BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

[ ]

S

Peter Staengle, Kleist bei Varnhagen in Kraków, in: BKB 7 (1994), 53-103; darin: 63-79

Ernst Friedrich Peguilhens Aufsatz über Henriette Vogel und Kleist

<1r>

Eine Frau in der Bluthenzeit ihres Lebens, in einer anstaendigen Wohlhabenheit, in den gluklichsten ehelichen Verhaeltnissen von einem allgemein geschaetzten Manne auf Haenden getragen, durch das einzige Pfand ihrer Zaertlichkeit, durch einen weiblichen Engel von 9 Jahren innigst mit ihm verbunden, von einem wurdigen Greis als einzige Tochter fast angebetet, selbst vom Publico und von auserlesenen Freunden und Freundinnen geliebt und verehrt, entsagt freiwillig einem so glucklichen Leben!
Ein Man aus einem Geschlecht entsprossen, das Preussens Ruhm begrunden halff, ebenfalls in der Bluthe der Jahre und der Gesundheit, geachtet, ^als Schriftsteller^ geliebt, ^als Mensch^ durch sein Talent <64:>

<1v>
fur Nahrungssorgen gesichert, giebt ihr den Tod und begleitet sie im Tode!
Das ist kein alltaegliches Ereigniss, sondern ein Raethsel, dessen Loesung sich nur in der eigenthumlichen Richtung der Charactere finden kann, da der Leitfaden der Ausserlichkeiten und sogenanten Verhaeltnisse aus diesem Labyrinthe keinen Ausweg zeigt.
Bevor ich die Loesung dieses Raethsels versuche, muss daher diese ^eine^ kurze Characteristik der Verstorbenen vorangeschikt werden.
Mdme Vogel war von der Natur bestimt, die Zierde ihres Geschlechts zu sein, sowohl in Ansehung des Geistes als des Koerpers. Dass diesem die Fülle der Gesundheit fehlte, und ihr geistreiches Gesicht von den Blattern etwas gelitten hatte, war eine Weise schonende Fursorge der Vorsehung fur unser Geschlecht. Denn sonst haette es nur von ihr abgehangen, trotz jener Angelika

<Rand, neben Z. 42ff.:>
+ des Bojardo u. Ariost, die maenliche Jugend zum Kampfe um ihren Besitz zu bewaffnen, und ihrem Vaterlande, das sie so innig liebte, verderblich zu werden.

<2r>
Sie war ein wunderbares genialisches Wesen, bei der man das Fremdartigste in einem seltenen Vereine fand. Ihr Geist durch Shakespeare u. Goethe, durch Homer und Cervantes genaehrt, durch talentvolle Freunde gepflegt, die sie alle ueberragte, konte sich auch zu dem Gemeinsten herablassen, und zwar ohne Affectation, welche ihr ganz fremd war. Dieselbe Frau, welche Abends durch meisterhaften Vortrag der schwierigsten Compositionen, durch Spiel u. Gesang ihre Freunde entzuckte, fand der kommende Morgen mit Ausbessern u. Sortiren der <65:> Waesche beschaeftiget, und nicht selten nahm sie das Pletteisen zur Hand, so sehr sie auch das unzutraegliche dieses Geschaefts fur ihren kraenklichen Koerper fuhlte, weil ihr die Arbeiten anderer selten genugten. Sie war die musterhafteste und ordentlichste Hauswirthin, wie man sich noch jetzt durch ihren Nachlass ueberzeugen kan. Waesche, Kleidungsstucke, Hausgeraeth pp hat sie nach eine mit einem genauen Verzeichniss, und in einer so musterhaften ^wohl ueberlegten Ordnung^

<2v>
sortirt und bezeichnet hinterlassen, in welcher dass mann in einer wohleingerichteten Registratur sich zu befinden glaubt. Auch vernachlaessigte sie keinesweges ueber die Ausbildung ihres Geistes, den Koerper. Sie kleidete sich mit Sorgfalt u. Geschmack, und hielt die hoechste Reinlichkeit fur den schoensten Schmuck des Weibes.
Ihre Wissbegierde kante keine Grenzen, und nichts verschmaehete sie, was ihre Kentnisse bereichern konte. Die gemeinsten Fertigkeiten waren ihr nicht unbedeutend, und wurden unter ihren Haenden geadelt. Sie war unzufrieden mit der Beschraenktheit, ^in^ welcher die Mode fur e die Beschaeftigungen ihres Geschlechts eingezwaengt hat, und beneidete unser Geschlecht, dessen Fertigkeiten einen weiteren und hoeheren Spielraum haben. So zB. bat sie mich oefters, ihr Unterricht im Drechseln zu geben. Selbst Fechten wunschte sie zu lernen, und Kleist unterrichtete sie wirklich in den Elementen der Tactik und Kriegskunst.

<3r>
Sie sprach in Caffee ^Thee^ Zirkeln von Moden und Speisen, und blieb in keiner Unterhaltung zuruck, ausser wen der gute Nahme Abwesender angegriffen wurde, wo sie nie mit einstimte. <66:> Selbst ^ganz^ eigenthumlich organisirt hatte sie ein seltenes Talent, die Eigenthumlichkeiten Anderer aufzufassen und bemerkbar zu machen; aber nicht etwa Laecherlichkeiten oder besondre Angewohnheiten, sondern characteristische Züge, die den Menschen zu dem machen was er ist; hervorstechende Individualitaet, und zwar immer von einer guten Seite. Ihr Scharffblick entdeckte an dem unbedeutendsten Menschen, eine interessante Seite, deren Beruhrung ihm schmeichelhaft sein musste. Eben deshalb war niemand, der sich nicht in ihrer Naehe glucklich gefuhlt haette. Sie hoerte nicht blos vom Landman das Detail seiner Wechselwirtschaft und seiner Kuhstaelle an, sondern sie hoerte es mit Interesse, und mit ernster Lernbegierde erforschte sie die kleinste Kleinigkeit, nicht mit einem vornehmen Herabsehen auf die einseitige

<3v>
Bildung des Lehrers. Nur ein gewisser Doctor wurde sie vieleicht ungelehrig gefunden haben, wenn er sie von seinen Tabakspfeifen und deren Reinigung haette unter halten wollen, wie dieses einer ihrer Freundinnen zu ihrer grossen Belustigung einmahl begegnete.
Bei dem reinsten Tugendgefuhl war sie keine Pruede, di und wurde nicht durch ein unbedachtes Wort in einer froehlichen Gesellschaft beleidiget. Sie las die liaisons dangereuses als meisterhaftes Gemaelde des Sittenverderbnisses der vergessenen grossen Welt mit gleichem Interesse, als das zarte Gemaelde der Liebe in Werthers Leiden.
Ohnerachtet ihres tiefen Sinnes fur Poesie, Music u. Kunst ueberhaupt, ohnerachtet ihres reichen Talents und ihres vielseitig gebildeten Geschmaks, der ihr einen hohen Rang unter Deutsch lands Frauen anwies, gehoerte sie doch keinesweges zu den sogenanten <67:> gelehrten Frauen, wie schon aus dem

<4r>
vorhergehenden sich ergiebt. Sie war sich ihres inneren Reichthums, ihres hoeheren Standpunctes zu sehr bewusst, um die moderne Zusammenstellung griechischer Kunstwoerter, und sinloser Redensarten, zu bewundern, wodurch diese Classe ^sich^ hier nicht selten als belustigendes Zerrbild preisgiebt.
Es ist in der That ein comischer Einfall, wenn einige Journalisten ihr ungluckliches Ende auf Rechnung der verschollenen poetischen Poesie schieben wollen, und ein Beweis wie wenig sie von dieser Frau wissen. Sie war viel zu selbststaendig, und hatte einen zu sicheren Takt, um irgend einer Schule oder Secte anzugehoeren, und wusste sehr wohl einen Alarcos von einem Egmont zu unterscheiden.
Kurz ich kenne kein schoeneres Gebilde der vollendeten Weiblichkeit, als Mdm Vogel es war, und die ganze Zartheit ihres Wesens und Seins in Worten auszusprechen, waere hiesse die aetherische Flamme des Weingeistes

<4v>
verkoerpern wollen, die sie immer mit besonderem Vergnugen betrachtete. Leider kan ich zum Belag dieser Schilderung nichts beifügen, als ihren aeusserst geringen schriftlichen Nachlass, der ausser den ^beiden^ Abschiedsbriefe^n^ an ihren Gatten, blos in wenigen ^fur^ eine Freundin zurukgelassenen hingeworffenen Gedanken besteht, und welche sich unter den Beilagen finden. Sie hat zwar nie fur den Druck geschrieben, und ein eigentlich literarischer Nachlass war nicht vorhanden, aber doch eine mehrere kleine hoechst interessante Aufsaetze welche die Fulle ih und Eigenthumlichkeit ihres Geistes noch mehr ^naeher^ dargelegt haben wurden, <68:> als all jene, welche ^die^ sie aber aus einem Uebermaasse von Bescheidenheit vernicht kurz vor ihrem Tode vernichtet hat. Indess schon jene Fragmente deuten auf echte Originalitaet, und zeigen hinreichend, dass diese

<5r>
Skizze zwar von Freundes Hand angelegt, aber nicht verschoenert ist.
So sehr sie durch ihr Talent ueber den Kreis des Privatlebens und der Haeuslichkeit heraus trat, und der Nation angehoerte, so war sie doch durch den Wunsch ihrer Freunde nie zu bewegen, in Almanachheften als deren Zierde oeffentlich aufzutreten, blos weil sie ^der^ als Schriftstellerin ein so hohes Ideal vorsteckte, dass weder sie noch irgend ein Sterblicher es erreichen konte. Schwerlich giebt es einen ueberzeugenderen ^vollgultigeren^ Beweis von ihrem Werthe, als wenn derselbe sogar von Franzosen anerkant wird, die warlich von der Bildung teutscher Frauen nicht voreingenommen zu sein pflegen, und gewoenlich nur Aeusserlichkeiten an ihnen ihrer Aufmerksamkeit werth finden
Ein junger Franzose der ^war^ waerend des Krieges lange genug in ihrem Hause einquartirt^,^ war, um von ihren Volkommenheiten einen unvertilgbaren Eindruck mit nach Paris zu nehmen. Durch die

<5v>
in franzoesischen Blaettern ueberkommene Ankundigung von ihrem Tode wird er so lebendig ergriffen, dass er oeffentlich als ihr Vertheidiger gegen seine eigne Nation auftreten zu mussen glaubt, beigehende Annonce an die Redaction des Journals de l’Empire schikt, und als die Aufnahme verweigert wird, sie jetzt an dem Rendanten Vogel mit einem aeusserst theilnehmenden Schreiben als Beweis ^Unterpfand^ seiner Achtung fur die Verstorbene uebersendet. Diese Annonce ist ein Beweis von dem <69:>  unwiderstehlichen Zauber, den echte Weiblichkeit, selbst wenn sie nicht mit vollendeter Schoenheit gepaart ist, ueber gebildete Maenner von allen Nationen u. Staenden aus uebt.

<6r>
Von Kleist kan ich noch weniger sagen weil ich ihm ¿¿¿¿¿¿¿¿¿ ¿¿¿¿¿¿¿¿¿¿¿¿¿¿¿¿¿¿ nicht so nahe stand als der Mdme Vogel, und Verschiedenheit mancher Ansichten ein inniges Freundschaftsband nicht verstattete, so sehr wir uns wechselseitig achteten. Ueberdies hat er der Welt in seinem Amphitruon u. in der Penthesilea, in seinen schoenen Erzaeh lungen, und im Kaethchen von Heilbron so wie in einzelnen Journalaufsaetzen und mehreren noch in Manuscript bei seinen Freunden umlaufenden dramatischen Arbeiten, seinen Geist zur Genuge dargelegt, und das Publicum selbst zu urtheilen in den Stand gesetzt. Er hinterlaesst Freunde die ihm naeher standen, und von denen in jeder Hinsicht etwas vollendeteres ueber ihn zu erwarten ist. Ich beschraenke mich auf die Bemerkung, dass ihm das wichtige Talent fehlte, sein Talent geltend zu machen, und dass er vermoege einer ihm eigenthumlichen

<6v>
tiefen Verschlossenheit des Gemuths die sich fast in allen seinen Schriften ausspricht, den Reichthum seines Inneren nur selten enthullte, immer nur ahnden liess.
Die beigefugten gerichtlichen Acten ueber den traurigen Vorfall geben ueber alle Ausserlichkeiten den vollstaendigsten Aufschluss, und der schoene Abschieds brief an ihren Gatten ^von Mdme Vogel^ in einer Stunde geschrieben wo sie dem ewigen Richter so nahe stand, so wie das spaetere von ihrem eignen Vater an mich gerichtete Schreiben wird hinreichend sein, <70:> darthun, dass nichts weniger als ungluckliche eheliche Verhaeltnisse sie zu einem Schritt vermogte, der wer ^welcher die^ sie kannte^n^, betruebte, wer ^die^ sie nicht kannte^n^, empoerte.
Ich erklaere auf Und hiemit liegt der Nachlass der Verstorbenen dem Leser so vollstaendig und offen da, als mir selbst. Das er nicht reicher einige kurze Abschiedsbillets ausgenommen. Als ich meine Annonce schrieb, ueber welche ich mir nachher noch einige Worte erlauben werde,

<7r>
schrieb
wusste ich noch nicht, dass die Verstorbenen kurz vor ihrem Tode alle Manuscripte u. s. w. gemeinschaftlich verbrant hatten, und glaubte etwas vollstaendigeres vorlegen zu koennen. Zur Ergaenzung des historischen und zur Berichtigung noch mehrerer Berichtigung des Journalgeschwaetzes, als in den gerichtl. Acten schon enthalten ist, bemerke ich noch, dass sie keine Bucher bei sich hatten, als die Tieksche Uebersetzung vom Don Quixote und Klopstocks Oden.
Unter diesen waren besonders eingeschlagen
Rothschilds Graeber und
Die todte Clarissa.
Letztere ist ^hat^ wirklich so viele Beziehungen auf ihren Zustand dass ich hier ^die ersten 6 Strophen^ ganz hersetzen will. muss, ^indem sie ueber die Ursachen ihres Todes mehr Aufschluss geben, als ihr eigner Nachlass.^

Blume du stehest verpflanzet, wo du bluhest,
Werth, in dieser Beschattung nicht zu wachsen,
Werth schnell wegzubluhen, der Blumen Edens
Bessre Gespielin!

Lüfte wie diese, so die Erd’ umathmen,
Sind, die leiseren selbst, dir rauhe Weste.
Doch ein Sturmwind wird (o er koemt! entfliehe du,
Ehe er daherrauscht,) <71:>

<7v>
Grausam, indem du nun am hellsten glaenzest,
Dich hinabsturzen!+ allein auch hingesturzet,
Wirst du schoen sein, werden wir dich bewundern,
Aber durch Traehnen!

Reitzend noch stets, noch immer liebenswurdig,
Lag Clarissa, da sie uns weggebluth war,
Und noch stille Roethe die hingesunkene
Wange bedekte.++

Freudiger war entronnen ihre Seele,
War zu Seelen gekommen, welch’ ihr glichen
Schoenen, ihr verwandten, geliebten Seelen,
Die sie empfingen,

Dass in dem Himmel sanft die liedervollen,
Frohen Hugel umher zugleich ertoenten:
Ruhe dir, und Krohnen des Siegs, o Seele, – Weil du so schoen warst.
–––––
+ Daß dieses ganz ihre Lage war, und ihr unabwendbar der grausamste Tod bevorstand, zeigen die gerichtlichen Acten.
++ Diese Strophe ist so wahr, als wenn der Dichter sie an Adolphinens Grabe geschrieben haette. Wirklich ist es nicht moeglich, den Tod in einer herrlicheren Gestalt zu sehn. Halb sitzend, halb liegend, die Haende gefalten, den freundlichen Blick wie im Leben zum Himmel gerichtet lag sie da. Weiss vom Kopf bis zu den Fussen wie frischgefallener Schnee, geschmuckt in der Gegend des Herzens mit einer einfachen Rose wie eine himlische Braut, sonst keine Spur der Verletzung; und das an einem Tage wo die ganze Natur in dusteren Nebel gehullt trauerte, gleichsam ahndend den unersetzlichen Verlust.

<8r>
Der Leser ist nun in den Stand gesetzt ueber die Begebenheit so vollstaendig zu urtheilen wie ich selbst. Er sieht, dass beide ueber die Bewegungsgrunde zu ihrer That sich nicht deutlich ausgesprochen haben. Indess in Ansehung der Mdme Vogel scheint die Loesung des Raethsels nicht schwierig zu sein.
Sie litt an einem unheilbaren Uebel. Schon manches Jahr hatte sie ihren Zustand schmerzlich empfunden, und ein Zustand voelliger Behaglichkeit, wie in den letzten Monathen ihres Lebens, war eine seltene Ausnahme. Noch manche Jahre des Leidens standen ihr bevor, und der allerfurchtbarste Tod. Der Arzt der ihren Zustand nach ihrem <72:> Tode untersuchte, druckte sich darueber so aus: dass er sich lieber zehn mal lebendig raedern lassen, als den ihr be wenn auch vieleicht erst nach Jahren bevorstehenden qualvollen Tod sterben moegte. Daher betrachtete ^sah^ sie schon seit langer Zeit einem schnellen u. schmerzlosen Tod^e^ als einen sehr lieben Freund, als das^em^ Ziel^e^ ihrer Leiden ^mit Sehnsucht entgegen.^ Sie strebte ueberall nach dem hoechsten; und ein gesunder Koerper ist doch gewiss die erste Bedingung aller irrdischen Gluckseeligkeit; und diese war fur sie auf immer

<8v>
und unwiederbringlich verlohren. Das ganze Streben ihres fur Liebe u. Freundschaft so empfaenglichen Gemuths ging nun dahin mit einem liebe^n^ Freunde vereint die Welt zu verlassen. Sie erlaubte sich oefters Anspielungen auf diesen Wunsch sowohl gegen ihren Gatten als gegen andere Freunde die freilich erst jetzt Bedeutsamkeit erhalten; brach aber das Gespraech kurz u. traurig ab, sobald sie die wenige Empfaenglichkeit ihrer Gesellschafter bemerkte.
Durch die zu weit getriebene Offenheit eines geachteten Artztes wurde sie von ihrem Zustande, den sie vorher nur ahndete, voellig unterrichtet. Von dieser Stunde an datirt sich warscheinlich ihr fester Entschluss eine Welt zu verlassen, von deren Freuden ein herbes Geschick sie ausschloss. Ihr laengst genaehrter Vorsatz wurde lebendiger, und Kleist dem ihr leisester Wunsch Befehl war, der nur in ihr lebte, nur an ihren Blicken hing, und sich h ihr ganz willenos hingegeben hatte, billigte nicht nur diesen seiner eignen alles durch einen schwarzen Flor sehenden Gemuthstimmung zusagenden Wunsch,

<9r>
sondern regte ihn noch mehr an, und gab sich ohne Bedenken zu der furchterlichen That her, welche die Welt einer ihrer seltensten Zierden, und ihren Freunden eine ewig beweinte Freundin, ihrem Gatten <73:> sein Alles raubte.
Dieses Das Gefuhl ihrer einer furchtbar drohenden Zukunft wurde so ueberwaeltigend, dass sie nach ihrem eignen Ausdruck das Leben nicht mehr ertragen konte. Sie vergass frevelhaft ihre Pflichten als Tochter, als Gattin als Mutter! und – verdient Entschuldigung. Wenigstens empoert sich mein Gefuhl gegen die Verdammung ihres Andenkens, aber – sie zu rechtfertigen ist mir nie in den Sin gekommen.
Fur Kleist aber weiss ich in der That keine Entschuldigung, als – Wahnsin. Denn fruherhin war sein Streben auf ein weit wurdigeres Ziel gerichtet. Seine hoechster Gedanke war: den Makel zu loeschen, den ein Man seines Nahmens in der neueren Zeit seinem Vaterlande bereiten half. Er versprach dieses seinem Monarchen, und – hat nicht Wort gehalten.

<9v>
Der Mann gehoert dem Vaterlande an, und dem Krieger geziemt nur ein Tod, wie ihn sein Ahnherr ^grosser leiblicher u. Geistes Verwandter^ Ewald v Kleist bei Zorndorff ^Kunnersdorff^ starb. Aber so wie Kleist ueberhaupt einer ruhigen Ueberlegung nicht faehig, sondern entweder Enthousiast oder ganz theilnamlos war, so auch hier. Als er sah, dass das Vaterland seiner Dienste vor der Hand nicht bedürffe, gewann sein Inneres Raum fur eine andere gewaltige Leidenschaft, welche ^selbst^ das Vaterland in Schatten stellte und sich seines Wesens so ganz bemaechtigte, dass der Sinn fur alles uebrige in ihm untergegangen war. Aber haette irgend ein Freund die That ahnden koennen, waere er bevor der Todesbund geschlossen war, vor ihn hingetreten, wie+ Bradamante ^Melissa unter der Gestalt des Atlas^ vor ihren Roger in Aleinens Garten, und haette ihm das Wort Vaterland: ins Ohr gerufen, – er waere zuruk getreten, und haette seinem Leben ein hoeheres Ziel gesteckt. Sein Tod <74:> zeigt von der gewaltigen Kraft des Willens

<Rand, neben Z. 488f.:>
+ Ubaldo vor Rinald
in Armindens Garten

<10r>
Willens, die in ihm lag, und darum mussen seine Waffengenossen trauern, dass er nicht in ihrer Mitte fiel, und zu seinem Grabe walfahrten, um fur einen maenlicheren Tod sterben zu lernen.
Nun bin ich mir selbst schuldig, noch einige Worte ueber meine im ersten Schmerz geschriebene Annonce zu sagen, nicht um sie zu rechtfertigen (Denn jetzt haette ich sie warlich nicht geschrieben) sondern um sie zu erklaeren.
Man hat besonders folgende Stellen angegriffen:
Es ist ^von^ einer That ^die Rede^, wie sie nicht alle Jahrhunderte gesehen haben! Das heisst nicht: gross und erhaben, denn dahin rechne ich blos Thaten wie die des Leonidas, Curtius u. s. w. welche dem Vaterlande Heil bringen, sondern – selten; und in der That ist mir nichts aehnliches in der Geschichte bekant, so weit die Geschichte reicht. Wir haben in der zarten Heloise ein schoenes Beispiel von reiner Liebe ohne Sinnlichkeit. Aber – ob diese Liebe

<10v>
wohl entstanden waere, wen Abailard als sie ihn kennen lernte, schon in dem Zustand war, in welchen nachher Fullberts Grausamkeit ihn versetzte? Ich glaube also in der Ankundigung nicht zu viel gesagt zu haben. Liebe bis zum Tode zu einem Gegenstande der sie nie erwiedern kan, ist dennoch ein Beispiel ohne Beispiele, und auch in der That widernaturlich. Er deutet auf eine ganz von der gemeinen abweichende Organisation hin, und diese war bei <75:>  Kleist allerdings vorhanden, wie alle seine Schriften zeigen. Er aeusserte sich wenig, empfand aber tief und innig, und nur einzelne Funken liessen zuweilen den Vulkan in seinem Inneren errathen. Sein Kaethchen von Heilbron ist ein treues Gemaelde von ihm ^seiner selbst^, dieselbe nur in einzelnen Momenten aufgluhende tiefe Verschlossenheit ^.^ des Gemuthes. Wer den Verfasser nicht kent, muß dieses Kaethchen

<11r>
fur ein unbedeutendes Wesen halten, das sich selbst nicht klar ist. oder Der Verfasser wollte aber ein Wesen darstellen, deren Inneres so reich ausgestattet, gleichsam ueberfullt ist, dass ihm immer u. ewig die Worte fehlen, es ganz auszusprechen.
Es ist wohl schon jederman begegnet, durch ein unerwartetes Ereigniss so ueberrascht u. ergriffen zu werden, dass die Menge der zustroemenden Gefuhle den Lauf der Sprache hemten, und nur einzelne Ausrufungen verstatteten. Dieses war Kleists gewoenlicher Zustand, und so muss man sich ihn denken.
Ich will damit nicht behaupten, dass Kleist vom Anfang seiner Bekantschaft mit Mdme Vogel an, ihren koerperlichen Zustand gekannt habe. Vielmehr ist das Gegentheil gewiss, und hoechstwarscheinlich wurde seine Zunei entstand auch seine Leidenschaft vor dieser Kentniss. Durch diese Kentniss wurde bei allen Menschen, die ich wenigstens kenne, die Leidenschaft

<11v>
erloschen sein, und sich in Freundschaft aufgeloest haben. Bei dem enthousiastischen Kleist nicht. Die Leidenschaft blieb, und nahm nur einen reineren u. heiligeren Character an. Sie wurde endlich bis zum Wahnsin erhoehet, und er hielt es fur Pflicht, eine ihn ueber alles theure Freundin, einen so herrlichen <76:> u. vollkomnen Geist, von den Banden einer unvollkomnen Hulle zu befreien. Ob nicht auch die Aussicht im Hintergrunde lag, bald mit dem geliebten Gegenstande in einem verklaerten Zustande ewiger Vereinigung u. Gluckseeligkeit wieder zu erwachen, mag ich nicht entscheiden, wenigstens stand bei beiden der zukun Glaube an ein zukunftiges Leben unerschutterlich fest, und bis auf den letzten Act ihres Lebens durfften sie diese Zukunft warlich nicht furchten. Diese Aussicht auf einige einen innigeren Verein als er in dieser Welt moeglich war,+ konte einen Kleist wohl dahin fuhren seine frevelnde Hand an die Gattin seines Freundes, an die Geliebte seines Herzens zu legen,

<Rand, neben Z. 598ff.:>
+ und auf die ueberschwengliche Seeligkeit einer himlischen Zukunft,

<12r>
und seine Pflichten als Mensch u. Staatsburger zu vergessen. Er war gar nicht faehig, einen Gegenstand von allen Seiten zu beleuchten. Alles andre vergessend hob er wie alle Enthousiasten einen einzelnen Punct aus; dieser aber wurde bis ins kleinste Detail ausg verfolgt, ausgemahlt, verschoenert und poetisch gestaltet. Er sah nichts als eine geliebte dem Tode geweihete, von gluck theurer Hand ihn wunschende Freundin! Ohne den krankhaften Zustand der Mdme Vogel haette Kleist warscheinlich allein die Welt verlassen, wenn seine Leidenschaft zu maechtig geworden waere, um in den Schranken der Tugend u. Sittlichkeit zu bleiben. Denn seine Grundsaetze in diesem Puncte gehoerten zu den strengsten, und die Frau eines Andern war ihm ein unberuhrbares Heiligthum, wie manche, die ihn in Versuchung fuhrte, erfahren haben wird.+
Hieraus erklaert sich auch die zweite sehr an- <77:> gefochtene Stelle: ihr Tod war rein wie ihr ^dass die Verstorbenen die Liebe und Reinheit^ Leben ^selbst waren^. Das Publicum machte naturlich aus dem Vorfall ein gemeines Liebesabendtheuer, wie

<Rand, neben Z. 614ff.:>
+ Unten
Ein genauer Freund der Verstorbenen suchte ihren Tod als einen Act der Strafe zu erklaeren. Nach der Ansicht zweier so reiner Gemuther war schon der Wunsch, das unwilkuhrliche Verlangen nach einer strafbaren Vereinigung ein Verbrechen, das nur mit dem Tode gebusst werden konte. Beide fulten sich schuldig nicht in Werken, aber in Gesinnungen und Wunschen, und deshalb wurde ihnen das Leben unertraeglich.
Sie hatten die Achtung fur sich selbst verlohren, und wollten nun, sich selbst vernichtend, diesem nagenden Gefuhl entfliehen. So scharfsinnig diese Erklärung ist, so passt sie doch nicht, zu der Freudigkeit und Ruhe, mit der sie dem Tode entgegen gingen. Wer sich selbst strafen will

<12v>
<Rand, neben Z. 667ff.:>
sieht dem Tode nicht so freudig ins Auge, und mir wenigstens scheint meine Erklaerung die richtigere.

schlecht unterrichtete Schmierer sogar in offentlichen Blaettern debutirt haben. Diesem dem Andenken der Verstorbenen nachtheiligen, und ihren hinterbliebenen Freunden hoechst schmerzlichen Geruchte wollte ich vorbeugen, und damit nichts sagen: als dass sie in ihrem Umgange nie die Gesetze der Sittlichkeit und Tugend verletzt hatt haben. Aber die That selbst zu rechtfertigen, und als Vertheidiger des Mordes u. Selbstmordes oeffentlich <78:> aufzutreten, ist mir warlich nie in den Sin gekommen.+
Freilich haette ich sagen sollen: sie waren im Tode rein geblieben, wie im Leben, indess war damals meine Absicht, ^durch^ diese Schrift d meine Ankundigung unmittelbar zu commentiren. Sie war nach dem dringenden Wunsche meines Freundes im ersten Schmerz geschrieben, und wenn man als so naher Zeuge von einem so schauderhaften Vorfall ergriffen ist, pflegt man die Worte nicht sorgfaeltig zu waehlen. Entgegnet man mir aber: man muss in einem sol exaltirten Gemuthszustande nicht zum Publico sprechen, so – weiss ich darauf nichts zu antworten.

<Rand, neben Z. 677ff.:>
+ Ich hielt das Verwerfliche der That vor dem Richterstuhl der Moral u. Religion fur zu entschieden, als dass es mir haette einfallen koennen, darueber noch Untersuchungen anzustellen, und waere Kleist durch einen Zufall am Leben geblieben, so haette ich ohn als Richter ohnbedenklich sein Todesurtheil unterschrieben.

<13r>

Ueberhaupt habe ich bei dem ganzen Vorfalle ausser den Gefuhlen einem anfangs vernichtenden Schmerzes, kein anderes Gefuhl gehabt, als das Gefuhl des Bedauerns, von vorher von dem Vorhaben der Verstorbenen nichts geahndet zu haben. Vieleicht wurde alsdan das befreiete Europa, das jetzt Kleists Andenken laestert u. bespoettelt, ihn als seinen Schutzengel verehren, und die Palme der Unsterblichkeit, die ihm nicht gleichgultig war, waere ihm unverwelklich geworden.
Uebrigens wunschte ich wohl, dass es in meiner Macht staende, meine Ankundigung in den Zeitungen gaenzlich zu vernichten, nicht wegen des Gewaesches der Zeitungsschreiber <79:> u. Journalisten das ich verachte, sondern weil ich dadurch das verlohren habe, was mir das theuerste war: die Gnade meines Monarchen. Meine verstorbene Freundin ahndete warlich nicht, dass sie mir durch ihr letztes Billet einen solchen Verlust bereitete!
Ich schliesse, da mir weder meine Zeit noch mein ganz fremdartiger Beruf erlaubt, als eigentlicher Biograf aufzutreten, und ich von Anfang an keine andre Absicht hatte, als mit wenigen Bemerkungen den Nachlass der Verstorbenen dem Publico

<13v>

vorzulegen, (den ich für weit reicher hielt) und dadurch lieblosen Urtheilen vorzubeugen, welche einer solchen Begebenheit aus der Ferne betrachtet, nothwendig folgen mussen.
Dass uebrigens das berlinische Publicum die Verstorbenen weniger verdamlich findet, als die Libellisten, zeigen ihre unbeschimpften dicht mit Blumen und Gestraeuch bekraenzten Grabhuegel., und die haeufigen Walfahrten dahin, gleichsam als zu einer geweiheten Stätte!


H: BJK, Slg. Autographa, s. v. Peguilhen; eine handschriftliche Kopie befindet sich in BJK, Slg. Varnhagen, Überschrift: Aufsatz von Peguilhen | über Heinrich von Kleist und Adolphine Vogel. – Zum Original cf. Katalog der Auktion von J. A. Stargardt, 23. - 28. 10. 1905 in Berlin: Die Autographen-Sammlung Alexander Meyer Cohn’s. […] Erster Theil (Berlin 1905), Nr. 1709; das Manuskript, von der Königlichen Bibliothek Berlin im Januar 1911 erworben (cf. Versteigerung bei K. E. Henrici, 25. - 27. 1. 1911, Auktionskatalog V, Nr. 1115 [zusammen mit Schlechtendahls Brief an Peguilhen und dem Brief des Berliner Kammergerichts an Peguilhen]), trägt den Akzessionsvermerk: acc. ms. 1910.196

.] überschriebenes Komma H
Aus] Bil überschrieben H
n] g überschrieben H
L] K überschrieben H
sie] ihr überschrieben H
Be] Hin überschrieben H
n] m überschrieben H
e] er überschrieben H
beigehende Annonce] vgl: Offizier Remy an die Redaktion des „Journal de l’Empire“
m] n überschrieben H
inniges Freundschaftsband] vgl. Aus dem Leben Heinrichs von Kleist
m] r überschrieben H
n] r überschrieben H
Annonce] vgl. Peguilhens Todesanzeige für Henriette Vogel und Kleist
6] 5 überschrieben H
,] überschriebener Punkt H
et] t überschrieben H
m] n überschrieben H
^mit…^] Punkt überschrieben mit nachfolgender Einfügung H
furchterlichen] schm überschrieben H
er] in überschrieben H
W] w überschrieben H
gt] t überschrieben H
n] überschriebener Punkt H
ts] t überschrieben H
.] überschriebenes Komma H
r] s überschrieben H
Freilich <…> antworten.] d und sol gestrichen, dann alles gestrichen H
m] s überschrieben H
ische] er überschrieben H

[ S ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 04-Feb-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]