III. Von einigen
frühern Gestaltungen der didaktischen Poesie.
Es soll hierüber
nur Einiges im Allgemeinen und zwar zur Erläuterung
und Rechtfertigung des vorigen gesagt werden: eine
ausführliche Anwendung desselben auf einzelne didaktische
Gedichte, kann sich nicht füglich so engem Raume bequemen.
Nun mögte es allerdings in Folge der Untersuchung
auffallen, wie sich nie lange jene Gattung in ihrer
Reinheit erhalten, noch vollkommen so dargestellt,
wie wir sie zuvor beschrieben. Auf das letztere genügt
allein die Antwort, daß wir von ihr überall nur im
Hinblick auf unsre Zeit gesprochen haben, auf das
erstere dagegen, daß der ihr eigenthümliche Reichthum
und die Fruchtbarkeit, welche sie bei würdiger Behandlung
beweist, sehr bald auf die Ausbildung der unterschiedenen
andern Formen wohlthätig einwirken müsse, mit welchen
sie auch von Anfang in gewissem Grade verbunden gewesen,
ohne jedoch, wie es nun scheint, über dieselben zu
gebieten. Jedesmal indeß haben wir bei näherer Prüfung
das didaktische in seiner Reinheit angetroffen, dann,
wenn eine neue Ordnung in der geistigen Welt sich
ankündigte, sei es nun auf den Trümmern einer früher
bestandnen erbaut, oder beim ursprünglichen Erwachen
sämtlicher Kräfte zu harmonischem Verein. Eine Trennung
zwischen Vernunft und Phantasie mußte vorhanden sein,
beide aber sich noch vertraut berühren, und ihren
gemeinschaftlichen Ursprung nicht verkennen. So lange
<29:> beide eins waren, erkennen wir die heroische
Zeit. Wir können daher, nicht blos durch historische
als durch innre Gründe geleitet, unmöglich dasjenige,
was noch aus dem frühern Alterthum als didaktische
Poesie bekannt ist, anders als in die Zeit setzen,
welche zwischen dem Epos und der Entstehung des Drama
mitten inne liegt. Es war damals schon die Welt der
genauern Betrachtung anheim gefallen, immer aber lag
sie in ihrer Ganzheit dem Auge vor, und der Nähe wegen,
bewahrte das Lehrgedicht noch manchen Zug des epischen,
vornehmlich das plastische. Die göttlichen Bilder,
in welche sich der früheste Geist, bewußtlos schaffend,
vervielfältigt, fingen an geordnet, bestimmt, in organische
Folge gestellt zu werden. Als darauf das Einzelne
immer geschiedener hervortrat, erwachte das Verlangen,
seine Einheit in der Mannigfaltigkeit klar anzuschauen,
welches die Philosophie erzeugte – und so bewährt
sich auch Wesen und Standpunkt des didaktischen von
historischer Seite, den wir früherhin von innen heraus
ableiteten. In jene Zeit fallen auch die große, ehrwürdige
Anzahl von Hymnen, die in so vielen Stücken noch ächt
didaktisch den Accord enthalten, zu dem sehnsüchtigen
Streben der Zeit, welches sich immer mehr als Mysterie
von dem äußern Treiben schied: denn was in der Urzeit
als Mysterie genannt wird, ist gewiß weit verschieden
von jenem, wie auch die dahin verlegten Hymnen und
Philosopheme, wenn man anders an dieselben glauben
will. Die Aussenwelt, das Göttliche und das Irdische
aus sich heraus zu erzeugen, war das Streben der didaktischen
Dichter, denen wir noch manche der ersten Philosophen,
wie sie die meisten unbestimmt nennen, auch derer,
die nur nach dunkler Kunde bei uns genannt werden,
beirechnen können. Ihren Werken, durch Berührung der
Phantasie und Vernunft entsprossen, war jene, als
das Frühere untergebaut; den unsrigen, die wir in
entgegen gesetzter Richtung fortschreiten, die letztre,
als das nun früher ist. Dadurch allein schon wird
es klar, wie dazumal das Didaktische als Allegorie
auftreten konnte und mußte, in welcher das Unendliche
durch ein Endliches angedeutet wird, wie aber der
Gebrauch derselben zu unsrer Zeit, wo man bemüht ist,
in jenem dieses jedesmal vorgebildet zu erblicken,
allem Fortschreiten der Kunst geradesweges entgegen
läuft: vielmehr halten wir sie für ein gänzliches
Verderbniß der heutigen Kunst, ja für Entweihung ihres
unantastbaren Gesetzes. – Auch auf das Leben,
seine Erscheinungen und Verrichtungen, wie deren Verhältniß
und Zusammenhang, wandte sich gar sehr früh der Geist,
und wenn ein Dichter den Umriß zusammenhängend und
in gediegner Fülle den Zeitverwandten aufstellte von
dem Bilde, welches seinem Geiste, Alles nur in seinem
Ganzen erblickend, von Gesetz und Regel menschlichen
Geschäftes sich eingeprägt, so gilt uns das,
noch dazu in Erwägung des damals so öffentlichen Lebens,
eben so sehr für ein hohes Beispiel des Didaktischen,
als wir es nicht dafür erkennen würden, wenn gegenwärtig
irgend einer es unternähme, die zerstückten menschlichen
Pflichten in poetisches Gewand zu hüllen.
Nur
also durch Vermittelung bestehend, konnte die genannte
Form nur ein schnell verduftendes Leben führen. Ein
merkwürdiges Beispiel aber, wie sie noch einmal <30:>
frisch gebildet wurde, liefern uns die Dialogen des
Platon, keinesweges an sich und ohne alle Beziehung
genommen, sondern nur von ihrer poetischen Seite angesehn.
Nur auf der Höhe, wo er stand, wie er alles in seiner
Einheit erkannte, und auch das Verschiedenste in den
Einen Staat hineinzog, und nur bei dem öffentlichen,
was damals Philosophie und Kunst hatte, war noch eine
solche Gestaltung möglich. Wir dürfen uns selbst noch
nicht eines sichern Überblicks seiner sämmtlichen
Dialogen rühmen; doch wollte es uns mehrmals scheinen,
als stellten sie – in der Gesamtheit betrachtet,
wie sie allein betrachtet werden sollen – ein großes
didaktisches Drama, ein Schauspiel göttlicher Ideen
dar, und halten es für die erhabenste Aufgabe, etwas
ähnliches in einer unserm Leben angemessenen Gestalt,
zu liefern, deren Gesetze sich aus jenem entwickeln
ließen.
Nur
einen sehr flüchtigen Blick können wir hier auf die
Erscheinungen der didaktischen Poesie bei den Morgenländern
werfen: immer aber bleibt es und mehr denn Alles zu
beklagen, daß jenen Völkern und den geringen Überresten
ihrer Werke so wenig Aufmerksamkeit im Ganzen gewidmet
wird; denn auch dieß ist ein Fehler, durch den, wir,
fortgerissen von dem einmaligen Treiben und gewöhnt,
den eignen Wohnsitz zu verleugnen, und dagegen fremde
Zeiten, gleich als wären sie die unsrigen, zu betrachten,
nur zu oft begehen; was dann, auf absolutem Standpunkte
betrachtet, das Höchste erscheint, ergötzt uns am
meisten, wie die griechische Bildung; was indeß uns
vor allem frommt, vergessen wir, gar zu wenig auf
uns selbst bedacht. Es gewährt nun aber die morgenländische
Poesie einen dauernden und gleichsam für immer festgehaltenen
Anblick des Didaktischen. Denn, bei wunderbarer Gleichförmigkeit
durch viele Zeiträume, sehen wir dort, wie nirgend,
Vernunft und Phantasie, Bewußtsein und Bewußtlosigkeit
in wechselseitiger Begränzung, Gedanke und Dichtung
mit einander vermählt und durch einander befruchtet,
dessen Gepräge sich der einfachen Reihe ihrer Dichtungsarten
mittheilt, die nur Modulationen der didaktischen zu
nennen sind. Wie das Ganze dieser Erscheinung seinen
Grund hat, in der individuellen Zusammenstimmung ihres
Geistigen mit dem Physischen, die man das Klimatische
nennt, so drehen sich die besondern Gestaltungen jener
Gattung um die Religion, durch welche dort die Völker
zu einem Ganzen vereinigt wurden, und die den Grundton
ihrer Werke ausmacht. Woher auch anders die unendliche
Menge ihrer Sprüche, ihrer Antithesen und Änigmen,
ihrer Gleichnisse und Parabeln, welche insgesammt
ein didaktisches Gedicht im Kleinen zu nennen wären,
als weil sie, bald ein durch Phantasie erschaffnes
Ganze unter den Brennpunkt der Vernunft stellen, bald
dieser wieder durch jene äußres Leben ertheilen, weshalb
auch noch jetzt die Ansichten des Lebens, wie sie
sich in Sentenzen-Form aus poetischen Köpfen, besonders
der gemeinen Stände, offenbaren, alle Aufmerksamkeit
verdienen. Weil sich nun vom Anfang ihr geistiges
Wirken, als eine Auflösung jener beiden Elemente in
und durch einander ankündigte, war auch zugleich die
Einfachheit und Beständigkeit ihrer Bildung gegeben,
wie hingegen die griechische, mit <31:> kräftiger
Fülle beginnend, und aus der Tiefe des Reichthums
schöpfend, verschiedene Stufen und Umwandlungen ahnden
ließ, der Einwirkung von außen nicht zu gedenken.
Mit
wenigem gedenken wir hier der didaktischen Versuche
bei den Römern. Ist jede freie Eröffnung individueller
Ansicht ehrwürdig, und kann nur der beschränkte Urtheiler
Anmaßung in ihr suchen, so gestehen wir, daß wir von
ihrem geistigen Treiben, wo es nicht Historie und
Rhetorik galt, jederzeit vielleicht allzu gering gedacht
haben. Das wenige, was wir auch von ihren Bearbeitungen
jener Gattung kennen, ist, wie ihre ganze Poesie,
nur Aneignung des fremden, entweder Bearbeitung eines
ehrwürdigen Gebäudes der Philosophie (wie das Gedicht
des Lucrez,) das indeß, wenn man es mit den poetischen
Werken der spätern Römer vergleicht, vortrefflich,
besonders in einzelnen Stellen, genannt werden kann,
oder rhetorische Ausschmückung wieder eines gegebnen
Stoffes. Es scheint unmöglich, daß ein Volk, dem das
Objective von Staat und Vaterland einziges Ziel des
Strebens war, welches Streben sich nie bei ihnen,
wie bei den Griechen, von außen nach innen, und von
innen nach außen, in Wechselneigung hielt, sondern
immer außer dem Subjekt das Leben hinsetzte, daß dieses
je in Poesie und Philosophie – mit wenigen Ausnahmen –
mehr leisten konnte, als dasjenige fleißig und in
engen Gränzen überarbeiten, was ihm ein vollendetes
Volk geliefert.
Äußre
Hindernisse waren es, welche in den ersten Zeiten
des Christenthums das Aufblühen jener Form gehemmt
haben. Doch dürfen wir auch auf der andern Seite,
von dem zu ganz neuem, himmlischen Leben erwachten
Geiste, von der am Anschauen des Unendlichen erwärmten
Empfindung, von der Begeisterung, die durch Druck
und Plagen von außen her, nur noch immer kühnern Schwung
erhielt, nicht gleich anfangs reife Früchte erwarten.
Nach Jahrhunderten der Unruhe und Gährung, als ein
sicherer, fester Boden sich allmählig wieder zu bereiten
anfing, als auch die Speculation Eingang und Freunde
überall gefunden, konnte und mußte ein neues Leben
für die didaktische Poesie hervorgehn, aber nicht
anders denn höchst bedeutend seine Spuren sein. Das
heroische Zeitalter war vorüber, und noch war keine
Spaltung in die Gebiete menschlichen Treibens getreten,
die nunmehr so unsicher macht den Blick, und uns,
theilbar wie wir sind, auch flüchtig und unstet über
den Boden erhebt. Wir setzen gern die nächsten Jahrhunderte,
seit den Kreuzzügen den zu Anfang erwähnten frühesten
Perioden des Alterthums gegenüber, und finden demnach
einen höchst eigenthümlichen Unterschied der Art,
wie die didaktische Poesie sich, und zwar nach Gesetzen
der Nothwendigkeit, in beiden verschieden offenbart
hat, dessen Betrachtung auch für so manches andere,
höchst fruchtbar ist. Wie nemlich dort an die bewußtlosen
Schöpfungen der Phantasie sich die Reflexion über
die äußre Natur reihte, so hier das unendliche Gefühl
der Liebe, der Religion, die Begeisterung für die
Wohlfahrt des Innern an die Geschichte. Von der Seite
möchten wir am liebsten die erhabnen Werke des Dante,
Petrarca und Hans Sachs, wiewohl auch <32:>
mit Rücksicht auf die Eigenthümlichkeiten ihres Landes,
betrachtet wissen, und uns von neuem rechtfertigen
wegen der Ansicht, die wir oben für unsre Zeit, gemäß
der von ihr entworfenen Schilderung von dem didaktischen
aufgestellt. Denn nichts ist verderblicher, und günstiger
für das Hin- und Herschwanken unsrer Tage, als den
Begriff irgend einer Gattung im Kunstgebiete für alle
Zeiten eigensinnig feststellen wollen, oder ihre Gesetze
aus irgend einer frühern Epoche streng herleiten.
Es wäre hier freilich ein schicklicher Ort, durch
eine nähere Erläuterung der Werke jener drei Dichter,
und der nächsten sowohl als erhabensten Muster, den
eignen Drang darnach zu befriedigen und zu zeigen,
wie Jeder auf seine eigenthümliche Weise ein vollendetes
geliefert; allein wir dürfen voraussetzen, daß der
Inhalt ihrer Werke allgemein bekannt ist, und mögen
auch dieser Abhandlung nicht einen das Verhältniß
übersteigenden Umfang geben. Nur davon, wie sie aufgenommen
werden wird, hängt es ab, daß wir auf solches Geschäft
besondern Fleiß und Aufmerksamkeit verwenden.
Nur
in engen Umriß gestellt und angedeutet ist hiermit
dasjenige, was durch bestimmtere, sorgfältigere Ausführung
weit mehr an Deutlichkeit und Nachdruck gewonnenn
hätte. Immer konnte auch so nicht die Gattung in der
Ganzheit ihres Lebens angeschaut werden, indem es
nöthig war, sie aus dem Gesammtleben, das sie mit
der ganzen Kunst führt, der sie wie ein organisches
Glied angehört, herauszureißen – wie auch Geschichtschreiber
gezwungen sind, einzelne Völker loszutrennen von dem
Leibe der Menschheit, durch den sie nur allein unsterbliches
Leben erhalten und bewahren. Wir wissen überhaupt
nicht, ob hier oder da ein Wink enthalten ist, der
würdig der Aufnahme wäre, wohl aber, daß unser Bestreben
rein und im Ganzen tadellos ist. Denn weit entfernt,
den Zeitgenossen Etwas zu gebieten oder aufzulegen
im Gebiete der Freiheit, da nie ein Mensch je zu gebieten
vermag, wollten wir vielmehr die Sprache der Zeit,
die durch unser aller, ihrer Kinder Mund, sich vernehmen
läßt, hervorheben, auch keinesweges, wie so viele
gethan, an dem, was zeitmäßig ist, etwas verändern
oder dasselbe lenken, weil wir wissen, daß es als
solches, wie es auch in Vergleich mit andern Zeiten
erscheine, immer göttlicher Vortrefflichkeit ist,
sondern nur eine poetische Gestaltung jenes Zeitmäßigen
fordern. Schlecht kann nun aber nie, in welcher Gestalt
es auftrete, ein Werk genannt werden, wenn es in die
Zeit eingreift, an Ort und Stelle verweilt, zu Hause
ist – ein Wort das uns, und mit einigem Fug immer
fremder zu werden anfängt. Scheinen wir auch hier
oder da verkannt oder zu voreilig niedergerissen zu
haben (vornehmlich, indem wir mit wenigen fast unerklärlichen
Ausnahmen so gering von sämmtlichen Kunstwerken der
Zeitgenossen urtheilen) so nenne man dieß nicht Stolz,
sondern vielmehr Bescheidenheit, weil wir uns so weit
zurück von dem hohen Ziele dünken, das uns täglich,
ja stündlich vorschwebt und mächtig anlockt. Dieß
zu erreichen, dünkt uns; geschieht nur zu wenig, und
wiewohl in den zahllosen Einschränkungen von außen
her, mit denen man dafür bitter genug hadert, manches
Hinderniß ruht, <33:> so konnte doch davon hier
unmöglich die Rede sein, zumal da noch immer an unsrer
Seite genug zu thun übrig bleibt. Nie so sehnsüchtig
in die Zukunft hingebaut, nur die Gegenwart richtig
erfaßt, von allen Seiten herbeigetragen den Stoff
zur eignen Bildung ins Unendliche, und durch die Allmacht
des Geistes zum Sclaven gemacht das Irdische, das
uns zu bewältigen droht! denn was vom Geiste ist,
überwindet die Welt. –
W. Nienstädt.