Reinhold Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe (Berlin, Stuttgart:
Spemann 1901), 32-36
Die christlich-deutsche Tischgesellschaft: Tischreden
I. Ernst.
Bürgemeister Jochim Appelmann zu Stargard läßt seinen ungehorsamen Sohn köpfen im
Jahr 1576.
Es hatte Bürgemeister Appelmann einen Sohn Jochim genannt, welcher in seiner Jugend
ein freches und wildes Leben geführt und den Eltern, von denen er unterschiedliche mahl
ausstaffieret und in den Krieg geschickt worden, in vielen Wegen ungehorsam gewesen:
deswegen ihn auch der Vater etliche Wochen in Custodia zu halten
genöthigt worden. Dieser, wie er etwa von fremden Oertern wieder angelangt und von seinem
Vater Geld begehret, aber nach seinem Willen nicht erlangen können, hat demselben einen
Absagebrief zugeschrieben, des Inhalts: er solle ihm hundert Thaler schicken, oder er
wollte ihm einen rothen Hahn auf seine Schäferei oder Scheune setzen, und sollte vor ihm
nicht sicher sein. Als nun solche gefährliche Diffidation in der Stadt Stargard
lautbar worden, haben die Bürger und zumahl diejenigen, so nächst an dem Ort ihre Höfe
und Scheunen liegend hatten, diese besorgliche Gefahr einem ehrbaren Rathe daselbst
geklagt, justitiam requirirt und cautionem indemnitatis gefordert.
Worauf ein ehrbarer Rath besagten Bürgemeister Appelmann, so damahlen in Senatu
zugegen gewesen, mit höchstem Fleiße und Ernste ermahnet, dahin zu denken, daß sein
ungerathener feindseliger Sohn Angesichts abgeschafft, die Stadt und Bürgerschaft aus der
Gefahr gesetztet, und durch genugsame Caution diesfalls versichert werden
möchte: auf den widrigen Fall müßten sie ihres Amtes gebrauchen und wider seinen Sohn
vermöge Rechtens verfahren. Er wollte es aber dahin nicht gereichen lassen, sondern
solchem Uebel bei Zeiten zuvorkommen und seiner uralten löblichen Familie kein Makel oder
Schandflecken dahero zuwachsen lassen. Ob nun wohl diese scharfe und gleichwohl nöthige
Erinnerung, auch eventual commination, dem Vater sehr durchs Herze gegangen, so
hat er doch bei sich erwogen, daß ihm als einem Bürgemeister gemeiner Stadt Bestes zu
wissen obliegen müsse; daß er auch die geforderte Caution nicht wohl leisten
könne, und dahero allerhand zudringliche Gefahr von der Bürgerschaft zu gewarten
<33:> haben müßte; und weil periculum in mora, auch nach geschehener That
nicht wohl Rath zu schaffen, so hat er beschlossen, unter zween Bösen das geringste zu
erwählen und mit schleuniger Execution allem Unheil vorzukommen, als den
kläglichen Fall zu erwarten und anzusehen, daß sein Sohn öffentlich zur Straf gezogen
und jederman zum schmählichen Exempel und Spektakel dargestellt werden sollte. Hat sich
darauf mit kurzen Worten erkläret: Sie sollten nur ein wenig Geduld haben, er wollte die
Sachen also richten, daß sein Sohn keinen Schaden thun sollte. Ist demnach sofort mit
einem Prediger ins Dorf Brockhusen gefahren, die Diener aber und Scharfrichter
vorausgeschickt, und seinen Sohn daselbst unvermuthlich überfallen, fangen und folgendes
mit Gott berichten lassen, ihn aber selbst mit herzhaftigem Gemüth angeredet, zum Sterben
ermahnet, gesegnet und getröstet. Ob nun wohl der Sohn ihn ganz flehentlich gebeten, ihm
das Leben zu schenken, mit hochbetheuerlicher Verpflichtung, daß er sich bessern, und in
fremde Lande ziehn und nimmermehr wiederkommen wollte, so hat er doch solches, weil er
dasselbige schon oft angelobet und nie gehalten, nicht erbitten können, sondern es hat
der Vater endlich dem Scharfrichter die Execution anbefohlen, welcher auch nach
des Bürgemeisters Abzug sein Amt verrichtet, und ihm bei dem Kirchhof daselbst das Haupt
abgeschlagen, da er dann sofort auch im Kirchthurm begraben worden.
Als die vorhergehende rührende vaterländische Begebenheit auf Antrag Herrn L. A.
von Arnims, des Stifters, von Herrn Hofrath Beckedorff, dem Sprecher, aus Paul
Friedeborns Stettinischen Geschichten anderm Buch pag. 113 Stettin 1613.
4.° vorgelesen worden, fiel dem Schreiber ein ähnliches Verhältniß zwischen Vater und
Sohn aus neuerer Zeit ein, welches sich zu obigem ganz parodirend anschließt, und würde
Bürgemeister Appelmann, dieser herrliche vaterländische Gegenstand, jemahls für die
Bühne bearbeitet, so könnte folgender etwas freche Scherz etwa einer lustigen Person aus
des Sohnes Gesellen zugelegt werden.
Scherz.
Der Professor N. N. in Gießen läßt seinen ungehorsamen Sohn nicht köpfen.
Es hatte Professor N. N. in Gießen einen Sohn N. N. genannt, der in seiner Jugend in
akademischem Muthwill und einiger Lüderlichkeit zu viel gethan, sein Vater hatte ihn oft
ausstaffiert, und in die Fremde geschickt, er ist aber immer wieder in die Gegend
zurückgekehrt, wenn er den Grund seines Seckels gesehen, und hat den Vater ersuchet, und
ge- <34:> nöthiget, ihm diesen verhaßten Anblick des Seckelgrundes zu entnehmen,
um sich selbst des verhaßten Anblicks seines fidelen Sohnes zu entledigen. Als
aber der Sohn gar nicht ausbleiben wollte, und in kurzer Frist immer wieder von neuem des
Vaters Aerger und Galle nicht sowohl aus dem Magen desselben als sein Geld aus dessen
Geldsack mit dem Brechweinstein seiner Erscheinung ausleerte, ließ der Vater ihm auf das
Dorf hinaus, wo er sich in einer Kneipe niedergelassen, durch seinen Boten zurücksagen,
er sei entschlossen, ihm nichts mehr zu geben, worauf der Sohn ihm zurückschrieb: er
möge ihm nur diesmal noch 100 Thaler senden, so wolle er ihm schriftlich auf alle
Erbschaft resigniren. Als ihm der Vater hierauf durch den Pedell insinuiren
ließ, daß Alles umsonst sei, daß er nichts mehr von ihm wissen wolle, und daß er sich
als ein relegatus aus dem Bann der Universität begeben solle; ward der Sohn
betrübt, und jugendlich unwillig, besonders da er wohl wußte, er sei nicht ganz
eigentlich ein Herumstreicher und Vagant von seinem Vater zu nennen, da er als Apfel nicht
weit vom Stamme gefallen; er verkaufte darum seine silberbeschlagene Tabakspfeife, die er
noch von seinem Vater selbst hatte, an den Pedell um einen französischen Thaler, und
schrieb seinem Vater folgenden Brief zurück, in welchen er den Laubthaler einsiegelte:
Herr Professor, da Sie sich durch den Pedell N. N. gänzlich von mir als Ihrem Sohne
lossagen wollen, will ich auch von meiner Seite nicht länger in Ihrer Schuld bleiben, und
übersende Ihnen daher hiebei einen Laubthaler oder 2 Gulden 45 Kreuzer Macherlohn
für meine Person, ich bitte Sie die Quittung meiner Mutter zuzustellen, ich habe
von Ihnen selbst vernommen, daß diese Summe der courante Preis gewesen, als sie
noch ihre Köchin war.
Der Professor las diesen Brief den andern Tag selbst seinen Zuhörern
im Collegium vor. Uebrigens lebt der Sohn noch, und ist ein tüchtiger und rechtschaffener
Beamter geworden.
Hierher gehört auch jener Sohn, dem die Mutter immer vorwarf, sie
habe ihn neun Monate unter ihrem Herzen getragen, und der ihr endlich unwillig antwortet:
Wenn ich gleich glaube, daß ihr mich keine 4 Wochen länger getragen hättet, wäre
es gleich in eurem Willen gestanden, so will ich euch doch einen Esel miethen, der euch
ein ganzes Jahr trägt, um eurer Vorwürfe los zu sein.
II. Ernst.
Herrliche Treue deutschen Ritters Dietz von Schauenburg gegen seine Knechte bis
jenseits des Richterschwertes.
Kaiser Ludwig der Bayer hatte im Jahre 1337 Dietzen von Schauenburg darum, daß er den
Landfrieden gebrochen, sammt vier Knechten <35:> gefangen zu München eingebracht
und mit Urtheil und Recht zum Schwert verdammen lassen. Wie nun diese Verbrecher zur
Richtstatt kamen, hat Dietz von Schauenburg den Richter gebeten, er möchte ihn und seine
Knechte in eine Reihe, und jeden acht Schuh weit von dem andern stellen, hernach an ihm
anfangen, die Execution zu verrichten, wofern er nun nach geschehener Execution
aufstehen und an allen seinen so stehenden Knechten vorüberlaufen würde, so möge der
Richter die, welche er vorübergelaufen, begnadigen, welches ihm der Richter lachenden
Mundes und gleichsam im Spotte zugesagt, und ihm die Hand drauf gegeben, wohl wissend,
daß man sein Lebtag keinen Menschen ohne Kopf habe laufen gesehen. Hierauf hat Dietz von
Schauenburg seine Knechte, nehmlich die liebsten am nächsten vor sich, in obgemeldeter
Ordnung gestellt, und er ist selber der hinterste gewesen, ist demnach auf erhaltene
Zusage getrost niedergekniet und sich enthaupten lassen, darauf ohne Haupt in heftiger
Eile und aus kräftigem treuen Willen aufgesprungen, und alle vier Knechte vorbeigelaufen,
dann erst niedergesunken und liegen geblieben. Seine Knechte aber von seinem treuen Blute
bezeichnet, konnten vor Liebe, Angst und Freude nicht weinen, und nicht rufen Gnade!
Gnade! Gnade! Sie stürzten über den Leichnam ihres Herrn und bedeckten ihn mit ihren
Küssen. Der Richter entsetzet über dieses Wunder der Treue, hat sein Wort gehalten und
die Sache dem Kaiser berichtet, der nicht weniger gerühret, die Knechte des Dietz von
Schauenburg für diesmal mit dem Leben begnadigte. Die Knechte aber haben das Blut des
Dietzen nicht von ihren Wämsern gewaschen, sondern es getragen bis in ihren Tod, den sie
als brave Landsknechte endlich auf grünem Felde gefunden; und ich sage nur noch: Wo ist
ein solcher Herr, daß ich ihm diene, außer Gott!
Das war kein Philister, der hätte höchstens sich noch eine Pfeife
Taback nachher ausgebeten.C. B.\*\
Scherz.
An einem Wälschen Hahne läßt sich eine ähnliche Gegenwart des Geistes in dessen
zwar zweibeinigten aber doch gefiederten kopflosen Person beobachten, wenn du ihn vorher
etwas hungern läßt, dann mit der einen Hand Futter ausstreuest, während deine andre
Hand mit einem scharfen Hiebe dem heranlaufenden heftigen Kerl den Hals durchhaut, die
Figur läuft dann, ohne sich stören zu lassen, nach dem Futter fort und bemerkt erst da
mit großem Schrecken, daß ihr der Kopf und also das Maul zum <36:> Fressen fehlt.
Auch an den Ohrwürmern bemerken wir die Klugheit nach ihrer tödtlichen Verwundung, wenn
wir ihnen den Bauch abschneiden, daß die Kopfhälfte das liebe Gut im Magen, was ihm
schon einmal gut geschmeckt hat, noch einmal genießt, ungeachtet kein Apotheker
dabeigeschrieben hat, auf zweimal zu nehmen. Auch an einem Räucherkerzchen bemerken wir,
daß, wenn es auf einem Papier über Wasser ausbrennt und durch das Papier hineinfällt,
es nach diesem seinen Tode seine vorige Gestalt aus der Asche wieder annimmt, der Geruch
ist freilich verloren, aber das ist sehr klug von ihm, denn des Geruches wegen hat es
sterben und verderben müssen.
Aehnlich dieser Gesinnung des Räucherkerzchens und für die Theorie
des Bewußtseins und der Unsterblichkeit nicht minder wichtig, war der bekannte Entschluß
eines in der Revoluzionszeit zur Guillotine verdammten Antirevoluzionärs, der nicht
sowohl gegen die Menschen welche die Mordmaschine in Bewegung setzten, sondern gegen diese
Maschinerie selbst einen grimmigen Haß gefaßt hatte. Da ihm nun diesen auszulassen keine
andre Zeit und Gelegenheit einfallen wollte, so beschloß er seinen Schwur, das
Guillotinemesser zu verderben, folgender Gestalt zu erfüllen. Er hatte ein kleines
Messerchen von der Art, wie unsre Bauern sie ein Knief nennen, sich bewahrt, das steckte
er sich in seine Westentasche vor der Hinrichtung wohl zurechte und in dem Augeblicke, wo
ihm die Hände auf den Rücken gebunden werden sollten, um ihn rasch in die Müntze zu
schieben, da steckte er das zusammengelegte Messer sich durch den Schlund in die Kehle,
schluckte herunter und im Augenblicke schlug das harte Guillotinemesser durch seinen Hals
auf das Messer, das sich gegen die unteren Eisen der Maschine drängte, und sprengte eine
so tiefe Scharte hinein, daß es nie wieder gebraucht werden konne. Wo hat es aber noch je
den Henkersknechten und Tyrannen an Eisen gefehlt? Acht Tage später war ein neues Eisen
fertig, doch waren in der Zeit die Brüder des Hingerichteten losgesprochen, die in der
Eile mit ihm, des Namens wegen, verdammt worden waren.
L. A. v. A
\*\ Bis hierher alles
von Brentanos Hand, das Folgende von der Arnims.
|