| Friedrich v. Raumer, Lebenserinnerungen und Briefwechsel. 2 Bde. (Leipzig:
        Brockhaus 1861), Bd. 1, 112-117
 Hardenbergs Ernennung zum Staatskanzler
 
 Die Verschleppung einer andern sehr wichtigen Sache that um diese Zeit den Ministerien in
        der Achtung des Publikums sehr großen Schaden. Schon im December 1809 war ihnen ein Plan
        zur Verzinsung und Tilgung der berliner Schulden vorgelegt worden, welchen die
        Stadtverordneten entworfen, der Magistrat geprüft und die potsdamer Regierung im Ganzen
        annehmlich gefunden hatte. Aller Erinnerungen und Bitten ungeachtet, war binnen fünf
        Monaten in dieser höchst dringenden Angelegenheit nichts geschehen. Bei späterer
        Durchsicht der Acten ergriff mich ein wahrer Ingrimm über das Hin- und <113:>
        Hersenden von Pontius zu Pilatus, zu den Ministern, Sectionen, Räthen u. s. w.
        Keiner hatte etwas in der Sache gethan; bei Niebuhr (dem Haupte der Schuldensection!) lag
        sie allein über zehn Wochen, der sie zuletzt mit der kahlen Bemerkung weiter schickte: er
        sei außer Stande, darüber ein Votum abzugeben. Allerdings hatte er sich um das berliner
        Schuldenwesen nie gekümmert. Nachdem alle andern Bemühungen zur Förderung der Sache
        fehl geschlagen waren, wandte sich der Magistrat an den König und verklagte das
        Ministerium. Hievon benachrichtigt beschloß dasselbe 1) nach dem Votum des Herrn
        Geheimraths Stägemann: eine directe Steuer sei unräthlich; 2) nach dem Votum der
        Abgabensection: indirecte Besteuerung sei ein Regale und könne der Stadt nicht bewilligt
        werden; 3) Fundirung der Schulden auf das Grundvermögen sei unstatthaft, weil
        dadurch der Glaube an das Hypothekenbuch und die letzten hypothekarischen Gläubiger
        leiden könnten; 4) daß die Stadt Berlin für sich selbst sorgen müsse. Wie dies,
        nachdem alle nur möglichen Auswege versperrt und verworfen worden, anzufangen sei, blieb
        ganz unbegreiflich.
 
  Nach unendlichen Zögerungen
        ward ein ungeheuer langes Gesetz über die Einkommensteuer für die Kurmark vollzogen und
        zeigte insofern einen Fortschritt, als es die ungerechten Vertheilungsmaßstäbe für die
        Kriegssteuern abschaffte; dennoch kam es nicht zur Ausführung vieler Mängel und lauter
        Widersprüche halber, und weil andern Personen die Leitung der Geschäfte anvertraut
        wurde. 
  Der bewilligte Indult für
        Kapitalkündigungen und Zinszahlungen lief zu Ende. Da man ihn weder ausdrücklich
        verlängern noch aufheben wollte, so erging eine Erklärung, wonach den Gläubigern im
        Laufe des nächsten Jahres zwar freigestellt wurde zu kündigen, allein sie mußten
        Staatspapiere zum Nennwerth an Zahlungsstatt annehmen. Diese Erklärung <114:>
        enthielt offenbar eine unbedingte Verlängerung des Indults, denn kein Mensch konnte so
        thöricht sein, sein Kapital mit 50 Procent Verlust anzunehmen, wenn er hoffen durfte
        es nach Jahresfrist in Metall voll ausgezahlt zu erhalten. Ebenso wenig half die spätere
        Erklärung: es sollten für alle Zeiten Pfandbriefe nach dem Nennwerthe in Zahlung gegeben
        werden. 
  Von allen Regierungen liefen
        um diese Zeit Klagen ein, daß die Schreibereien und Berichterstattungen umständlicher
        wären, als jemals (großentheils eine Folge der formalen Organisation), daß die
        Rathsstellen ungenügend besetzt und fast alle Präsidentenstellen erledigt wären. 
  Diese und andere
        unbegreifliche Zögerungen, Verschleppungen, Misgriffe erklären sich fast nur daraus,
        daß die Minister entweder nicht an das längere Dasein des Staats, oder doch nicht an die
        längere Dauer ihrer eigenen Regierung glaubten. Indem sie aber, insbesondere wegen des
        letztern Punktes, alles abwarten wollten und die Entscheidung von außen kommen lassen,
        gaben sie ihren Gegnern Waffen in die Hände. Daraus daß nichts Tüchtiges geschah,
        bewiesen jene Gegner die Unfähigkeit der Minister; wogegen diese behaupteten, sie
        könnten nichts Tüchtiges zu Stande bringen, wenn irgendwo eine Opposition zu besorgen
        wäre. Dieser erbärmliche Zustand hätte vielleicht noch lange fortgedauert, ungeachtet
        aller Gründe ihm ein Ende zu machen, wenn nicht ein politisches Ereigniß die
        Entscheidung beschleunigt hätte. 
  Der preußische Gesandte Herr
        von Krusemark hatte dem Herzog von Cadore mit tausend Gründen bewiesen\1\, daß die aufgelegte Kriegssteuer unmöglich bezahlt werden könne.
        Dieser entgegnete: Da die von Ihnen hervorgehobenen Schwierigkeiten <115:> so
        groß, die Forderungen meines Kaisers aber unbezweifelt und zu befriedigen sind, so
        könnte eine Landabtretung vielleicht die Verwickelung am leichtesten
        lösen.  Herr von Krusemark erschrak und versicherte (vieler andern
        Gründe nicht zu gedenken), daß eine solche Zumuthung seinen König ganz unglücklich
        machen würde.  Der Herzog hingegen, wahrhaft oder scheinbar über den Ernst
        betroffen, mit welchem der Gesandte jene Äußerung aufnahm, versicherte aufs
        feierlichste, daß sie ihm nur gesprächsweise entfallen, daß sie ihm nicht aufgetragen
        worden, daß der Kaiser schlechterdings daran nicht denke. Er bitte Herrn von Krusemark,
        hievon durchaus keinen amtlichen Gebrauch zu machen, weil ihn dies beim Kaiser
        compromittiren würde.  Herr von Krusemark fand dennoch für gut, den Vorfall
        nach Berlin zu berichten, wo man glaubte, daß der Kaiser Napoleon allerdings Absichten
        auf Landabtretung habe, und deshalb die Sache in ernstliche Berathung nahm. 
  Herr von Altenstein
        erklärte: er könne seine Maßregeln nicht nach den Forderungen des Ministers der
        auswärtigen Angelegenheiten einrichten, sondern dieser müsse auf den Grund der ihm
        mitgetheilten Finanzergebnisse, die weiteren Verhandlungen bauen. Er selbst habe
        dargelegt, was das Maximum sei, worauf zur Bezahlung der Kriegssteuern gerechnet werden
        könne. Es sei unverständig oder ungerecht, an ihn andere und größere Forderungen zu
        machen. 
  So blieb die Gefahr einer
        Landabtretung unverringert stehen, weshalb einige meinten: man solle hiefür beim Kaiser
        zwar keinen förmlichen Antrag machen, aber doch darauf hindeuten, zum Beweise wie groß
        die Noth, die Verzweiflung, die Unmöglichkeit zu bezahlen sei. Der Kaiser werde sich dann
        barmherzig zeigen, und weder Geld noch Land nehmen. Viel wahrscheinlicher war es, er werde
        das für ihn Einträglichste und Vortheilhafteste erwählen.  Ich muß
        wiederholen, daß <116:> nirgends das Höchste gethan und erreicht war, die Kräfte
        des Staats zu entwickeln und Hemmnisse fortzuschaffen. Ackerbau und Gewerbe litten an
        alten Übeln, ungerechten Besteuerungen und schädlichen Vorrechten. Zwanzig Millionen
        Domänen waren für eine Anleihe verpfändet, die kaum eine Million eingebracht hatte; man
        gab im Auslande ungeheuere Zinsen und wollte inländischen Domänenkäufern nur fünf
        Procent Ertrag gewähren u. s. w. u. s. w. 
  Der König gerieth über die
        Berichte seiner Minister in die tiefste Betrübniß; er mußte fürchten, es sei keine
        Rettung möglich, da es ihm die ersten Staatsbeamten versicherten. Nach geheimen
        Unterredungen mit dem herbeigerufenen Freiherrn von Hardenberg in Beeskow und auf der
        Pfaueninsel (es war dieselbe Zeit, wo Hardenberg mich aufforderte, zu ihm zu kommen)
        befahl der König, daß Herr von Hardenberg ihm seine Ansichten vollständiger darlegen
        und alle Behörden ihn mit den nöthigen Nachrichten versehen sollten. Hierüber waren die
        Minister sehr unzufrieden: sie sahen in Hardenberg einen überlästigen Controleur, einen
        gefährlichen Nebenbuhler, einen Untergraber ihres Ansehens. Auch ward die Gefahr für sie
        immer dringender, da ihre Ansichten überall mit denen Hardenbergs nicht
        übereinstimmten. Nur Eine Hoffnung blieb ihnen, daß der Kaiser Napoleon in dessen
        Anstellung nicht willigen werde. Dieser äußerte jedoch: er wisse, daß Hardenberg sein
        Freund nicht sei, wohl aber halte er ihn für tüchtig zur zweckmäßigen Führung der
        Geschäfte. 
  Nach Eingang der
        französischen Beistimmung ward Hardenberg zum Staatskanzler ernannt, wogegen Altenstein,
        Beyme und Nagler den Abschied erhielten. Der erste trat damals vom Schauplatz ab als ein
        höchst redlicher, achtungswerther, brauchbarer Mann, der aber bei seiner vereinzelten
        Stellung in so schwerer Zeit nicht geeignet sei, die Geschäfte mit genügendem Nachdruck
        zu führen.  Beymes barsches, <117:> absprechendes Wesen, seine
        sich selten über das Gewöhnliche erhebenden Ansichten und Vorwürfe, die sich aus
        früherer Zeit herschrieben, hatten ihm (mit oder ohne Grund) die Gemüther abgewandt.
        Persönlich erinnere ich mich eines Streites mit ihm, wo er allen Anlagen von Chausseen
        widersprach, weil der Feind dadurch schneller ins Land komme.  Für den
        Minister Dohna war der Abschied ebenfalls schon gefertigt; da er aber gegen Hardenberg
        aufs äußerste seine Bereitwilligkeit versicherte, auf die neuen Ansichten einzugehen, da
        er behauptete, nur durch das Finanzministerium in der Ausführung gehindert zu sein, so
        ward seine Entlassung nicht ertheilt;  ein Versehen, wie sich bald ergab. 
 \1\ Nach Hardenbergs Erzählung.
 
 
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