XX. Noth- und
Hülfsbüchlein
für Künstler und Kunstliebhaber in Mildheim,
aus den Schriften des Herrn
von Ramdohr mit Fleiß zusammengetragen.
I. Allgemeine Ansichten, Grundsätze und Urtheile über
die Kunst.
1. Verhältniß der
Kunst zur Natur. Charis, Buch 7. Cap. 10.
Alle bildenden Künste schaffen entweder das Wirkliche
nach, oder bilden es nach; das Wirkliche heißt hier
so viel als der Inbegriff sichtbarer Körper, welche
nach den Kenntnissen, welche wohlerzogenen Menschen
eigen zu sein pflegen, Begriffen von dem Wesen und
der Bestimmung ihres Äußeren unterworfen sind. Man
nennt dieses Wirkliche auch Natur.
2.
Vom Verhalten der Seele gegen die schönen Künste.
Über Malerei und Bildhauerkunst in Rom. Th. 3.
pag. 8. Die Unterhaltung, welche die <72:>
bildenden Künste gewähren, ist leicht, weil sie sinnlich
ist; sie ist beschäftigend, weil sie die Einbildungskraft
ausfüllt und das Empfindungsvermögen zur sanften Theilnehmung
einladet. Diese Kräfte der Seele, wenn sie gleich
nicht zu den obern gehören, sind bei der Ausführung
vieler Geschäfte nicht ohne Wirksamkeit, sie werden
durch die bildenden Künste erhalten, ausgebildet,
ohne in die lebhafte Thätigkeit gesetzt zu werden,
welche die obern Erkenntniß- und Urtheils-Kräfte schwächen
könnte.
3.
Psychologische Gründe der Rührungen und Gefühle.
Charis, B. 1. C. 1. Eine Rührung, oder ein
Gefühl, ist die Bemerkung der wahrnehmenden Kraft,
von einer ungewöhnlichen Maaße in der Aufeinanderfolge
und Bewegung meines Wesens. Die Empfindungen, aus
denen ich das Bewußtsein meines Daseins ziehe, succediren
sich in ungewöhnlicher Eilfertigkeit und Langsamkeit.
Dies regt meine erkennende Kraft auf. Sie weiß, es
ist etwas da, was sie ungewöhnlich bewegt hat, aber
was es ist, erkennt sie nicht.
4.
Vom Erhabenen und seinen Gründen. Charis, B. 3.
C. 10. Das feierlich Schöne, oder das Erhabene,
ist eine besondere Modification des Schönen, welche
es dadurch erhält, wenn der Affect des Schönen uns
in Gesellschaft einer zusammenziehenden Spannung unserer
Kräfte zugeführt wird. Der Grund dieser Spannung liegt
darin, daß gewisse Gegenstände, indem sie uns den
Affect des Schönen zuführen, uns zu gleicher Zeit
an eigennützige Begierden nach abzuhelfender oder
abgeholfener Nothdurft dunkel erinnern.
5.
Wie die Schönheit mit dem Häßlichen zu würzen sei.
Charis, B. 6. C. 13. Eben so, wie ein Fehler
im Character, am Körper des geliebten menschlichen
Ganzen, an den ich mich, zur Belustigung auf die Länge
in meinen geselligen Verhältnissen binde, gar wohl
das Gewebe von Trieben, welches man Liebe nennt, verstärken
und die Vereinigung im Ganzen pikanter machen kann;
eben so kann in einem schönen Kunstwerke das Häßliche,
das Vernachläßigte, das Mangelhafte, zuweilen das
Vergügen erhöhen, welches dessen Anschauung mir machen
soll.
6.
Endlicher Begriff des Wesens und der Bestimmung der
schönen nachbildenden Künste. Charis, B. 7.
C. 13. Das Wesen und die Bestimmung der schönen
nachbildenden Künste besteht also darin: durch Wahrnehmung
der Ähnlichkeiten des künstlich abgenommenen sichtbaren,
aber todten, Scheins mit dem Vorbilde eines natürlichen
Scheins specifiker, wirklicher, sichtbarer Körper,
im Ganzen und im Detail, den wohlerzogenen Menschen
im Durchschnitt unter begleitenden Affecten des Schönen,
dergleichen sichtbare Eigenschaften an todten durch
schöne Fertigkeiten des Geistes und von der Hand des
Menschen verfertigten Körpern erwecken können, zu
belustigen.
7.
Wie der Affect bloß dadurch zur Poesie werde, daß
ihm die Zunge gelöst wird. Charis, B. 7.
C. 21. Ein Mensch, der sich in einem hohen <73:>
Grade leidenschaftlich bewegt fühlt, kann dadurch
schon ein Dichter werden, daß er seine Gefühle mit
Worten ausdrückt.
8.
Ermunterung für die Geistlosen, sich den Künsten zu
widmen. Charis, B. 7. C. 21. Es ist
bekannt genug, wie die größten Maler zuweilen vortreffliche
Werke geliefert haben, ohne daß man ihnen eigentliche
Begeisterung zuschreiben könnte. Ich weiß von zuverläßiger
Hand, daß Mengs einmal ein sehr schönes Bild bloß
darum verfertigt hat, weil er ein leeres Tuch nicht
unbedeckt und ungenutzt stehen lassen und einmal versuchen
wollte, mit Wasserfarben zu malen. Er setzte erst
eine academische Figur darauf, und berathschlagte
sich dann mit seinem Farbenreiber, mit welcher andern
er sie in Verbindung setzen könnte. So entstand das
Gemälde.
9.
Vom Galvanismus des Colorits. Charis, B. 8.
C. 11. Das Frische, Saftige, Duftige, Markigte,
Sammetne, Pikante der Farben und des Lichts wirkt
nicht bloß auf das Auge, sondern auch unmittelbar
auf die Sinne des Geschmacks, des Geruchs, und sogar
des betastenden Gefühls. Das Zusammenstehen der Farben
und Lichter, ihr Abweichen von einander, bringt ein
Spiel hervor, welches unmittelbar unsre innere Rührungsfähigkeit
in Bewegung setzt.
10.
Wie mannichfach der Schönheitssinn afficirt werde.
Charis, B. 5. C. 11. Endlich gehört zur
unbedeutenden Wohlgestalt die Ähnlichkeit, welche
wir zwischen der Form einzelner Theile des menschlichen
Körpers mit der Form anderer angenehmer oder nützlicher
Körper finden. So sind uns die Hand, welche die Gestalt
einer Birn an sich trägt, der Finger, der wie eine
allmählig sich verjüngende Säule gestaltet ist, u. s. w.
wohlgefällig. Man darf nur das Hohelied Salomonis
nachlesen, um noch manchen Beleg zu diesem Satze zu
finden.
11.
Endlicher Begriff des Wesens und der Bestimmung der
schönen Künste. Charis, B. 6. C. 8.
Also besteht das Wesen und die Bestimmung der schönen
Künste in Folgendem. Es sind schöne Fertigkeiten des
Menschen, vermöge deren dem wohlerzogenen Menschen
im Durchschnitt eine Belustigung am Schein der Wahrheit
und der Zweckmäßigkeit, unter begleitenden Affecten
des Schönen, zugeführet wird.
12.
Vom Schönen. Charis, B. 6. C. 10. Eine
Kunstschönheit ist ein durch schöne Fertigkeiten hervorgebrachtes,
wirklich existirendes, specifikes Ganze, in dem der
Schein eines wirklich existirenden, oder wirklich
brauchbaren, specifiken Ganzen zu der Absicht enthalten
ist, wohlerzogene Menschen im Durchschnitt zur Belustigung
an Wahrheit und Zweckmäßigkeit, unter begleitenden
Affecten des Schönen, auf den Wegen zu dienen, die
jeder besondern schönen Kunst dazu angewiesen sind,
und welches mittelst einer solchen vollständigen,
richtigen, zweckmäßigen Nachahmung oder Nachschaffung,
zu gleicher Zeit dem Instinkte und dem Geiste des
Genießers Affecte des Schönen zuführt, und dadurch
seine Persönlichkeit erhält. <74:>
13.
Wie weit die Kunstliebe getrieben werden könne.
Charis, B. 6. C. 11. Das geliebte menschliche
Ganze, wie wir uns mit demselben auf die Länge aber
zur bloßen geselligen Belustigung verbinden, ist das
Vorbild, wornach die Kunstschönheit geformt und beurtheilt
wird. Man darf daher dreist sagen: ein schönes Kunstwerk
ist zwar ein todtes, aber als lebendig angesehenes,
Wesen, das alle wohlerzogene Menschen im Durchschnitt
beinahe eben so lieb haben können, als sie einen Menschen
in ihren geselligen Verhältnissen mit ihm, zur Belustigung
im Ganzen und auf die Länge, lieb haben würden.
14.
Wie runde Dinge dem Kritiker durch Beleuchtung platt
werden. Charis, B. 8. C. 11. Es ist
eine höchst wichtige Bemerkung. Wenn ich einen runden
Tempel, der auf Säulen ruhet, ganz en façe in vollem
Lichte sehe, so erscheint er mir als platt.
15.
Von Thierstücken. Charis, B. 8. C. 19.
Aber auch bei Thierstücken ist Individualität und
malerische Wirkung allemal Hauptsache. Diesen Stücken
wird die Schönheit der Form immer aufgeopfert. Daher
haben die größten Maler lieber Karrengäule mit langen
Mähnen, Schweifen und behangenen Füßen gemalt, als
feine, wohl gar coupirte Reitpferde. Kühe, Ziegen,
Schaafe sind im Ganzen viel geschickter für die Malerei,
als das Pferd, weil sie zu mehrerer Abwechselung in
Farben, in hellen und dunklen Partien, Veranlassung
geben.
16.
Von der Illusion. Über Malerei und Bildhauerkunst
in Rom. Th. 2. S. 41. Die Malerei ist privilegirt,
uns zu täuschen. Wir erblicken ein Gemälde wie ein
Phantom, wie eine Erscheinung an der Wand, die verschwindet,
sobald wir darnach greifen.
17.
Vom Farbentone. Über Malerei und Bildhauerkunst
in Rom. Th. 3. S. 347. 348. Der beste, angenehmste
Ton, den der Maler seinen gefärbten Gegenständen geben
zu können scheint, ist der, den der Abglanz des warmen
Sonnenstrahls über sie verbreitet. Aber in seiner
ursprünglichen Stärke würde ihn die Kunst des Malers
nicht erreichen. Er nimmt ihn also lieber gebrochen
an, wie er ungefähr von einem bemoosten Mauerwerke
von Backsteinen auf die Gegenstände zurückprallen
würde. Der Anstrich, den die Objecte dadurch erhalten,
steht ungefähr zwischen roth, gelb und braun in der
Mitte. Ich sage ungefähr, decidirt darf der Ton nimmer
sein. Aber so erscheint er in vielen Bildern von Correggio,
von Albano, und dies macht auch in den mehresten des
A. Sachi den kräftigen warmen Ton aus, den wir
so sehr darin lieben.
18.
Von der Erfindung. Über Malerei und Bildhauerkunst
in Rom. Th. 1. S. 13. Wenn man von der Erfindung
in der Malerei spricht, so denkt man nie an Hervorbringung
eines neuen, dem Zuschauer unbekannten, Vorwurfs,
sondern an Erfindung einzelner Theile, wodurch ein
bekannter Gegenstand auf eine neue Art zusammengesetzt
wird. <75:>
19.
Vorschlag für Kunstacademien in Rom. Malerei und
Bildhauerkunst. Th. 3. S. 154. Und daß ich
mir hier die Ausführung eines Projects zu einer Anstalt
denken dürfte, die für Sittlichkeit und Ausbildung
fremder Künstler von so unendlichem Nutzen wäre! Ich
wünschte nemlich Männer von gutem Herkommen und guter
Erziehung, die bei gehörig gebildetem Geschmack und
einer Liebhaberei zu den Künsten, die bis zur Aufopferung
aller übrigen Neigungen gienge, den Pensionairs, die
ein oder mehrere Höfe hier erhalten, statt der Directeurs
der Academien, welche Künstler sind, vorgesetzt zu
sehen. Ich wünschte, daß es Männer von gewissen Jahren
wären, die, verheirathet und reichlich besoldet,
sich der moralischen Erziehung der jungen Künstler
annehmen, ihnen bei ihrer Bildung als Künstler mit
Rath und That zu Hülfe kommen könnten, ohne geradezu
ihre Lehrer in der Kunst sein zu wollen. Sie könnten
ihnen den Zutritt in ihrem Hause vergönnen, wo sie
gute Gesellschaft, zu ihrer Bibliothek, wo sie Bücher
und Kupferstiche antreffen würden. Sie könnten ihnen
Gelegenheit verschaffen, nach nackenden Modellen zu
zeichnen, ihnen den Eintritt in die Gallerien erleichtern,
und sie vorzüglich in die Werkstätte der Künstler
bringen, wo sie Gelegenheit zur Arbeit und dadurch
Kenntniß der mechanischen Behandlung erhalten würden.
Das eigentlich Wissenschaftliche der Kunst, die Perspective,
die Optik, die Statik zu lehren, dazu möchte ein eigener
Professor mit geringen Kosten angesetzt sein.
II. Gallerie
der großen italienischen Meister.
1.
Leonardo da Vinci. Über Malerei und Bildhauerkunst
in Rom. Th. 2. S. 311. Seine Figuren haben
Ausdruck: nur ist die Lieblichkeit seiner Weiberköpfe
Minauderie, gezwungene Lieblichkeit. Auch sehen sie
sich an Form alle untereinander ähnlich. Alle haben
gekniffene Augen, gezogene Lippen, Grübchen in den
Wangen. Wenn er Männer von schlechtem Character hat
schildern wollen, so hat er den Ausdruck bis zur Carricatur
übertrieben. Die Carnation fällt bei jugendlichen
Figuren ins Weinhefenartige, bei älteren ins Nußbraune.
Wahre Mezzotinten kannte er nicht: aber die Localfarben
der Gewänder sind rein, und noch jetzt frisch und
wohl erhalten. Vom Helldunkeln, und der damit correspondirenden
Gruppirung hatte er keinen Begriff. Er rundete jede
Figur durch Abschwächung des Weißen, vertrieb die
Umrisse nicht und kannte keine Reflexe. Daher die
geringe Wirkung auf den großen Haufen. Der äußerste
Fleiß, der an das Überflüßige, wie an das Nothwendige,
verschwendet wurde, herrscht in der Behandlung: daher
das Kleinliche, das Trockene. Leonardo da Vinci war
in vielen Wissenschaften stark, die mit seinem Hauptgeschäfte
der Kunst in keinem genauen Verbande stehen. Er war
für seine Zeit ein universelles Genie und erlangte
als solches, bei denen, die das Centrum kannten, in
dem so viele Vollkommenheiten zusammentrafen, einen
erhöheten Grad von Achtung. Aber dem jungen Künstler
kann man nicht genug einprägen, daß die Nachwelt das
Werk getrennt von dem Meister sieht, und dem Todten
nichts von seiner Geschicklichkeit anrechnet, als
was auf sie gekommen ist und was sie gegenwärtig sieht. <76:>
2.
Michael Angelo. Malerei und Bildhauerkunst.
Th. 1. S. 177. Michael Angelo hatte um die
Kunst für die Epoche, worin er lebte, große Verdienste.
Er war der erste, der große Flächen mit Figuren auszufüllen
wagte, die mit dem Platze, für den sie bestimmt waren,
im Verhältnisse standen. Er lehrte zuerst das Überflüßige
von dem Nothwendigen unterscheiden und das Auge durch
große Massen in der Zeichnung anzuziehen. Er brachte
die Lehre von Verhältnissen auf richtige Grundsätze,
und lehrte den Zusammenhang des Knochen- und Muskelbaues
in ganzen Figuren. – –
Für
den Künstler ist in den Werken des M. A. eine
reichere Erndte als für den Liebhaber. Diesen muß
man vielleicht mehr auf die Fehler unsers Künstlers,
als auf seine Vorzüge, aufmerksam machen, damit das
Anziehende, was jene begleitet, ihn nicht verführe,
sie mit diesen zu verwechseln. – –
Die
Gegenstände, die den Pinsel des M. A. beschäftigten,
waren selten angenehm, und wenn sie es waren, so wurden
sie unangenehm durch die Art, wie er sie behandelte. – –
S.
178. Seine Gedanken sind oft so ungeheuer, und dies
wird oft mit Größe verwechselt. – –
Eine
Menge von Figuren in schweren Stellungen neben einander
zu vereinigen, scheint das Grundgesetz seiner Anordnungen
gewesen zu sein; seine Personen so zu stellen, wie
es der vorzügliche Antheil, den sie an der Handlung
nehmen, oder die Regeln der Gruppirung erfordern,
daran scheint er nicht gedacht zu haben. – –
Seine
Extremitäten sind ohne Noth verdreht und convulsivisch
verzerrt; die Gewänder willkührlich geworfen und die
Falten zu ängstlich gelegt. – –
Das
jüngste Gericht. S. 179. Wenn meine Einbildungskraft,
sagt Herr von Ramdohr, sich dieses Sujet malerisch
darstellt, welches Bild steigt in meiner Seele auf
– (nun kömmt eine Beschreibung des jüngsten Gerichts,
wie Herr v. R. meint, daß es dargestellt
sein sollte; von dem was M. A. dargestellt hat,
sagt er:)
S.
180. Aber was findet man von diesen und andern Ideen,
wodurch dieses Sujet so reich an interessanten Eindrücken
werden könnte, in diesem Gemälde? Nichts! Es gleicht
einer Beschreibung, wodurch eine feurige und fruchtbare
Einbildungskraft, die weder von Gefühl noch Geschmack
geleitet wird, bei langen Winterabenden, horchenden
Kindern und Weibern, ein Grausen würde abjagen wollen. – –
S.
182. Am Plafond sind einige Begebenheiten aus dem
ersten Buche Moses in verschiedenen Abtheilungen vorgestellt.
Man lobt darin die Figuren Gottes. Allein mir scheinen
sie durchaus den zurückstoßenden Ernst zu haben, der
sich mehr für einen Zauberer als den Weltregierer
paßt. In dem Bilde, wo der Schöpfer die beiden großen
Lichter ans Firmament setzt, hat er den Anstand eines
schlechten Schauspielers. Der Engel, der sich in eben
diesem Bilde in dem Schoose des Schöpfers aus Furcht
vor dem Monde verkriecht, ist eine lächerliche Idee. – – <77:>
S.
183. Rund um den Plafond herum sieht man mehrere Sybillen
und Propheten in academischen Stellungen, sie zeichnen
sich durch eine repräsentirende Anmaßung, durch eine
Anstrengung von Kräften aus, deren Grund man nicht
absieht, die über die Gränze der Wahrheit verstärkt
ist. – –
Der
Ausdruck in den Figuren des Michael Angelo, verhält
sich zu dem Ausdrucke in den Figuren des Raphael,
wie die Bewegung eines vorexercirenden Flügelmanns
zu den Bewegungen eines Soldaten in Reihe und Glieder.
Th.
3. S. 307. Christus von Michael Angelo (in der Kirche
S. Maria sopra Minerva in Rom) stehet, meiner
Einsicht nach, nicht seinem Ruhm. Er ist von gemeiner
Natur, sowohl was Kopf und Körper anbetrifft. Er trägt
einen Stutzbart; die Beine sind schwerfällig, die
Hände unnatürlich; die ganze Stellung ist verdreht
und unedel: die Muskeln sind viel zu stark angegeben.
Inzwischen ist die Kenntniß des Knochen- und Muskelbaues
und die Behandlung des Marmors unserer Aufmerksamkeit
werth. – –
S.
226. Eine berühmte Pieta oder Madonna, bei dem todten
Christ, Gruppe aus Marmor von Michael Angelo Buonarotti.
H. D. Volkmann rühmt den Ausdruck von Traurigkeit
in der heiligen Jungfrau, aber mir scheint er verfehlt,
und mehr mürrische Unzufriedenheit als Schwermuth
auszudrücken. Die Figur Christi ist zu mager, zu knöchern,
und die Gelenke sind wie zerschlagen. Die Madonna
ist noch zu jung gegen ihren Sohn. Taille und Hüften
sind zu lang, die Extremitäten zu klein. Man wirft
dem einen Arm vor daß er ausgesetzt sei. Ihr Gewand
beutelt sich statt Falten zu schlagen: eine Wirkung,
die man von einem nassen Gewande, das an der Hand
klebt, vermuthen kann. Diese Fehler abgerechnet, ist
die Zeichnung richtig, und die Behandlung weich. – –
Emendation:
Bildhauerkunst]
Bildhauerkunt D