Reinhold
Steig, Heinrich von Kleists Berliner Kämpfe
(Berlin, Stuttgart: Spemann 1901), 21-27
Christlich-deutsche Tischgesellschaft: Gründung und Mitglieder
2. Die christlich-deutsche
Tischgesellschaft.
Gegen Ende des Jahres 1810 schrieb Achim von
Arnim seinen Freunden Jacob und Wilhelm Grimm nach Kassel, er sei damit beschäftigt, eine
deutsche Tischgesellschaft zum 18. Januar, dem Krönungstage der preußischen
Monarchie, zu errichten: Adam Müller ist Mitunternehmer, ich bin Gesetzgeber. Das
weiseste der Gesetze bestimmt, daß jeder lederne Philister ausgeschlossen ist. Die
Tischgesellschaft kam glänzend zu Stande, und auf die Acten derselben stütze ich mich,
indem ich das Nachfolgende schreibe.
Auf Grund vorausgegangener Vorbesprechungen ließ Arnim ein Circular
umlaufen, enthaltend den
Vorschlag zu einer deutschen Tischgesellschaft.
Es wird mit dem Anfange des Jahres 1811 eine, so Gott will, fröhliche deutsche
Tischgesellschaft alle vierzehn Tage Dienstags zum Mittagessen zusammenkommen; der Ort
(beim Wirthe des Casino) soll der Zahl dieser Gesellschaft angemessen ausgewählt werden,
der Preis des Mittagessens ist auf einen Thaler festgesetzt. <22:>
Den 18. Januar am Krönungstage ist die erste Versammlung dieser
Gesellschaft angeordnet, dieser Stiftungstag soll alljährlich wiedergefeiert werden.
Niemand ist verpflichtet an jedem Versammlungstage zu erscheinen, als
der Sprecher, oder einer der Gesellschaft, dem er sein Geschäft übertragen hat,
welches darin besteht, die Ordnung der Tafel, das Verhältniß zum Gastwirth und das
Gastbuch zu halten.
Die Umfrage, wer jedesmal erscheinen wird, geschieht einige Tage vor
jeder Versammlung, der Diener erhält dafür von jedem Mitgliede jedesmal einen Groschen.
Jedes Mitglied ist befugt Fremde mitzubringen, doch muß dem
Gastwirthe davon Nachricht gegeben werden.
Bei künftig aufzunehmenden Mitgliedern findet kein Ballotieren statt,
weil es die Ehre des Einzelnen bei einem Vergnügen aufs Spiel setzt; wer von zehn
Mitgliedern als der Gesellschaft wohlanständig und angemessen eingeführt wird, ist
dadurch ordentliches Mitglied.
Die Gesellschaft versteht unter dieser Wohlanständigkeit, daß es ein
Mann von Ehre und guten Sitten und in christlicher Religion geboren sei, unter dieser
Angemessenheit, daß es kein lederner Philister sei, als welche auf ewige Zeiten daraus
verbannt sind. Jedes Mitglied ist zu jeder Zeit berechtigt, ohne Angabe der Gründe aus
der Gesellschaft zu treten. Die Erklärung von zehn Mitgliedern mit ihres Namens
Unterschrift, daß jemand ein Philister geworden, bestimmt dessen Trennung von der
Gesellschaft, was nimmermehr hoffentlich der Fall sein wird.
Gesang ist willkommen, Frauen können nicht zugelassen werden.
Durch meist eigenhändige Unterschriften unter dem Circular bekannten
sich als
Mitglieder der deutschen Tischgesellschaft:
Lud. Achim von Arnim |
Adam Müller |
L. Beckedorff |
W. von Voß |
Pistor |
Cl. Brentano |
Kleist |
G. v. Bülow |
v. La Roche |
v. Dalwigk |
Pr. Weiß |
v. Savigny |
Graf Arnim |
v. Röder <23:> |
v. Clausewitz |
Möllendorff |
v. Voß |
Otto |
Staegemann |
Dr. Heinrich Meyer |
Wollank |
Fr. Schulz |
Zelter |
Reimer |
C. v. Arnim |
Eichhorn |
Schwink |
Reichardt |
Alberti |
v. Gerlach |
v. Röder |
v. Hedemann |
Vogel |
Graf v. Brühl |
Wißmann |
Grapengießer |
Hermensdorff |
Pfuel |
Göschen |
Prinz Lichnowski |
Genelli |
Büry |
v. Zschock |
v. Hymmen |
Siebmann |
Fichte. |
Und diese Reihe von 46 Namen erhält durch eine
spätere Liste (unten S. 39) noch beträchtlichen Zuwachs, den ich gleich hier in meine
Betrachtung der vereinigten Gruppen mit hineinziehe.
Man sieht: die Tischgesellschaft setzte sich aus den vornehmen Kreisen
Berlins, denen des Geburtsadels, des Militärs und der bürgerlichen Aristokratie des
Gelehrten-, Künstler-, Schriftsteller- und Beamtenthums, zusammen. Voran Prinz Radzivil,
Prinz Lichnowski und andere Vertreter des hohen Adels, die die Stützen der preußischen
Kriegsparthei waren. In dem Hause des Grafen Arnim (- Boitzenburg) fanden sich
Scharnhorst, Gneisenau, Grolmann, Boyen und eine ganze Familie Röder zu patriotischen
Berathungen zusammen (Marwitz Nachlaß 1, 316), und so finden wir auch Zwei des
Namens Röder, wohl Ferdinand von Röder, damals Offizier im Garde- <24:>
Jäger-Bataillon (das noch in Berlin stand), begeisterter Verehrer von Clausewitz, 1813
gefallen, und Wilhelm von Röder, der gleichfalls 1813, bei Culm, als Major fiel, unter
den Mitgliedern der Tischgesellschaft. Ebenso Clausewitz selbst, seit kurzem als Lehrer an
die Kriegsschule nach Berlin berufen und mit der Gräfin Marie von Brühl vermählt. Zu
Clausewitz Freunden zählten ferner die Offiziere von Hedemann, nachmals der
Schwiegersohn Wilhelm von Humboldts, Hauptmann von Tiedemann, der von Witz und Humor
sprudelnde junge Leopold von Gerlach, den Clausewitz als den drolligsten und
liebenswürdigsten Menschen, den er je gesehen, schildert. Ferner der ebenso geistig
angeregte wie rücksichtslos drauflosgehende Major von Möllendorff; und von der Berliner
Garnison der Capitän von Horn, von Dalwigk, von Bardeleben, und Major von Bülow,
Gouverneuer des Prinzen Friedrich von Hessen, im Königlichen Schlosse wohnhaft. Und
schließlich Ernst von Pfuel, der treue Freund Heinrichs von Kleist.
Den Uebergang vom Adel zum Schriftstellerthum bildeten Heinrich von
Kleist und Achim von Arnim, zu denen Adam Müller und Clemens Brentano gehörten; neben
Achim auch sein älterer Bruder Carl, Pitt-Arnim genannt, der sich als Schriftsteller, und
dann als Theaterintendant einen Namen machte. An Adam Müller empfohlen war von Frau von
Berg und ihrer Tochter, der Gräfin Voß, der Hofrath Dr. Ludolph Beckedorff,
Begleiter eines mecklenburgischen Grafen Voß: ein Gentleman in jeder Nerve
(Adam Müller an Gentz S. 256), ein durchaus klarer, besonnener, unterrichteter
Mann, keine Art Phantast, aus dem Kreis Adam Müllers, von Schütz(-Lacrimas),
des Heinrich von Kleist (Brentano an Görres 3, 284). Beckedorff und Schütz wurden
nachmals die gesinnungsverwandten Mitarbeiter Adam Müllers an dessen seit 1816
erscheinenden Staatsanzeigen; in den zwanziger Jahren <25:> war Beckedorff
vortragender Rath im preußischen Cultusmisterium und nahm Abschied, als er zum
Katholicismus übertrat. Gesellschaftlichen Rang unter ihnen hatte der Verlagsbuchhändler
Georg Reimer, nicht Hitzig oder Sander, mit denen der Verkehr ein geschäftlicher blieb.
Als Dichter betrachtete sich auch der Geheime Staatsrath Stägemann,
mit dem sein Studiengenosse, Hausfreund und Hülfsarbeiter Friedrich Schulz, der sog.
Theater-Schulz, unzertrennlich zusammengehörte. Stägemann hatte schon in Königsberg,
als dort die Staatsregierung war, viele von den jetzigen Mitgliedern der
christlich-deutschen Tischgesellschaft in seinem Hause gesehen, aus dem bürgerlichen
Beamtenthum wie aus der adligen Gesellschaft. Wir wissen es von Kleist. Wir erschließen
es von Arnim, der nachher, 1808, mit Stägemann wegen des Silberedictes correspondirte,
und über den Reichardt der Frau Elisabeth Stägemann immer wie über einen guten
Bekannten Nachricht gab (Erinnerungen von E. von Stägemann 1846). Frau Stägemann war
eine geborene Königsbergerin und Jugendfreundin Reichardts, der, als er 1810 auf
längere Zeit nach Berlin kam, um seine neue Oper Der Taucher einzustudiren,
sich sofort wieder in seine alte Freundschaft und Verwandtschaft zurückversetzt sah.
Seine Stieftöchter Mine und Lotte Hensler waren die Frauen des Staatsraths Alberti und
des Geheimen Postraths Pistor, bei dem Arnim und Brentano wohnten; Pistors Schwager
wurde, als Gatte seiner Schwester von Seegebarth, der nachmalige Geheime Finanzrath von
Zschock in Berlin. Mit Stägemann verschwägert war der Bankier Schwink in Königsberg,
dessen schöne Tochter Auguste einst Arnim verehrt hatte, und die die Gattin des
Regierungs-Präsidenten Wißmann geworden war: beide, Schwink und Wißmann, weilten 1810
in Berlin, der letztere um sich einer Verdächtigung seiner Amtsführung beim <26:>
Staatskanzler zu erwehren. Brentanos mütterlicher Oheim Carl von Laroche lebte als
preußischer Bergrath in Berlin, ein Freund des Humboldtschen Hauses. Von weiteren
Beamten der Kriminalrath A. Otto, die Kammergerichtsräthe von Hermensdorff und Joh.
Albrecht Friedrich Eichhorn, 1810 zum Syndikus der Universität berufen und späterer
Cultusminister, Fr. W. von Bärensprung, der Prediger Grell von der Garnisonkirche, die
Kammergerichtsassessoren Wollank und Friedr. Siegesmund Siebmann, der letztere damals
unter dem Namen von Grunenthal geadelt, bis hinauf zum früheren Minister von Reck. Wir
bemerken besonders den Rendanten Louis Vogel, Adam Müllers Schul- und Jugendfreund.
Siebmann und Wollank hatten sich auch schon schriftstellerisch
bethätigt. Von Siebmann war 1810 ein Band Novellen und im Pantheon ein Zwischenspiel,
beides aus Cervantes übersetzt, erschienen. Wollank, der den Ruf eines trefflichen
Musikers und Componisten genoß, schrieb die im Pantheon mit der Chiffre -k
versehene Besprechung einer Oper Mozarts. Er war ein getreuer Freund der
Singakademie und der Liedertafel, die die meisten Mitglieder der christlich-deutschen
Tischgesellschaft an sich gezogen hatte. Daher finden wir auch Zelter zunächst in der
neuen Vereinigung; von akademischen Künstlern nur Genelli und den aus Hanau stammenden
Maler Fritz Bury.
Ganz neue Mitglieder stellte die soeben gegründete Universität.
Unter den einheimischen Gelehrten war Fichte durch seine Reden an die deutsche Nation eine
markante Berliner Persönlichkeit geworden. Die Professoren Grapengießer und Wolfart, der
letztere ein überzeugungstreuer Anhänger des Mesmerismus, galten als die
wissenschaftlichen Aerzte. Von Naturwissenschaftlern treffen wir den zum Director des
Königlichen Mineraliencabinets berufenen Professor Christian Samuel <27:> Weiß und
den Zoologen Lichtenstein, den Begründer und ersten Director des Zoologischen Museums der
Universität. Carl Friedrich von Savigny hatte den Ruf nach Berlin angenommen und sah mit
Arnim und Brentano häufig auch Heinrich von Kleist bei sich zu Gaste. Savignys
Verehrer war der Jurist Göschen, der, um zu studiren, promoviren und dociren damals an
die Universität kam, und sich, bei seinem Fortgange nach Göttingen, noch 1822, in
Arnims Stammbuch unmittelbar hinter Savigny folgendermaßen einschrieb:
Herzlichen Dank, theurer Freund, für gar Manches, insbesondere aber dafür, daß
ich denjenigen, dessen Namen auf dem nächst vorhergehenden Blatt steht, meinen Freund
nennen darf.
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