Eduard
v. Bülow (Hrsg.), Heinrich von Kleists Leben und Briefe.
Mit einem Anhange (Berlin: Besser 1848), V-XIV, 1-81, 274f.; darin: 13-17
Verlobung, Würzburg-Reise, Berlin
Es ist bereits bekannt, daß sich Kleist um diese Zeit mit einem jungen Mädchen aus einer
sehr angesehenen Familie verlobt hatte, die durch das Schicksal später wieder von ihm
getrennt und einer anderen Verbindung zugeführt worden war.
Dieses Verhältniß hatte
natürlich einen wesentlichen Einfluß auf sein Leben ausgeübt, und es mußten also auch
Kleists Briefe an seine Braut für die Geschichte seines Innern theilweise wichtig sein.
Ein halbes Jahrhundert, welches darüber hingegangen ist, hat die zartesten Bedenken gegen
die Veröffentlichung gehoben und so wurden sie mir auf meine Bitte mitgetheilt. Ich lege
sie hierbei dem Publikum vor, und beziehe mich in dieser Lebensskizze gelegentlich auf die
charakteristischeren Stellen.
Kleist hatte bei seiner Verlobung die Grille als
Grundsatz gelten gemacht, daß die Eltern nichts davon zu wissen brauchten, wenn zwei
Liebende sich für einander bestimmt hätten, und erklärte, daß, sobald erst über ein
solches Verhältniß gesprochen werde, oder Oheims und Basen sich hineinmischten, es für
ihn allen Reiz verlöre. Eine geistvolle Schwester seiner Braut, die jederzeit sein
besonderes Vertrauen besessen und verdient hat, und die er seine goldne Schwester zu
nennen pflegte, war deshalb eine geraume Weile die einzige Mitwisserin des Geheimnisses
der Lieben- <14:> den; da es den jungen Mädchen aber auf die Dauer allzu
peinlich ward, es ihren Eltern verborgen zu halten, mußte es ihnen Kleist am Ende selbst
sagen.
Kleists leidenschaftliche Liebe verlangte von seiner Braut zuletzt,
das sie nichts freuen sollte, als was sich auf ihn bezog, und es verging selten ein Tag,
an dem er nicht über Mangel an Liebe gegen sie zu klagen hatte. Wiewohl er Haus an Haus
mit ihr wohnte, und sie täglich sah, schrieb er ihr beinahe täglich die
leidenschaftlichsten Briefe.
Er hatte mittlerweile seinen Studienplan geändert, und die Diplomatie
zu seinem künftigen Lebensberufe gewählt, indem er sich schmeichelte, binnen kurzem
einen Gesandtschaftsposten zu erlangen. Die Eltern seiner Braut hielten zwar dafür, daß
er mit seinen Hoffnungen etwas zu voreilig sei, wollten ihm aber in seinem Plane nicht
geradezu entgegen sein. Die Verlobung des Paares blieb dabei in sofern ein öffentliches
Geheimniß, als es aller Welt bekannt war, ohne daß man eben davon sprechen durfte.
Ein vertrautes Freundschaftsverhältniß hatte sich in diesen Jahre
zwischen Kleist und Herrn von Brokes angeknüpft, der später nach Meklenburg ging, und
von dessen Charakter Kleist im sechsten Briefe eine
sehr edle Schilderung entwirft.
Ich habe von anderer Seite nichts Weiteres über Brockes oder Brokes,
wie er sich zuweilen der Aussprache nach selbst schrieb, in Erfahrung gebracht, als was
Herr von Varnhagen so gütig ist, mir in den folgenden Worten mitzutheilen. Dieser
Herr von Brockes war in vielen deutschen Lebenskreisen eine bedeutende und vertraute
Erschei- <15:> nung, ein edler gebildeter Mann voll hohen Ernstes der Seele und
von großer Zartheit des Gemüths, in seiner Anspruchslosigkeit und Stille wirkte er stark
auf seine Freunde, und Männer und Frauen hingen mit Leidenschaft an ihm. Seine Name ist
nirgends in die Literatur oder sonst in die Oeffentlichkeit durchgebrochen; aber er
verdient um so mehr festgehalten zu werden, da vielleicht noch künftig Denkmale seiner
vielfach eingreifenden Persönlichkeit an das Licht treten. Auch der
Graf zur Lippe, von welchem Varnhagens Denkwürdigkeiten sprechen, gehörte in dieser Zeit
zu Kleists vertrauterem Umgange.
Im Sommer 1800 verließ der Dichter Frankfurt a. O. um nach
Berlin zu gehen. Er wollte hier nicht nur seine Studien fortsetzen, sondern auch seine
künftige Anstellung im Staatsdienste vorbereiten. Er lernte jetzt in Berlin zuerst seinen
Freund von Pfuel kennen, und beschäftigte sich zunächst mit dem Studium Kants, welches
ihn oft sehr angriff. Im Herbste dieses Jahres bewog ihn ein unbekannter Anlaß einige
Wochen in Würzburg zu verleben, und er schrieb von hinnen die Briefe 2. und 3. an seine
Braut. Es ist bemerkenswerth, wie sich die Mittheilungen fast aller Briefe an dieselbe auf
Lehren und Rathschläge zu ihrer Bildung beschränken, und also wohl einige Zweifel an der
Tiefe einer so doktrinären Liebe erwecken dürften. Der Brief 2. enthält daneben
Aeußerungen über Religion, welche mit den neuesten geistlichen Bewegungen Deutschlands
gewissermaßen in voraussichtlichem Zusammenhange stehen.
Kleist kehrte von Würzburg nach Berlin zu seinen Studien zurück, und
wurde hier, nach L. Tiecks Angabe, <16:> noch in diesem Jahre im
Departement des Ministers Struensee angestellt. In Widerspruch zu dieser Nachricht stellt
sich jedoch sein eigener Brief 4., im November
1800 aus Berlin an seine Braut geschrieben, in welchem er ihr mit Gründen
auseinandersetzt, warum er kein Staatsamt annehmen könne.
Des Dichters ganze Sehnsucht stand gegenwärtig nur nach Liebe und
nach der Bildung zu einem nützlichen Staatsbürger. Er wollte ausschließlich den
Wissenschaften leben, und that seiner Braut auch schon ernstliche Vorschläge zu ihrer
baldigen Verheirathung. Er wollte mit ihr, zur Verbesserung ihres Unterhaltes nach dem
südlichen Frankreich oder der französischen
Schweiz gehen, um in der deutschen Sprache Unterricht zu ertheilen, die französische
nebenbei zu erlernen, und, zu seinem demnächstigen Lebenszwecke, die kantische
Philosophie nach Frankreich zu verpflanzen.
Seines Dichtertalentes war sich Kleist um diese Zeit noch nicht
bewußt geworden und vielleicht kündigte es sich nur erst durch die stete Unruhe an, die
sich seiner bemächtigt hatte.
L. Tieck sagt über diese Zustände seines Gemüths in der
Einleitung zu Kleists Schriften die folgenden bedeutungsvollen, wahren und schönen Worte,
die zwar mit Recht die Nebenwege zur Bildung dem allgemeinen Hochwege nachstellen, jedoch
auch nicht dem widersprechen, was Kleists eigenes Beispiel glänzend genug bewiesen
hat, daß das wahre Talent zuweilen auch ein Richtweg zum wahren Ziele führt.
Da sich Kleist früher zum Soldaten bestimmt hatte, so war seine
Erziehung nicht die eines künftigen Gelehrten <17:> gewesen, und es war daher
natürlich, daß er jetzt, im dreiundzwanzigsten Jahre, viele der Studirenden an
Erfahrung, Ausbildung und entwickelten Gedanken übersah, wie er in den nöthigen
Vorkenntnissen hinter den meisten zurückblieb.
Dies verstimmte ihn oft, da er die Hemmung fühlte, und sein
heftiger Geist nur gar zu gern alles übersprang, was ihn von irgend einem Ziele
zurückhielt. So heiter, kindisch und ausgelassen er sein konnte, so ernst und
verschlossen war er wieder in anderen Stunden; wie sehr er oft mit sich zufrieden war, und
sich seiner Fortschritte freute, so haderte er auch nicht selten mit sich selber, hielt
sich für unbrauchbar und unfähig, und wollte immer mit Gewalt und in kurzer Zeit, mit
Trotz, das erzwingen, was nur Geduld, Ausdauer und Resignation auch dem ausgezeichneten
Geiste gewähren können.
Derjenige, dem es in dieser Seelenruhe zum Bedürfniß wird,
sich immerdar gegen andere mit seinen Kräften und diese selbst wieder an einander zu
messen und zu wägen, wird bald alles Maaß verlieren.
sechsten Briefe] An Wilhelmine v. Zenge, Berlin,
31. 1. 1801
Briefe 2. und 3.] An Wilhelmine v. Zenge,
Würzburg, 16. 9. 1800 [= Teil des Briefes aus Würzburg,
13./18. 9. 1800]; an dies., Würzburg, 10./11. 10. 1800
Brief 4] An Wilhelmine v. Zenge, Berlin,
13. 11. 1800
Emendationen
3.] 4. D
oder] odr D
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