Friedrich v. Raumer, Lebenserinnerungen und Briefwechsel. 2 Bde. (Leipzig:
Brockhaus 1861), Bd. 1, 107-112
Verbindungen zu Hardenberg
So war ich (was ich in meinem wusterhausenschen Patmos gar nicht hätte ahnden können)
Tag und Nacht mit den wichtigsten Regierungsangelegenheiten beschäftigt, voll
unermüdlichen Eifers, beseelt von der redlichsten Gesinnung; aber der Erfolg war so
gering, daß statt der Freude Kummer hervortrat, die Hoffnung verschwand und ich
sehnsüchtig der zur Seite geworfenen wissenschaftlichen Arbeiten gedachte. Deren Zeit war
aber noch nicht gekommen, und ein unerwartetes Ereigniß <108:> warf mich noch
einmal mitten in den Kampf und Strudel der Geschäfte.
Ich erhielt von dem mir
persönlich ganz unbekannten Freiherrn von Hardenberg die Aufforderung, ihn in Lichtenberg
zu besuchen. Gleich beim Eintritt erwähnte er lobend mein Buch über das britische
Besteuerungssystem, weit mehr Nachdruck aber legte er auf meine Beurtheilung der
Lombardschen Denkwürdigkeiten in den Heidelberger
Jahrbüchern. Ich habe sie, sagte er, mit größtem Beifall
gelesen, ehre Ihre Ansicht, Ihre Gesinnung, die Kraft Ihres Ausdrucks. Ich muß Sie
festhalten in meiner Nähe. Diese mir unverständlichen Worte wurden
deutlicher, als er hinzufügte: er wolle mir wichtige Sachen zur Bearbeitung
übertragen. Als ich hierauf bemerkte: ich sei in Berlin so mit Geschäften
überhäuft, daß es mir unmöglich erscheine, irgendeine andere neue Arbeit zu
übernehmen, zeigte er mir einen königlichen Befehl, wonach alle Behörden angewiesen
wurden, ihm jede verlangte Auskunft zu ertheilen und ihm freigestellt ward, Beamte zur
Bearbeitung der Sachen nach Belieben auszuwählen. Da diese Stellung vor der Hand noch ein
Geheimniß bleiben sollte, mußte ich mich in Berlin, so gut es gehen wollte, mit den
Geschäften abfinden. In der That entschied jene Recension nicht blos über meine nächste
Thätigkeit, sondern über den ganzen Gang meines Lebens. Um die Verabschiedung der
bisherigen Minister und die Anstellung des Freiherrn von Hardenberg als Staatskanzler zu
verstehen, ist es aber nothwendig, etwas umständlicher über die damalige Lage der Dinge
zu sprechen. Nur von den auswärtigen Angelegenheiten schweige ich, da meine Ansichten
hierüber in der soeben erwähnten Recension hinreichend genug dargelegt sind.
Die Lage des preußischen
Finanzministers nach dem Tilsiter Frieden war höchst schwierig. Zu den großen laufenden
<109:> Bedürfnissen, den Pensionen, den Ausgaben zur Herstellung des Zerstörten,
zu den alten bedeutenden Staatsschulden kamen so viele Provinzialschulden und die
Verpflichtung, an Frankreich eine Kriegssteuer zu bezahlen, welche alle Kräfte des Staats
weit zu übersteigen schien. Doch verzweifelte man nicht, sondern begann das Werk mit
Ernst und Redlichkeit. Zwei Wege boten sich dar die Geldmittel herbeizuschaffen: durch
Steuern oder durch Anleihen. Jene würden (das fürchtete man) dem erschöpften Lande die
letzten Mittel entziehen, um sich aus der Zerstörung wieder emporzuarbeiten, und dennoch
nie zureichen, um so ungeheuere Forderungen der Sieger zu befriedigen. Deshalb wandte man
sich zu den Anleihen und hoffte besonders aus Holland viel gegen Verpfändung von Domänen
zu erhalten. Aber der Plan misglückte, zum Theil unleugbarer Misgriffe halber; mehr aber
noch, weil die Hauptbedingungen fehlten, von welchen das Gelingen großer, freiwilliger
Anleihen immer abhängt, nämlich Macht und Unabhängigkeit des Staats, Festigkeit der
Verfassung, Reichthum der Hülfsquellen, Sicherheit gegen neue dringendere Bedürfnisse.
Hieran reihten sich
mancherlei allgemeine Betrachtungen. So behauptete man: durch die Anleihen geschieht nur
das Gerechte, nämlich die Vertheilung der außerordentlichen Bedürfnisse eines
Augenblicks auf die Zeit hinaus, wo sie nicht mehr stattfinden
werden. Man entgegnete: für diese Zukunft, dies Nichtbedürfen, hat man
keine Gewähr. In der Regel treten außerordentliche Beschlüsse immer wieder, und
wol noch mächtiger hervor; und dann hat offenbar das gegenwärtige Geschlecht auf
Unkosten der kommenden Geschlechter gelebt. Dessenungeachtet dürfen die Lebenden
keineswegs Vaterland, Freiheit, Unabhängigkeit aufgeben, um nur nicht das Gut der Enkel
zu beschränken. Als wenn überhaupt ein Gut, ein echtes Dasein für diese noch möglich
sei, sobald jene <110:> Lebensquellen preisgegeben werden; als ob der Fluch der
Enkel bei umgekehrtem Verfahren die Vorältern nicht noch viel schwerer treffen würde.
In der Theorie ließ sich die
holländische Anleihe vertheidigen; ihr Hauptfehler war, daß sie (trotz verkehrter,
höchst lästiger Bedingungen) praktisch nichts oder doch nur eine zur Zahlung der
Kriegssteuer ganz unzureichende Summe einbrachte. Immer lebhafter ward deshalb behauptet:
sowie der Einzelne und ein ganzes Volk sich zunächst moralisch auf eigene Kraft und
festen Willen verlassen solle, so müsse man auch finanziell zuerst jedes einheimische
Hülfsmittel ergreifen. Mit Künsten der Banken sei jetzt nichts auszurichten und anstatt
auf fremde Handelsplätze und Curszettel hinzusehen, solle man im Innern neue Kräfte
wecken und in Bewegung setzen. Bloße Finanzmaßregeln könnten nicht zum Ziele führen,
man müsse die Dinge von mehreren Seiten und in größerem Sinne und Style angreifen. Gewinnt, rief ich nebst
Gleichgesinnten, das Volk für die Regierung, erzeugt Vertrauen, beseitigt die
Grundübel, welche alle Thätigkeit, Landbau und Gewerbe hemmen, berichtigt die verkehrten
Besteuerungsarten, hindert, daß sich ganze Klassen von Einwohnern der Bezahlung
entziehen, vereinzelt nicht die Kräfte und Lasten der Landschaften, bedrückt nicht die
eine, während ihr die andere schont. Die hin und wieder geäußerte Meinung: eine neue
Landabtretung sei vortheilhafter, als die geforderte höchste, innere Anstrengung,
beweiset, daß man die Einheit des Staats, die Anhänglichkeit des Volks viel zu gering
anschlägt und mit den edelsten Gütern nur schachern will. Jedenfalls würde dem Kaiser
das abgetretene Land die geforderten Summen eintragen; daß er aber dieselben aus Milde
und Barmherzigkeit erlassen werde, ist eine durchaus leere und trügerische
Hoffnung.
Bei den ängstlichen
Erklärungen des Finanzministers und den gegründeten Einreden gegen seine ungenügenden
Maß- <111:> regeln, wuchs das allgemeine Mistrauen und die Anmaßung mancher
unberufenen Rathgeber. Erheblicher war ein von dem Fürsten von Wittgenstein dem Könige
überreichter Finanzplan, des Inhalts: 1) 20000 Einwohner der Monarchie zahlen jeder
1000 Thaler in Geld und 4000 in Staatspapieren; macht 100 Millionen, oder mehr als man braucht und verlangt. 2) Über die 100
Millionen werden Staatspapiere angefertigt und mit fünf Procent verzinst. Herr von
Altenstein behandelte diesen ihm zur Prüfung vorgelegten Plan wegwerfend und bewies seine
völlige Unausführbarkeit. Insbesondere erschien die vom Fürsten ausgesprochene Absicht,
die neuen Staatspapiere nöthigenfalls durch Bajonette auf oder über Pari zu
erhalten, ganz thöricht. Als der König mit Recht Wittgensteins Plan verwarf,
behauptete dieser, daß der damals verabschiedete Minister Hardenberg damit einverstanden
sei. Später ergab sich, daß dies nicht der Fall war, doch befahl der König: Hardenberg
(zu dem er stets großes Zutrauen gehegt) solle über die Lage der Finanzen und die
anzuwendenden Hülfsmittel ein Gutachten abgeben. Ehe ich die Erzählung weiter
fortführe, ist es rathsam zu erwähnen, wie sich gleichzeitig die Dinge im Ministerium
für das Innere gestalteten.
Der Minister Dohna, welcher
an der Spitze desselben stand, war ein Mann von der größten Redlichkeit, von dem
edelsten, besten Willen, aber dennoch nicht geeignet, in den damaligen, höchst
schwierigen Verhältnissen wahrhaft zu leiten und zu herrschen. Er verkam in Nebendingen,
war nicht im Stande große Ansichten in sich aufzunehmen und gründliche Verbesserungen zu
wagen. Er war in ewigen Bedenken und Zweifeln befangen und sprach mit Ergötzen von den
schönen Vorarbeiten in den dicken Acten; allein während seiner ganzen Verwaltungszeit
kam keine einzige große Maßregel zum Vorschein. Weil er alles aufs beste machen wollte,
that er nicht einmal das Nothwendige, und man konnte bei ihm füglich <112:>
Napoleons Ausspruch anwenden: Le meilleur est lennemi du bien!
Von allen Seiten hörte Dohna (z. B. über die Mängel der Communal- und ständischen
Verfassung) klagen, sodaß er zuletzt mitklagte und von Verbessern sprach; obgleich er
nicht einsah, was eigentlich fehle und wie oder wo zu bessern sei. Sieben Plane darüber
lagen schon in den Acten vergraben; gegen alle hatte der Minister große Bedenken, er
meinte, man komme in dem Maße der Wahrheit näher, als man Meinungen aufstapele. Deshalb
berief er den Präsidenten Borsche aus Stargard: dieser sollte, als ehemaliger königlich
westfälischer Präfect, einen Plan zur Einführung der Gensdarmerie entwerfen und das
achte Gutachten über ständische und Communalverfassung abgeben. Das letzte fiel wieder
nicht nach Dohnas Wunsch aus, auch war es in der That viel zu französisch und
westfälisch abgefaßt. Er ersuchte mich, ihm hierüber auch meine Gedanken mitzutheilen,
was gewiß auch nicht zum Ziel geführt hätte. Mit Recht war Dohna den demokratischen
Thorheiten der frühern französischen Revolution abgeneigt; in einseitigen
aristokratischen Ansichten war er jedoch befangen, wenn er in einer Separationsordnung
(welche Jahr und Tag bei den Ministerien umherkreisete) den Bauern nicht einmal das Recht
verstatten wollte, auf Ablösung ihrer Dienste anzutragen!
Emendationen
und] und und D
braucht] brancht D
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