Karl Wilhelm Ferdinand
v. Funck, Robert Guiscard Herzog von Apulien und Calabrien,
in: Die Horen 9 (1797), 1. Stück, 1-58; 2. Stück, 1-33;
3. Stück, 1-14; darin: 1. Stück, 23-29
Verschiedne glückliche Umstände begünstigten seine ersten
Fortschritte. Noch hatte kein Staat in Italien den Grad der innern Festigkeit erreicht,
der es ihm möglich machte, sich mit Nachdruck den Unternehmungen eines Nachbars zu
widersetzen. Die Verfassung des alten longobardischen Reichs, welche Karl der Grosse
unangetastet ließ, war nach und nach von selbst zerfallen, und Anarchie herrschte in ganz
Italien, so wie die Zügel der Herrschaft in den Händen der Nachfolger des deutschen Otto
er- <24:> schlafften. In der Lombardey, wo die kaiserliche Gewalt sich noch am
nachdrücklichsten äuserte, rissen doch schon wechselsweise die Bischöffe oder kühne
Demagogen die Regierung einzelner Städte an sich, und noch war der Geist der
Municipalitäten nicht erwacht, der hier in der Folge so stolz das Haupt erhob. Die
Monarchen aus dem fränkischen Stamm, vor deren Gegenwart sich die trotzigsten
Aristokraten beugten, begnügten sich in der Entfernung mit den Zeichen eines scheinbaren
Gehorsams; in Rom selbst konnten sie die volle Gewalt Karls und der Ottonen nur an der
Spitze eines deutschen Heeres ausüben, durch unaufhörliche Schenkungen waren die
unmittelbaren Güter der Krone zersplittert, und der Beistand, den ein Kaiser von den
Italiänern erhielt, machte ihn mehr zum Haupt einer Faction, als zum Souverain. Die Macht
der Päbste lag noch in der Kindheit, weit entfernt, die Herrschaft über Rom und das
Land, welches sie durch die Freigebigkeit der Carolinger und der sächsischen Kaiser
besassen, auszuüben, mußten sie ihre Staatsklugheit aufbiethen, durch ein schlau
erhaltnes Gleichgewicht unter den Baronen der Hauptstadt und der umliegenden Gegenden ihre
Person und ihre Freiheit zu sichern. Erst während der stürmischen Minderjährigkeit
Heinrichs des Vierten legte der schöpferische Geist eines Kardinals den Grund zu der
künftigen Hoheit des Vaticans. Mit kühnem Muth verachtete Hildebrand die
Gefahren, welche der Person eines Pabstes drohen konnten, die päbstliche Würde zu
erheben war sein grosser Zweck. Nicht in den Aristokraten <25:> Roms, oder in
den tuscischen Grafen und Markgrafen, sah er seine Feinde, sondern in den Beschützern der
Kirche, den römisch-deutschen Kaisern. Indem er mit überlegter Klugheit die Ansprüche
des Souverains und des Volks bey den Wahlen Nicolaus und Alexanders des Zweiten gegen
einander bewafnete, entwand er beiden ihr Recht.
Dem
Aufblühen des normännischen Staats konnte er gleichgültig zusehen, noch hatte keine der
verschiednen Mächte im untern Italien ein entschiednes Übergewicht erlangt, und die
Normannen erkannten sich für Vasallen des römischen Stuhls. Von der Weichlichkeit der
Griechen, die sie haßten, angesteckt, schlummerten die longobardischen
Fürsten in den glücklichen Wohnsitzen Campaniens bey der drohenden Gefahr, so lange die
Waffen ihrer kriegerischen Nachbarn gegen die Unterthanen des byzantinischen Scepters
gerichtet waren, und die Monarchen des Orients wurden durch die Anfälle der Türken in
Asien, noch mehr aber durch innre Zerrüttungen ihres Reiches, abgehalten, ihre entfernten
italiänischen Provinzen mit Nachdruck gegen die Angriffe kühner Eroberer zu schützen.
Die
Unzufriedenheit der normännischen Grafen über Roberts Erhöhung war daher das größte
Hinderniß, mit welchem derselbe zu kämpfen hatte. Er sah die Nothwendigkeit ein, seine
Krieger unaufhörlich zu beschäftigen und führte sie, sobald er die dringendsten
Angelegenheiten der Regierung zu Melfi geordnet hatte, nach Calabrien. Der Zug gieng durch
die ihm unterworfenen Gegenden von <26:> Marturano und Consenza, wo er sich
jezt in der glänzenden Gestalt eines mächtigen Heerführers zeigte, bis in die von den
Normannen noch nie erreichte äusserste Spitze Italiens. Er durchstreifte den schmalen
Landstrich zwischen zwey Meeren von Girace bis Reggio, und nach einem fruchtlosen Versuch,
die Bürger des leztern Orts freiwillig zur Übergabe zu bewegen, führte er sein Heer mit
Beute bereichert nach Apulien zurück.
Ein
junger Held, dessen Ruhm in der Folge selbst Roberts Thaten verdunkeln sollte, begleitete
ihn auf diesem Zuge. Roger, der jüngste von Tancreds zwölf Söhnen, war vor
kurzem nach Apulien gekommen, und schon als ein blosser Ritter in dem Gefolge seines
Bruders erwarb er sich sowohl durch den Muth und die Klugheit, womit er jeden ihm gegebnen
Auftrag ausführte, als durch die Sanftmuth und Liebenswürdigkeit seines Characters die
Zuneigung aller Krieger. Robert schickte ihn im folgenden Jahre 1058, an der Spize von
sechzig Rittern wieder nach Calabrien, welches damals das Land war, wo alle Neuangekommene
unter den Normannen ihr Glück zu machen suchten. Roger drang auf der Bahn, die er vorher
unter seines Bruders Anführung betreten hatte, kühn bis an den Meerbusen der heiligen
Euphemia vor, und unterwarf sich die Gegenden von Monte Leone blos durch den Schrecken der
normännischen Waffen. Ein verschanztes Lager auf dem Gipfel des Gebirges erhielt das
flache Land in seinem Gehorsam, und er ließ dort seine Gefährten zurück, um mündlich
mit seinem Bruder <27:> die ferneren Maasregeln abzureden, und ihm das von den
umliegenden Orten erhobne Geld zu überbringen.
Er fand
ihn noch mit den Zurüstungen beschäftigt, welche die Eifersucht der Grossen seines Volks
ihm unendlich erschwehrt hatte. Durch die Kenntniß von ihrem üblen Willen vorsichtig
gemacht, suchte Robert immer mehr, sich fest mit den Eingebohrnen zu verbinden, um bey
ihnen im Fall der Noth Unterstützung gegen seine Landsleute zu finden. Ein
Gewissensscrupel über die zur rechten Zeit entdeckte Blutsverwandtschaft mit seiner
Gemahlinn, die ihm einen Sohn, Bohemund, gebohren hatte, diente ihm zum Vorwand,
sich von ihr zu scheiden. Durch grosse Geschenke ließ sich Alverada bewegen, gutwillig
der Nothwendigkeit zu weichen, und ihren Gemahl der Longobardischen Prinzessinn Gaita
oder Sichelgayta, einer Tochter Guaimars, Fürsten von Salerno, abzutreten. Sein
neuer Schwager, Gisulph, wurde durch die Schleifung einiger Schlösser, welche
Wilhelm von Hauteville in dem Gebieth von Salerno befestigt hatte, gewonnen, und um den
Verdruß der Normannen über dieses Opfer zu zerstreuen, nahm Robert den Griechen die
Stadt Troja in Capitanata weg. Die Einwohner, des byzantinischen Jochs überdrüssig,
unterwarfen sich ihm mit Freuden, aber er zog sich die Feindschaft des römischen Stuhls
zu, welcher ein Recht auf diese Stadt zu haben vorgab. Auf seine Weigerung, sie dem Pabst
abzutreten, that ihn Nicolaus II in den Bann.
Die
Frömmigkeit der Normannen konnte sie nie bewe- <28:> gen, eine Eroberung
herauszugeben, und Robert ertrug die Strafen der Kirche mit grossem Gleichmuth. Er trat
unbekümmert den Zug nach Calabrien an, und schloß Reggio ein, aber der Mangel an
Schiffen und Kriegsmaschinen vereitelte seine Entwürfe. Schon oft hatte er sich vergebens
bemüht, die Normannen zu überzeugen, daß, so lange sie nicht ein regelmäßiges
Fußvolk bilden würden, immer nur eine streifende Horde, nie eine Nation von Eroberern
werden könnten; der unglückliche Erfolg der Belagerung einer so wichtigen Stadt bewies
die Wahrheit seiner Behauptungen, aber sein eignes Beispiel und jede Art der Aufmunterung scheiterten an dem Ritterstolz eines
Volks, das den Kriegsdienst der Knechte verschmähte. Auch die griechischen Ingenieurs,
die er mit großen Kosten in seine Dienste zog, fanden ungelehrige Schüler an den
Normannen. Er wagte es daher noch nicht, eine große Stadt anzugreifen, und wendete sich
nach der Küste des ionischen Meeres, wo er eine Menge unbeträchtlicher Orte einnahm, um
nach und nach sein Heer, das hier eine weit ansehnlichere Beute fand, als in dem ofnen
Lande, an den Belagerungskrieg zu gewöhnen.
Eine
wichtigere Sorge rief ihn auf einige Zeit nach Apulien zurück. Die unzufriedenen Großen
suchten noch immer Unruhen zu erregen, und er fürchtete, daß der Bann der Kirche ihrer
Empörung bey dem Volke zum Vorwand dienen möchte. Durch die Vermittlung des Abts
Desiderius von Monte Casino wurde an einem Vergleich gearbeitet, zu welchem
Nicolaus II um so geneigter war, <29:> da er selbst gegen die unruhigen
Barone seiner Hauptstadt Hülfe bedurfte. Er hatte die apulischen Grafen zu sehr mit ihren
eignen Angelegenheiten beschäftigt gefunden, und der Beherrscher eines kriegerischen
Staats konnte ihm eine sicherere Stütze werden, als die uneinigen Häupter einer
stürmischen Aristokratie. Die Synode zu Melfi gab ihm einen Vorwand, in Person nach
Apulien zu kommen, und nichts war natürlicher, als daß Robert dahin eilte, dem heiligen
Vater seine Ehrfurcht zu bezeugen.
Emendationen
longobardischen] longodardischen D
Aufmunterung] Aufmunternng D
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