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(Wilhelm Traugott Krug:) Meine Lebensreise. In sechs Stazionen zur Belehrung der Jugend und zur Unterhaltung des Alters beschrieben von URCEUS. Nebst Franz Volkmar Reinhard’s Briefen an den Verfasser (Leipzig: Baumgärtner 1825), 139-141, 344f.

Wilhelm Traugott Krug und Wilhelmine v. Zenge

Von der Zeit an ging es mir in Frankfurt recht wohl. Durch Vorlesungen, welche dort besser als in <140:> Wittenberg bezahlt wurden, und durch Schriftstellerei, die jetzt mehr als früher einbrachte, weil die Verleger nun besser honorirten, gewann ich mein anständiges Auskommen. Nur häuslich fühlt’ ich mich unbefriedigt. Das vereinzelte Mannsleben, die Junggesellen-Wirthschaft behagte mir je länger je weniger. Anfangs warf ich meine Augen auf eine schöne Jüdin, die aber bald darauf starb. Nun hatt’ ich im Hause des oberwähnten Generals nach und nach mehr Zutritt gefunden. Hausvater und Hausmutter schienen mir höchst ehrwürdig, die Töchter, deren nicht weniger denn sieben waren von 22 bis zu 2 Jahren, sehr liebenswürdig. Es war ein musikalisches Haus; daher wurden zuweilen kleine Konzerte gegeben, an denen ich mitspielend theilnahm. Die älteren Töchter sah’ ich auch oft bei einem Prediger, Namens Ahlemann, der sie unterrichtet hatte und mein vertrauter Freund war. Was Wunder, daß unter diesen Umständen eine neue Zuneigung aufkeimte! Die älteste Tochter gefiel mir vornehmlich wegen ihrer sanften Gemüthsart (womit ich aber keineswegs gesagt haben will, daß die übrigen weniger sanft gewesen wären – man entdeckt nur nicht alles sogleich, weil man oft blind ist). Ich glaubte auch zu bemerken, daß ich jener nicht gleichgültig wäre. Ich bot ihr daher die Hand und sie nahm sie an. So knüpfte sich ein ehelicher Bund, dessen Frucht sechs Kinder gewesen, wovon noch vier (drei Söhne und eine Tochter) am Leben sind. Mehr <141:> davon zu sagen, verbietet mir die Bescheidenheit meiner Gattin, die noch unter den Sterblichen wandelt, während ich hier oben sitze und mein irdisches Leben beschreibe.
Nachdem der Bräutigamsstand, der etwas lange dauerte, weil meine Braut erst ihre Stelle im Fräuleinstifte Lindow bei Ruppin zu veräußern hatte und sich nicht gleich eine passende Gelegenheit dazu fand – und der Polterabend, der unter mancherlei Scherzen schnell verflog – und die Hochzeit, die sehr glänzend, aber darum nicht vergnüglicher war – und die Flitterwochen, von denen man eben so wenig als aus der Schule schwatzen soll, da sie selbst eine Schule für die angehenden Ehegatten sind, oder auch eine Probezeit, wo die Neuvermählten gleich den Schnecken ihre Fühlhörner gegen einander ausstrecken, um zu erkunden, was sie denn eigentlich an einander haben und wie sich wohl ihr künftiges Geschick gestalten werde – nachdem, sag’ ich, alle diese Dinge glücklich vorüber waren, und nachdem endlich auch der erste Sprössling dieser Ehe sich zu gebürlicher Zeit in der Welt der Erscheinungen eingefunden hatte: so bekam ich auf einmal einen doppelten Ruf ins Ausland nach ganz entgegengesetzten Richtungen.

<344f., „Verbesserungen und Zusätze“:>
S. 141. Z. 4. von oben <= Absatz> ist noch Folgendes beizufügen: Ich bin hier eine Art von réparation d’honneur den Berlinerinnen schuldig, von denen ich früherhin viel Böses gehört und auch wohl, wie man in solchen Dingen oft sehr leichtsinnig ist, nachgesagt hatte. Ebendarum hatt’ ich mir fest vorgenommen, die Berlinerinnen wie die Pest zu fliehen und ums Himmelswillen keine von ihnen zu heirathen. Nun fügt’ es sich aber durch ein seltsames Geschick und gleichsam zur Bestrafung meines Frevels, daß ich auf meine ganze Lebenszeit in das Garn einer Berlinerin fiel. <345:> Denn meine Frau war in Berlin nicht nur geboren, sondern auch erzogen, und eine so echte Berlinerin, daß sie noch, als ich ihre Bekanntschaft machte, zuweilen mich statt mir sagte, wie die Dresdnerinnen umgekehrt zuweilen mir statt mich sagen (was ich übrigens auf beiden Seiten für keinen Fehler halte, wenn es aus einem weiblichen Munde kommt; denn da die Weiber schon von Natur ihre eigne Logik haben, so dürfen sie auch von Gottes und Rechts wegen ihre eigne Grammatik haben). Es hieß also auch bei meiner Verheirathung, wie fast immer im menschlichen Leben: „Der Mensch denkt, aber Gott lenkt.“ Indeß hat es mich nicht gereut, daß Gott anders lenkte, als ich dachte. Denn ich habe gefunden, daß man in Ansehung der Berlinerinnen mich falsch berichtet oder vielmehr den bekannten Fehlschuß vom Besondern aufs Allgemeine gemacht hatte.


Frankfurt] Krug trug sich am 3. 12. 1801 als „Professor philosophiae extraord.“ in das Inskriptionsalbum der Viadrina ein. (Paul Hoffmann, Wilhelmine von Zenge und Heinrich von Kleist, in: The Journal of English and Germanic Philology 7 [1907/08], 99-118; hier: 103)
Generals] Hartmann v. Zenge
22 bis zu 2 Jahren] demnach hätte die erste Begegnung zwischen Wilhelmine v. Zenge und Krug, in Ahlemanns Haus (>> ), frühestens im September 1802 (nach Wilhelmines Geburtstag) stattgefunden; Hoffmann (Wilhelmine von Zenge und Heinrich von Kleist, 103) datiert diese Begegnung auf April 1802 (nach Emilie v. Zenges Geburt).

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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