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[ APPENDIX: MATERIALIEN ]

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Karl Wilhelm Ferdinand v. Funck, Robert Guiscard Herzog von Apulien und Calabrien, in: Die Horen 9 (1797), 1. Stück, 1-58; 2. Stück, 1-33; 3. Stück, 1-14; darin: 1. Stück, 29-35

Richard Graf von Aversa und der vornehmste Adel der Normannen waren ihm dort schon zuvorgekommen, aber er hatte längst durch eine geheime Bothschaft alle Artikel mit dem Pabst in Richtigkeit gebracht. Unter prächtigen Festen wurde das neue Bündniß geschlossen, Robert, in dem Besitz der höchsten Würde unter den normännischen Grafen in Apulien und Calabrien, und der von ihm unabhängige Richard in dem Theil des Gebieths von Capua, welchen er dem Longobarden Landolph entrissen hatte, bestätigt. Auf die Rechte dieses Fürsten und Abälards, auf die lehnsherrlichen Ansprüche der deutschen und griechischen Kaiser, wurde keine Rücksicht genommen. Der Pabst umgürtete seinen Vasallen, nach normännischer Sitte, mit dem Schwerdt, steckte ihm den Ring an, und setzte das Baret auf sein Haupt; auch der italiänische Gebrauch, ihm das Panier in die Hand zu geben, wurde nicht vergessen, und Robert feierlich zum Gonfalonier der Kirche ernannt.
Die Grafen der Normannen mußten ihren Unwillen <30:> unterdrücken, da Robert jetzt in den Augen der Nation mit einem unbezweifelten Recht ihr Oberhaupt war. Aber er selbst hinderte den Eindruck, den diese feierliche Handlung zu seinem Vortheil gemacht hatte, durch kleinliche Eifersucht. Mistrauisch gegen einen jüngern Bruder, dessen Edelmuth er nicht kannte, uneingedenk der wichtigen Dienste, welche dieser junge Held ihm geleistet hatte, suchte er ihn mit Gewalt in die Niedrigkeit zurükzudrücken. Die Vermittlung gemeinschaftlicher Freunde wurde mit Unfreundlichkeit abgewiesen, und er erröthete nicht, sich derselben Ungerechtigkeit schuldig zu machen, über die er zu Humphreds Zeiten so bitter geklagt hatte. Roger gerieth dadurch in einen so drückenden Mangel, daß er sich genöthigt sah, mit seinem Waffenträger Pferde zu stehlen, um nur den nothdürftigen Unterhalt zu gewinnen. Zweimahl verließ er den Hof, und fand eine gastfreie Aufnahme bey seinem Bruder Wilhelm, der im diesseitigen Principato ansehnliche Güter besaß. Er that von hier aus häufige Einfälle in Roberts Besitzungen, und nahm mit Gewalt, was unbillige Kargheit seinen Bitten versagte. Endlich mit Mühe und fast gezwungen überließ ihm dieser das Schloß Melito als Eigenthum, und versprach, nach der Eroberung Calabriens ihm das Land, welches jenseits der Gebirge sich von Sqillace bis Reggio erstreckt, abzutreten.
Die Folge dieses Vergleichs war die Einnahme von Reggio, welches beide Brüder gemeinschaftlich belagerten. Eine reichere Beute, als die Normannen noch jemals ge- <31:> macht hatten, ward ihnen durch die Eroberung der Hauptstadt Calabriens zu Theil. Sie erstaunten über die Macht und die Schätze eines Handelsplatzes, der an Grösse und Volksmenge alle ihre Städte in Apulien weit übertraf, und die Eroberung, an welcher sie seit dem ersten fehlgeschlagnen Versuch gänzlich verzweifelt hatten, schien ihnen ein Wunder, das nur der überlegne Genius ihres Feldherrn möglich machen konnte. Wilde Freude und unbegränztes Zutrauen zu ihrem Anführer erfüllten die Herzen aller Krieger, und im Taumel des Siegs forderte er sie auf, ihm die herzogliche Würde, welche er schon zu Melfi von dem Pabst erhalten hatte, zu bestätigen. Sie willigten jubelnd ein, und Robert, der jezt aus seinen Eroberungs-Planen kein Geheimniß mehr machte, führte von nun an den Titel: Von Gottes und Sanct Peters Gnaden Herzog von Apulien und Calabrien und in Zukunft von Sicilien.
Durch die Annehmung eines Titels, welcher allen Schein der Gleichheit zwischen ihm und den zwölf normännischen Grafen aufhob, hatte er die Grossen der Nation, die schon längst mit seiner Herrschaft unzufrieden waren, auf das äuserste gegen sich erbittert. Aber der Liebe des gemeinen Volks, und der Ergebenheit seines Heeres versichert, trozte er allen Angriffen seiner Feinde. Umsonst beriefen sie sich auf die Verfassung des Freistaats, welche Robert verlezt hatte; die Normannen waren eine Nation von Kriegern, auf dem Wahlplaz war ihre Verfassung gegründet worden, auf dem Wahlplatz, meinten sie, könne <32:> sie auch geändert werden. Freilich war das Heer, welches ihn zum Herzog ausgerufen hatte, nur ein kleiner Theil der Nation, aber eben durch diese gesezwidrige Handlung fand es sich innig in Roberts Schicksal verflochten. Robert kam durch einen schnellen Angrif den Zurüstungen seiner mächtigsten Gegner zuvor, und in kurzer Zeit blieb den Anführern nur die Wahl zwischen Unterwerfung oder freiwilliger Verbannung.
Bei allen diesen Unruhen hatte Robert keinen Augenblik seine fernen Entwürfe aus dem Gesicht verlohren. Sein Leben war ununterbrochene Anstrengung; im Kampf mit seiner Nation, deren größter Theil wiederstrebend seine Herrschaft trug, unternahm er es, sie wider ihren Willen zu seinen Zwecken zu bilden. Mitten unter den Stürmen der Rebellion schuf er sich eine Flotte. Die Einwohner von Reggio hatten einen einträglichen Handel an der italiänischen Küste und nach den Inseln des mittelländischen Meeres getrieben; die Schiffe, die er in ihrem Hafen fand, wurden der Anfang der normännischen Seemacht und mit unermüdetem Fleiß bemühete er sich, sie in den besten Stand zu setzen.
Während der Abwesenheit des Herzogs wagte Roger sich zum erstenmahl auf die See. An der Spitze von hundert und sechzig Reutern schifte der kühne Freibeuter auf flachen Booten über die gefährliche Meerenge, schlug die Messineser, die ihn angegriffen hatten, in die Flucht, trieb bis an das Vorgebirge Milazzo Brandschazungen ein, und kehrte, mit Beute bereichert nach Reggio zurück. <33:>
Humen Beg, ein Saracenischer Emir, der von seinem Oberherrn Ben Hamed beleidigt worden, und nach dem festen Lande übergegangen war, begleitete ihn auf diesem Zuge. Von ihm erfuhr Roger genauere Nachrichten von dem innern Zustand Siciliens. Diese fruchtbare Insel, welche seit zwey Jahrhunderten dem Szepter der mahomedanischen Eroberer gehorchte, würde dem Glauben und den Waffen dieser unwiderstehlichen Schwärmer den Weg nach der Hauptstadt des Abendlandes gebahnt haben, wenn nicht das Reich der Caliphen unter seiner eignen Last gesunken wäre. Spanien, Africa und Ägypten hatten sich von dem Thron von Bagdad losgerissen, und die Sicilianischen Emire wurden von ihren africanischen Oberherren unabhängig. Doch blieb die Verbindung mit ihren entfernten Glaubensgenossen noch stark genug, um den Gewerben, dem Handel und den Wissenschaften, die unter den fatimistischen Caliphen in Africa wieder aufgelebt waren, den Eingang in Sicilien zu eröfnen. Die Schule zu Mazara bildete Redner, Ärzte und Mathematiker, und durch einen blühenden Handel hob sich Palermo zu dem Rang einer der mächtigsten Städte am mittelländischen Meere. Aber mit der verbesserten Kultur waren auch alle Laster der Üppigkeit und der Schwelgerey zu den Sicilianern übergegangen, und die Nerven der Regierung in den Händen weibischer Regenten erschlafft. Unfähig des Genusses einer gesetzmäßigen Freiheit zerfielen alle von den Arabern gestifteten Reiche durch Anarchie und Bürgerkrieg, sobald die eisernen Bande des religiösen Despo- <34:> tismus aufgelöst waren, welche den Gehorsam der entfernten Befehlshaber an den Thron des Beherrschers der Gläubigen ketteten. Überall ahmten kleine Usurpatoren das Beyspiel der grösseren nach, auch in Sicilien gab es beynahe so viel unabhängige Emire, als Städte. Feindselig gegen einander und gegen ihr Oberhaupt, den Fürsten Palermos gesinnt, zerrütteten sie durch unaufhörliche innere Kriege die einst so glückliche Insel und versprachen den Waffen Roberts eine leichte Eroberung.
Er stieß im Frühling des folgenden Jahrs 1065 mit einem ansehnlichen Heer zu seinem Bruder, welcher alle Transportschiffe und Fischerkähne der Calabrischen Küste in dem Hafen von Reggio versammlet, und die nöthigen Vorräthe zu dem Feldzuge angeschafft hatte. Aber die Flotte der Messineser hielt die normännischen Fahrzeuge an der Küste eingeschlossen, und hinderte die Überfahrt. Roger sezte mit einem fliegenden Korps von dreihundert auserlesnen Rittern an einem andern Ort über die Meerenge, und überrumpelte Messina, dessen Vertheidiger alle auf den Schiffen waren. Sobald die Saracenische Flotte die Fahne der Normannen von den Mauern der Hauptstadt wehen sah, seegelte sie erschrocken nach Palermo, und Robert empfieng die Schlüssel von Messina noch an dem Calabrischen Ufer.
Beide Brüder drangen nun weiter in der Insel vor, und erhielten eine Botschaft von den Christen des Thals Denona, welche bisher unter der Herrschaft der Mahomedaner gelebt hatten, und sich jezt mit Freuden ihren <35:> Glaubensgenossen unterwarfen. Nur in der Kunst der Belagerungen schienen die Normannen ungeachtet der Bemühungen ihres Anführers noch sehr geringe Fortschritte gemacht zu haben. Ein kleiner Ort, Centorve ohnweit Catanea, widerstand ihrer Tapferkeit, aber in der Ebne des Thals Noto erfochten sie einen wichtigen Sieg über das Heer Ben Hameds, der mit zahlreichen Hülfsvölkern aus Africa ihnen endlich entgegen gekommen war.


Emendationen
und] uud D
normännischen] normäunischen D

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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