Friedrich v. Raumer, Lebenserinnerungen und Briefwechsel. 2 Bde. (Leipzig:
Brockhaus 1861), Bd. 1, 127-132
Juni August 1810
Der aufrichtigen Bezeichnung jener Irrthümer und Mängel gegenüber, darf ich bemerken,
daß von jenen ersten Vorschlägen des Kanzlers (derentwegen ich den Abschied nehmen
sollte), z. B. den Grundsteuerobligationen, Banken, Anleihen, nichts zur Ausführung
kam; jene höchst wichtigen Punkte des Entwurfs vom 22. Juni 1810 dagegen, nach
löblicher und nothwendiger Berichtigung manches einzelnen, im wesentlichen zur
Ausführung kamen; und obgleich jene Plane damals von einer Partei teuflisch
gescholten wurden, fällt es doch jetzt keinem Unbefangenen ein, die frühern Zustände
zurückzuwünschen, also Binnenzölle, Universalaccise, Thorsperre, Fourragelieferung,
Vorspann, und Willkür statt des Gesetzes.
Am 27. Juni schrieb mir
der Kanzler: Euer . bitte ich, der Intermediär zwischen der angeordneten
Commission und mir zu sein, und mir diesemnach Nachricht zu geben, wie die Arbeiten
eingerichtet und vertheilt worden sind. Ich werde Sie zu jeder Stunde, wenn ich zu Hause
bin, em- <128:> pfangen, wenn Sie mir etwas wegen dieses Geschäfts zu sagen
haben.
In einer dieser Audienzen, zu
welcher mich der Kanzler eiligst in seinem Wagen holen ließ (den 6. Juli), sagte er:
So sehr ich mit Ihnen einverstanden bin, daß die höchste Eil in Hinsicht der neuen
Steuern nöthig ist, so muß ich doch nach reiflicher Überlegung bekennen, daß es mir
bedenklich erscheint, damit vorzuschreiten, wenn wir noch nicht mit dem ganzen Finanzplane
im Reinen sind. Wir dürfen, wie Sie in Ihrem Promemoria bemerken, nicht ans Publikum
wiederholte neue Forderungen machen, sondern müssen gleich jetzt, wenigstens summarisch,
den Zustand darlegen, und offen handeln. Sie wissen, daß ich meinen Finanzplan dem
Geheimrath Niebuhr mitgetheilt, und ihn um sein Gutachten gebeten habe. Dies Gutachten ist
jetzt eingegangen und verwirft jenen Plan nicht allein im Ganzen, sondern auch in allen
einzelnen Theilen von einem Ende zum andern, und das obendrein in sehr bittern,
hämischen Ausdrücken. Ich habe ihn aufgefordert, seinerseits einen anderen Plan
aufzustellen, den ich gern annehmen wollte, wenn er besser sei. Hierauf hat er erwidert:
er sei dazu nicht im Stande, und es helfe auch nichts, wenn er nicht die oberste
und alleinige Ausführung habe, das heißt Finanzminister sei. Ich habe ihm
wiederholt geschrieben: Zuvörderst müsse doch ein Plan aufgestellt, geprüft und
angenommen sein: es sei seine heiligste Pflicht, sich darüber vollständig auszusprechen,
allein ich habe noch keine Antwort bekommen. Ich halte mich wahrlich nicht für unfehlbar,
ich bitte um Rath, ich höre gern jede Meinung; allein ich halte auch nicht Herrn
Geheimrath Niebuhr für unfehlbar, und wäre er noch zehnmal so gelehrt, als er ist. Ich
will nur das Rechte, das Wahre; ich geben Ihnen den Bericht, das Gutachten, die ganze
Correspondenz zwischen mir und Niebuhr. <129:> In jenem Gutachten finden Sie
Nummern, ich habe dazu Bemerkungen gemacht. Ich theile Ihnen diese nicht mit, damit sie
ganz unbefangen prüfen können. Sch. und B. sollen gleichfalls ihr Urtheil geben,
schriftlich und eins, wenn sie sich einigen können, sonst jeder besonders. Ich
habe zu niemand so großes Vertrauen, als zu ihnen, weil ich überzeugt bin, daß sie alle
das Beste wollen, nur auf die Sache sehen und frei von allen Persönlichkeiten sind, was
ich bei so manchem nicht voraussetzen kann.
Daß die ersten
Hardenbergschen Plane großen Einwendungen unterlagen, habe ich schon oben erwähnt;
Niebuhr hatte aber nur getadelt und gar nichts anderes, Positives dargeboten, vielmehr
erklärt: um so weniger etwas als bloßen Stoff zur Discussion geben zu wollen, da es
selbst unrecht sei tüchtige Mittel zu offenbaren, solange sie neben andern verkehrten
Maßregeln gebraucht werden könnten und zum Untergang führen würden.
Hardenberg schrieb hierauf
(4. Juli 1810) an Niebuhr: Euer . haben mir, in
Rücksicht auf Ihre Äußerungen meinen Finanzplan betreffend, geantwortet und einige
Erläuterungen gegeben, auch Grundsätze beigefügt, nach welchen Sie einen Finanzplan
aufstellen könnten, wenn erst darüber entschieden sei, daß wir auch ein Drittes,
zwischen Alles und Nichts suchen wollen. Ich kann nicht umhin, Ihnen
hierüber nochmals zu schreiben, und wünschte nichts mehr, als Übereinstimmung unserer
Ansichten. Wenn ich Sie recht verstehe, so wollen Sie keinen Plan bearbeiten, der nur
als Stoff zur Discussion dienen soll. Sie glauben dieses nur dann thun zu können, wenn
Sie selbst Ihre Vorschläge zu vertreten und in der Ausführung zu leiten hätten. Aber
dehnen Sie denn dies auch bis auf eine Discussion mit mir aus? Das scheint so, und ich
gestehe daß ich dieses weder nach den Dienstverhältnissen, noch nach den vertraulichen
und <130:> freundschaftlichen Verhältnissen, die ich mir schmeichelte zwischen uns
zu befestigen, erwartet hätte. Die Frage, ob wir auch ein Drittes zwischen Alles
und Nichts suchen wollen, bedarf keiner Voruntersuchung. Wir wollen das, was das Beste
ist, was uns retten kann, und hierüber dächte ich würden Euer . gar
kein Bedenken finden, sich gegen mich vollständig auszusprechen, dieses vollständig
mit mir zu discutiren. Sie können mir nicht entgegensetzen, daß es Ihnen an Datis
fehle einen consequenten, zusammenhängenden Finanzplan nach Ihrer Überzeugung
auszuarbeiten, und wo sie Ihnen fehlen, würden Sie sich solche zu verschaffen
augenblicklich im Stande sein. Bei der Ausarbeitung müssen Sie sich allerdings an die
Stelle desjenigen setzen, der die Ausführung leiten und vertreten soll, das ist die
meinige. Den Glauben der Infallibilität habe ich keineswegs, und Sie verkennen mich
wahrlich sehr, wenn Sie mir nicht die sorgfältigste Rücksicht auf Ihre Ideen zutrauen.
Diesemnach muß ich Sie wiederholt und angelegentlich ersuchen, einen Plan, wie ich ihn
meine, zu entwerfen, und die Folgerungen aus den Grundsätzen, darauf Sie ihn bauen, in
Zahlen auszudrücken, dann aber solches mit mir Punkt für Punkt zu erwägen.
Ich kann nicht glauben,
daß Euer . sich der Erfüllung dieser Bitte könnten entziehen wollen, da es
Ihnen gar nicht schwer werden wird die Ideen zusammenzustellen, die aus Ihren Kenntnissen
und Ihrem Verstande resultiren, und da mir Ihr Herz dafür bürgt, daß Sie mit lebhaftem
Interesse zur Rettung des Staats beizutragen gesonnen sind.
Anstatt auf diese
verständigen Vorschläge einzugehen, und diesen herzlichen Brief zu beantworten,
übersandte Niebuhr dem Könige eine Vorstellung, worin er den Kanzler der
verderblichsten, revolutionären, alles auflösenden Plane beschuldigte. In dieser Anklage
steht, der König möge Hardenberg <131:> davon aber ja nichts sagen, oder
merken lassen!! Statt dessen sandte der rechtlichere König sogleich den ganzen
Aufsatz an Hardenberg mit einem Handbillet, worin er sagt: Niebuhr male aufs
gräßlichste; er sei aber überzeugt, daß der Kanzler alles gehörig überlegt habe und
die Besorgnisse unnütz wären.
Mit Recht gerieth der Kanzler
über dies Benehmen Niebuhrs in großen Zorn; eine gemeinsame Wirksamkeit beider
Männer war seitdem unmöglich. In der That ging für die Gesetzgebung und Verwaltung
wenig oder nichts verloren; denn Niebuhr war, wie gesagt (trotz seiner sonstigen
Gelehrsamkeit), fast unwissend über die wirklichen Verhältnisse des Landes und kein
Geschäftsmann. Seine Ängstlichkeit ging bisweilen in Verzagtheit über, und das
Sachliche trat vor dem Persönlichen in den Hintergrund. So konnte er Oelßens
Erhebung (die er hauptsächlich herbeigeführt hatte) nicht verschmerzen, und während er
meinte im Besitz universeller Heilmittel zu sein, zog er vor die Hände in den Schooß zu
legen, und sich aus angeblich zartester Moralität, bis zum nicht zu Rechtfertigenden
verlocken zu lassen.
Außer meiner Theilnahme an
den Geschäften der obenerwähnten Commission, lagen mir viele andre, zum Theil sehr
schwierige Arbeiten ob. So mußte ich ein Gutachten über die Gleichstellung der Grundsteuer
ausarbeiten, worin ich (sofern mein Gedächtniß mich nicht trügt) die Licht- und
Schattenseiten der Maßregel darzulegen suchte. Damals kam es zu keinem Beschlusse, und
noch jetzt, nach funfzig Jahren steht man, aus bekannten Ursachen fast auf derselben
Stelle.
Überhaupt traten mancherlei,
zum Theil sehr nachtheilige Zögerungen ein, worüber ich folgende ungeduldige Stelle in
einem meiner Briefe (August 1810) finde: Der Verlust von zwei Monaten Zeit ist
unersetzlich. Man stritt über die Zahlen eines papierenen Finanzplans, und machte daß
ihre Un- <132:> richtigkeit deshalb täglich wuchs; man grübelte über die Bildung
des Staatsraths, als wenn das Einpassen großentheils unbrauchbarer Köpfe in dieses oder
jenes Fachwerk ihnen Weisheit mittheilen könnte. Das Zutrauen zur neuen Verwaltung
mindert sich durch die Langsamkeit der Operationen. Als die
berliner Bankiers nicht Wechsel auf Paris geben wollten, wie die Bankiers in Breslau und
Königsberg, sprachen mehrere thöricht von bösem Willen, Mangel an Patriotismus, ja von
Gewalt und Execution; als wäre damit etwas zu
beschaffen u. s. w.
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