Eduard
v. Bülow (Hrsg.), Heinrich von Kleists Leben und Briefe.
Mit einem Anhange (Berlin: Besser 1848), V-XIV, 1-81, 274f.; darin: VIII-XIV
Vorwort (Fortsetzung): Neue Texte und Kleists Bildnis
Ja, es hat ihm nicht allein die Nichtanerkennung seines Talentes von Seiten des
Vaterlandes, dessen Untergang und seine eignen äußeren Bedrängnisse Herz und Muth
gebrochen. Es war von jeher, physisch und psychisch, ein tiefer Zwiespalt in seinem Leben,
ein geheimnißvoller Fehler seines Organismus, dessen Grund stets verschleiert bleiben
wird, und um dessetwillen die echte Menschlichkeit keinen einzigen Stein mehr auf seinen
freiwilligen Tod werfen sollte.
In seinen Schriften stellt Kleists Talent diesen Zwiespalt und
Krankheitsstoff anschaulich genug selbst dar. In der Darstellung seines Lebens bin ich
bemüht <IX:> gewesen, ihn immer thatsächlicher ans Licht treten zu lassen.
Was schon Tieck angedeutet hat, Kleists wunderbare
Lebensverwandtschaft mit Tasso, bewährt sich desto entschiedener, je tiefer man in das
Innere dieses unglücklichen Geistes blicken lernt.
Es ist bekannt, daß Heinrich von Kleist noch kurz vor seinem Tode
alle seine ungedruckten Papiere verbrannte.
Wie manche reife und edle Frucht seines Geistes mag damit für immer
untergegangen sein! Sein Freund Rühle besaß zwar manche derselben in Doppelmanuskripten;
während seiner Abwesenheit in den Freiheitskriegen verschwanden sie jedoch aus seiner
Wohnung in Berlin, um, wahrscheinlich zufolge eines Mißverständnisses, ebenfalls
verbrannt zu werden. Eine schwache Hofffnung, welche ich früher hegte, von anderer Seite
her Kleistsche Dichterreliquien mitgetheilt zu erhalten, ist mir nicht in Erfüllung
gegangen, und es steht dahin, ob es der edlen Besitzerin je gefallen werde, sie zu
veröffentlichen. <X:>
Die schon von Tieck besprochenen zerstreuten, politischen Blätter
Kleists aus dem Jahre 1809 habe ich ebenfalls durchgesehen und des Druckes meist unwerth
befunden. Es erhellt daraus, daß Kleist damals in Prag eine Zeitschrift herausgeben und
damit die naive Absicht verfolgen wollte, von Oestreich aus eine Wiedergeburt Deutschlands
anzubahnen. Nur einen dieser Aufsätze: Was gilt es in diesem Kriege? theile ich im
Anhange als Probe mit, wie edel überspannt Kleist damals die Politik handzuhaben
gedachte. Er scheint zu einer Art Programm oder Einleitung der Zeitung bestimmt gewesen zu
sein.
Der Anhang bringt auch einige schöne Verse, welche Kleist,
echt dramatisch in der Sprache, schon früh für Wilhelmine gedichtet hatte. Sie
sind bereits 1830 in einem Musenalmanache abgedruckt worden.
Das Duodrama fand sich im Nachlasse Henriettens unter
Kleistschen Papieren vor und wurde dereinst, von Kleist angeordnet, gelegentlich bei ihr
aufgeführt. Dafür, daß es von Kleist sei, habe ich kein anderes Zeugniß als das der
höheren Kritik, nach <XI:> welcher Ludwig Tieck und ich es ihm zuschreiben zu
müssen glauben. Vielleicht stimmen uns manche Kenner darin bei. Andere, die dies nicht
thun, wollen es immerhin überschlagen.
Indem ich diese Zeilen schreibe, kommt mir auch noch ein Exemplar der
in Kleists Leben erwähnten, so selten gewordenen Berliner Abendblätter zu.
Dieselben erschienen nur vom 1. October bis Ende Dezember 1810 und erloschen dann
plötzlich, wohl zumeist wegen Uneinigkeit der Redaktion mit dem Verleger. Kleist hatte
sich zuerst als Redakteur nicht genannt; trat später jedoch mit seinem Namen hervor. Er
redigirte das Blatt ziemlich ungeschickt und wußte ihm nicht das mindeste öffentliche
Interesse einzuhauchen. Es enthält nur unbedeutende, gelegentliche Aufsätze und
Bemerkungen, Anekdoten, oberflächliche Theateranzeigen u. s. w., nebst
polizeilichen Mittheilungen, die hierher in der That wie die Faust auf das Auge paßten.
Achim von Arnim, Fouqué und andere namhafte Autoren arbeiteten zwar mit;
scheinen das Journal aber jedes irgend bedeutenderen Wortes für unwerth
erach- <XII:> tet zu haben! Kleist schrieb für die Abendblätter die beiden
kleinen Erzählungen: das Bettelweib von Locarno und die heilige Cäcilie. Außerdem fand ich
darin von ihm noch einen Aufsatz: Ueber das Marionettentheater, den er mit H. v.
K. unterschrieben hat, und Eine Anekdote aus dem letzten preußischen Kriege,
welche ich beide für merkwürdig genug hielt, um sie hier, im Anhange, neu
abdrucken zu lassen. Die letztere ist zwar ohne alle Bezeichnung des Verfassers; wer aber
Kleists Erzählungen aufmerksam gelesen hat, wird keinen Augenblick anstehen, ihn in ihrem
Stile wieder zu erkennen.
Ich habe nicht gehört, daß Kleist mehreremale in
seinem Leben portraitirt worden sei. Einen Schattenriß von ihm, der sehr ähnlich gewesen
sein soll, hatte seine Freundin, Frau Lohse, geborne von Schlieben angefertigt.
Das von dem alten Krüger im Jahre 1801 gemalte Miniaturbild dürfte also wohl das einzige
sein, welches von Kleist überblieben. Kleist schenkte es damals seiner <XIII:>
ehemaligen Braut und bespricht die Mängel des Bildes im Briefe 9.
Nach dem Erlöschen seines Verhältnisses zu Wilhelminen erhielt er es
zurück und hinterließ es im Jahre 1802, in seiner Krankheit, in Thun. Dort fand es
später eine treue Freundin glücklicherweise wieder und löste es ein. Der hohe Werth,
welchen sie darauf legt, bezeugt seine Aehnlichkeit.
Es ist mir hier gestattet, eine Nachbildung
desselben, als Titelblatt, den Freunden des Dichters zu widmen.
Zum Schlusse dieser Zeilen für dieselben die Nachricht, daß ich
gleichzeitig mit dem Erscheinen dieses Buches meinen lange gehegten Wunsch ausführe und
Kleist, mit einigen anderen Verehrern seiner Muse, einen Denkstein setzen lasse.
Derselbe ist ein unbehauener Granitwürfel, mit Kleists Namen,
Geburts- und Todestag und steht neben der Eiche an seinem Grabe.
Nach der alten märkischen Landessitte waren die beiden Gräber
früherhin mit Föhrenzweigen bedeckt, zu <XIV:> denen jeder Vorübergehende
aus Pietät einen neuen legte.
In diesem Augenblicke kommt mir auch noch die unverbürgte Nachricht
zu, man habe nach Kleists Tode neben seinem und Henriettens Leichnam ein Exemplar von
Novalis Schriften vorgefunden, in welchem die Hymnen an die Nacht, als ihre unmittelbare
Lektüre vor der That, aufgeschlagen gewesen seien.
Briefe 9] An Wilhelmine v. Zenge, Berlin,
9. 4. 1801
Emendation
Locarno] Lovarno D
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