Friedrich v. Raumer, Lebenserinnerungen und Briefwechsel. 2 Bde. (Leipzig:
Brockhaus 1861), Bd. 1, 142-147
Schlesienreise mit Hardenberg, September 1810
Im August 1810 eröffnete mir der Kanzler, er wolle nach Schlesien reisen und mich in
seinem Wagen mitnehmen. Dies machte mir große Freude, und ich trug eiligst aus Büchern
und Acten alles zusammen, was Größe, Volksmenge, Steuern, Häuserzahl, Stiftungen,
Kirchen, Schulen, Einnahmen, Ausgaben, Personen, Gehalte, Schulden u. s. w.
betraf. Sowie wir einer Stadt nahten, zog ich
das Noth- und Hülfsbuch aus der Tasche und hielt genauen Vortrag. Alle erstaunten
nächstdem über des Kanzlers ganz außerordentliche Kenntnisse. Man hat solch ein
Verfahren wol verspottet; es ist aber sehr verständig, daß ein hochgestellter
Staatsbeamter sich mit Hülfe seiner Untergebenen unterrichte und dann wisse, wonach er
fragen und wie er antworten solle.
Am 1. September ward die
Reise angetreten; sie ging über Frankfurt, Krossen, Liegnitz, Glatz, Neisse nach Breslau.
Von hier kehrte der König nach Berlin zurück; der Kanzler <143:> hingegen reisete
über Schweidnitz zum Gebirge nach Landshut, Schmiedeberg, Buchwald, Hirschberg,
Löwenberg, Sagan, Naumburg, Krossen u. s. w.
Der König war über alle
Erwartung gesprächig und heiter; er verband sehr geschickt gnädige Äußerungen mit
ernsthaften Ermahnungen. Überall ward er mit der größten Herzlichkeit, mit der
aufrichtigsten Freude empfangen. Mit Recht hatte der Kanzler den König darauf aufmerksam
gemacht, daß ein Wort von ihm mehr wirke, als hundert Verfügungen; daß ihm jetzt mehr
als je die Pflicht obliege, die Stimmen des Volks zu gewinnen, da belästigende Maßregeln
unausweichbar bevorstünden und die, jeden einnehmende Königin ihm nicht mehr zur Seite
stehe. Alle Städte, wohin der König kam, waren erleuchtet. Breslau drei Abende
nacheinander. Hier war man bei der Ankunft des Kanzlers (die einen Tag vor der des Königs
erfolgte) unzufrieden, daß, gegen früher erregte Hoffnungen, der Bürgerschaft nicht
alle demolirten Festungswerke, sondern nur ein Theil gegen sehr lästige Bedingungen
überlassen werden sollte. Die Cabinetsordre über diese Beschränkung war erst vor zwei
Tagen angekommen. Der Kanzler trat sogleich mit den Generalen Grawert und Scharnhorst
zusammen, und das Ergebniß der Beratungen war die allgemeine, unbedingte Überlassung.
Die Freude war groß und offenbarte sich zunächst in einer Abendmusik und einem Vivat,
welches die Bürgerschaft dem König brachte und das er freundlich aufnahm.
Überhaupt ergab sich, daß
die in Berlin so oft ausgesprochene Behauptung von einer großen Unzufriedenheit, von
allgemeiner Neigung zum Aufstande in Schlesien (was man vielleicht auch dem Kaiser
Napoleon hinterbracht hatte) schlechterdings ungegründet war; nur der hohe, auf alte
Vorrechte und Begünstigungen eifersüchtige Adel, zeigte sich zum großen Theil allen
Veränderungen und Besserungen abhold. Ja, ein Graf <144:> Bs entblödete sich
nicht zu sagen: die französischen Siege seien ein geringeres Unglück für den Staat, als
das Gesetz vom 9. October 1807, wonach der Edelmann dem Unterthan (den er nicht
beschäftigen konnte) erlauben mußte, anderwärts sein Brot zu suchen, ohne Loskaufgeld
von ihm zu erhalten. Der Graf Ms nannte in einem dem Kanzler übergebenen Aufsatz,
die Urheber solcher Ideen und Gesetze, Catilinas, die den König und den Adel ermorden
wollten. Auch die Bürger und Bauern wollten den Staat umstürzen, weshalb sie der König
durch den Adel zur Ordnung zurückbringen, dessen sämmtliche Real- und
Personalprivilegien bestätigen, und ihm vor allem das ausschließliche Recht auf
Staatsämter zugestehen müsse.
Zu einigen
Widersetzlichkeiten der Bauern in Oberschlesien und der Grafschaft Glatz hatten die
Behörden und der Adel selbst die Veranlassung gegeben. Dort war von einigen Gemeinden auf
den Grund einer von Friedrich II. eingeführten Unmöglichkeitsklage das Maß ihrer
Leistungen durch den Spruch zweier Instanzen verringert worden. Das Oberlandgericht
behauptete: seit Erscheinung des Edicts vom 9. October könnten keine
Unmöglichkeitsklagen mehr angestellt werden und jene zwei Rechtssprüche nicht zum
Vollzug kommen: die Bauern müßten die alten Dienste leisten. Jene
behaupteten dagegen: das Gesetz vom 9. October gebe ihnen unmittelbar nichts, und sie
würden sich das Anrecht, welches sie mit großen Kosten in zwei Instanzen erstritten
hätten, nicht kurzweg nehmen lassen. Endlich setzte die Regierung durch, daß die Bauern
nicht durch formelle Ausdeutungen zu Grunde gerichtet wurden, und alle waren
ruhig.
Aus der Grafschaft Glatz lief
ein unnützer Mensch nach Berlin, um vom Könige zu erfahren, ob das Gesetz vom
9. October alle Hofdienste aufhebe. Das Gegentheil war zur Vermeidung jedes
Misverständnisses schon durch eine Verfügung <145:> aufs deutlichste erklärt
worden. Als jener Mensch zurückkam und von großen Versprechungen prahlte, die ihm der
König gemacht habe, wies ihn der Landrath nicht zur Ruhe, sondern erließ förmliche
Berufungsschreiben an die Bauern und bevollmächtigte sie gewissermaßen über ihre
Dienstverhältnisse zu rathschlagen. Ihre Beschlüsse fielen gegen die Hofdienste aus und
nun eilte man ein gewaltiges Aufheben von der Sache zu machen, zahlreiches Militär und
Kanonen hinzusenden und durch ganz unerhörte Executionskosten die Sache aufs äußerste
zu treiben. Der Tod des strafbaren Landraths verhinderte die völlige Aufklärung des
Hergangs; allein es blieb die höchste Wahrscheinlichkeit, daß Edelleute die Sache selbst
eingeleitet und auf die Spitze getrieben hatten, um die Regierung zu schrecken und zur
Rücknahme aller Besserungen des Zustandes der Unterthanen zu bewegen. Diese Annahme
erschien um so weniger Zweifeln unterworfen, da die Bewohner der Grafschaft Glatz (nach
dem Zeugnisse aller Unterrichteten) ein stilles, gehorsames, frommes Völkchen sind.
Ein Theil des Adels ward in
seinen Hoffnungen und Ansprüchen um so mehr bestärkt, da der Geheime Staatsrath und
Oberpräsident von Massow fest den Glauben hegte: es müsse alles bleiben oder wieder so
eingerichtet werden, wie nach dem Siebenjährigen Kriege.
Ganz allgemein, sowol von
seiten des Militärs als der Bürger, war die Klage über das vom Staatsrath Dch
entworfene, unbedenklich ganz schlechte neue Servisreglement. Ferner klagten die
Regierungen über die unnütze Schreiberei, welche ihnen die Abgabensection bereite; noch
unzufriedener war man mit der Domänensection, deren Grundsätze unangemessen, das
Verfahren zweckwidrig und kostspielig gescholten wurde. Bisweilen wechselten Klagen und
Lobeserhebungen. So sagte mir jemand in Krossen auf meine Frage: durch die Aufhebung des
Bierzwangs hat man altes gutes Recht um einiger <146:> Leckermäuler willen
hintangestellt Gottlob! rief ein zweiter, daß endlich dem ungerechten,
verdammten Misbrauch ein Ende gemacht ist, und wir nicht mehr gezwungen sind die Jauche zu
trinken, welche die eigennützigen Brauer Bier nennen.
Durch diese Mittheilungen der
verschiedensten Art ward die Einsicht bestärkt oder berichtigt, und manches, was man dem
Kanzler ganz aufrichtig vorzutragen Bedenken hegte, ward mir, seinem Knappen oder
Anhängsel, anvertraut. Einige kannten mich als Verfasser des Buchs über die
Einkommensteuer, andere hofften mich für eigennützige oder gemeinnützige Zwecke zu
gewinnen. Aus aufrichtiger Theilnahme sagte mir endlich jemand: Man achtet Ihre
Gesinnung und Ihren Verstand, kann aber um so weniger begreifen, warum Sie etwas nicht
unterlassen, was Sie in ein ungünstiges Licht stellt. Und was ist
dies? Wenn Se. Excellenz der Herr Kanzler in den Wagen
steigen will, springen Sie rasch vor, steigen vor ihm ein und setzen sich rechts
obenan. Ich sehe, daß Sie es gut mir meinen, glauben Sie denn
aber, ich würde ohne zureichenden Grund so platte Unschicklichkeiten begehen? Der Kanzler
hat mir dies Verfahren bestimmt anbefohlen, weil er auf dem linken Ohr schlechter hört
als auf dem rechten, und nicht will, daß ich im Wagen über ihn wegsteige.
Der Plan, die schlesischen
Klöster aufzuheben, war damals insgeheim schon im Werk, und durch Umfragen ergab sich,
daß sich nur wenige Menschen für sie interessirten, mehrere dagegen ihre Aufhebung
empfahlen. Nichts ist irriger, als daß Haß gegen diese Institutionen und den
Katholocismus überhaupt mitgewirkt hätten. Entscheidend wichtig war die bestimmte
Weisung Napoleons, diese Maßregel zur Bezahlung der Kriegssteuer zu ergreifen, wie
es (bei ähnlichen Geldbedrängnissen) längst in Frankreich geschehen. In Breslau
unterrichtete ich mich von den löblichen Einrichtungen und der <147:> heilsamen
Thätigkeit der Elisabethinerinnen, Ursulinerinnen und barmherzigen Brüder, und kann
behaupten, daß ich ihre Erhaltung, mehreren Eiferern gegenüber, durchgesetzt habe.
Überhaupt bin ich mit Unrecht als ein unbedingter Gegner der Klöster verschrien worden,
und hatte schon damals einen großen Theil der Forschungen beendet, welche ich den
Ergebnissen nach in meine Geschichte der Hohenstaufen niedergelegt habe. Unter
allen Beschäftigungen (sagte mir einst der Präsident von Braunschweig) wäre wol die mit
einer Geschichte der Klöster die leerste und einfältigste. Er wollte durchaus nicht
glauben, daß sie mir bereits viel Zeit gekostet und viel Genuß gewährt habe.
Emendation
betraf.] betraf D
|