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[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

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Friedrich v. Raumer, Lebenserinnerungen und Briefwechsel. 2 Bde. (Leipzig: Brockhaus 1861), Bd. 1, 122-127

Raumers Anteil an Hardenbergs Finanzplänen


Die Gegenvorschläge Hardenberg’s forderten die Gründung einer unabhängigen Nationalbank, die Anfertigung mit fünf Procent zu verzinsenden Obligationen auf die Grundsteuer und (weil gar große Summen baaren Geldes ins Ausland gingen) die Anfertigung von Papiergeld, welches man gegen jene Grundsteuerobligationen austauschen könne. Hiermit sind große Anleihen im Inlande und Auslande zu verbinden u. s. w. – Als diese und verwandte Vorschläge (welche zum Theil wahr- <123:> scheinlich von S–r herrührten) zu meiner Kenntniß kamen, erschienen sie mir meist unpraktisch und unausführbar; anstatt aber deshalb (wie einige Eiferer verlangten) den Abschied zu fordern, hielt ich es für meine Pflicht, sie streng zu prüfen und allmählich zu beseitigen, wie dies auch gelungen ist. Überhaupt sah ich den wesentlichen, entscheidenden Unterschied der frühern Minister und Hardenberg’s darin, daß jene vorzugsweise im Beharren auf der alten Stelle, im Zögern und Nichtsthun die Rettung suchten; während dieser die Überzeugung hatte, oder sie allmählich immermehr bekam: nur große Veränderungen im Innern könnten das abgestorbenen Leben wieder hervorrufen und Preußen verjüngen.
Demgemäß ließ er mich um diese Zeit eilig zu sich rufen und sagte: „ich will, daß die Regeneration des Staats in allen Theilen und durchaus gründlich erfolge; es müssen deshalb viele Gesetze entworfen werden. Der gewöhnliche Gang durch die Behörden ist zu weitläufig; ich will, daß eine Commission die Arbeiten entwerfe, setzen Sie die Instruction für diese Commission auf“; – damit hatte die Audienz ein Ende.
Obgleich schon gewöhnt an wichtige Geschäfte, erschrak ich doch über diesen unermeßlich schwierigen Auftrag, zu dessen Lösung mir auch nicht einmal ein Fingerzeig gegeben war. In ähnlicher Lage fühlte ich mich, als ich früher ein Husarenregiment in Sangerhausen verpflegen und nach Altenstein’s Weisung die Schuldensection in Gang bringen sollte. Doch welche Kleinigkeiten, im Vergleiche mit der jetzigen Aufgabe und meinen geringen Kräften. Ich kam in größter Aufregung nach Hause, überlegte aufs gewissenhafteste nach allen Seiten. Allerdings war ein von mir vollgeschriebenes Blatt Papier ganz unbedeutend und werthlos, sobald es verworfen und damit alle Verantwortlichkeit beseitigt ward; – solch Zeugniß <124:> der Unfähigkeit hätte mich aber nicht beruhigt und der Sache nichts genützt. Irrthümer waren auf diesem Boden nicht zu vermeiden; doch bestrebte ich mich, etwas Inhaltreiches, einen Gährungsstoff zu neuen Gestaltungen fermenta cognitionis aufzustellen, die sich wenigstens nicht ganz zur Seite werfen ließen, sobald man überhaupt wagte diese Bahn zu betreten. Daß übrigens von einer Abänderung der Verfassung und von verwickelten reichstagsartigen Berathungen in diesem Augenblick nicht (wie etliche wünschten) die Rede sein konnte, sah ich ein; es galt zunächst offenbare Mängel und erreichbare Zwecke zu bezeichnen. Was ich gar nicht erwartet, ja nicht einmal gewünscht hatte, geschah: der Kanzler unterschrieb meinen Entwurf und die, nächstdem beigefügte Anweisung, über die von der Commission zu fertigenden Arbeiten. Folgendes ist der wesentliche Inhalt:
Die veränderten Grundsätze der Finanzverwaltung und die Bedürfnisse des Staats machen es nothwendig, daß einerseits durch neue Steuern bedeutende Summen herbeigeschafft, andererseits aber gleichzeitig die Übelstände hinweggeräumt werden, welche sich in dem bisherigen Besteuerungs- und Erhebungssystem finden, und die Cultur, die Gewerbe und den Wohlstand der Unterthanen behindern. – Die von uns ernannte Commission, welche aus dem Geheimen Staatsrath von Heydebreck, Regierungsdirector Ladenberg, Staatsrath Borsche, den Geheimen Finanzräthen Eichmann und von Beguelin, den Regierungsräthen Beuth und von Raumer bestehen und bei gleichem Stimmrecht unter der unmittelbaren Leitung unsers Staatskanzlers Freiherrn von Hardenberg arbeiten soll, hat demnach jene beiden Zwecke zu berücksichtigen und ihrem Verfahren folgende Bestimmungen als feststehend zum Grunde zu legen:
1) Die Staatsbedürfnisse sollen durch Consumtions- und <125:> Luxussteuern, durch eine Patentsteuer, durch Zölle und Stempel gedeckt werden.
2) Die indirecten Abgaben sollen für alle Landschaften gleichgestellt und die Absperrung zwischen Stadt und Land aufgehoben werden.
3) Die Accise ist künftig nicht mehr von so vielen Gegenständen zu erheben; es soll vielmehr, so weit als irgend möglich, an die Stelle der Universal- eine Particularaccise treten mit bedeutender Verminderung der Verwaltungskosten.
4) Die auf keine innern Gründe beruhende Verschiedenheit der Zollrollen und die vielfachen Tarifsätze nach Objecten sollen aufhören.
5) Die Wasserbinnenzölle werden aufgehoben und die Landeingangszölle nach erfolgter Aufhebung der Landbinnenzölle neu geordnet.
6) Das Stempeledict soll verdeutlicht und den jetzigen Verhältnissen angepaßt werden.
7) Gegen Einführung einer Patentsteuer tritt Gewerbefreiheit für Stadt und Land ein. Das Zunftwesen wird danach umgestaltet.
8) Der Bier- und Mahlzwang wird ohne Entschädigung für angeblichen Verlust aufgehoben.
9) Der Civil- und der Militärvorspann in Friedenszeiten soll soweit als möglich ganz aufgehoben, auf jeden Fall aber volle Bezahlung aus den neuen Steuern gegeben werden.
10) Die Naturalfourragelieferung hört auf; und das durch Unterthanen oder Entrepreneure Herbeigeschaffte wird bezahlt.
11) Sämmtlichen Unterthanen bäuerlichen Standes, welche nicht wirkliche Zeitpachtbauern sind, soll im Verfolg des Edicts vom 9. October 1807 das Eigenthum ohne <126:> Entschädigung gegeben werden; wogegen man die bisherigen Dienste und Abgaben der Unterthanen, gleichwie die bisherigen Verpflichtungen der Gutsherren zu Unterstützungen an Gelde, Bauholz u. s. w. in die anzulegenden Hypothekenbücher einträgt.
12) Die freie Disposition über das Grundeigenthum tritt für die Gutsbesitzer, welche Zeitpachtbauern haben, erst von dem Augenblicke ein, wo sie sich mit diesen wegen der eigenthümlichen Überlassung der Höfe, nach den zu gebenden Gesetzen, geeinigt haben. Für alle Gutsbesitzer hingegen, deren Unterthanen nach §. 11 Eigenthümer geworden sind, sowie für alle diese neuen Eigenthümer selbst, tritt sogleich die unbedingt freie Disposition über ihr Grundvermögen ein. Berlin, den 22. Juni 1810.
Allerdings freuete ich mich über das Gelingen und die bezweckten Fortschritte; erkannte aber (aus vielen Anzeichen) fast gleichzeitig, daß manches zu allgemein und entschieden Ausgesprochene, durch die Commission nothwendig im einzelnen müsse verständigerweise erklärt, geändert und geregelt werden, wenn nicht die, natürlich sich erhebenden Widersprüche, alles vereiteln sollten. Gewiß lag die Schattenseite der, durch das Kriegsunglück aufgezwungenen neuen Lasten so zu Tage, daß sie jeder leicht begreifen und rügen konnte; wo war denn aber damals eine Möglichkeit sie durch Kampf zu beseitigen? Ich wiederhole, die Aufgabe war nicht, ein an sich vollkommenes System aufzustellen, sondern aus vielen Übeln das kleinere zu erwählen und die Mittel aufzufinden, es erträglicher zu machen.
In der Commission zeigten sich natürlich bald verschiedene Richtungen. Der höchst sachkundige Director Ladenberg wollte z. B. die Besteuerung des platten Landes, alle Weitläufigkeiten, Feinheiten und Controlen der verwickeltsten Accise- <127:> verwaltungen anbringen, woraus mir bald die Überzeugung hervorging, in solcher Ausdehnung müsse das Unternehmen ohne Zweifel scheitern. Um so mehr, als sich für manche Theile des Landes zeither ungekannte und unübersteigliche Hindernisse zeigten. Die scharfe Sperrung zwischen Stadt und Land ward nützlicherweise abgeschafft. Ebenso ergab sich, daß die Aufhebung des Mahl- und Bierzwanges allerdings in der Regel für tüchtige Müller und Brauer keinen Nachtheil brachte; in einzelnen Fällen aber Billigkeitsgründe zu berücksichtigen seien. Der lebhafteste Widerspruch erhob sich hinsichtlich der Bauern, wo Herr von Heydebreck behauptete: deren Verhältniß zu den Edelleuten stehe gesetzlich gar nicht fest, sondern diese könnten jene nach Willkür behandeln. „Ist dem so“, entgegnete ich, „so muß es eben abgeschafft werden.“


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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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