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[ APPENDIX: MATERIALIEN ]

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Karl Wilhelm Ferdinand v. Funck, Robert Guiscard Herzog von Apulien und Calabrien, in: Die Horen 9 (1797), 1. Stück, 1-58; 2. Stück, 1-33; 3. Stück, 1-14; darin: 1. Stück, 35-42

Robert, mit dem Besitz von Messina, das ihm zu jeder Zeit den Übergang nach Sicilien sicherte, zufrieden, kehrte wieder nach dem festen Lande zurück, und dehnte seine Eroberungen in den Provinzen der Griechen am Adriatischen Meere aus. Er drang in dem Lande von Otranto bis nach Oria vor, und bemeisterte sich der durch ihren Hafen berühmten Stadt Brindisi. Der Schutz, den die byzantinischen Statthalter bey mehr als einer Gelegenheit seinen Feinden gewährt hatten, gab ihm einen Vorwand sie anzugreifen, und die Ausführung seines festen Plans, sie ganz aus Italien zu vertreiben, wurde nur durch einen Bürgerkrieg aufgeschoben, den er sich durch wiederholte Ungerechtigkeit gegen seinen Bruder zuzog.
Roger hatte durch verschiedne glückliche Streifzüge in Sicilien immer mehr Land und selbst einige feste Plätze gewonnen, aber aus keiner seiner Unternehmungen leuchtete die Absicht hervor, sich der Vasallen-Pflicht gegen seinen Bruder zu entziehen. Um so mehr glaubte er sich berechtigt, den Besitz des Landstrichs, welchen ihm der Herzog feierlich versprochen hatte, zu fodern. Noch immer war <36:> das Schloß Melito sein ganzes Eigenthum, und Robert wich der Erfüllung ihres Vertrags schon seit mehrern Jahren durch leere Entschuldigungen aus. Roger wiederholte jezt seine Foderungen dringender als jemals, weil er sich mit einem Fräulein aus edlem normännischen Geblüt vermählt hatte, und sich schämen mußte, ihrem ansehnlichen Brautschatz nichts als ein armseeliges Bergschloß gegenüberstellen zu können. Aber Robert war gegen jede Vorstellung taub, und der Versammlung des Adels, welcher der gekränkte Roger seine Rechte vorstellte, fehlte der Muth, gegen den gefürchteten Herzog einen Ausspruch zu thun.
Voll Zorns gieng nun Roger nach Melito, und setzte eine Frist von 40 Tagen, nach deren Ablauf er die Waffen gegen seinen Bruder ergriff. Der Herzog säumte nicht, mit einer weit überlegnen Macht gegen ihn auszuziehen, aber er hatte es mit einem Helden zu thun, der seinen Angriff nicht hinter den Mauern einer Festung erwartete, sondern kühn genug war, ihm im ofnen Felde zu begegnen. Selbst ein viertägiges Fieber, welches Rogern befallen hatte, konnte seinen Muth nicht schwächen. Er bemächtigte sich der Pässe des Gebirges, und hinderte seinen Bruder, durch eine vortheilhafte Stellung auf den Höhen, ihm die Zufuhr abzuschneiden. Robert mußte sich nun zu einer beschwerlichen und langweiligen Belagerung entschliessen, deren Geschichte auffallende Beispiele des damals schon unter den Normannen herrschenden Rittergeistes giebt. Die Krieger beider Theile hatten eine Reihe glück- <37:> licher und ruhmvoller Feldzüge miteinander gethan; durch die stärksten aller Bande, der Waffenbrüderschaft und der Erinnerung an gemeinschaftlich überwundne Gefahren verbunden, stehen sie jetzt feindselig gegen einander. Hier ist es nicht Hofnung der Beute oder die Aussicht auf Eroberungen, welche sie ins Feld führt, es ist das Gefühl der Ehre, welches sie fest an die Vortheile ihrer Anführer kettet; das Verderben des Gegners bleibt nicht mehr der einzige Zweck der Kämpfer und der Krieg veredelt sich zu einem Wettstreit um den Preis der Tapferkeit.
Täglich sieht man die Heere in Schlachtordnung ausrücken, aber ohne handgemein zu werden, begnügen sie sich, gegenseitig ihre Geschicklichkeit in den Übungen des Krieges zu zeigen. Einzelne Ritter sprengen vor, und fodern aus der gegenüberstehenden Schaar einen Bekannten, einen alten Waffengenossen zum Zweikampf heraus. Nur als Zuschauer nehmen die Übrigen an dem Gefecht Antheil, aber dieser ist um so lebhafter, je mehr die Uibung der einzigen Kunst, die sie treiben und ehren, ihre Aufmerksamkeit reizt. Hingerissen von dem anziehenden Schauspiel verstummt der Parteygeist, die Feldherrn selbst theilen gerechten Beifall aus, und nicht selten belohnt das Jubelgeschrey beider Heere die Geschicklichkeit oder den Muth des Uiberwinders.
Der Ruhm allein, im Angesicht so vieler Helden zu siegen, beseelt die Kämpfer, selten greifen sie zu dem Schwerdt, die Lanze entscheidet, und den Überwundenen erwartet ehrenvolle Gefangenschaft. Ohne Verabredung <38:> entstehen die Gesetze der Kampfbahn, und nur ein einzigs Mahl werden sie durch einen unglücklichen Zufall verlezt. Arnold, der Bruder von Rogers Gemahlinn, ein junger, liebenswürdiger Ritter, sinkt, von einem tödlichen Lanzenstoß getroffen, zu Boden. Bey dem Anblick des blutenden Leichnams, den der Sieger mit sich ins Lager nehmen will, reißt der Schmerz die Belagerten hin. Es entsteht ein Streit um den Todten, woran erst nur einzelne Krieger, bald aber die ganzen Heere Theil nehmen. Nach einem hitzigen Gefecht, in welchem viel Blut vergossen wird, bleiben endlich die Belagerten im Besitz der Leiche, aber beschämt, als hätten sie das Heiligthum der Schranken gebrochen, kehren sie mit ihr in die Stadt zurück, und in Roberts Lager fliessen so gut Thränen um Arnolds Tod, als in dem Schlosse Melito.
Der Herzog selbst bedauerte ihn, und bey der Wendung, welche der Krieg nahm, reuete es ihn, zu weit gegangen zu seyn, um jetzt noch mit Ehren zurücktreten zu können. Er hatte nicht die Absicht gehabt, seinen Bruder zu Grunde zu richten, sondern nur, ihn zu unbedingter Unterwerfung zu nöthigen. Eine förmliche Belagerung lag nicht in seinem Plan, er begnügte sich nach damaliger Sitte, die Stadt durch zwey Castelle einzuschliessen, in welchen seine Truppen, gegen Ausfälle gesichert, den Belagerten die Zufuhr abschneiden sollten.
Roger vereitelte aber auch diese Maasregel, indem er mit seiner ganzen Macht bald das Eine, bald das Andre dieser Castelle beunruhigte, und in einer stürmischen <39:> Nacht verließ er mit hundert Reutern die Stadt und erschien vor Girace, dessen Einwohner auf seine Seite traten. Robert brach sogleich mit der Hälfte seines Heeres auf, um seinem Bruder den Rückweg abzuschneiden und die verlohrne Stadt sich wieder zu unterwerfen. Er verfehlte beide Zwecke, Roger war durch Gebirgswege auf einer andern Seite zurückgekehrt und Girace verschloß dem Herzog die Thore.
Ausser sich, über das Mislingen seiner Plane fühlte Robert die Unmöglichkeit, eine neue Belagerung anzufangen, ehe er die erste geendigt hatte. Eben so wenig konnte er sich überwinden, seinen Gegnern, die er mit so vielem Aufwand einzuschliessen suchte, einen so glänzenden Triumph zu lassen. Ihm zum Spott fast unter seinen Augen hatten die Belagerten sich einer fremden Stadt bemeistert; seine Ehre stand auf dem Spiel, und kein Preis schien ihm zu hoch, kein Wagstück zu kühn, um sie zu lösen. Er gieng nur einer noch grössern Demüthigung entgegen.
Ein reicher Grieche in Girace, Basil mit Namen, unterhielt ein geheimes Verständniß mit ihm, und versprach, ihm die Stadt zu verrathen. Robert vergaß seiner Würde, und schlich sich bey Nacht, in eine Mönchskappe gehüllt, in die Wohnung des Griechen, der sogleich mit ihm ausgieng, ihm die schwachen Stellen der Vestungswerke zeigte, und genaue Nachrichten von dem Zustande der Besatzung gab. Erst am frühen Morgen kehrten sie wieder in das Haus zurück, wo Robert bis zum Anbruch <40:> der folgenden Nacht sich verborgen zu halten gedachte. Ein Sklav, durch die Ehrfurcht, womit seine Herrschaft dem fremden Mönche begegnete, aufmerksam gemacht, betrachtete ihn genauer, und erkannte den Herzog. Er entdeckte das Geheimniß einer Frau, mit welcher er im vertrauten Umgang lebte, und in kurzem war es in der ganzen Stadt bekannt. Der Pöbel rottet sich zusammen, und fodert mit wildem Toben die Auslieferung des öffentlichen Feindes. Umsonst versucht der Grieche seine Mitbürger durch Zureden zu besänftigen, ehe noch sein Gast Zeit gewinnt, in eine Kirche zu entfliehen, sind Basil und seine Gattinn Opfer der Volkswuth geworden. Auch Robert wird ergriffen, und zu einem schmählichen Tode fortgerisssen. In diesen fürchterlichen Augenblicken rettet ihn seine Gegenwart des Geistes. Er erblickt unter den von fern stehenden vornehmen Bürgern einige, die ihm bekannt sind; plötzlich ruft er sie bey Namen, schleudert mit Riesenkraft die Nächsten, die ihn halten, zurück, und schreit dem Volke zu, indem er die Mönchskappe von sich wirft: „ja, ich bin Guiscard, aber hütet euch, mir ein Haar zu krümmen, meine Rächer sind auf euern Mauern.“ Der Pöbel stutzt, und glaubt sich verrathen; in dieser Zwischenzeit gelingt es den angesehensten Bürgern, sich der Person des Herzogs zu bemächtigen, und ihn gebunden in ein Gefängniß zu führen, wo er bis zu seiner Hinrichtung, welche das Volk noch immer mit großem Geschrey verlangt, aufbewahrt werden soll.
Nichts gleicht der allgemeinen Bestürzung, welche bey <41:> dieser fürchterlichen Nachricht das Lager ergreift. Im panischen Schrecken bricht ein Theil die Zelte ab, um zu entfliehen, andre wollen in blinder Wuth Sturm laufen. Nur mit Mühe halten die Befehlshaber ihre Truppen von zwey gleich verderblichen Entschlüssen zurück, aber ihnen selbst bleibt keine Zuflucht übrig, als zu der Großmuth Rogers. Eilende Bothen hinterbringen ihm die Gefahr seines Beleidigers. Er erscheint ohne Verzug vor Girace, und erhält leicht von den Bürgern die Auslieferung des gemeinschaftlichen Feindes. Doch kaum hat er das Schloß Melito erreicht, so setzt Roger den Gefangnen in Freiheit.
Kein Mißverständniß stöhrte ferner die Eintracht der Brüder. Der versprochne Antheil an Calabrien und die Eroberungen im Innern von Sicilien waren Rogers Eigenthum geworden, und jeder verfolgte nun auf einer andern Seite seine Entwürfe. Bey den wichtigsten Unternehmungen leisteten sie einander, als zwey durch gemeinschaftliches Interesse innigst verbundne Fürsten, wechselseitigen Beystand, und nur als Oberhaupt der Normannen und als Lehnsherr genoß der ältere Bruder einen Vorzug der Macht und des Rangs vor dem Jüngern.
Robert hatte sein Augenmerk besonders auf die Küsten des adriatischen und ionischen Meeres gerichtet, wo die Griechen, im Besitz der besten Seehäfen und einer Reihe volkreicher und blühender Städte, durch einen drückenden Alleinhandel seine Unterthanen von sich abhängig machten, und jedem Friedensstöhrer und Rebellen eine sichere Zuflucht in ihren Mauern öfneten. Bari war der Sitz des <42:> byzantinischen Statthalters und die Hauptstadt der kaiserlichen Besitzungen in diesen Gegenden. Sich zum Meister dieser Stadt zu machen, und die Griechen auf immer von der apulischen Küste zu vertreiben, war der große Plan, an dessen Ausführung Robert jetzt mit unermüdeter Anstrengung arbeitete.


Emendationen
überwundne] überwuudne D
und] uud D

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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