Friedrich v. Raumer,
Lebenserinnerungen und Briefwechsel.
2 Bde. (Leipzig: Brockhaus 1861), Bd. 1, 152-157
Raumer über Hardenberg
Diese dritte Frau Hardenbergs, ursprünglich eine Schauspielerin,
verdiente mehr Lob als die beiden ersten. Sie war liebenswürdig,
bescheiden, verständig; nie mischte sie sich in Geschäfte,
nie erschien sie bei Hofe oder in den vornehmsten Kreisen.
Anziehender
als die großen Mittagsmahle waren die kleineren am runden
Tische, unter denen Fürst Wittgenstein, Iffland u. a.
oft theilnahmen. Aus den unterhaltenden Erzählungen des erstern
wage ich nichts mitzutheilen, weil sie näher oder ferner stehende
Privatpersonen verletzen dürften. Das Folgende mag als Probe
genügen.
In
Kassel bekam man an der Tafel des alten Landgrafen so schlechten
Wein, daß der Fürst immer eine Flasche mitbrachte und dem
Bedienten einhändigte, um sie auf seinen Platz zu stellen.
Eines Tages entgleitet sie seiner Hand und die weißmarmorne
Treppe wird übermäßig geröthet. Die vom später kommenden,
zornigen Landgrafen hart angelassenen Bedienten mußten endlich
Veranlassung und Hergang berichten. Der Landgraf schwieg,
und störte den Fürsten nicht in seinem Verfahren.
In
Berlin ließ jener sich einst bei diesem melden und der Fürst
befahl, der regelmäßig ihn besuchende Geheimrath Heim solle
abgewiesen werden. Hieran nicht gewöhnt, drang Heim dennoch
in das Zimmer des Fürsten, welcher dem Arzte eiligst den Landgrafen
vorstellte, damit das Gespräch die gehörige Würde behalte.
Sind Sie, fragte hierauf Heim, der <153:>
Landgraf mit dem Zopf, drehen Sie sich doch einmal herum.
Können Sie mir nicht (wie sie es andern zugestanden) ein paar
von ihren Unterthanen überlassen, daß ich medicinische Versuche
mit ihnen anstelle? u. s. w. Sie
können sich, sagte der Fürst, meine Angst und
das Erstaunen des verstummten Landgrafen denken!
Unter
den großen Festen war das wegen der Geburt des Königs von
Rom, vom Grafen Saint-Marsan im Opernhause veranstaltete,
bei weitem das glänzendste. Alle Geladenen erschienen in Masken
aller Art, und da ich mit dem Kanzler hinfuhr, durfte ich
in meiner Toilette nicht zurückbleiben. Im Jahre 1810-11 waren
die Damen aus schnell verschwundenen Gründen höflicher gegen
mich, als früher und später, und so ließ es sich das sehr
schöne Fräulein Le gefallen, daß ich sie im Saal umherführte.
Plötzlich aber entdeckt sie den Verlust einer diamantnen Brustnadel
und klagt dies ihrer Mutter, welche hierüber in solchen Zorn
gerieth und die Tochter dermaßen ausschalt, daß sie in bittere
Thränen ausbrach. Ich dankte Gott, daß man den Umstehenden
beibringen konnte, ich sei ganz unschuldig an diesem Trauerspiel.
Später setzte ich mich zu der damals berühmten Eunicke-Meyer-Händel-Schütz.
Sie fordert von einem vorübergehenden Herrn einen Teller mit
Backwerk, und als dieser sich höflichst entschuldigt, derselbe
sei schon für andere Damen bestimmt, wird sie so grob, daß
es ganz unmöglich erschien, als Ritter für die Dame aufzutreten.
So das zweite Trauerspiel. Als ich am nächsten
Morgen meinen, bei einem Freunde abgelegten sehr glänzenden
Domino wollte abholen lassen, erhielt ich die Antwort: da
ich denselben nie wieder brauchen würde und brauchen könnte,
habe man ihn (um mich beliebt zu machen) einer von mir verehrten
Dame zu fleißigerer Verwendung übergeben.
Ganz
anderer Art als das Königsfest war der stralauer Fischzug
und der Wisotzkische Garten, welche ich mit Freund <154:>
Hagen besuchte. Der letzte schön erleuchtete Garten war nur
von ehrbaren Bürgern und Bürgerinnen besucht, welche aber
allerdings verhältnißmäßig mehr Schinken und Butterbrot verzehrten,
als eine gleiche Zahl von Geheimräthen und Geheimräthinnen.
Ich erzählte dem Kanzler unsere Abenteuer. Als dieser an des
Königs Tafel derselben erwähnte, sagte ihm die Gräfin V.:
es sei ungebührlich, daß seine Räthe derlei Orte besuchten.
Augenblicks erbot sich der Kanzler, sie nächsten Tages hinzuführen,
was große Heiterkeit, selbst beim König erregte.
Ueber
ein anderes, auch mir erfreuliches Fest, schrieb ich meiner
Schwester Folgendes: Der Prediger Schneider in Selchow
(den ich seit Wusterhausen, sowie seine Familie gut kannte)
feierte seine goldene Hochzeit und sein einundfunfzigjähriges
Dienstjubiläum. Der Gottesdienst war sehr feierlich und die
wiederholte Weihung und Einsegnung rührte bis zu Thränen.
Zudem gehören lauter brave Leute zu der Familie, die sich
lieb haben, nie zankten und im einfachen Leben sehr zufrieden
sind. Mittags brachte ich höchst unerwartet eine von mir ausgewirkte,
theilnehmende Cabinetsordre und die Versicherung einer Pension
zum Vorschein, was grenzenlose Freude und Dank hervorrief.
Das ist zuletzt der einzige und beste Lohn meines Postens,
an solchen Dingen muß ich mich erholen.
Täglich
hatte ich (bisweilen mehreremal) Vortrag beim Kanzler. Da
aber Depeschen, eilige Antworten, Gesandte, der König ihn
oft unerwartet beschäftigten, so konnte er mir durchaus keine
Zeit genau bestimmen, vielmehr mußte ich den ganzen Tag seines
Rufes gewärtig sein. Gern und freundlich würde er mich von
dieser Unbequemlichkeit entbunden haben, weil aber die Sachen
darunter gelitten hätten, konnte ich ihn darum nicht bitten.
Noch mehr Noth machten mir die wöchentlich
zweimal bewilligten Audienzen, wo dem Kanzler von <155:>
Leuten der verschiedensten Art nur zu oft abenteuerliche,
eigennützige, unmögliche Gesuche vorgetragen wurden. Doch
wußte er sie nach seiner liebenswürdigen Weise zu beruhigen
und bei guter Laune zu erhalten. Das Nähere, sagte er gewöhnlich
den Bittstellern, würden sie von mir erfahren. Nach beendeter
Audienz ging der Kanzler die Liste der Gesuche mit mir durch,
nannte viele aus vollkommen zureichenden Gründen absurd, unmöglich u. s. w.
Dies möge ich den Thoren beibringen. Sie erschienen und sagten
in der Regel: Se. Excellenz sind auf das Gesuch
höchst gnädig eingegangen, den nähern günstigen Bescheid sollen
wir bei Ihnen empfangen. Mochte ich mich
nun auf das höflichste und zarteste drehen und wenden, um
den Ungeduldigen den entgegengesetzten Befehl des Kanzlers
mitzutheilen, ich erhielt jedesmal unangenehme, grobe Antworten.
Irgendein Unwissender, Uebelwollender muß mit schlechten
Gründen das menschenfreundliche, wohlwollende Gemüth Sr. Excellenz
umgestimmt haben. Wenn ich nunmehr die Klagenden
zur Berichtigung meiner angeblichen Misverständnisse an den
Kanzler verwies, so konnte er freilich seine wahre Meinung
nicht länger verhüllen; alle aber blieben dabei: ich hätte
ihn böswillig umgestimmt und sei sein böser Genius.
Bisweilen entstanden wirkliche Misverständnisse aus dem schweren
Gehör Hardenbergs. So kam einst ein Mann zu mir und
sagte entsetzt: Welch ein hartes Gemüth hat diese Excellenz;
ich erzähle ihm, daß meine Mühle abgebrannt ist und er antwortet:
das freut mich sehr. Die sicherste, ruhigste Vortragsstunde
für mich war des Morgens, während der Kanzler sich anzog.
Unter so vielen wichtigen, oft unangenehmen Sachen kamen auch
einzelne vor, von sehr abweichender Natur. Sehen Sie,
sagte einst der Kanzler, welch impertinent dummen Brief
ich soeben empfange. Es hieß darin: Ew. Excellenz
befahlen zwölf nackte Jungfrauen, wir werden sie Ihnen eiligst
übersenden. Meine Behaup- <156:> tung,
es würden hohe schlanke Weingläser so genannt, bestätigte
der bestellende Haushofmeister.
Einem
Manne war in den damaligen bedenklichen Zeiten aufgetragen
worden, in den vornehmen Speisehäusern die Fremden zu beobachten
und über ihre Gespräche zu berichten. Da er dies nie that,
sich es aber überall sehr wohl schmecken ließ, lohnte man
ihn ab, und er überreichte nunmehr einen Bericht des Inhalts:
Zwei an einem Tisch sitzende Herren erzählten sich,
die Gemahlin des Staatskanzlers Freiherrn von Hardenberg gerieth
mit dem Minister Herrn von Ladenberg in Streit: ob Katzen,
die man zum Fenster hinauswerfe, auf die Füße zu stehen kämen,
oder nicht. Es wurden Katzen herbeigeholt, jeder der Streitenden
ergriff eine beim Schwanz, drehte sie ein paarmal schwunghaft
in der Luft umher und warf sie zum Fenster hinaus u. s. w.
Ehe ich im Stande war über die Erzählenden etwas Näheres zu
ermitteln, waren sie verschwunden. Hierauf ging ich nach den
Linden und (ich gestehe meine Schwachheit) befragte ein Mädchen,
ob ich sie nicht nach Hause begleiten könne? Das ist,
antwortete sie, ganz unmöglich, da Se. Excellenz
der Herr Staatskanzler jeden Abend zu mir kommen. Ich
folgte ihr in ein Haus, entschlossen sie zu fassen, aber ich
stieß mich im Finstern an den Kopf und unterdeß war sie verschwunden.
Der Kanzler zürnte sehr über diesen boshaft lügnerischen Bericht;
doch war es besser zu schweigen, als großen Lärm zu erheben.
Eine
Hökerfrau, deren Bude vor dem Hause des Kanzlers stand, erkrankte
und wandte sich an den Geheimrath Heim. Verdient Sie
denn viel mit ihrem Apfelkram? Nein,
der Nebenverdienst bringt mehr ein. Was
für ein Nebenverdienst? Ich muß für die
Gesandten aufschreiben, wer den Tag über in das Haus des Kanzlers
eingeht oder ausgeht. Die Hökerbude ward
auf die andere Seite des <157:> Dönhofschen Platzes
verlegt, und auch sonst das Spioniren erschwert.
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