Eduard
v. Bülow (Hrsg.), Heinrich von Kleists Leben und Briefe.
Mit einem Anhange (Berlin: Besser 1848), V-XIV, 1-81, 274f.; darin: 58-62
Berlin 1810/1811
Wie sehr Kleists edles Gemüth jetzt schon zerrüttet war, erhellt
aus einem seltsamen Briefwechsel, den er im Jahr 1810 mit Herrn Friedrich von Raumer
führte, und dessen Inhalt mit kurzen Worten folgender.
Kleist hatte sich, um allerlei amtliche
Unterstützung seines Journales, an die Staats-Canzlei gewandt, und man würde nicht
abgeneigt gewesen sein, sie ihm zu gewähren, wenn nicht Kleists Verbindung mit Müller,
dessen zweideutige Gesinnungen gegen Preußen man wohl schon damals kannte, Hardenberg
bedenklich gemacht hätte. Wahrscheinlich fühlte Müller dies und reizte Kleist zu dem
Glauben, die Unterstützung werde von Niemand sonst als F. v. Raumer
hintertrieben, der in der Staatskanzlei arbeitete. Kleist schrieb also an denselben ein
paar heftige Briefe und forderte ihn zu einem Zweikampfe heraus. Raumer antwortete ruhig
und besonnen, indem er ihm das Unbegründete seines Verdachtes bewies, und Kleist schrieb
ihm nunmehr einen in demselben Grade demüthigen und abbittenden Brief, als er vorher grob
gewesen war. Gegen einen Vermittler, den Raumer Kleist zugeschickt, hatte derselbe unter
vielen Thränen persönlich Abbitte gethan. <59:>
Kurze Zeit nach diesem Vorfalle fand sich Müller bewogen, Berlin und
Preußen ganz zu verlassen.
Es ist mir interessant, daß Herr von Varnhagen meine eigene
Vermuthung, der so höchst sophistische Adam Müller habe nur ungünstig, besonders in der
letzten Zeit, auf Kleist einwirken können, in einem Briefe an mich bestimmt theilt, und
ausspricht, daß gerade der Umgang mit Müller ihn von dem Kreise abgehalten habe, der ihn
hätte retten können, nemlich von dem Staatskanzler, mit dem sich Müller in Feindschaft
gestellt hatte, indem er Kleist dem Kreise zuführte, in welchem er zu Grunde
ging. Es ist Herrn von Varnhagen auch keinem Zweifel unterworfen, daß die äußere Noth
und Hoffnungslosigkeit, in der sich Kleist befand, ihn am stärksten zum Selbstmord
getrieben, und daß er doch ohne die Gefährtin seines Todes, zu der ihn
Müller geführt, denselben nimmermehr vollbracht hätte.
Eine andere Unannehmlichkeit hatte Kleist um diese Zeit mit Iffland,
dem er als Direktor des Berliner Theaters das Manuscript seines Käthchens zur Aufführung
geschickt. Iffland verzögerte seine Antwort und seinen Entschluß wegen der Anfrage und
es wurde Kleist hinterbracht, daß er sich sehr geringschätzend über das Schauspiel
ausgesprochen habe. Kleist ließ also, in seiner Erbitterung, einen zweiten äußerst
groben und in einer so eigenthümlichen Weise beleidigenden Brief an Iffland abgehen, daß
ein Ehrenmann darauf kaum versöhnlich antworten konnte. Nichts desto weniger muß ich
gestehen, daß in dem mir vorliegenden demüthigen und feigen Briefe, mit welchem Kleist
sein Manuscript zurück- <60:> erhielt, der große Schauspieler keine
ehrenvolle Rolle spielt.
Als ein anderes Wahrzeichen von Kleists damaligem Geisteszustande ist
auch eines Briefes zu erwähnen, den er in diesem Jahre dem Maler Hartmann nach Dresden
schrieb, und durch die Post zugehen ließ, und wegen dessen Zweck und Inhalt ich mir
erlaube, als das bestbeglaubigte Zeugniß eine Stelle aus F. Launs Memoiren hier
anzuführen:
Kleist war der unversöhnlichste Feind der Franzosen, als
Unterdrücker Deutschlands und vor Allem des französischen Kaisers. Ihn aus dem Wege zu
räumen, durch welche Mittel es auch geschehen möchte, würde ihm für die höchste
Tugend gegolten haben, und als er Dresden verließ, befürchtete eben der Freund, dessen
Güte er seitdem mehrmals zum Vorlesen seiner neugeschaffenen Werke in Anspruch genommen
hatte, gar sehr, er könne in seiner Verblendung wohl so weit gegangen sein, selbst einen
rächenden Brutusarm gegen den neuen Cäsar zu erheben. Und kurz nach seiner Entfernung
von Dresden schon langt ein Brief an, worin Kleist seinen Freund ersucht, ihm eine
Quantität Arsenik zu besorgen und zuzusenden, da er an seinem jetzigen Aufenthaltsorte
keinen Arzt kenne, welcher ihm zu dergleichen behülflich sein würde; die Apotheker oder
andere den Artikel führende Gewerbtreibende aber ihn ohne besondere Ausweisung über den
Gebrauch als Nichtmediziner nicht verabfolgen lassen durften.
Der Beauftragte, in der festen Ueberzeugung, Kleist denke das
Gift nach dem Vollbringen des beabsichtigten Unternehmens im Nothfalle gegen das eigene
Leben anzuwen- <61:> den, gerieth natürlich in große Verlegenheit, wurde aber
bald mit sich einig, keinenfalls darauf einzugehen. Vielmehr suchte er ihm in einem Briefe
ausführlich darzuthun, daß Kleist, allen seinen Eigenschaften nach, sich durchaus nicht
eigne, die blutige Rolle mit Erfolg durchzuführen. Sodann behauptete er auch, in
Rücksicht des Ankaufs ganz in dem Falle zu sein wie er, und Niemand zu wissen, durch den
er ihn könne bewirken lassen.
Hierauf aber erhält er mit Stafette einen zweiten Brief. Die
Bedenken wegen des Erfolgs sind darin mit Geschicklichkeit abgeworfen, zugleich
angekündigt, daß ein gemeinschaftlicher guter Bekannter von ihnen beiden, ein
Gutsbesitzer, den Arsenik in einer zum Gute gehörigen Apotheke besorgen und ihn, dem
vormaligen Vorleser, übersenden werde, von dem er das Gift sodann ohne Verzug zugeschickt
erwarte.
Wirklich ist dies auch keine leere Vertröstung. Der Arsenik
trifft ein, doch steht der Beauftragte natürlich mit dem Absenden an und überläßt ihn
einer Apotheke in Dresden.
Trotz allen wunderlichen Seitensprüngen seines Geistes dichtete
Kleist zu gleicher Zeit sein Meisterwerk, den Prinzen von Homburg, welches auf
nachstehende Weise hervorgerufen wurde.
Seine Familie hatte ihm nehmlich durch
Empfehlungen die Hoffnung zu erregen gewußt, mit der Dichtung eines vaterländischen
Schauspiels eine öffentliche Unterstützung zu verdienen. <62:>
Er ergriff den Gedanken mit Begeisterung und man sehe das Kunstwerk so
mißliebig als man wolle an, bleibt es doch, neben Kleists Herrmann, das einzige
Schauspiel seiner Art, dessen Lektüre oder Aufführung, im Falle der Noth,
brandenburgisch-deutsche Vaterlandsliebe zu erwecken fähig ist. Der arme, Welt und
Menschen hierin verkennende Dichter hatte seinen Stoff mit rechtem Bewußtsein
ausgewählt, und mußte nun dagegen an sich, traurig genug, die Wahrheit erleben: daß
eben das Positive des Talentes in der Regel derlei Absichten zu Grabe trägt. Sein Stück
mißfiel und seine eigene Enttäuschung darüber führte ihn, mit dem Unglück seines
Vaterlandes, der öffentlichen Verleugnung seines Talentes, seiner hülfsbedürftigen Lage
verbunden, der Stimmung, welche ihm den Tod gab, in die Arme.
Tieck hat übrigens das große Verdienst, daß er den Prinzen von
Homburg vor der wahrscheinlichen Vernichtung rettete. Er las das Manuscript seit dem Jahre
1814 so oft in seinen Kreisen vor, daß er ihm Freunde gewann und es endlich drucken
lassen konnte.
Aus der Zeit seines letzten Aufenthaltes in Berlin sind folgende
Aeußerungen Kleists.
|