Friedrich
v. Raumer, Lebenserinnerungen und Briefwechsel.
2 Bde. (Leipzig: Brockhaus 1861), Bd. 1, 157-162
Streit mit Müller und Kleist; Raumers Gegner
Was für ein Wagen, fragte mich der Kanzler zum Fenster
hinausblickend. hält denn so oft und so lange vor meiner Thür?
Es ist der Wagen des verunglückten Bankiers Gs; er sitzt unten im
Holzverschlag des Hausflurs, erzählt aber den Leuten, er verhandele stundenlang mit
Ew. Excellenz.
Soll ich Ihnen,
fragte mich Gs, ein bildschönes Judenmädchen zuschicken, die Ihres Rathes in
einer persönlichen Angelegenheit bedarf? Sie kam, war erschrecklich
häßlich und klagte über die Judengesetze. Beruhigen Sie sich,
gab ich zur Antwort, binnen sehr kurzer Zeit wird ein neues viel milderes Gesetz
erlassen. Das ist, fuhr sie eifrig fort, eben mein
Unglück. Ich habe schon den Schutz, mein Bräutigam aber nicht; er will mich heirathen,
damit ich ihm den Schutz zubringe. Bekommt er ihn durch das neue Gesetz, so läßt er mich
sitzen. Ich fand diese Besorgniß nicht unnatürlich, war aber außer
Stande Hülfe zu leisten.
Um diese
Zeit gerieth ich in einen unangenehmen Streit mit Adam Müller und Heinrich von Kleist.
Jener behauptete: ihm sei durch Herrn von Altenstein und Herrn Geheimrath Stägemann die
Stelle eines Staatsraths versprochen und sogar die Wahl unter allen Sectionen verstattet
worden. Hierüber befand sich in den Acten nichts (es konnten also höchstens höfliche
Gespräche stattgefunden haben). Ja in einem amtlichen Bescheide hatte ihm Herr von
Altenstein ausdrücklich gesagt: es sei keine Gelegenheit vorhanden, ihn im
Preußischen anzustellen, und er möge österreichische Anerbietungen (deren er sich
rühmte) ja annehmen. Da ferner Müller nur etwa acht Tage Referendarius gewesen und nie
in Geschäften gebraucht worden, so fand es der Kanzler anmaßlich, daß er, während so
viele verdiente Beamte brotlos <158:> waren, sogleich Staatsrath werden wollte. Mir
aber maß Müller, sehr mit Unrecht, das Mislingen seines Planes bei. Hierauf
kam er ein und wollte Kanzler der Universität Frankfurt mit einem sehr großen Gehalt
werden, hauptsächlich um die Studenten gesellig zu bilden. Ueber diesen Vorschlag
befragt, erklärten ihn der diesem Zweige der Verwaltung vorstehende Herr von Schuckmann
für ganz verkehrt und fügte hinzu: er wisse nicht, in welchem Fache Müller auch nur als
Privatdocent auftreten könne, viel weniger, daß man seiner als Kanzler
bedürfe. Diese zweite, abschlägige Antwort sollte ich wiederum verschuldet
haben, und Müller (der übrigens schon Katholik war, während er sich für einen
Protestanten ausgab) ward Rathgeber und Schreiber für manche Ultraaristokraten, die allen
Veränderungen und Verbesserungen widersprachen.
So erschien in den von
Müller und Kleist herausgegebenen Abendblättern ein hämischer Angriff auf
die soeben bestätigten Gesetze, und der König erließ deshalb unmittelbar eine
Zurechtweisung an die Polizei. Auch diese sollte von mir herrühren, obgleich ich von dem
ganzen Hergange gar nichts wußte. Nun steckte sich Müller hinter den sehr gutmüthigen
Kleist, um mich durch alle Stufen von Drohungen (bis zum Zweikampfe) zu seinem Willen zu
zwingen. Der hieran sich reihende Briefwechsel ist in den Beilagen mitgetheilt und
schließt damit, daß Kleist erklärte: er sei zu allem inducirt und vertraue, ich würde
ihm edelmüthig alles vergeben. In der That konnte ich dem wohlwollenden, talentvollen,
blos verlockten Kleist nicht zürnen, und habe dies in spätern Gesprächen herzlich
gesagt; leider war ich aber gar nicht im Stande, etwas Erhebliches für ihn zu thun, was
vielleicht seine schon längst eingewurzelte Melancholie gemildert und ihm ein heitereres
Leben verschafft hätte.
Allerdings war mein Einfluß
damals, selbst in wichtigen <159:> Dingen, groß, unerwartet groß; doch keineswegs
so groß, wie man glaubte, oder zu glauben vorgab. Die bittersten Anklagen wurden oft
über Gegenstände und Maßregeln erhoben, die gar nicht durch meine Hände gegangen waren
oder gegen welche ich mich aufs bestimmteste erklärt hatte. Schon am 16. December
schrieb mir mein Vater: Mich bangt, wenn ich die gewaltigen, innern Umwälzungen
Eures Staates sehe, und noch mehr wenn ich von jedem, der aus Berlin kommt, höre: jeder
wirft die Schuld davon auf einen jungen Mann, den Regierungsrath von Raumer. Es ist
allerdings eine schöne Empfindung für den jungen Mann, wenn er thätig zum Besten seines
Herrn und des Landes, dem er dienet, mitwirken kann, und wenn durch seine Thätigkeit
Gutes hervorgebracht wird: und ob ich zwar zugeben will, daß in der Lage,
worin der preußische Staat sich jetzt befindet, ein solches langsames Wirken nicht
möglich ist, und daß eine Besserung fürs Ganze vielen einzelnen Theilen Nachtheil
bringen muß; so fürchte ich doch, daß manches zu schnell zerstört und viele dabei zu
hart angegriffen werden. Du bist zwar klug genug, Dich dabei gehörig zu
führen; aber öfters verleitet der Stolz und der Gedanke sich recht emporzuschwingen, den
jungen unerfahrenen Mann dahin, daß er nur auf dies siehet und darüber alles, was um und
neben ihm ist, vergißt, und sich so sein eigenes Unglück bauet. Gott stehe dir bei, nimm
nur den recht gemeinten väterlichen Rath an und gehe klüglich zu Werke, damit Du nicht
ein Opfer dieser vielleicht übel verstandenen Maßregeln wirst; aber laß
Dich auch nicht schrecken, wenn es dem anders ist. Dein treuester Freund und Vater.
In einem Brief meiner Mutter
vom 30. Juni 1811 (leider dem letzten, sie starb schon am 1. August) heißt es:
Ich weiß wohl, daß man in diesen Zeiten von vielem abweichen muß, was sonst nie
angetastet wurde, und wer nicht <160:> aus Patriotismus und im Guten will, muß wol
mit Gewalt dazu angehalten werden. Die das Ruder in Händen haben, müssen aber genau
abwägen und prüfen, wie die Lasten zu vertheilen, damit nicht Eine Klasse alles trage
und die andere frei ausgehe. Ist dies geschehen, muß man sich nicht irre machen lassen,
nicht wie ein Rohr hin- und herschwanken, ungerechte Verleumdungen nicht ungeahndet lassen
und fort handeln wie man angefangen. Dieses steht nun freilich nicht in Deiner
Hand, lieber Fritz; Du mußt Dich also mit dem Bewußtsein trösten, Deine Pflicht
erfüllt zu haben und Dir weiter keinen Kummer machen.
Ich dankte herzlich für
diesen väterlichen und mütterlichen Rath, zählte auf, was ich für unvermeidliche
heilsame Verbesserungen hielte, und daß die damit unzertrennlich verbundenen Lasten und
Uebel nicht durch uns herbeigeführt wären. Wir hätten nicht die Schlacht bei Jena
verloren und die Kriegssteuer aufgelegt. Ich bin (gottlob! oder leider) ein public
character geworden, wundern Sie sich also nicht, wenn ich Feinde habe. Viele halten
mich für einen Mantelträger, für einen Nichtswürdigen; aber Gott sieht mein Herz,
meinen reinen Willen, die Anstrengung aller Kräfte, die Aufopferung alles andern
Wünschenswürdigen. Auch bin ich bereit, es Mann für Mann mit Gründen und mit
kräftigem Thun aufzunehmen. So sind die Klagen vieler Edelleute über Verlust ungerechter
Vorrechte leicht zu widerlegen, und eine Herbeiziehung zu neuen Lasten zu rechtfertigen.
Auch sprechen sie niemals von großem Gewinn, der für sie durch die neue Gesetzgebung
entsteht, z. B. durch Freigebung der Wollausfuhr. Wir müssen reformiren, um
nicht zu revolutioniren; zu jenem helfe, vor diesem bewahre uns Gott!
Die Anklagen gegen mich
wurden nicht blos gesprächsweise und in Gesellschaften ausgesprochen, sondern in einer
(höchst wahrscheinlich von Adam Müller entworfenen) Eingabe der lebuser <161:>
Ritterschaft an den König im stärksten Maße wiederholt. Es heißt daselbst: Nicht
nur die Grundsätze, nach welchen die neuen Verordnungen abgefaßt sind, sondern sogar
ihre Tendenz ist ganz dahin gerichtet, Unheil und Verderben über unser Land zu bringen,
und können wir es nicht genug bedauern, daß anstatt mit einheimischen des Landes
kundigen und angesessenen, dem Lande also nothwendig ergebenen Männern vor
der Ausführung zu Rathe zu gehen, man es jungen Fremdlingen, die auf Euer
Majestät Minister influiren, gestattet hat, gerade in unserem Vaterlande die Probe mit
ihren neumodischen Theorien zu machen, da doch jedes andere Land ihnen ebenso nahe lag.
Mit diesen Theorien, die nur allein auf den Erwerb des Geldes und auf die Emporbringung
ihrer eigenen Person gestellt sind, die Gesinnung des Volkes, auf welcher der Staat fester
beruht denn auf dem Gelde, aber ertödten.
Durch diese Anklagen verlor
ich weder beim Könige, noch beim Kanzler; wohl aber ward es immer offenbarer, daß
Vorurtheile und Eigennutz die Ankläger zu ganz allgemeinen Widersprüchen veranlaßten,
z. B. gegen die Aufhebung des Vorspanns, der bäuerlichen Fourragelieferung, der
Bannrechte, der Separationen und Dienstaufhebungen, der bessern Behandlung der
Bauern u. s. w. Es bleibt wahr (so oft man es auch geleugnet hat), daß die
seit 1807-13 erlassenen Gesetze wesentlich dazu beitrugen, Muth und Begeisterung im Jahre
1813 zu verstärken.
Nicht das Beharren auf dem
angekündigten und betretenen Wege, sondern das häufige, schwächliche, inconsequente
Abweichen von denselben, war der Gegenstand meiner Klagen. So heißt es in einem Briefe an
Keßler vom 18. Juni 1811: Nur die nützliche Uebung und Erhöhung meiner Kräfte,
das löbliche Widerstreben gegen das Verkehrte, spricht für meine Lage, dann das
persönlich erfreuliche Verhältniß zu Harden- <162:> berg; sonst ist
dabei nichts als unendliche Sorge, Mühe und kein Lohn, kein Dank.
Emendation
Excellenz.] Excellenz. D
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