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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Friedrich v. Raumer, Lebenserinnerungen und Briefwechsel. 2 Bde. (Leipzig: Brockhaus 1861), Bd. 1, 137-142

Prüfung weiterer städtischer Vorschläge zum Finanzplan und zur Behördenarbeit


„Ein anderer städtischer Vorschlag geht dahin, die Wollpreise jährlich und zwar geringer zu fixiren, als sie in den benachbarten Staaten stehen. Von diesem vorgeschriebenen Preis erhält aber der Producent nur eine, und der Fiscus die andere Hälfte.
„Ferner sollen, nach einigen Stimmen, Steuern gegeben werden:
1) von jedem Stücke Vieh,
2) von Sommerwohnungen,
3) von Heirathen und Taufen,
4) von allen zu ertheilenden Militär- und Civilabschieden.
5) von allem Spielgewinn in öffentlichen und Privatgesellschaften wird ein Zehntel dem Fiscus eingezahlt.
Andere verlangen
6) Stempelung der Lotterielose,
7) Stempelung der Kleidungsstücke: z. B. eine Enveloppe drei Thaler, eine Hose zwei Thaler, ein kurzes Jäckchen zwei Thaler u. s. w.,
8) Stempelung des Geldes selbst, neben dem Gepräge.
Nach einem Rettungsplan, der zufolge des Titels ‚in der schönsten Jahreszeit und Baumblüte‘ entworfen ist, soll
a) jeder Besuch von Assembléen, Pickenicks, Kränzchen, Clubs, Harmonien, Ressourcen, Casinos, Komödien u. s. w. mit acht Groschen Extrasteuer belegt werden.
b) Geschwängerte zahlen ‚vor die Bewilligung der Freude‘ fünf Thaler, und außerdem, wenn sie einen Sohn geboren, zwei Thaler, wenn eine Tochter nur einen Thaler.
Eine einzige Stimme sucht Hülfe im Erlaß einer Abgabe: nämlich des halben Postgeldes von den Pfandbriefen, – um sie zum Steigen zu bringen! <138:>
„Mehrere dieser Projectenmacher verlangen deutlich Belohnungen für ihre Weisheit; vorsichtiger will einer mit seinem Rettungsplan erst dann hervortreten, wenn er einem Auctionscommissarius adjungirt werde. Endlich (damit die Alchemie nicht fehle) überreicht einer ein untrügliches Recept, Gold zu machen, und bittet zu gleicher Zeit – daß ihm die Execution wegen Schulden abgenommen werde.“ – So mein fast unglaublicher, und doch ganz wahrer Bericht.
Als Anhang erwähne ich die Eingabe eines preußischen Grafen, worin er die Fortdauer des Zwangsgesindedienstes und ein Gesetz fordert, daß niemand seinen Geburtsort verlassen dürfe. Jetzt (fügte er zur Begründung dieser Anträge hinzu) leben in der Lombardei auf der Geviertmeile wol fünfmal mehr Menschen als in Preußen. Rasch wird sich die Volksmenge gleichstellen, sobald man keinen Preußen hinausläßt; denn sie haben dieselbe Zeugungskraft wie die Lombarden und dieselbe Neigung, davon zum Nutzen ihres Vaterlandes Gebrauch zu machen.
Es ward in jener Zeit viel über Organisation und Vereinfachung des Geschäftsganges bei den Behörden gerathschlagt. Als komischen (im Hintergrunde aber freilich sehr ernsten) Anhang überreichte ich dem Kanzler folgende, von ihm heiter aufgenommenen Verse:

Der Instanzenzug
oder
Die hülfreichen Behörden.
Eine organisirte Legende nach der Melodie:
Die Mutter schickt den Gepel fort,
Er soll die Birnen pflücken u. s. w.

1.
Der Bauer geht zum Schulzen hin,
Und spricht: so wahr ich ehrlich bin,
Ich kann die Steuer nicht zahlen. <139:>
Der Schule spricht:
Das schiert mich nicht,
Er muß die Steuer zahlen.

2.
Der Bauer geht zum Amtmann hin
Und spricht: so wahr ich ehrlich bin,
Ich kann die Steuer nicht zahlen.
Der Amtmann spricht:
Das schiert mich nicht,
Er muß beim Landrath klagen.

3.
Der Bauer geht zum Landrath hin
Und spricht: so wahr ich ehrlich bin,
Ich kann die Steuer nicht zahlen.
Der Landrath spricht:
Davon weiß ich nicht,
Der Amtmann muß berichten.

4.
Der Bauer zu dem Amtmann spricht:
Ach Gott, der Landrath hilft mir nicht,
Wenn Sie nicht erst berichten.
Der Amtmann spricht:
Das kann ich nicht,
Eh’ ich den Schulzen gesprochen.

5.
Der Bauer bringt den Schulzen mit,
Der spricht: wenn Michel zahlet nit,
Müss’n wir ihn übertragen.
Der Amtmann spricht:
Das geht ja nicht,
Ich kann’s nicht unterstützen.

6.
Hans Michel geht zum Landrath hin,
Verklagt des Amtmanns harten Sinn,
Daß er nicht will berichten. <140:>
Der Landrath spricht:
Dann kann ich nicht
Vom Zahlen ihn entbinden.

7.
Hans Michel geht zum Advocat
Und fragt den um guten Rath,
Wie er sich könne helfen.
Doch dieser spricht:
So geht es nicht,
Wir müssen hierin schreiben.

8.
Er schreibt nun an das Comité
Und klaget dabei Ach und Weh,
Er kann die Steuer nicht zahlen.
Man decretirt:
Wird remittirt
Dem Landrath zu berichten.
Der decretirt:
Wird remittirt
Dem Amtmann zu berichten.
Der decretirt:
Es wird citirt
Der Schulze zum Gutachten.
Der Schulze spricht:
Zahlt Michel nicht,
Müss’n wir ihn übertragen.
Der Amtmann schreibt:
Zahlt Michel nicht,
Muß man ihn übertragen.
Der Landrath schreibt, u. s. w.
Das Comité weist ihn zur Ruh,
Er solle ferner zahlen.

9.
Zum Advocat nun Michel geht,
Erzählt ihm wie die Sache steht. <141:>
An die Regierung der nun schreibt,
Damit ein Keil den andern treibt.
Man decretirt:
Wird remittirt (wie oben u. s. w.).
Die Regierung weiset ihn zur Ruh,
Er solle ferner zahlen.

10.
Er schreibt dem Oberpräsident,
Ob er ihm gar nicht helfen könnt,
Daß er die Steuer nicht zahle.
Der decretirt u. s. w. (wie oben).

11.
Er schreibt nunmehr der Section,
Wie oft er nun geschrieben schon
Die Steuer nicht zu bezahlen.
Die decretirt u. s. w. (wie oben).

12.
Er schreibt ans Ministerium,
Wie seine Sache ginge krumm
Und er nicht könne zahlen.
Man decretirt u. s. w. (wie oben).

13.
Er schreibt dem König seine Noth,
Wie er nicht habe mehr das Brot,
Wie er nicht könne zahlen.
Man decretirt:
Wird remittirt
Dem Minister zu berichten.
Desgleichen Section,
– Oberpräsident,
– Regierung,
– Comité,
– Landrath,
– Amtmann,
– Schulze. <142:>
Der Schulze spricht u. s. w.
Der Amtmann schreibt,
Desgleichen bis zum König.
Der König weiset ihn zur Ruh,
Er solle Steuer zahlen.

14.
Hans Michel geht zum Advocat
Und fraget den um guten Rath
Wie er sich könne helfen.
Doch dieser spricht, nun ist es aus,
Beim Schreiben kommt nun nichts mehr raus,
Doch Er muß mich bezahlen.
Hans Michel spricht:
Das kann ich nicht,
Ich werd’ Ihn nicht bezahlen.

15.
Der Advocat zum Schulzen geht.
Et sic in infinitum.


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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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