IV. Von der didaktischen
Poesie.
(Fortsetzung.)
II. Vom Zeitmäßigen der didaktischen Poesie.
Zweiter Theil.
Giebt es auch auf
dem Gebiet des Wissens wie des Dichtens nur Eine Höhe,
steht eigentlich Alles neben einander in eng geschlossenen
Gliedern, erhält sogar nur mit dem verwandten Leben
sein eigenes: so findet doch vor dem endlichen Blick,
d. i. der Zeit nach, eine Stufenfolge Statt:
da tritt Welle auf Welle, ragt eins vor dem andern
hervor, je nachdem die Zeit sich in dieser oder jener
Form vor allen andern genügend ausprägt. Nicht ist
die Rede von dem, was der Geschmack oder die Laune
der Zeitgenossen hervorhebt, sondern, was die Zeit
unserm Gebilde, das nun einmal, <21:> wie wir
selbst, nur unter der Form des Endlichen unendlich
ist, (ohne unser Hinzuthun, als die wir von der Zeit
empor getragen werden) für ein eigenthümliches nothwendiges
Gepräge gab. So möchte denn auch für unsern gegenwärtigen
Standpunkt jene vermittelnde Form einen entschieden
hohen Platz einnehmen. Nur auf dem Wege der Betrachtung
unserer Zeit, im Allgemeinen und der Poesie, die von
ihr das Leben hat, kann sich dieß ergeben.
Eben
die hin und wieder erwähnte natürliche Abschränkung
zwischen dem Einzelnen und dem Allgemeinen, dem Individuellen
und dem Unbegränzten, dem Vergänglichen und dem Unvergänglichen,
als nothwendigen Erscheinungen Eines und desselben,
stellt sich gegenwärtig im Großen als ein schneidender
Contrast, als ein untilgbarer und überall von neuem
uns verwickelnder Kampf, dar. Was noch vor nicht langer
Zeit in glanzvolle Höhe über uns gestellt, dem Handelnden,
wie dem Denker und Dichter als unerreichbar gewesen,
jeoch daß er mit stiller Entsagung zu ihm aufblicke,
in sein Werk der Strahlen, so viel ihm nur immer vergönnet,
davon herableite – das ist nunmehr zu uns hernieder
gezogen, unter uns, ja in unserm eignen Innersten
einheimisch worden. Wir finden es da gar wohl!, aber
nicht selten, indem wir uns verlieren; wir finden
uns wieder und es verschwindet jenes. Im Anblick der
Nothwendigkeit, die ihr heiliges Gesetz über die unendlichen
Geschlechter ausübt, schwindet das Bewußtsein eigner
Freiheit; im männlich-kühnen Beginnen erlischt der
Gehorsam gegen den Einen Spruch, dem alles sich fügt;
in Prüfung einer reichen Vergangenheit wird die Gegenwart
dunkel und ungewiß; in frühzeitiger Zerspaltung nach
zahllosen Punkten entbehrt der Geist der eignen Kraft
und vollendeten Rundung; im Streben nach dem Ideal
versagt die spröde Umgebung jedwede Gestalt –
überall Misbehagen, überall Kampf, der regste Zwiespalt
unter den zerrissenen Gliedern Eines organischen Leibes.
Zu uns wieder gekehrt ist das Göttliche an manchen
Orten, aber die Vermählung ist noch nicht vollzogen,
der Geist nicht Fleisch geworden. Ein – wie es
unlängst genannt worden – dialogisches Interesse
erzeugt sich von selbst in jeder Brust, die die Anklänge
vom Ganzen her in möglichster Fülle in sich aufnimmt
und wiedertönt, vor allem daher in der Brust des Dichters.
Das Drama schlägt seinen Sitz auf. So geschah es auch
unter den Griechen, jedoch, wie dort so vieles andere,
in umgekehrter Richtung. Nicht schon, als Göttliches
und Menschliches friedlich beisammen wohnte, als die
Natur noch ungestört und ungetrennt in ruhiger Fülle
den Menschen begrüßte, erst da die Strahlen sich trennten,
der Blick immer unruhiger in eine ungemeßne Ferne
drang, der Friede zwischen Welt und Mensch gebrochen
war, löste sich aus dem Epos das Drama ab. Darnach
ward jede Vereinigung der Strahlen, jede Sänftigung
des rastlosen Gemüthes immer unmöglicher; uns wird
sie immer nothwendiger, immer natürlicher. Wir sollen
zurück, wo jene begonnen. Kämpfend untergehn oder
gläubig siegen ist dazu das Losungswort für Alle,
denen ein höherer Beruf kund geworden, als das mattherzige
Streben nach Nützlichkeit. <22:>
Nur
im Besitz des Einen, welches in Altem lebt, nur in
klarer Erkenntniß des Einen Grundgesetzes, indem selbst
das Verschiedenste sich knüpft und freundlich gesellt,
entwickelt sich die erhabne Ruhe, das Gleichmaaß wie
die klare Gestaltung des Einzelnen, woran sich das
Epos erkennen läßt. Daher ihm unter uns, die wir so
gern die Tiefe suchen und nicht, wie andre, auf glänzender
Oberfläche einer üppigern Natur reiche Gewebe anzulegen,
veranlaßt werden, so wenig gehuldigt ist. Ja auch
das Lyrische, welches uns doch mehr, als alles andre
rein angehört, ist nicht immer in ungetrübter Gestalt
erschienen, wenn wir anders die oft rührende Selbstvernichtung,
die fromme Hingebung an das Ewige, das immer neu und
in unendlicher Verschiedenheit die Seele berührt,
in so vielen Produkten richtig erkennen. Nirgend ist
auch da der Boden fest und bereitet, wie er doch sollte,
schwankend unstät das Gemüth, in selig gepriesener
Vergangenheit oder in glücklicherer Zukunft mit stets
neu erwachender Sehnsucht einheimisch, selten die
Selbstgestaltung sicher und lebensfrisch, vielmehr
verschwimmend und zu sehr vergeistigt.
Auch
das neueste Drama, in welchem sich der erwähnte Widerstreit
am treuesten abspiegeln, aber auch genügend versöhnen
soll, scheint von dieser letztern Bestimmung nicht
minder entfernt zu sein. Ein Höheres, Ideelles, nur
bestimmt und modulirt je nach der Eigenthümlichkeit
des Dichters, ist es, zu dessen Gunsten sich der Kampf
entscheidet, vor dessen sonnigem Glanze die übrigen
Gestalten mehr oder minder erbleichen. Daher solche
Werke in ihrem Höchsten und Äußersten, in dem, was
gleichsam Spitze und Blüte derselben ist, etwas Luftiges
und Durchsichtiges haben, das der Rundung, dem gesunden
Leben des Ganzen Gefahr bereitet. Denn indem sie pflanzenartig
der Sonne nachstreben, wurzeln sie nicht fest an ihrem
Boden – sie erblassen. Aber gerade dadurch, daß
die Urheber solcher Werke auf der einen Seite ein
plastisches Gesetz befolgen, nach Umriß, nach Bestimmtheit,
nach Gleichmaas trachten, und von der einmal beliebten
Gattung in der sie dichten, dazu angehalten werden,
andrerseits aber sich in lichte Regionen, in eine
unbegränzte Tiefe ausbreiten, wird immermehr die Reinheit
der einzelnen Formen schwinden, eine gefährliche Mischung,
Schrankenlosigkeit und Indifferenz überhand nehmen.
Mit Schiller, also für das, was bisher geleistet
worden und noch zu leisten übrig, bereits sehr früh,
begann dieses Streben und die, welche ihn getadelt,
haben nur durch ihr gerechtes Lob anderer, nicht aber,
in eignen Werken (nur mit dem Unterschiede, daß sie,
jeder seiner Eigenthümlichkeit, getreu blieben) gezeigt,
welch ein Ziel sie vor Augen hatten. Derjenige, welcher
allein von dem bisher Gesagten, in allen Gebieten
der Poesie, indem er nur immer seine Herrschaft ausbreitete,
eine Ausnahme macht, ist Göthe. Ohne unberufen
das vieltönige Jubellied vermehren, noch Ein Wort
mehr über ihn sagen zu wollen, als Standpunkt und
Zweck der Abhandlung fordern, läßt sich das Bekenntniß
schwer unterdrücken, daß seiner anderweitigen Vortrefflichkeit
unbeschadet, er vor allen in Zusammenstellung mit
seiner Zeit, mit solchen Strebungen, als wir bei den
Übrigen gefunden, einzig und höchst merkwürdig <23:>
uns erschienen ist. Diese – so zu reden –
Bewußtsamkeit, dieses parteilose Ergreifen und Aneignen
des Verschiedenartigsten und jeden andern Blick verwirrenden,
diese Herrscherkraft, unter der sich Alles versöhnt
und zu einander will, diese Ruhe im „Schneiden aus
dem Vollen“, da überall Mitte und Ende ist –
alles dieß dürfte vielleicht unter andern Umständen,
als die, welche uns täglich neu verwickeln, minder
bewundernswürdig sein. Wohin Novalis mit seinen
Bemühungen gediehen wäre, wissen wir leider nicht:
er wollte die Strahlen zusammen leiten, die Dissonanzen
lösen, die jenem von Anfang her in Einem Brennpunkt
versammelt, in harmonischem Verein erschienen, weshalb
Göthe auch nie sich wohin bemüht, sondern allerwegen
da ist – der Grund seiner Geschlossenheit. Novalis
mag uns stets ein Vorbild sein an dem, was
wir wollen, Göthe, an dem, wie wir wollen.
Zwar
haben demnach mehrere, zum Theil treffliche Dichter
ihren Beruf, das Göttliche menschlich zu machen, erkannt,
sie haben das Übersinnliche ihren Formen vermählen,
das Wahre zugleich als schön darstellen wollen: statt
aber mit angeborner Kraft dasselbe zu sich herüber
zu ziehen, haben sie ihm sehnsuchtsvoll nachgejagt
und daheim, im Kunstgebiete, Bürgerrecht und Freiheit
verloren. Viele sogar sind nicht wiedergekehrt, ihre
Productivität ist erloschen; sie gaben sich nemlich
frommer Beschauung hin, weshalb wir sie nicht minder
ehren müßten, wenn sie nur nicht oft versucht würden,
die Regungen ihres Innern für einen Aufruf zu halten,
daß sie zurückkehren möchten in ihre Jugend Heimath,
wo ihnen doch nimmer so wohl sein kann. Enthält daher
nicht, der hin und wieder über jenen gepriesenen Dichter
rege gewordne Vorwurf, dem Heiligsten und Göttlichsten
seine Liebe ungläubig versagt zu haben, das verborgne
Bekenntniß, daß bei jedem Bestreben, diesen Tadel
nicht zu verdienen, er sich unsrer Bewundrung auf
der andern Seite minder würdig gamacht haben würde? –
Gewiß
also, doch ohne es zu wollen, haben die Unsern mit
allem Eifer nichts weiter, als den noch immerfort
obwaltenden Gegensatz zwischen dem Göttlichen und
Menschlichen, zwischen Philosophie und Poesie, die
doch in ihrem Höchsten eins sind, und einmal versöhnt
werden sollen, bewährt, und es ist auch zu befürchten,
daß er auf dem erwähnten Wege nie gelöst werden wird.
Warum sollten wir demnach vielleicht gegen eine zahllose
Menge von Gegnern, welche vielleicht nicht minder
das Beste wollen und noch vollkommner erkennen, die
gewisse Überzeugung unterdrücken, daß unsre Poesie
nimmermehr ein unabhängiges, kräftiges Leben, die
Mitgabe wahrer Popularität gegen den matten Schimmer
des Mysticismus vertauscht? Wohin gar wollen uns diejenigen
führen, die sich noch durch Behandlung antiker Stoffe,
als gleichsam der einzigen Schutzwehr, dagegen zu
verwahren suchen? Die wahre Jugendperiode unsrer Poesie,
wo Alles in lebensvollem Verein Ein gemeinschaftlich
Ziel anerkennt – und jede wahrhafte Anerkennung
ist auch Strebung zugleich – diese Zeit scheint
uns daher noch weit dahinten; vielmehr dieselbe Erscheinung,
auf welche die Geschichte so oft und so deutlich hinweist,
tritt auch nun <24:> wieder ein, daß nach jeder
Erschütterung einer bis dahin bestandenen Form, innerhalb
welcher der menschliche Geist kreisete, alsbald eine
Spaltung und Zerlegung der Grundelemente nach zwei
entgegen gesetzten Richtungen eintrat. Den Zeitgenossen
liegt es ob, eine organische Verbindung zu fördern
und schnell herbei zu führen. Sollen wir aber mit
einem sagen, was uns bei einem von der innigsten Theilnahme
erfüllten Blick, auf das geistige Leben der Unsern,
da wo es am schönsten sich offenbart, als das Hauptmerkmal
derselben vor die Augen getreten ist, so war es: ein
mächtiges Bewußtsein innerer Freiheit, zugleich mit
dem schmerzhaften Gefühl des Zwangs von außen. Es
ist natürlich, daß sie um so mehr jene über alles,
wie ein Geliebtes heilig halten, das Äußerliche dagegen
hassen und dasselbe, so viel es nur gestatten will,
in die heitre selige Natur der Freiheit, die das Innre
giebt, hinüberleiten. Es scheint, als ob sie diese
vielmehr den Umgebungen einverleiben sollten, damit
die Welt sich wahrhaft frei erzeuge, nicht jedoch,
wie sie verfahren, umgekehrt. Daher nun sind die Künstler
mehr Philosophen als Künstler, dem obigen zufolge,
wo wir von dem Subjectivwerden der Philosophie sprachen,
oder philosophische Künstler, daher in Gedichten so
viel vom Unsinnlichen, in lyrisches Gewand gehüllt,
daher überall Allegorie, selbst gesucht wo sie nicht
ist, die sich aber zum wahrhaften Bilde verhält, wie
eben die Philosophie zur Kunst, weil sie mit Absicht
ein Unendliches bezweckt und aufsucht; daher, mit
dem willigen Dahingeben des Besitzes, der das Eigenthümliche
bilden hilft, mit dem Selbstvergessen, der Mangel
an Fülle, an innerer Haltung, kurz an allem, wodurch
die Kunst, ja selbst die Wissenschaft, sich als menschliche
Kunst und Wissenschaft, darstellt. Deswegen und weil
so schwer es ist, zwischen Sinnlichem und Unsinnlichem
den Wiederverein zu stiften, herrscht allerwegen so
viel Absicht und Rücksicht, es erfordert eine hohe
Gabe der Ahndung – Bildung wird es sogar von
Einigen genannt – zu errathen, was alles dieses
oder jenes zu bedeuten habe, eine Kunst, die wir besonders
auch an ältern Werken, wie z. B. denjenigen der
Malerei, ausüben, statt daß der wahre Künstler nur
gedeihet in der vollzognen Versöhnung, in der ruhigen
Anschauung des Endlichen, welches ihm zugleich das
Unendliche ist, nicht erst bedeutet und Alles ausspricht,
indem er sein Leben verkündet. Andre mögen es in den
Kreislauf ihres Lebens wiederum bildend aufnehmen,
mögen sich auf Augenblicke darin, ihr Eignes verleugnend,
übersetzen, oder, was ungleich mehr ist, es gemäß
dem Kunstwerk ihres Lebens gestalten – am wenigsten
weiß der Künstler selbst darum, als den kein besonderer
Zweck, sondern nur die Gottheit leitete, die in ihm
wohnt.
Es
mag diese Forderung der Bewußtlosigkeit den Meisten
unerreichbar vorkommen, aber sie ist auch etwas sehr
hohes in Zeiten, da Verstand und Einsicht über unser
ganzes Wesen gebieten, welches immerfort ein sehr
getheiltes zu sein, spröde beharrt. Wenn man dabei
sich dessen erinnert, was oben vom möglichen Unterschiede
zwischen Philosophie und Kunst gesagt worden, wird
man leicht begreifen, auf welche Seite sich alles
Treiben mit mächtigem Übergewichte neigt. Wie aber
<25:> demnächst erwähnt ward, daß auch der tiefste
Forscher angehalten werde, sein Innres als den Widerschein
der Gesammtheit zu erkennen, sind auch die Künstler
darauf bedacht worden, alles in unsterblicher Gestalt
auf ihr Innres zu beziehn, und auf solchem Wege Totalität
zu erstreben, weshalb wir sie auch oben philosophische
Künstler nannten. Doch didaktisch wurden sie dadurch,
ohne es zu wollen, und offenbarten somit den Drang
der Zeit und ihres Geistes, der durch ihren Mund redete.
Am öftersten trug sich dieß in den Dramen zu, und
statt dieß durch eine genaue Auseinandersetzung darzuthun,
bemerken wir blos, daß uns die Natur des heutigen
Drama nicht so sehr dazu geeignet scheint, als vielmehr,
historisch betrachtet, den nächsten, nothwendigen
Übergang zu bereiten auf die didaktische Poesie. Denn,
was jenes objectiv darstellt, die Natur, das Unendliche
der Welt und des Lebens (wiewohl mehr der äußern Erscheinung
nach) in Bewegung mit dem Innern des Menschen vor
die Augen zu bringen, das bewirkt diese subjectiv,
daher ist jenem das Lyrische mehr ein beigegebnes,
mehr objectiver Bedeutung, es selbst befolgt ein plastisches
Gesetz. Jedoch ungleich anschaulicher wird die obige
Behauptung durch folgendes: Im Drama stehen mehrere
individuelle Innern einander, von einer äußern Natur
ergriffen, gegenüber, sie berühren und entfernen sich
unzähliger Weise, die Woge des Gedankens wie der Empfindung,
erzeugt ohne Maas neue Wogen, sie scheinen sich in
Einem Punkte zu verknüpfen, nach Einem Ziel sich kreisend
zu bewegen, nirgend aber ist absolutes Ende; die Handelnden
mit allen Erscheinungen ihres Innern wechseln und
schwinden, die Aussicht ins Unermeßliche ist überall
gegeben; Ein Beharrendes aber muß da sein, an dem
sich die Flut breche, welches sie umkreise: dieß aber
ist das Innere des Betrachtenden. In ihm muß ein fester
Standpunkt sein, von dem er überschaut, die Summe
des ihm Gewiesenen mit neu begonnener Schöpferkraft
ordnet, von sich aus den großen Gedanken des Dramas
entwickelnd. Der wahre Zuschauer ruht nicht eher,
bis er die Seele des Schauspiels sich einverleibt,
sich ihr wie sie sich gemäß gestimmt hat. Sobald er
aber diese Wechselharmonie laut ertönen läßt, ist
er didaktischer Dichter. Schon hieraus wird das Bestreben
unsrer Tage, aus dem Drama einen Hauptgedanken gleichsam
eine Moral zu entwickeln, oder selbst im Anblick eines
Ziels zu dichten (welches unsre Dichter oft entweder
z. B. in Prologen, ziemlich laut, sich selbst
erläuternd, bekennen oder sehr geschickt verbergen)
als ein Streben zum didaktischen sichtbar. Es möchte
uns aber hier am ersten der Vorwurf entgegen kommen,
als ob gerade durch dieses didaktische, eben das als
ein besonderes und abgeschloßnes gesetzt würde, was
wir an so vielen Orten als einen Fehler unsers künstlerischen
Treibens gerügt, nemlich die Betrachtung des Unsinnlichen
hinübergezogen auf das Feld der Kunst. Es läßt sich
dagegen erstlich einwenden, daß jener Tadel auch nicht
minder die plastischen Künste betraf, wo jene absichtliche
Verbindung durchaus unstatthaft ist, wir aber nur
in der Poesie deren Möglichkeit nachgewiesen haben;
ferner, daß wir im Verfolg der Untersuchung eine Gattung
aufgefunden, in welcher sich das unvermeidliche Streben
rein, zugleich auch als einzig möglich gestalten und
wahrhaft fruchtbar für die übri- <26:> gen werden,
der allgemeine Drang sich aussprechen und stillen
könne, statt daß bisher die reinen Formen immermehr
vermengt und getrübt wurden, endlich aber, daß wir
durchaus nur in Bezug auf die gegenwärtige Zeit verstanden
sein wollen, von der man nie etwas losreißen darf,
was je die Welt gebar, so wenig wie vom Körper das
Glied.
In
einem Zeitalter daher, wo man immer tiefer und mit
immer neu aufgeregter Begier dem Unendlichen nachforscht,
zugleich aber auch immer klarer der eignen Freiheit,
der Höhe und Tiefe des Geistes inne wird, muß auf
jener Seite die Freude am Unvergänglichen auf dieser
das Vorgefühl des Besitzes sich vor andern kund thun,
wie davon das Lyrische in unsern Poesien Zeuge ist.
Was hülfe dem Menschen auch alles jenes, wenn es nicht
mit seiner unergründlichen Natur vereinbart und unter
den Menschen eingebürgert würde, wie es nur die Poesie
vermag? Müssen wir nicht wünschen und darnach ringen,
daß alles Göttliche, welches uns zu Theil geworden,
sich zum harmonischen Staate durchdringe, nicht mehr
aber als ein luftiges Gebilde uns umschwebe? Wahrlich
geschieht dieß nicht in Nachahmung solcher Männer,
deren seltne Natur wir freilich bewundern müssen,
im Trachten nach ihrer Geschlossenheit wie der Reinheit
ihrer Formen. Denn obgleich auch wir sie dergestalt
ehren, daß wir jede Schmälerung ihres Ruhms für freche
Antastung halten, dünkt es uns doch besser, endlich
einmal von den zahllosen Lobpreisungen sich zur genauern
Betrachtung seiner Zeit zu wenden, sie liebevoll zu
umfassen, und was sie gebeut – es ist aber dieß
ohne Zweifel ein ganz andres, als was wir nach jenen
Mustern treiben – treu zu vollführen, ihren Geist
unsern Werken einzuprägen. Klaget doch nicht, daß
solche Genien selten seien; vielmehr, daß es so schwer
ist, seine Eigenthümlichkeit zu bewahren in dem mannichfachen
Strudel, und sein Innres abzuschließen, trotz des
unmäßigen Ausdehnens in die ungeheuersten Fernen –
und es wird hervorgehn, daß Eure Klagen leer sind.
Der
oft erwähnte Drang veranlaßte wiederum viele, von
sehnsuchtsvoller Ahndung einer segensreichen Zukunft
angelockt, die Gestaltungen der Vorwelt, bei denen
sie so gern verweilten, wieder zu erwecken, und wir
erhielten nicht wenige bedeutungsvolle Märchen. Wir
wollen es für jetzt dahin gestellt sein lassen, ob
man dergleichen in seiner ursprünglichen Gestalt didaktische
Natur zuerkennen wolle, auch den wenigen neuern Märchen,
in denen sich die jugendliche Üppigkeit und kindliche
Einfalt nicht verkennen läßt, unsre Bewundrung nicht
versagen, indem sie aus einem wahrhaft kindlichen
und deshalb für uns so seltnen, nicht aus einem kindlich
sich gebehrdenden Gemüthe entsprossen – die übrigen
alle aber verrathen geheim den unwillkührlichen Hang
zum didaktischen, die Philosophie auf das Gebiet der
Kunst hinüberziehend. Weil aber immer absichtlich
Alles so gestellt ist, als werde nie der Verstand,
nur die Einbildung mit großem Übergewicht in Anspruch
genommen – in den ersten Zeiten aber nahm man
bewußtlos beides, als Eins in Anspruch – so griffen
sie nie in die Zeit der klarsten Bewußtsamkeit ein,
berührten nie den <27:> Boden, der uns erzeugte,
und ihr Leben schwand wie das der zarten Blüten in
der herben Jahreszeit. Gebildet haben sie wahrlich
nie, da doch Alles, was wahrhaft in und mit dem organischen
Ganzen der Zeit lebt, bildend ist ins Unendliche.
Für etwas ganz anders und wahrhaft zeitmäßig und didaktisch
unter allen Erscheinungen der Art, halten wir die
Mythen des Herrn Schubert, die er seinen Ahndungen
einer Geschichte des Lebens vorangehn lassen. Wegen
ihrer anscheinenden Objectivität sind sie es zwar
nur in so fern, als man sie für Überschriften zu seinem
Buche gelten läßt, in welchem er seine Individualität
erst entwickelt und sein Subjectives hinzufügt.
Die
edle Lust, Jegliches zuvor inwendig zu verarbeiten,
ehe man ihm nach außen Gestaltung giebt, d. h.
sein Innres erst zur Harmonie des Unendlichen zu stimmen,
ehe man dieses wiederum objectiv, außer sich setzt –
denn so ist etwa das Verhältniß der didaktischen gegen
die übrigen Künste – diese Lust ist dabei etwas
Nationales. Wo offenbart sich auch deutlicher der
Drang nach Vereinigung dieser beiden Elemente, als
unter uns, und wo kann, nach der Bestimmung unsers
Landes, jener Bund hinreichend vollzogen werden, als
gerade hier? Haben wir doch immer mit ehrbarer Treue
das alte Gesetz verehrt, das unsre Vorfahren einst
herüber gebracht, und wie es sich auch unter den Nachbarn
immer mannichfach gestaltet, ist es doch unter uns,
zwar verändert, doch aber am meisten in seiner Einfalt
verblieben. Es kostet nicht gar viel, es vom Zufälligen
zu säubern und wiederum herrliche Blüten der Kunst
zu fördern. Daß wir aber auf dem jetzigen Wege nur
Verkehrtes zu Tage fördern, tragen wir durchaus keinen
Zweifel. Nie kann es uns an Begeisterung, an Muth
und Aufregung fehlen, denn was treiben wir jetzt wie
jederzeit mit mehr Eifer und unmäßiger Liebe, als
die Nachforschung der Natur, der Welt, und des Lebens
und ihrer unendlichen Gesetze, ja so, daß wir uns
nun sogar des Sichtbaren immer mehr entwöhnen? wollte
man uns auch das Nothwendige der didaktischen Gattung
bestreiten und leugnen, so berufen wir uns darauf,
daß ein Streben solcher Art unter uns nicht zu verkennen
ist: ein jedes Streben aber muß sich, wenn der Geist
der Zeit es hervorruft, rein und vollendet gestalten,
vernehmlich und bis auf den leisesten Ton sich aussprechen,
nie blos hie und da sich einmischen, noch das minder
Verwandte trüben, wenn anders je reine Formen hervorgehen
sollen. Aus der unendlichen Natur der didaktischen
Poesie, hoffen wir auch, werden die übrigen höchst
geläutert sich loswinden, ein weit selbstständigeres,
festeres Leben gewinnen, als in ihm enthalten und
gleichsam geistigerweise ihm einverleibt. In wiefern
damit auch das Mythische unter uns natürlich und nothwendig
werden, ja selbst die plastische Kunst, die doch stets
nur der Poesie als ihrer Gebieterin, nachfolgt, wahrhaft
gedeihen könne, mag hier nur erst bescheiden angedeutet
sein.
Auf
solche Weise hätten wir dann nichts minder gewollt,
als, daß der große Kreislauf, den alles Menschliche
geht, bald möge beschlossen werden. Ohne Aufhören,
wie mit heiliger Scheu und unbegränzter Ehrfurcht
versetzen wir uns in die <28:> Zeit, wo noch
kein Zwiespalt getreten war, zwischen Inneres und
Äußeres, wo Begriff und Bild, Sein und Bedeuten nichts
noch geschieden hatte, so daß wir, unsrer Tage, oft
nicht genug bewundern können, wie so manches Gebilde,
bewußtlos aus der Tiefe des einigen Innern erzeugt,
zugleich eine Welt unendlicher Ideen in sich tragen
könne, dennoch aber, wie wir überhaupt geschickt sind,
alles kritisch aufzulösen, was nur in der Einheit
groß bleibt und angeschaut werden will, wie man dennoch
unberufen darin grübelt und spähet, oder, wie es jüngst
einigen Verbesserern ergangen, solches bei uns wieder
einzuführen gedenkt. Nicht aber besteht die Rückkehr
und Vollendung des Umlaufs darin, daß man, wie es
gerade beliebt, einmal dasselbe thun, was zu Anfang
geschah, sondern, daß man im vollsten Bewußtsein der
Freiheit, welches das Geschenk unsrer Zeiten ist,
den Weg ausfindig mache, auf welchem der längst entbehrte
Frieden wieder gewonnen wird, dergestalt, daß Freiheit
wieder versöhne, was Nothwendigkeit einst zerriß.
Es gilt aber das Göttlichste, welches unserm Geschlecht
zu Theil geworden, Vernunft und Phantasie. Bisher
war unsre Epoche demjenigen gleich, was man in der
äußern Natur als das Elektrische, unter den menschlichen
Kräften als Witz bezeichnet. Wie wir dieß nur kurz
andeuten, geben wir allen denen, die von kleinherziger
Misdeutung fern sind, zu bedenken, woher jene Erscheinungen
entsprungen, worin sie bestehen, wie sie sich kund
geben, und was sie nach sich ziehen. Nie dann könnten
wir uns deutlicher erklären, und zugleich mit größerer
Zuversicht die Zukunft, wie überhaupt auf Einen Blick
Alles darlegen, wovon bisher geredet worden.