Karl Wilhelm Ferdinand
v. Funck, Robert Guiscard Herzog von Apulien und Calabrien,
in: Die Horen 9 (1797), 1. Stück, 1-58; 2. Stück, 1-33;
3. Stück, 1-14; darin: 1. Stück, 9-14
Er sagte aber keinem von diesen ein Wort, entließ sie zur
gewöhnlichen Stunde, und legte sich in Gegenwart seiner Bedienten zu Bette. Sobald alles
im Schlosse still <10:> war, stand er unbemerkt wieder auf, zog ein schlechtes
Kleid an, umwickelte seine Füsse mit einem Tuch, und gesellte sich in der Dunkelheit zu
den Calabresen, die singend und munter über die Berge hinkletterten. Bald aber folgte
tiefe Stille auf das laute Geschwätz, weil sie jetzt sich den feindlichen Wohnungen
näherten. Robert hatte die ganze Zeit über nicht gewagt ein Wort zu reden, um nicht
durch seine Stimme oder die fremde Mundart verrathen zu werden, und jetzt stiegen
beunruhigende Vorstellungen in seiner Seele auf, die ihn seinen Leichtsinn, nun es zur
Rückkehr zu spät war, bereuen ließen. Die Calabresen gehörten zu dem Volke, das er
unaufhörlich bekriegte; wollten sie treulos handeln, welchen Lohn durften sie nicht von
den Griechen für einen solchen Gefangnen erwarten! Ein unrühmlicher Tod oder Sklaverey
konnte die Folge seiner raschen Verwegenheit seyn, und Rettung war unmöglich. Kein Mensch
in der Burg wußte um seine Abwesenheit, keiner seiner Ritter würde ihn hier gesucht,
keiner diese versteckten Gründe gefunden haben. Nicht ohne Herzklopfen stieg er den
schroffen gewundnen Pfad, wo Einer dem Andern die Hände reichen mußte, hinab, und wurde
nur durch das Zeichen des Vordersten, daß sie an dem bestimmten Ort angekommen wären,
aus seinem Nachdenken gerissen. Man fand in dem Thale nicht nur Lebensmitteln im
Überfluß, sondern auch andre kostbare Beute. Alles, was fort zubringen ist, wird in
tiefster Stille aufgeladen, aber jetzt erst beginnt die größte Verlegenheit. Die
Calabresen, nach Rauben begierig, wollen nichts lie- <11:> gen lassen, und
Robert zittert, daß die sorglosen Hüther endlich erwachen möchten. Gewohnt, Befehle zu
geben, ergrimmt er über den unnöthigen Verzug, kaum kann er länger die peinigende
Ungeduld verbergen, und dennoch befiehlt ihm die Klugheit jetzt mehr als jemahls, sich
nicht zu verrathen. Durch heftige Gebährden, durch Winken mit dem Speer sucht er seine
Gefährten zur Rückkehr zu bewegen. Umsonst; sie fangen erst noch an, die verborgensten
Winkel zu durchsuchen. Endlich sieht er zu seiner großen Freude die Anstalten zum
Aufbruch, der von innen versperrte Ausgang wird leicht eröfnet, und sie kommen glücklich
ins Freie. Aber nun können die schwer beladnen Räuber nicht rasch genug vorwärts
schreiten, hinter ihnen entsteht Geräusch; und ehe sie noch die Hälfte des Weges
zurückgelegt haben, vernehmen sie deutlich das Schnauben der Pferde, und den Zuruf der
Nachsetzenden, die endlich ihren Verlust wahrgenommen haben. Robert, der der Tapferkeit
der Calabresen nicht trauet, beschließt sein Leben theuer zu verkaufen, aber in diesem
Augenblick hört er, daß sie sich untereinander aufmuntern, muthigen Widerstand zu thun,
und sich die Beute nicht wieder nehmen zu lassen. Jetzt glaubt er alles wagen zu dürfen.
Hier ist Robert, ruft er, indem er seine Beute abwirft und den Speer mit
beyden Händen ergreift, er hat eure Beschwerden getheilt, und wird es jederzeit
thun. Ohne ihn sollt ihr euch nie einer Gefahr aussetzen. Seyd getrost, wir werden die
Feinde schlagen. Mit diesen Worten rennt er einem der Beraubten, der ihm schon ganz
nahe ist, <12:> entgegen, durchbohrt ihn und bemächtigt sich seines Pferdes.
Die Feinde kommen aus der Fassung, Roberts Leute aber, durch sein Beispiel angefeuert,
thun einen muthigen Angriff. In wenig Minuten ist der Kampf entschieden. Die Nachsetzenden
fliehen und lassen verschiedene Todte und mehrere Gefangne zurück. Mit den erbeuteten
Pferden macht er einen Theil seiner Calabreser beritten, und eilt nun mit ihnen dem
Schlosse zu. Die Ritter waren schon in der größten Verwirrung über die Abwesenheit
ihres Anführers, den man im ganzen Schlosse vergebens gesucht hatte; desto lebhafter war
ihre Freude, da Robert voraussprengte, und sie den verlohren Geglaubten mit Beute
bereichert, wieder in ihrer Mitte sahen.
Das
Lösegeld der Gefangnen erhob den Muth der Besatzung, Überfluß folgte nun auf den
Mangel. Roberts Verwegenheit, welche ihm den Tadel einiger älteren Ritter zuzog, hatte
den glücklichen Erfolg, daß sie ihm die Herzen des gemeinen Volkes gewann. Verachtung
und Druck hatte die Calabrier zu Wilden gemacht, sie faßten Zutrauen zu einem Fremdling,
der Gefahren und Beschwerden mit ihren Brüdern theilte, und sie als freie Leute, nicht
als Sklaven behandelte. Schaarenweise kamen sie nach Sanct Marco und verlangten unter
seiner Fahne zu dienen.
Die
kleinliche Staatskunst der Griechen hatte sich selbst der festesten Stütze beraubt, indem
sie ein rauhes und kühnes Volk, zu dem die Weichlichkeit der Küstenbewohner noch nicht
hindurchgedrungen war, wehrlos machte. <13:> Unter Roberts Anführung zeigten
die Calabreser, daß sie nicht blos zu hinterlistigen Überfällen in unwegsamen Gebirgen,
sondern auch zum gleichen Kampf in der Ebne Muth hatten. Mit den Waffen gab er ihnen auch
das Gefühl ihres Werthes wieder. Sie halfen ihm seine Besitzungen in Calabrien ansehnlich
erweitern, und an dem blutigen Tage bey Civitade trugen sie nicht wenig zu der Rettung des
normannischen Staates bey.
Drogo
war als das Opfer einer Verschwörung gefallen, welche allen Anführern der Normannen in
Apulien den Tod drohete. Durch die schnellen und klugen Maasregeln Humphreds wurde die
Rebellion der longobardischen Unterthanen im Keime erstickt, und er selbst an seines
Bruders Stelle zum Oberhaupt der kriegerischen Aristokratie erwählt. Die
gemeinschaftliche Gefahr vergrößerte seine Gewalt, und sicherte sie ihm auch ferner, da Leo
IX im Einverständnis mit dem deutschen und griechischen Monarchen der ganzen Nation
den Untergang bereitete.
Dieser
kriegerische Papst wollte sich durchaus den Ruhm erwerben, die nordischen Eroberer aus dem
Garten Italiens vertrieben zu haben. Von einer Wallfahrt zu den Heiligthümern des Bergs
Gargano eilte er nach Deutschland zu Kaiser Heinrich dem Dritten, und das folgende
Jahr sah man ihn den Vorsitz in einer Synode zu Siponto mit der Befehlshaberstelle über
ein Heer in Schwaben vertauschen. Durch den Neid eines Nebenbuhlers wurde die Macht, mit
welcher ihm der Kaiser gegen die Normannen ausrüsten wollte, auf sieben bis achthundert
Deutsche ein- <14:> geschränkt, aber der griechische Katapan zu Bari versah
ihn reichlich mit Gelde, und er verließ sich auf den Beistand der Apulier und der
longobardischen Fürsten in Campanien, die ihm zahlreiche Hülfsvölker versprochen
hatten.
In der That wuchs auch sein
Heer mit jedem Schritt, den er von dem Fuß der Alpen durch zwey Drittheile der Länge
Italiens that. Der Ruf eines Papstes, der an der Spitze einer Armee gegen die Feinde des
Glaubens auszog, denn mit diesem Namen brandmarkte der Fluch des römischen Stuhls die
Normannen, lockte ein unzählbares Volk aus allen Ständen zu den Fahnen Sanct Peters.
Priester verließen den Altar, und umgürteten sich, nach dem Beispiel ihres Oberhaupts,
mit dem Schwerdt, und Straßenräuber und Mörder entsagten ihrem gefährlichen Handwerk,
um in diesem heiligen Kriege sich Schätze im Himmel und auf der Erde zu erwerben.
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