Eduard
v. Bülow (Hrsg.), Heinrich von Kleists Leben und Briefe.
Mit einem Anhange (Berlin: Besser 1848), V-XIV, 1-81, 274f.; darin: 27-32
Der zerbrochne Krug, Rückkehr nach Deutschland
Der Vers gefällt mir ungemein, und ich kann ihn nicht ohne Freude
denken, wenn ich spazieren gehe. Und das thue ich oft und weit, denn die Natur hat hier,
wie Sie wissen, mit Geist gearbeitet, und das ist ein erfreuliches Schauspiel für einen
armen Kauz aus Brandenburg, wo, wie Sie auch wissen, die Künstlerin bei der Arbeit
eingeschlummert zu sein scheint. Jetzt zwar sieht auch hier noch, unter den Schneeflocken,
die Natur wie eine achtzigjährige Frau aus; aber man sieht ihr doch an, daß sie in ihrer
Jugend schön gewesen sein mag. Ihre Gesellschaft vermisse ich hier sehr, denn
außer den Güterverkäufern kenne <28:> ich nur wenige, etwa den Hauptmann von
Mülinnen und seinen Hofmeister, angesehene Männer. Die Leute glauben hier durchgängig,
daß ich verliebt sei; bis jetzt bin ich es aber noch in keine Jungfrau, als etwa
höchstens in die, deren Stirn nur den Abendstrahl der Sonne zurückwirft, wenn ich am
Ufer des Sees stehe.
An mich selbst ist der gefeierte Autor so freundlich zu schreiben:
Kleist war eine der schönen Erscheinungen im
Leben für mich, die man ihres Selbstes willen liebt und nie zu lieben aufhört. In seinem
Wesen schien mir, selbst während der fröhlichen Stimmung seines Gemüthes, ein
heimliches inneres Leiden zu wohnen. Eben das zog mich an ihn; fast mehr als sein
talentreicher Geist und sittlicher edler Sinn. Er verlieh seinem Umgang die
eigenthümliche Anmuth. Ich nahm den leisen Zug von Schwermuth für ein Nachweh in der
Erinnerung an trübe Vergangenheiten, welches junge Männer von Bildung in solchem
Lebensalter oft zu ergreifen pflegt, woran ich selber gelitten hatte: Zweifeln
und Verzweifeln an den höchsten Geistesgütern. Die Stelle in einem seiner Briefe, welche
ich in meiner Selbstschau mitgetheilt habe, besonders der Vers und Kleists Wohlgefallen
daran schien meinen stillen Argwohn zu bestätigen. Vielleicht irrte ich
dennoch.
Die oben angeführten Worte aus Kleists Brief an Zschokke widerlegen
das von mehreren Seiten aufgekommene Gerücht von einem Liebesverständnisse, das er bei
Thun mit einem Schweizermädchen gehabt habe, die ihm wegen eines französischen Offiziers
später untreu geworden sei, oder <29:> geben doch das Bedenken an die Hand,
wie man mit einem Dichter wegen seiner Theilnahme an Schönheit oder Reiz nicht
allzustreng abrechnen dürfe.
Aus Zschokkes übrigen Mittheilungen ergibt sich,
daß die Idee zu dem Lustspiele der zerbrochene Krug in der Schweiz gefaßt
und die Ausarbeitung vielleicht begonnen wurde. Vollendet wurde diese Arbeit, so viel ich
weiß, erst später; an das Trauerspiel: die Familie Schroffenstein, dagegen auch in der
Schweiz die letzte Hand gelegt. Nur daß Kleist den fünften Akt blos in Prosa geschrieben
und die Herausgeber Wieland und Geßner ihn in Verse gebracht haben sollen. Es heißt
auch, daß derselbe Wieland Kleist bewogen habe, das Stück nochmals umzuschreiben und die
erst in Spanien vorgehende Handlung nach der Schweiz zu verlegen.
Also verdankte Kleist diesem Schweizeraufenthalte darin, daß er ihn
zum Dichter machte, das höchste Ergebniß seines Lebens, wenn gleich bald darauf sein
schon lange gewaltsam angeregtes Gemüth ihn auf das Krankenlager warf. Seine treue
Schwester kam in dieser Zeit abermals zu ihm, und begleitete ihn, nach seiner Genesung, im
Herbste des Jahres 1802, nach Deutschland zurück.
Kleist ging zuerst nach Jena, wo er von Schiller
gut empfangen ward, und gleich darauf nach Weimar zu Göthe, der ihm zwar sehr freundlich
begegnete, in der Folge jedoch seinen zerbrochenen Krug so unpassend in mehrere Acte
getheilt aufführen ließ, daß er jede Wirkung des Stückes, wie sie auf andern Bühnen
stattfand, selbst vernichtete.
Es mag überhaupt an dieser Stelle nicht unpassend <30:>
sein, die verschiedenen öffentlichen Äußerungen Göthes über Kleist
zusammenzustellen.
Mir erregte Kleist, bei dem reinsten Vorsatz einer aufrichtigen
Theilnahme, nur Schauder und Abscheu, wie ein von Natur schön intentionirter Körper, der
von einer unheilbaren Krankheit ergriffen wäre. Tieck wendet es um: er betrachtet das
Treffliche, was von dem Natürlichen noch übrig bleibt, die Entstellung läßt er bei
Seite, entschuldigt mehr, als daß er tadelte; denn eigentlich ist jener talentvolle Mann
auch nur zu bedauern und darin kommen wir denn beide zuletzt überein.
Der zerbrochene Krug hat außerordentliche Verdienste und die ganze Darstellung
dringt sich mit gewaltiger Gegenwart auf. Nur Schade, daß das Stück auch wieder dem
unsichtbaren Theater angehört, das Talent des Verfassers, so lebendig er auch
darzustellen vermag, neigt sich doch mehr gegen das Dialektische hin, und wie es sich denn
in dieser stationären Prozeßform auf das wunderbarste manifestirt hat. Könnte er mit
eben dem Naturell und Geschick eine wirklich dramatische Aufgabe lösen, und eine Handlung
vor unsern Augen und Sinnen sich entfalten lassen wie er hier eine vergangene sich nach
und nach enthüllen läßt, so würde es für das deutsche Theater ein großes Geschenk
sein.
Ueber Amphitryon habe ich Manches mit Herrn von Genz gesprochen,
aber es ist durchaus schwer, genau das <31:> rechte Wort zu finden. Nach meiner
Einsicht scheiden sich Antikes und Modernes auf diesem Wege mehr, als daß sie sich
vereinigten. Wenn man die beiden entgegengesetzten Enden eines lebendigen Wesens durch
Contorsion zusammenbringt, so gibt das noch keine neue Art von Organisation; es ist
allenfalls nur ein wunderliches Symbol, wie die Schlange, die sich in den Schwanz
beist.
Der antike Sinn in Behandlung des Amphitryon ging auf Verwirrung der Sinne, auf den
Zwiespalt der Sinne mit der Ueberzeugung. Wie im miles gloriosus, daß ein
Mädchen zwei Personen vorstellt, so stellen hier zwei Personen eine dar. Es ist das Motiv
der Menächmen, nur mit dem Bewußtsein des einen Theils. Moliere läßt den Unterschied
zwischen Gemahl und Liebhaber vortreten, welches also eigentlich nur der Gegenstand des
Geistes, des Witzes und zarter Weltbemerkung ist. Wie es Falk genommen, wäre nachzusehen.
Der gegenwärtige Dichter Kleist geht bei den Hauptpersonen auf die Verwirrung des
Gefühls hinaus. Höchstwahrscheinlich ist bei den Alten keine Hauptscene zwischen Jupiter
und Alkmene vorgekommen, sondern die Hauptmotive fielen zwischen die beiden Sosias und
Amphitryon. Die Situation zwischen Amphitryon und Alkmene enthält eigentlich auch kein
dramatisches Motiv.
Das Stück enthält nichts Geringeres als die Deutung der Fabel
ins Christliche, in die Ueberschattung der <32:> Maria vom heiligen Geiste. So
ists in der Scene zwischen Zeus und Alkmene. Das Ende aber ist klatrig. Der wahre
Amphitryon muß es sich gefallen lassen, daß ihm Zeus diese Ehre angethan hat. Sonst ist
die Situation der Alkmene peinlich und die des Amphitryon zuletzt grausam.
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