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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Friedrich v. Raumer, Lebenserinnerungen und Briefwechsel. 2 Bde. (Leipzig: Brockhaus 1861), Bd. 1, 162-169

Raumers Ausscheiden aus dem Staatsdienst, Professur in Breslau ab 9. 9. 1811


In einem Briefe an Solger fragte ich: „Ist’s echte Gleichheit der Besteuerung, wenn der Adel, der in Schlesien das halbe Grundvermögen besitzt, zu 350000 Thalern neuen Kopfgelds 6000 Thaler gibt, wenn man unter dem Vorwande, es sei in Frankreich so, einem einzelnen Gutsbesitzer eine entscheidende Stimme gegen die ganze Gemeine gibt, und bei allen berathenden oder streitigen Gegenständen, alle Berathung und alles Collegialische ausschließt? Ist es zu rechtfertigen, wenn man Voranschläge entwirft und sie täglich mit den größten Summen durchlöchert, täglich in den Grundsätzen wechselt, Schufte und Bankrottirer wie Herrn v. –., erhebt und anstellt, alle Grundreformen auf die lange Bank schiebt u. s. w. u. s. w. Denke ich dabei an den edlen, das Gute wahrhaft wollenden Kanzler, an den gleichgesinnten König, so ergreift mich die tiefste Wehmuth, ich beuge mich aufs Knie vor dem unabwendbaren Schicksale, der
e i m a r m e n h. Dann gedenke ich wieder der Nemesis für die Heuchler, die Schreier, die Dummköpfe, die Faulen. Endlich an die Kraft der Dinge, die höhere Fügung, die oft wunderbare Hülfe!
Me vero dulces Musae remotum a sollicitudinibus et curis, et necessitate quotidie aliquid contra animum faciendi, in illa sacra, illosque fontes ferant, nec insanum ultra et lubricum forum, famamque pallentem trepidus experiar. Non me fremitus salutantium, nec anhelans libertus excitet: – so Tacitus (er kann’s wol sein) in dem trefflichen Gespräch.
Frustra autem niti, neque aliud fatigando nisi odium quaerere, extremae dementiae est. – Profecto existimabunt me magis merito quam ignavia, judicium animi mutasse, majusque commodum ex otio meo, quam ex <163:> aliorum negotiis reipublicae venturum. – So Sallust im jugurthinischen Kriege, – und ich mit beiden!“
Solger antwortete ermunternd, tröstend. „Ihre Klagen über die politische Reform, machen mich sehr besorgt. Wenn Sie überlegen, was für Sie zu thun ist, so thun Sie nur nicht das, daß Sie unwillig werden und die Sache wegwerfen. Ich zweifle nicht, daß Sie unendliche Schwierigkeiten finden. Wenn aber der Plan unter der Hand sich verändert, so denken Sie, daß es so allen menschlichen Vorsätzen geht. Das Recht des Schicksals ist überall dasselbe, und das Werk sieht allemal ganz anders aus, als der Entwurf dazu.“
Dieser Rath war so vollkommen wahr und verständig, daß ich ihn ohne Zweifel befolgt hätte, wenn nicht neben der Betrachtung der öffentlichen Angelegenheiten, rein persönliche Verhältnisse und Gründe mächtig eingewirkt hätten. Seit meiner Rückkehr aus Heiligenstadt bis zu meiner Versetzung nach Potsdam, hatte ich insbesondere in Wusterhausen mit eisernem Fleiße geschichtlichen Forschungen obgelegen. Eine Probe der Ergebnisse (die Geschichte der Schlacht bei Hittin) überreichte ich, wie erzählt, an Johannes Müller; als zwei andere Versuche sind zu betrachten die Vorlesung über Perikles und Aspasia, im „Pantheon“ abgedruckt, und die Einleitung zu den Reden des Aeschines und Demosthenes. Seit meiner Anstellung in Potsdam hatten aber Liebe zu König und Vaterland, Hoffnung wichtiger Besserungen, und ein unerwartet großer Wirkungskreis mich so begeistert, und Zeit und Kraft so in Anspruch genommen, daß jene Studien fast ganz unterbrochen und es mir kaum möglich ward, in abgestohlenen frühen Morgenstunden die Reden des Aeschines und Demosthenes über die Krone zu übersetzen. Nur etwa die zwei ersten Bogen des Aeschines hat mein sehr beschäftigter Freund Solger durchgesehen, für alles Übrige muß ich allein einstehen. <164:>
So stellte sich unwiderleglich die Wahrheit des Ausspruchs meines Onkels Gerlach heraus: daß auf die Dauer der königliche Dienst und die Art meiner geschichtlichen Forschungen unverträglich seien. Eine Wahl mußte durchaus getroffen werden. Sie erschien aber dadurch so wichtig und schwer, daß nicht die Rede war von einem leichten und natürlichen Ausbeugen in verwandte Wege und Verhältnisse (wie ich es früher mehreremal erlebt und gebilligt); sondern von einem kühnen, völligen Bruche mit dem, wozu ich erzogen, vorgebildet und verpflichtet war. Früher entschieden vorzugsweise die von außen sich darbietenden, fast immer günstigen Verhältnisse, und ich konnte der Zustimmung, ja des Beifalls meiner Freunde und Verwandten gewiß sein; jetzt sollte ich in Widerspruch mit sehr günstigen Verhältnissen und ohne Aussicht auf Zustimmung, allein entscheiden und auf mich laden den Schein des Leichtsinns, der Übereilung, der übeln Laune, der Eitelkeit, ja geradehin der Thorheit.
Dennoch reifte nach langer, ruhiger, gründlicher und allseitiger Überlegung der Entschluß immermehr, den praktischen Staatsdienst aufzugeben und lediglich der Wissenschaft zu leben. Da der Kanzler hierauf bezügliche Andeutungen vorsätzlich nicht bemerkte, sondern überhörte, schrieb ich ihm Anfang September 1811: „Euer Excellenz mir stets bewiesene Gnade, gibt mir den Muth zu einer Bitte: um dieselbe zu begründen, wird es nöthig von mir selbst zu sprechen. Vor drei Jahren stand ich im Begriff, durch die Verwendung des verstorbenen Johannes von Müller, als Professor nach dem südlichen Deutschland zu gehen. Der Wunsch meiner Freunde, und die Aussicht praktisch mich selbst zu jenem Zweck noch besser ausbilden zu können, bestimmte mich, die angetragene Stelle bei der Regierung in Potsdam anzunehmen. Stets habe ich gewünscht, die literarischen Arbei- <165:> ten wieder zu beginnen; immer hat Zeit und Gelegenheit gefehlt; seit drei Jahren habe ich auf dieser Bahn nicht fortschreiten können. Mich ergriff, bei der Unsicherheit der Lebensdauer, täglich mit Recht immermehr die Bangigkeit, jene bedeutenden Vorarbeiten mehrerer Jahre, welche ich Euer Excellenz vorzulegen die Ehre habe, nie zu beenden: ich mußte darin das Verfehlen meines eigentlichen Berufs erblicken. Euer Excellenz fühlen, daß dies das größte Unglück ist, was jemand widerfahren kann; ich darf hoffen, daß Sie das Beenden jener Arbeiten nicht unnütz finden werden. Deshalb wage ich (da sich jetzt eine so günstige, nicht wiederkehrende Gelegenheit darbietet) nach reiflicher Überlegung meine erste Bitte:
mir die Professur der Staatswissenschaft in Breslau anzuvertrauen, wobei ich mich auch zum Lesen historischer Collegia verpflichte.
„Die Anstellung meines Bruders in Breslau und einige Euer Excellenz vorzutragende rein persönliche Gründe, machen mir diese Laufbahn und eine schnelle Entscheidung doppelt wünschenswerth.
„Meine Verehrung und Dankbarkeit ist nicht an die persönliche Nähe zu Euer Excellenz gebunden, sondern unverändert. Deshalb hat schmerzliche Rührung, die angenehmsten und lehrreichsten Verhältnisse unterbrechen zu müssen, mich nicht vermögen dürfen, meine eigenste Bestimmung umzuwenden und die Bemühungen mehrerer Jahre der Vernichtung preiszugeben; – Bemühungen, welche jedem andern unbedeutend erscheinen mögen, mir aber nicht gleichgültig, sondern Sporn zu fortgesetzten Anstrengungen sein müssen.“
Der Kanzler war (wie ich im voraus wußte) mit meiner Bitte durchaus nicht einverstanden. In mehreren Gesprächen sagte er etwa Folgendes: „Sie sind ein ausgezeichneter Ge- <166:> schäftsmann, haben aber keine Gewähr, daß Sie ein ausgezeichneter Geschichtschreiber werden. Dort ist Ihnen, für Ihr Alter und Ihre Dienstzeit, ein großer Wirkungskreis eröffnet, der sich bei Ihren Anlagen und Verdiensten nicht verringern, sondern noch erweitern wird. Gehen die Angelegenheit nicht ganz Ihren Wünschen gemäß, so ist dies natürliche Folge mächtiger Verhältnisse, denen sich selbst Könige beugen müssen. Warum wollen Sie dem edeln Ehrgeize entsagen, der Ihnen eine glänzende Laufbahn eröffnet? Warum unberücksichtigt lassen, daß Ihr Entschluß Sie um einen großen Theil Ihrer jetzigen Einnahme bringt und alle Aussicht auf künftige Erhöhungen abschneidet“ u. s. w.
Die hierin enthaltenen Einwendungen hatte ich mir bereits selbst gemacht. Sie enthielten sehr viel Wahres, wenn aber meine Gegengründe nicht überwogen, so muß ich für das Beharren auf meinem Entschlusse anführen: daß mich eine unwiderstehliche Liebe zu meinen geschichtlichen Arbeiten hinzog, welche die Berücksichtigung von Ehre, Geld und Gut in den Hintergrund drängte, ja die Frage: ob mir in der neuen Lebensbahn etwas gelingen würde, als unbedeutend betrachten ließ. Ich konnte und wollte nicht leben ohne Griechen und Römer, Kreuzzüge und Hohenstaufen, ohne nähere Vertrautheit mit allen Offenbarungen der Geschichte. Sehr wohl aber erkannte ich: welch einen seltenen, sehr großen Vortheil für die rechte Erkenntniß der Geschichte, mir meine so mannichfaltige und lehrreiche, praktische Laufbahn gewährt hatte. – Nach neuen, wohlgemeinten Zögerungen, legte der Kanzler die von mir selbst entworfene Cabinetsordre dem Könige vor, wodurch er mich zum Professor in Breslau ernannte (am 9. September 1811).
Sobald es bekannt ward, der, zum Spott so benannte, „kleine Staatskanzler“ habe seinen Posten verloren, fehlte es nicht an Erklärungen des unerwarteten Ereignisses. Der <167:> König (sagten mehrere) hat, gerechten Klagen Gehör gebend, dem Kanzler befohlen Herrn von Raumer fortzuschicken. – Nein, erwiderten andere, dem Kanzler selbst ist ein Licht über den unnützen Menschen aufgegangen, er hat ihn fürchterlich heruntergemacht und fast zum Hause hinausgeworfen. – Als die, den meisten unbegreifliche Wahrheit an den Tag kam, mochten anders Gesinnte fortdauernd meine Ansichten tadeln; der Vorwurf hingegen: nur Eitelkeit und Geldgier hätten mich beherrscht, und die Emporbringung meiner Person sei mein alleiniges Ziel gewesen; – dieser Vorwurf konnte den angeblich Übermächtigen nicht treffen, der freiwillig die Hälfte seiner Einnahme einbüßte, und aus allen ihm angeblich zur Wahl offen stehenden Ämtern, eine Professur in Breslau vorzog!
Unbefangene ließen mir jetzt mündlich und schriftlich Gerechtigkeit widerfahren. So schrieb mir der Geheimrath Hofmann (der Statistiker): „Es gab eine Zeit, wo ich nur das kannte, was die Natur Ihrem Geiste gegeben hat; eine andere, wo ich bemerkte, daß Sie Erfahrungen glücklich benutzten, welche Ihre denkwürdige Lage Sie machen ließ, und endlich auch eine, wo ich Ihren reinen Willen hochachten lernte.“ In einem andern Briefe heißt es: „Du warst zu schlicht und ehrlich für diese Kreise. So mancher der Dein gerades Wesen als Anmaßung und Stolz deutete, wird nun den Unterschied inne werden.“ – Ob alles nach meiner Entfernung besser ward, habe ich nicht zu entscheiden.
Sehr freundlich erklärte sich gegen mich das Departement des öffentlichen Unterrichts. Es wünschte der Universität Breslau Glück, einen so geistreichen und kenntnißvollen Mann unter ihre Lehrer zählen zu dürfen. – Die Universität Heidelberg ernannte mich am 5. October 1811 zum <168:> Doctor: cum de litteris, egregiis scriptionibus, tum de sua patria salutaribus consiliis, bene merito.
Wenn der Kanzler beim Könige aß, ging ich öfter zu dem damals gerühmtesten Speisewirth Dallach. Kaum war ich eingetreten, so sprangen links und rechts Herrn auf und baten: ich möge ihnen die Ehre erzeigen und an ihrem Tische als Gast Platz nehmen. – Als jetzt der Professor eintrat, rührte sich kein Mensch, sondern der eine drehte den Kopf, als wollte er die Fliegen an der Wand zählen; der andere legte die Nase auf den Teller, als suche er die feinsten Gräten, bis ich mich im Winkel an einem einsamen Tisch niedergesetzt hatte. Ich war, nach überstandener Krisis, viel zu heiter gestimmt, dies tragisch zu nehmen und menschenfeindliche Bemerkungen daran zu knüpfen: ich fand es ganz natürlich und hatte, wie man sagt, meinen Spaß daran.
Wenn ich jetzt auf meinen, vor funfzig Jahre gefaßten, entscheidenden Beschluß zurückblicke, so kann ich versichern, daß er mich niemals gereut hat, und ich ihn, nach so vielen Erfahrungen, noch immer zu billigen Ursache habe. Ich that, was meiner Natur zusagte und ihr gemäß war; und wenngleich auf Nachruhm gar nicht zu rechnen ist und meine literarischen Werke mich nicht überdauern werden, so hat doch ihr Erschaffen meinem Leben selbst einen großartigen und beglückenden Inhalt gegeben. Der Einfluß, die äußern Ehren und der Geldbetrag, den ich durch Annahme der Professur verloren habe, ist allerdings sehr groß, und wol größer, als irgendein deutscher Gelehrter freiwillig der Wissenschaft opferte; andererseits aber muß ich mir viel Wichtigeres in Einnahme stellen: ich hätte nämlich, ohne Ausscheiden aus dem Staatsdienste, kein geschichtliches Werk zu Stande gebracht, ich hätte weder Deutschland, noch die <169:> Schweiz, Belgien und Holland, noch Italien, Frankreich und England, noch Nordamerika, Skandinavien, Athen und Konstantinopel gesehen, sondern höchstens (als ein am grünen Tische verkümmerter Mann) Karlsbad und Teplitz aufgesucht, und wäre (trotz des Mitmachens dieser Bademode) wol schon längst begraben!!

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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