Eduard
v. Bülow (Hrsg.), Heinrich von Kleists Leben und Briefe.
Mit einem Anhange (Berlin: Besser 1848), V-XIV, 1-81, 274f.; darin: 54-58
1808/1809
Sie gehen hier nemlich eines Tags mit einander schweigend auf und
nieder, und er bricht plötzlich in die Worte aus: Ja, ja, es ist nicht anders, Müller
muß sterben, ich muß ihn ins Wasser werfen, wenn er mir nicht freiwillig seine Frau
abtritt.
Die Freundin fährt erschrocken und erstaunt zurück, da sie bei
Kleist nie die mindeste Leidenschaft zu der Dame wahrgenommen hat, und läßt sich die
Phrase nochmals wiederholen. Kein zur Redesetzen hilft, da er sich nicht auf Erörterungen
einläßt, und als er Müller bald darnach auf der Elbbrücke begegnet, macht er einen
ganz ernsthaften Versuch, ihn über die eiserne Brustwehr in den Fluß zu stürzen.
Er konnte Adam Müller überhaupt damals nicht gut leiden, und
verspottete dessen Passion, schlecht vorzulesen. Müller las eines Abends, durch die Nase,
zum erstenmal das Käthchen vor, bei welchem Kleist selbst nicht erschien, und als ihn
Tieck am andern Morgen fragte, warum er weggeblieben sei, erwiderte er: Ich werde doch
nicht zuhören sollen, wie der Mensch meine Dichtung mißhandelt?
Im Widerspruche damit steht (nach F. Launs Memoiren) Kleists
Aeußerung zu einem andern Freunde, der ihm, seinem Bedürfnisse gemäß, seine eigenen
Arbeiten von Andern vorlesen zu hören, die Herrmannsschlacht vorlesen wollte: Ich
könnte dergleichen von unserm Adam Müller weit <55:> besser haben; aber eben
das Bessere muß ich hierin vermeiden. In Müllers Munde verwandelt sich beim Vorlesen das
geringste Metall in reines Gold, die dürftigste, unverantwortlichste Stelle besticht mein
Ohr, so daß es weit schlimmer ist, als wenn kein Mensch sie mir vorgelesen hat. Du
hingegen, lieber Alter, bist ein grundschlechter Vorleser, Dein Vortrag hebt mir das
Mißrathene erst recht ins helle Licht, und das eben thut mir bei diesen Gelegenheiten
Noth.
Tieck sagt über diese Periode von Kleists Leben:
Die Lage Deutschlands, die trübe Aussicht in eine drohende
Zukunft mußten in jenem Jahre jeden ängsten, der sein Vaterland liebte. Diese Empfindung
und der Zorn über den Hochmuth der Fremden, die Sorge über die Uneinigkeit der Völker
und Fürsten, sowie über die Schwäche, die aus dieser hervorging, bemächtigten sich
völlig des Gemüths unseres Dichters, dessen glühender Haß gegen die Unterdrücker
damals seinen Geist so stimmte, daß alle andern Kräfte in ihm von diesen Gefühlen
gleichsam verschüttet wurden. So dichtete er den Herrmann (der in Dresden zuerst unter
dem Siegel des Schweigens als Manuscript von Hand zu Hand ging).
Nun brach der Krieg gegen Frankreich im Jahre 1809 aus; er
schrieb die Ode Germania und alle seine Hoffnungen erwachten wieder. Er ging
nach Prag, in der Absicht als Schriftsteller der guten Sache förderlich zu werden; auch
finden sich in seinem Nachlasse Fragmente aus jener Zeit, die alle das Bestreben
aussprechen, die Deutschen zu begeistern und zu vereinigen, sowie die
Maschinationen <56:> und Lügenkünste des Feindes in ihrer Blöße
hinzustellen. Versuche in vielerlei Formen, die aber damals, vom raschen Drange der
Begebenheiten überlaufen, nicht im Druck erscheinen konnten, und auch jetzt, nach so
manchem Jahre und nach der Veränderung aller Verhältnisse, sich nicht dazu eignen.
Nachdem Kleist das Käthchen von Heilbronn
geschrieben, und Tieck mitgetheilt hatte, sprachen und stritten sie mannigfach darüber
und sagte Tieck ihm unter anderen eine Meinung über eine merkwürdige Szene, die das
ganze Stück gewissermaßen in das Gebiet des Märchens oder Zaubers hinüberspielte.
Kleist mißverstand diese Aeußerung als Tadel, vernichtete die Szene, ohne daß Tieck
eine Ahnung davon hatte, und als dieser sie in der Folge im Druck vermißte, konnte er
nicht aufhören, darüber sein Bedauern auszusprechen, weil sie die karikirte
Häßlichkeit Kunigundens weit besser motivirt und sie in ein besseres Licht gerückt
habe.
Dieser Szene gemäß wandelte Käthchen im vierten Akt auf dem Felsen
und erschien ihr unten im Wasser eine Nixe, die sie mit Gesang und Rede lockte. Käthchen
wollte sich herabstürzen, und wurde nur durch eine Begleiterin gerettet. Vorher
belauschte sie Kunigundens badende Häßlichkeit und war außer sich vor Angst, wie sie
den Ritter vor dem Ungeheuer errette. Aus dieser Schilderung des Bildes erinnerte sich
Tieck noch des schönen Verses:
Da quillt es wieder unterm Stein hervor. <57:>
Von Prag wollte Kleist mit seinem Freunde Pfuel weiter nach Wien
reisen; kam aber nicht bis dahin, weil es die französischen Heere bereits eingenommen
hatten.
Während des Treffens bei Aspern befand er sich im Hauptquartiere des
Erzherzogs, wo er mit einem östreichischen Stabsoffizier in Streit gerieth, welcher ihn
für einen französischen Spion hielt, und eilte er mit vorschneller falscher
Siegesbotschaft nach Prag zurück. Sobald der Frieden geschlossen war, der jede endliche
Hoffnung auf Deutschlands Befreiung zu vereiteln schien, begab sich Kleist mit seinem
Freunde Müller nach Berlin.
Im Jahre 1809 sah ihn die Schwester seiner Braut
zum letztenmal in Frankfurt a. O. wieder, verstimmt und gebeugt durch das
fortwährende Unglück des Vaterlandes, sowie tief gekränkt, daß seine im Druck
erschienenen Dichtungen so wenig Eingang im Publikum gefunden hatten. Er sagte ihr eines
Tags eine Strophe aus einem Gedichte her, welche ihr sehr gefiel, und sie fragte ihn, von
wem das sei. Darüber schlug er sich mit beiden Händen vor die Stirne und sagte in
tiefstem Schmerz: Auch Sie kennen es nicht? O, mein Gott! warum mache ich denn Gedichte?
Ein andermal äußerte er sich in ihrer Gegenwart sehr heftig über
den Selbstmord und sagte etwa: Solch ein Mensch komme ihm gerade so vor, wie ein trotziges
Kind, dem der Vater nicht geben wolle, was es verlange, und das danach hinauslaufe und die
Thür hinter sich zuwerfe.
Wiewohl die Seinigen sehr wünschten, daß er wieder eine Anstellung
suche, widerstrebte Kleist doch lebhaft diesem Verlangen und lebte meist von literarischen
Arbeiten. Er <58:> verbesserte auch nebenher seine Erzählungen und gab unter
dem Titel Abendblätter eine Wochenschrift heraus, die zwar ungleich und
flüchtig von verschiedenen Verfassern geschrieben war; nichts desto weniger aber manches
Erfreuliche von ihm enthalten haben soll. Es wollte meinen Bemühungen niemals gelingen,
ein Exemplar dieser Zeitschrift aufzutreiben.
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