Eduard
v. Bülow (Hrsg.), Heinrich von Kleists Leben und Briefe.
Mit einem Anhange (Berlin: Besser 1848), V-XIV, 1-81, 274f.; darin: 7-13
Abschied vom Militär, Studium in Frankfurt
Kleist vernachlässigte fortan sein Aeußeres, zog sich von <8:> Menschen
zurück, und begann sich ernstlich mit der philosophischen Wissenschaft zu beschäftigen.
Dieses Studium zog ihm zwar den Unwillen seines Chefs, des Generals
von Rüchel zu; als jedoch Kleist im Jahre 1798 seinen Abschied forderte, suchte ihn
Rüchel, dem es schmeichelte, unter seinen Befehlen gebildete Offiziere zu haben, selbst
beim Soldatenstande festzuhalten. Dessenungeachtet setzte es Kleist durch, seinen Abschied
noch in diesem Jahre als Seconde-Leutnant zu erlangen, und begab sich, nachdem er sich
unter der Leitung des Conrectors Bauer zu Potsdam zur Universität vorbereitet hatte, um
zu studiren nach Frankfurt a. O., wo seine Schwestern wohnten, und sein Bruder in
Garnison stand.
Ueber den damaligen Zustand seiner Seele und die Gründe, mit welchen
er den Wechsel seines Standes vor sich selbst rechtfertigte, gibt der den 18. März
1799 von Potsdam aus an seinen ehemaligen Hauslehrer, der damals als Geistlicher
angestellt war, geschriebene Brief 1. den
vollständigsten Aufschluß. Er enthält eine Uebersicht seiner zukünftigen Studien und
es geht daraus hervor, daß es eigentlich nur das Bedürfniß nach höherer Ausbildung,
das dunkle Bewußtsein seiner edleren Bestimmung war, was ihn zu dem wichtigen Schritte
drängte. Der ältere Freund, den Kleist wiederholt schriftlich und mündlich über die
wichtigsten Angelegenheiten seines damaligen Lebens berieth, suchte ihn zwar auf alle
Weise von seinem Standeswechsel abzubringen. Er verwirklichte seinen neuen Lebensplan aber
dennoch mit männlicher Entschlossenheit und Charakterstärke, selbst ohne das bestimmte
Vorwissen seines Vormunds oder <9:> seiner Familie. Es war kein anderer Mensch
als seine Schwester Ulrike, die ihm von den Seinigen von Jugend an die Nächste gewesen zu
sein scheint, ganz in sein Vorhaben eingeweiht.
Kleist gesteht in dem Briefe, daß er, so lange er gedient habe, immer
mehr Student als Soldat gewesen sei, und gibt seinen Widerwillen gegen den Soldatenstand
auf das entschiedenste zu erkennen; die Spitzfindigkeiten, mit denen er ein vermeintes
Disharmoniren der Menschen- und Standespflichten des Soldaten darthun will, zeigen jedoch,
wie früh er die schneidend einseitige Verstandesrichtung gewonnen hatte, die uns später
in seinen reifsten Geisteswerken stört. Der anscheinende Zufall einer mathematischen
Lehrstunde, welche ihn die Mängel seiner Selbstbildung erkennen ließ, entwickelte den
lange gehegten Keim seines Entschlusses rasch zur That.
Als eines Abends jener Geistliche ein Conzert in Frankfurt a. O.
verläßt, fühlt er sich plötzlich hinterrücks einen traulichen Schlag auf die Schulter
gegeben. Er erschrickt, sieht sich um, und gewahrt den in einen weiten Reitermantel
gehüllten Kleist, welcher ihm in größter Aufregung mittheilt, wie er nun endlich seinen
Abschied erhalten habe und in Frankfurt studiren wolle. Er war, den Abschied in der
Tasche, im Fluge von Berlin dahergeritten, hatte den ehemaligen Lehrer in seiner Behausung
vergebens aufgesucht, um ihn von seinem Glück in Kenntniß zu setzen, und verschwand,
nachdem er ihn im Conzert gefunden, wieder eben so hastig, als er gekommen war.
Das neue Leben Kleists in Frankfurt
a. O. dürfte wohl <10:> die allerglücklichsten Stunden enthalten haben,
die ihm der Himmel bestimmt hatte. Er studirte fleißig Philosophie und alte Sprachen, und
lebte in heiterer Geselligkeit mit seinen Freunden und Geschwistern, welche letztere, mit
ihm zusammen, ihr elterliches Haus bewohnten. Dem wunderlichen Hauswesen, das sie darinnen
führten, stand eine alte liebreiche Tante rüstig vor und es beseelte in dem kleinen
Kreise jung und alt der beste Geist. Der neue Tag fing es wieder an, wo es der vorige
gelassen hatte, und es wollte vom Morgen bis zum Abend des Scherzes und der Lust kein Ende
werden. Der neue Ankömmling ging nicht allein auf alles was die Anderen angegeben hatten,
ein, sondern wußte das gesellige Vergnügen immer noch wesentlich zu erhöhen, oder den
begonnenen Scherz witziger und pikanter auszuführen.
So kindisch ausgelassen er auch sein konnte, war Kleist freilich eben
so oft still, ernst und zerstreut. Ebenso glühend hingerissen von allem Großen und
Schönen, als durch alles Gemeine und Niedrige empört. Es konnte ihn der geringste
Verstoß gegen die Sittlichkeit, ein Blick, eine Miene außer Fassung bringen.
Es währte nicht lange, so hatte Kleists
Erscheinung in dem Familienkreise, zu dem auch die Töchter eines ganz nahebei wohnenden
Generals gehörten, dessen Gestalt vollkommen umgewandelt. Als gute Preußen der damaligen
Zeit sprachen namentlich die Damen ein sehr schlechtes Deutsch. Dies stellte ihnen Kleist
als eine Schande vor und ertheilte ihnen Unterricht in ihrer Muttersprache. Sie mußten
ihm insgesammt, nach aufgegebenen Thematen, Auf- <11:> sätze machen, und er
war sehr erfreut, wenn sich eines mit Ehren aus der Sache zog.
Er sorgte für die Lektüre der jungen Mädchen, brachte ihnen die
besten Dichter, las ihnen vor und ließ sich ihre Bildung eifrigst angelegen sein.
Als er nachmals den Gedanken gefaßt hatte, Professor zu werden, hielt
er ihnen sogar ein Kollegium über die Kulturgeschichte, zu welchem er sich ein
ordentliches Katheder hatte bauen lassen. Er betrieb dies Geschäft mit solchem Ernste,
daß, als einmal eine seiner Zuhörerinnen auf einen vorüberkommenden Zug aufmerksamer
als auf ihn war, er plötzlich sehr erzürnt abbrach, und seine Vorlesungen auf lange Zeit
einstellte, um sich nur erst nach vielen Bitten und mit vieler Mühe zu ihrer Fortsetzung
überreden zu lassen.
Kleist ging neben diesen ernsteren Beschäftigungen, nicht minder auf
die Spiele der jungen Mädchen ein und als sich deren Neigung dereinst Sprüchwörtern
zugewendet hatte, richtete er nicht nur mehrere zum Aufführen ein, sondern schrieb auch
ganz besonders einige für sie, die er ihnen sorgfältigst einstudirte und mit denen er
ebenso wie mit seinen Neujahrs- und Gelegenheitsgedichten vielen Beifall erwarb.
Kleists außerordentliche Zerstreutheit ward
seinen Freunden oft ein Gegenstand des Spottes, und er lachte, sobald er geneckt ward,
häufig selbst darüber mit. Er mochte in seine Studien noch so sehr vertieft sein, sobald
sein jüngerer Bruder eine Melodie zu singen anhub, und in der Mitte abbrach, sang Kleist
sie ohne Zweifel weiter. Als er eines <12:> Tages aus dem Collegium kam, wollte
er nur seinen Rock zu Hause wechseln; zog sich jedoch in Gedanken bis auf das Hemde aus,
und war eben im Begriffe zu Bett zu steigen, als sein Bruder dazukam, und ihn durch ein
lautes Gelächter aus dem Traume weckte.
Nach einer Mittheilung Fouqués hatte ihn derselbe zuweilen
mit vieler Lebendigkeit eine Begebenheit zu erzählen anfangen, plötzlich mitten darin
verstummen und still dasitzen sehen, als ob er allein im Zimmer gewesen wäre. An sein
Schweigen erinnert, hatte er zwar mit über sich selbst gelacht und wieder zu erzählen
angefangen, war aber nicht selten zum andernmale in denselben Fehler verfallen.
Wen Kleist einmal als seinen Freund erkannt
hatte, den liebte er mit unbegrenzter Hingebung und so mußte es, in diesen Studienjahren,
den fürchterlichsten Eindruck auf ihn machen, als einer seiner nächsten Freunde es
vergebens versucht hatte, sich durch einen Pistolenschuß das Leben zu nehmen und mit
entstelltem Gesichte vorgefunden worden war. Er hatte bei dieser Gelegenheit mit einem
anderen Freunde ein sehr merkwürdiges Gespräch über den Selbstmord und schrieb dem
Unglücklichen einen schönen, herzergreifenden, wie es leider scheint verloren gegangenen
Brief über das Sündhafte einer solchen feigen That. In Bezug darauf theilte ein dritter
Freund Kleists ihm im Jahre 1804 eine Äußerung des Dr. Gall mit: daß wer
einmal diese Geistesrichtung habe, derartige Versuche in der Regel wiederholen müsse.
Von Kleists Frankfurter Universitätsstudien
wollen <13:> Manche, die ihn damals gekannt hatten, behaupten, er habe nicht
genug Vorkenntnisse dazu gehabt, sei zu genial in seiner Art zu arbeiten gewesen, und habe
durch ein Uebernehmen seiner Kräfte befürchten lassen, er werde seine Begriffe eher
verwirren als berichtigen.
Brief 1] An Christian Ernst Martini, Potsdam,
18./19. 3. 1799
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