Friedrich v. Raumer, Lebenserinnerungen und Briefwechsel. 2 Bde. (Leipzig:
Brockhaus 1861), Bd. 1, 147-152
Arbeit Raumers im Hause Hardenbergs
Wie der Tod überall nachfolgt, verfolgte uns auch die Noth der Kriegssteuerzahlung bis
nach Schlesien, und ich mußte z. B. die allerhöflichsten Briefe an einen
königsberger Bankier schreiben, daß er bedeutende Zahlungen vorschußweise übernehme.
Gleichzeitig hatte aber Freund Beuth (nach der gesetzlichen Terminologie des alten
Judenreglements) in einer andern Angelegenheit an denselben Mann schreiben lassen, unter
der Aufschrift: An den Judenknecht N. N. Es kostete die größte
Mühe, den sich hierüber beschwerenden Bankier zu beruhigen.
Ein anderes Leiden brachte
der französische Handels- und Zolltarif. Als man erfuhr, daß Besteuerung der Waaren und
Beschlagnahme der Vorräthe in Frankfurt am Main stattgefunden und zu demselben Zweck
französische Mannschaft in Mecklenburg eingerückt sei, beschloß die preußische
Regierung dieselben Maßregeln zu ergreifen, bevor aus Paris dies anbefohlen würde. Zwei
Tage nach jenem Beschlusse traf diese unbedingte Forderung ein. Alle Unterhandlungen in
Paris, durch Labaye über die Kriegssteuer, durch Valkenaer über eine Anleihe, durch
Beguelin und Treskow über Annahme und Absatz preußischer Fabrikwaaren, hatten wenig oder
gar keinen Erfolg. Der Kaiser verlangte noch immer die Nach- <148:> zahlung der
rückständigen Kriegssteuer, was in diesem Augenblick schlechterdings unmöglich war.
Hardenberg glaubte, daß dieser, mit frühern Verheißungen in Widerspruch stehenden
Härte, höhere politische Absichten zum Grunde lägen; ich bezweifelte es in diesem
Augenblick um so mehr, da die von Wien aus in Paris eingeleiteten Unterhandlungen ebenso
fruchtlos waren und daselbst von allen Seiten (so Spaniens wegen) das dringende
Geldbedürfniß hervorschien.
Um diese Zeit hatte Napoleon
sich gegen Czernichef über Hardenberg wiederholt dahin geäußert: On voit
quun homme desprit est à la tête des affaires: je sais bien, que Mr. de
Hardenberg ne maime pas, mais il sait ce que demande lintérêt de sa patrie.
Cest ainsi quil faut agir quand on se mêle de gouverner. Diese
Äußerung ließ hoffen, daß der Kaiser keinen Wechsel der verwaltenden Personen
verlangen werde, was nach dem Mislingen aller soeben erzählten Versuche und
Auskunftsmittel meine längst gehegte Überzeugung bestätigte und bestärkte: das einzige
Rettungsmittel sei eine zweckmäßige, umfassende innere Gesetzgebung. Diese zu
beschleunigen war jetzt des Kanzlers ernster Beschluß.
Auf dem Wege zwischen Berlin
und Breslau wurden alle Plane, Entwürfe, Schwierigkeiten,
Einwendungen u. s. w. nochmals gründlich betrachtet und durchgesprochen,
und der Kanzler befahl mir nunmehr, eine vollständige Darlegung seiner Absichten und
Zwecke zu entwerfen. Hiezu mußte ich in Breslau einige Tage und Nächte arbeiten; dann
begab sich der Kanzler nach Buchwald, angeblich um den Grafen Reden zu besuchen. Die Reise
hatte aber noch einen andern Zweck.
Viele Gegner
Hardenbergs behaupteten, daß der Freiherr vom Stein seine Plane verwerfen würde.
Herr vom Stein war ein Mann von umfassenden Einsichten und großer Kraft des Charakters.
Ihn erfreute es, das Kühne am Tage einer <149:> administrativen Schlacht siegreich
durchzufechten; aber jahrelang täglich entstehende Schwierigkeiten wegzuräumen und im
einzelnen zu verwalten, sagte seinem kräftigen Geiste nicht zu. An Entschiedenheit und
Charakterkraft war er ohne Zweifel dem Kanzler überlegen; während dessen
Liebenswürdigkeit viele Gemüther gewann und seine Geschmeidigkeit nöthig war, in den
Jahren 1810-13 die französischen Gesandten und den Kaiser Napoleon zu beschwichtigen.
Hardenberg (dem
außerordentlich viel daran lag, Herrn vom Steins Ansichten kennen zu lernen und die
seinen nöthigenfalls zu berichtigen) verabredete mit ihm eine sehr geheim gehaltene
Zusammenkunft im Gebirge an der schlesischen Grenze. Nicht blos die von mir entworfene
Darstellung ward Herrn vom Stein vorgelegt, sondern auch vollständig die Gutachten und
Eingaben von Niebuhr und Schön. Herr vom Stein verwarf die letzten, und trat den
Hardenbergschen Planen bei. Einige Randglossen zu diesen, mußte ich in meine
Darstellung hineinarbeiten. Das, was beide Männer, Hardenberg und Stein, gebilligt
hatten, ward nunmehr dem Könige zur Vollziehung vorgelegt; jene Übereinstimmung mußte
aber (Steins Verhältniß zu Napoleon halber) dem Publikum leider verheimlicht
werden.
Bald nach der Rückkunft aus
Schlesien und dem Erlaß des neuen Finanzgesetzes, nahm mich der Kanzler in sein Haus und
an seinen Tisch, woraus ein so nahes und im wesentlichen erfreuliches Verhältniß
entstand, daß ich eher über seine trefflichen Eigenschaften und seine Schwächen
urtheilen dürfte, als mancher Unberufene oder Leidenschaftliche, zu welchen später auch
Herr vom Stein gehört. Hardenberg war ein schöner, höchst gebildeter und
liebenswürdiger Mann. Wenn man ihm auch, und selbst mit Grund zürnte, wußte er den
Erzürnten umzustimmen und für sich zu gewinnen. Er war ein edler Mann, ein Gentleman im
besten Sinn des Worts. <150:> Selbst seine Schwächen, z. B. gegen einige
Frauen, waren fern von der so häufigen Gemeinheit, und entsprangen aus einem
gefühlvollen Herzen und einer dichterischen Phantasie. Seine Vaterlandsliebe, seine Treue
gegen den König, sein redliches, unermüdliches Bestreben, das Rechte und Heilsame zu
finden, lassen sich gar nicht bezweifeln. Er hatte ein außerordentliches Talent sich in
fremde Ansichten hineinzudenken, ja diese weiter und gründlicher auszubilden, als der
Urheber selbst; aber dies Talent ward ihm gefährlich und schädlich, indem es ihn
bisweilen veranlaßte, früher Angenommenes beiseite zu stellen und in ein Schwanken zu
gerathen, welches Abgeneigte benutzten, seine besten Plane zu stören und zu vereiteln.
Als ich beim Kanzler einzog,
hegte ich die besten Hoffnungen, obgleich mir die in der Nähe und Ferne lauernden Wolken
nicht verborgen blieben; auch bezogen sich darauf manche meiner mühsamen Arbeiten. Ein
Gutachten über das Patronatsrecht z. B. widersprach dem für die Domänen ganz
abweichenden Verfahren, und suchte darzuthun, daß ein Einfluß der Gemeinde, des
Gutsherrn und der Regierung sich verbinden und versöhnen lasse.
Mehr Arbeit verursachte ein
Aufsatz über die Behandlung der preußischen Domänen und die Prüfung eines, sonderbar
genug, von Scharnweber und Adam Müller gleichmäßig empfohlenen Planes: alle
Realschulden für unablöslich zu erklären und die Zinsen herabzusetzen. Auf den Grund
eines von mir abgegebenen Gutachtens ward jener Plan verworfen, was die Urheber sehr übel
nahmen.
Eines Morgens, als ich in das
Zimmer des Kanzlers trat, fand ich S. und den Geheimrath St. Der Kanzler händigte mir
einen von diesen entworfenen Gesetzentwurf ein, dessen Unterschrift sie dringend
empfahlen. Er bestimmte: daß allen hypothekarischen ersten Gläubigern (wozu unter
<151:> andern Pupillen, milde Stiftungen u. dgl. gehörten) ein Theil ihrer
Zinsen abgenommen und der Betrag unter die letzten hypothekarischen Gläubiger vertheilt
werde. Was sagen Sie, fragte der Kanzler, zu diesem
Plane? Er erinnert, antwortete ich, an den heiligen
Crispin, der Leder stahl, um den Armen Schuhe daraus zu machen. Hieran
reihte sich ein sehr lebhafter Streit, der damit endete daß der Kanzler, dem
Übergewichte meiner Gründe nachgebend, den Gesetzentwurf in Stücke riß, ich aber zur
Thür hinausging. Am andern Morgen sagte er mir: Sie waren gestern sehr lebhaft,
aber Sie hatten recht.
Erfreulicher war das
Geschäft, den sehr weitläufigen Plan über Verlegung der Universität Frankfurt nach
Breslau ins Kurze für den König zusammenzuziehen, wobei es mir gelang, die Einnahmen der
letzten um 10000 Thaler über den ersten Antrag hinaus zu erhöhen.
Um diese Zeit wollte der
Kanzler beim König darauf antragen, mir (gleich einigen andern Beamten) den rothen
Adlerorden dritter Klasse zu verleihen. Ich bat ihn dringend und mit Erfolg, dies
nicht zu thun, da gewiß sehr viele mich dessen unwürdig hielten und verbreiten würden,
ich hätte mir den Orden bei ihm aus Eitelkeit und Anmaßung erbettelt. Dreißig Jahre
später erhielt ich den Orden vierter Klasse.
Gütergotz, welches der
Kanzler zum Sommeraufenthalt gemiethet hatte, lag zwar nicht schön, gewährte aber doch
Schutz gegen überlästigen Besuch. In dem warmen Sommer von 1811 war
Glienecke ein viel angenehmerer Aufenthalt. Ich mußte es veranschlagen und der Kanzler
erstaunte, als ich ihm der Wahrheit gemäß darlegte, es bringe gar keinen
Ertrag: die Annehmlichkeit könne er jedoch nach Belieben in Rechnung
stellen. Der Babelsberg war damals noch voller Disteln und Dornen; welche
Verwandlung ist seitdem durch edle, geschmackvolle Fürsten eingetreten! <152:>
Die zahlreichen großen
Mittagsmahle in Berlin waren damals keineswegs immer anziehend; auch blieb es unbequem in
kurzen Beinkleidern und seidenen Strümpfen zu erscheinen. Als ich den Kanzler bat, mich
eines Tags davon zu entbinden oder zu erlauben, daß ich am kleinen runden Tisch seiner
Gemahlin speise, gab er mir die denkwürdige Anwort: Lieber Raumer, Sie müssen
lernen sich mit Anstand ennuyiren.
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