Friedrich v. Raumer, Lebenserinnerungen und Briefwechsel. 2 Bde. (Leipzig:
Brockhaus 1861), Bd. 1, 117-122
Adjutant bei Hardenberg; Hardenbergs Bericht an Friedrich Wilhelm III.,
28. 5. 1810
Mit diesen Veränderungen war das Publikum sehr zufrieden und faßte neue Hoffnung;
hingegen tadelte es die Ernennung des Herrn von Oelßen zum Geheimen Staatsrathe. Er hatte
früher als Referendarius und Assessor bei der kurmärkischen und ansbacher Kammer
gearbeitet, dann geheirathet und bis zum Ausbruch des Krieges sein Gut in der Neumark
bewirthschaftet. Während des Krieges wußte er sich Einfluß im ständischen Ausschuß zu
verschaffen, und verkündete zugleich nach allen Seiten, in der Neumark sei viel besser
gewirthschaftet worden als in der Kurmark. Er überreichte Niebuhr deshalb prachtvoll auf
Velinpapier geschriebene Übersichten der neumärkischen Verwaltung, worüber jener in
maßlose Bewunderung gerieth, das Verfahren als musterhaft schilderte und erklärte, Herr
von Oelßen verdiene an die Spitze der Geschäfte gestellt, d. h. zunächst zum
Präsidenten der neumärkischen Regierung ernannt zu werden. Schon hatte Altenstein ihm
dies zugesichert, aber Dohna widersprach, weil Oelßens Ruf keineswegs tadelfrei
war.
Als jene Übersichten amtlich
in meine Hände kamen, erstaunte ich über jenes ganz unbegründete Lob Niebuhrs,
denn Herr von Oelßen hatte nicht nur von den Anleihen und <118:> Zinsen
geschwiegen, sondern vor allem den Betrag sämmtlicher Ausschreiben als wirkliche Einnahme
aufgeführt und von den Ausgaben abgezogen, während der größere Theil des
Ausgeschriebenen nicht eingegangen und nicht beizutreiben war. Laut einer ähnlichen, von
Herrn von Bärensprung für mich gefertigten Übersicht, hatte die sehr verschuldete
Kurmark fast gar keine Schulden. In einem Aufsatze trug ich auf nähere Prüfung der
Oelßenschen Darlegungen an und überzeugte Niebuhr von der Irrthümlichkeit seines
Lobes. Mein Aufsatz verschwand aber (wie so vieles) in der Charybdis seines großen
Schreibtisches, während Herr von Oelßen, nach Ernennung Hardenbergs zum Kanzler,
jenes Lob so geltend zu machen wußte, daß ihm die Hauptleitung des Finanzwesens
übertragen wurde. Als Niebuhr diese Beförderung laut tadelte, erwiderte Herr von
Oelßen: er begreife nicht, warum Herr Niebuhr früheres großes Lob in heftigen Tadel
verkehre; es müßte denn aus Neid sein, daß ihm die Stelle nicht zu Theil
geworden. In Niebuhrs Briefen finden sich Äußerungen, daß er nie daran gedacht;
und dies mag für andere Zeitpunkte wahr sein. Damals hat er mir aber nicht einmal,
sondern mehreremale mit großer Lebhaftigkeit gesagt: er sei der erste und einzige Mann im
Preußischen, dem die Leitung der Finanzen könne und müsse übertragen werden. Dies war
gewiß ein Mangel an Selbsterkenntniß, und ich habe es (bei den sonst anerkannt großen
Verdiensten Niebuhrs) nur zu oft und doppelt schmerzlich erfahren, daß er gar kein
praktisch brauchbarer Geschäftsmann war. Sein Tadel Oelßens war übrigens so
begründet, als sein früheres Lob unbegründet. Ein Beispiel statt vieler. Bei einer in
Charlottenburg gehaltenen Berathung vertheidigte Oelßen lebhaft die Anfertigung vielen
Papiergeldes, um damit Schulden zu bezahlen. Als alle Gegengründe nicht anschlugen,
fragte ich (meinen Mann kennend) mit übergroßer Kühnheit: Aber, Herr Geheimer
<119:> Staatsrath, erinnern Sie sich doch, daß schon Thucydides erzählt, wie
große Übel entstanden, weil man in Athen zu viel Papiergeld gemacht
hatte. Diese Erfahrung, erwiderte er beistimmend, ist
allerdings von großer Wichtigkeit; und so ließ er sich bekehren, um
den Schein der Gelehrsamkeit festzuhalten.
Gleich nach meiner ersten
Zusammenkunft mit dem ernannten Kanzler sagte mir dieser: Sowol Herr Geheimer
Staatsrath Sack als Herr von Oelßen haben Sie reclamirt, jener für die administrative,
dieser für die Geldpartie, ich lassen Ihnen die Wahl. Wer war froher als ich, aus
der Schuldensection, diesem unerfreulichen Chaos herauszukommen und in eine Abtheilung
überzugehen, für welche ich weit besser eingeübt war. Doch unterblieb auch dies, als
der Kanzler mich später in sein Haus und an seinen Tisch nahm. Seitdem gingen (mit
Ausnahme der Kriegs- und auswärtigen Angelegenheiten) sehr viele wichtige Sachen durch
meine Hände. So fertigte ich z. B. eine neue Instruction für Behandlung und Verkauf
der Domänen, und entwarf einen sehr weitläufigen und mühseligen Bericht über den
Indult, welcher in meinen Vermischten Schriften abgedruckt ist. Er beweiset,
daß man keineswegs leichtsinnig und oberflächlich arbeitete, sondern gewissenhaft,
fleißig und mit Berücksichtigung aller Verhältnisse. Wollen wir, sagte der
Kanzler, nicht Niebuhr über den Indult befragen? Es geschah; in seiner
Antwort fand sich aber nichts als eine Nachricht über den Indult, der einst in
Pondichéry stattgefunden, aus welcher Notiz aber für die preußischen Verhältnisse
nicht das geringste Brauchbare hervorging.
Um die späteren,
umfassenderen Plane Hardenbergs zu verstehen, ist es nothwendig, nochmals auf das
Frühere zurückzukommen. Nachdem Herr von Altenstein wiederholt erklärt hatte: er habe
seine Plane so vollständig vorgelegt, daß er <120:> nichts hinzuzusetzen wisse und
für weiteres nicht verantwortlich sei, so glaubte Hardenberg, daß mündliches
Verhandeln, Bieten und Nachlassen nicht zum Ziele führe, und erstattete am 28. Mai
dem König einen umständlichen Bericht, im wesentlichen folgenden Inhalts. Er beginnt mit
der Rechtfertigung, daß er ihn nicht schneller überreicht, und fährt dann fort:
Die erforderliche Auskunft ist vom Finanzminister nur sehr langsam und
unvollständig eingegangen, weshalb ich bei einzelnen Männern (so den Geheimräthen Sack,
Labaye und Niebuhr) mühsam das Nöthige erfragen mußte. Der letzte glaubte nicht, mir
trotz der königlichen Vollmacht unmittelbar Nachrichten mittheilen zu dürfen; er ließ
sie durch das Ministerium gehen und tadelte hiedurch mittelbar das Verfahren der übrigen.
Mit Unrecht bezeichnet man mich und die Männer, welche mir Mittheilungen gemacht haben,
als Intriganten, und ebenso wenig trifft der Vorwurf, daß ich Männer, die nicht im
königlichen Dienste ständen, in Staatsgeheimnisse einweihe. Denn theils haben sie
früher dem König als Beamte geschworen, theils bindet sie ihre Unterthanenpflicht,
theils habe ich sie ausdrücklich darauf verwiesen.
Am wichtigsten ist
Herrn von Altensteins Vorwurf, ich habe ihn so in seinen Maßregeln gehindert, daß
die Contributionszahlung ins Stocken kommen würde. Es ist aber kein Plan aufgeschoben
oder zum Stillstand gebracht worden, der in so kurzer Zeit hätte Geld einbringen können.
Ich habe nur um den Aufschub folgender Gegenstände gebeten:
1) des Plans zur Erhebung von
2½ Millionen auf indirectem Wege, weil dieser Plan einseitig und drückend erschien.
2) Dem Lande nicht die
Bezahlung der Naturalfourragelieferung vorzuenthalten.
3) Den Verkauf der
Judenabgaben (welcher ohnedies nicht sogleich erfolgen kann) aufzuschieben. <121:>
4) Aus den schlesischem
geistlichen Gütern und den Maltesercommenden nicht einzelne Summen herauszuziehen, weil
hier größere Maßregeln nöthig wären.
5) Kein neues Papiergeld
durch Verkleinerung der Pfandbriefe zu erschaffen.
6) Keine neuen Anleihen ohne
nochmalige Prüfung der Bedingungen abzuschließen.
Hingegen stellte Hardenberg
folgende Beschwerden gegen Altenstein auf:
1) Es liegt keine Klarheit,
keine Übersicht, keine Berechnung seinen Finanzplanen zum Grunde. Er verwirft diese und
alle Zahlen als überflüssig und zweckwidrig und setzt ein Gewebe dunkler und
unvollständiger Argumentationen an die Stelle.
2) Er hat keinen umfassenden
Plan und behauptet, dies sei unrathsam und unmöglich, weil der schwankende Zustand der
Politik auch ein Schwanken in den Finanzen und eine Beweglichkeit im System derselben
nothwendig mache. Er nahm (nach seinen Worten) frühzeitig die Regel an, alles nur auf
diesen schwankenden Zustand zu berechnen eine Behauptung und ein Grundsatz,
der nicht Stich hält, da weise und kräftige Maßregeln zur Herstellung der Finanzen auf
alle Fälle heilsam, und diese nicht so mannichfaltig sind, daß festere Berechnungen
wären unmöglich geworden.
3) War es höchst fehlerhaft
(wenn man sich nicht augenblicklich für Österreich erklären wollte), gerade in dem
Zeitpunkte, wo der Krieg mit Frankreich ausbrach, die Zahlung der Kriegscontribution zu
unterbrechen. Der Einwand: durch weitere Zahlungen wäre das Geld, was der Krieg
vielleicht erfordern könnte, verschleudert worden, hatte kein Gewicht, indem Preußen bei
einer wirklichen Theilnahme am Kriege, ohne Zweifel durch auswärtige Hülfe Geld
<122:> erhalten konnte; da endlich jene Entschuldigung für den Mangel eines Plans
seit dem österreichischen Frieden ganz wegfällt. Die Feststellung der politischen
Verhältnisse ist abhängig von der Zahlung der Contribution an Frankreich, und diese ist
abhängig von einem wohlberechneten, umfassenden und den Credit erhebenden Plan. Der
Minister schwankt auch hierüber: er neigt sich dem gefährlichen System des Zögerns und
Hinhaltens gegen den Kaiser Napoleon, überläßt sich einem trügerischen Traum von
fremder Hülfe und von einem Widerstande durch eigene Kraft, da doch gewiß auf beides in
diesem Augenblick weniger zu rechnen ist, als in früheren Epochen.
4) In der Übersicht der
finanziellen Lage sind ungeheuere Rechnungsfehler zu berichtigen und der Domänenverkauf
ist anders zu leiten.
5) Für die Staats- und
Provinzialschulden ist gar nichts gethan worden.
6) Der Minister hüllt seine
Verwaltung in schädliches Dunkel, ergreift zum Theil sehr harte Maßregeln und hegt
ungerechte Begriffe von den Menschen, auf welche man einwirken muß. Er handelt ohne
Rücksicht auf fremde Plane und gibt sich der Täuschung hin, man hege im Inlande und
Auslande Zutrauen zu seiner Verwaltung, während doch das Gegentheil stattfindet.
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