
hatte kein sicheres Zutrauen zu ihm.
Aber nur zu schnell kam es, bei schon vorhandener Verstimmung,
zwischen Kleist und Raumer zum Conflict. Der Anlaß dazu ging vom politischen Censor Himly
aus.
Ich entnehme das Nöthige einem Berichte Himlys an seinen Chef
Küster vom 23./24. December 1810. Himly zeigt an, daß in den Abendblättern, soviel
ihm bekannt, bei dem Ministerium der auswärtigen Angelegenheiten nichts vorgekommen, als
bis sich unter den ohne Genehmigung dieses Ministeriums eingemischten politischen
Artikeln ein solcher gefunden, der das Mißfallen des Cabinets-Ministers erregte und die
Untersagung aller Aufnahme politischer Artikel veranlaßte. Himly meint die portugiesische
Notiz vom 3. November. Da indessen (fährt er fort) diese Aufnahme nicht unterblieb,
so ist, auf meine Anzeige nach der durch Ew. Hochwohlgeboren mir bekannt gewordenen
Absicht Sr. Excellenz des Herrn Cabinetsministers noch neuerlich dem Censor Herrn
Polizei-Präsident Gruner nochmals empfohlen auf Entfernung aller eigentlich politischen
Artikel zu halten. Diese neuerliche Anempfehlung muß Gruner etwa um
den 10. December zugegangen sein. Was sie von ihm als Censor forderte, entnehme ich
einem (noch ungedruckten) Briefe Kleists an Reimer vom 12. December, in dem es
heißt: Ich bin, wegen der Lage meines Abendblatts, in mancherlei Bedrängniß; die
indirecte Zerstörung desselben ist völlig organisirt, man hat mir sogar angekündigt,
daß man mir ein für allemal das Zeitungsbülletin, das ich darin aufnahm,
streichen würde.
Gereizt durch den Widerspruch, der in der That zwischen Raumers
amtlicher Zusicherung und der jetzt plötzlich entstandenen neuen Schwierigkeit obwaltete,
schrieb Kleist an <108:> Raumer einen (wahrscheinlich vom 11. December
datirten, uns aber nicht erhaltenen) Brief, machte ihm wegen der Verfügung des Grafen
Goltz unverhüllte Vorwürfe und ließ die Beschwerde an den Staatskanzler durchblicken.
Worauf nun Raumers ( in den Erinnerungen 1, 228 erstgedruckter) Brief vom
12. December 1810 die Antwort ist.
Raumer hatte, wie man seiner Erwiderung glauben muß, keine Kenntniß
von Graf Goltz scheinbarer Contre-Action gehabt. Ebensowenig der Staatskanzler, dem
Raumer die Sache vorstellte. Auf Hardenbergs Befehl forderte dieser von Gruner
amtliche Auskunft ein und gab Kleist die Antwort (12. 12. 1810), daß die neue
Schwierigkeit sich leicht werde heben lassen. Die Staatskanzlei hielt sich also, was die
Aufnahme politischer Artikel anlangte, an ihr Versprechen Kleist gegenüber gebunden.
Einer weiteren Andeutung Kleists setzte Raumer den einer Ausflucht ähnelnden
Bescheid entgegen, daß es des Kanzlers Wille sei, keinem Berliner Blatte irgendeiner Art
den officiellen Charakter beizulegen. Der Ton der Erwiderung muß, wenn man sich
Kleists Angriff vorstellt, als maßvoll bezeichnet werden. Noch am selben Tage
sandte Raumer mit einem neuen Briefe (der nicht erhalten ist) Kleist das inzwischen
eingelangte Schreiben Gruners zu.
Für Kleist nahm damit die Sache eine fatale Wendung. Er mußte sich
formell überzeugen, daß er zu Unrecht Raumer als den Urheber der Goltzschen
Verfügung vorausgesetzt hatte. Es blieb ihm nichts weiter übrig, als unverzüglich
(13. 12. 1810) Raumer für alle ihm in seinem letzten Schreiben
ertheilten Nachrichten zu danken und um Entschuldigung zu bitten. Verlegen klingt der
Satz, er habe es wohl gewußt, daß die Strenge, die er bei der Polizei erfuhr, von einem
Mißverständnisse herrührte, indem er dieselbe bei seinem guten und völlig reinen
Willen auf keine Weise verschuldet hätte. <109:> Für den Nachmittag sagte er sich
zur persönlichen Aufwartung bei Raumer an.
Die Unterredung glich anscheinend die Mißverständnisse aus. Von da
begab sich Kleist auch noch zur Audienz bei Hardenberg, über die er am nämlichen Abend
Raumer voller Freude und Befriedigung berichtete\*\.
Hardenberg war gegen ihn, den verärgerten und verbitterten Mann, gütig und freundlich
gewesen. Wie Seinesgleichen, als ein adliger Standesgenoß, nicht wie ein die Bureaux
abstreifender Journalist, war er von dem allmächtigen Kanzler empfangen worden. All seine
Wünsche wegen der officiellen Beiträge würden ihm erfüllt. Er solle sich zum Grafen
Goltz, zum Justizminister von Kircheisen und zum Geheimen Staatsrath Sack persönlich
begeben. Der Staatskanzler wolle ihn den Herren empfehlen. Kleist jubelte vor Lust:
Durch diese, die Interessen Sr. Excellenz sowohl als die meinigen aufs
glücklichste verbindende Maßregel sind vorläufig alle meine Wünsche für die
Abendblätter erfüllt; ich begehre nicht, als eine unabhängige Stellung zu behaupten,
deren ich, zu meiner innerlichen Freude an dem Geschäft, dem ich mich unterzogen habe,
bedarf. Er will fortan dem Staatskanzler für den Geist der Abendblätter mit seiner
Ehre einstehen. In überschwellendem Gefühl möchte er nun auch alles Widerwärtige,
Kleinliche zwischen sich und Raumer beseitigen; er bittet ihn innigst und
herzlich um seine Verzeihung.
Hardenberg hielt sein Wort. Am folgenden Tage (14. 12. 1810)
richtete er an die drei Departements-Chefs eine Privatempfehlung Kleists. Nach dem
Vermerk der Acten (18. 12. 1810) erklärte sich Kircheisen im Allgemeinen bereit zu der
ihm <110:> nahegelegten Unterstützung der Abendblätter. Auch Sack war erbötig in
Fällen, die jedesmal ihm speciell anzuzeigen seien, während er eine
generelle Anweisung nicht geben könnte, weil die Abendblätter nicht officiell
seien und die Provinzialbehörden zu sehr belästigt würden. Gefährlich aber
sollte für Kleist allein die fortbestehende Abgeneigtheit des Grafen Goltz und seiner
nachgeordneten Beamten werden.
Zwar für den Augenblick schien auch hier alles gut zu gehen. Kleist
richtete, im Einvernehmen mit der Staatskanzlei, an den auswärtigen Minister unter dem
15. December ein Schreiben. Herr von Raumer sei Willens, in den Abendblättern
mehrere Fragen, die Maßregeln des Staatskanzlers betreffend, zu beantworten und zu
erörtern. Ein möglichst großer Wirkungskreis sei dafür zu wünschen. Er, Kleist, bäte
um Aufhebung des Gruner gegebenen Befehls. Er werde dem Minister persönlich seine
Aufwartung machen. Der Erfolg des Schrittes muß der gewesen sein, daß Graf Goltz
stillschweigend geschehen ließ, was er nicht hindern konnte. Politische Artikel
erschienen wieder in den nächsten Abendblättern unter Zustimmung der Staatskanzlei. Das
drohende Ungewitter war glücklich für diesmal an Kleist vorübergezogen, und die Luft
über ihm schien leuchtender als vorher zu sein.
\*\ Die Briefe, um die es sich handelt, wären
in Raumers Erinnerungen (1, 229. 231) in umgekehrter Reihenfolge zu geben gewesen.
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