I. Der Wole Grab.
Das nordische Requiem.
(Nach der Edda.)
Ich preise das lange, das goldene
Haar,
Das
Auge voll Gluth und voll Güte,
Den Fuß wie gefallener Schnee so klar,
Des
Leibes glänzende Blüthe,
Ich preise den Schönsten an Vaters Thron,
Dich, Balder, Odins, des Mächtigen, Sohn.
In seine Stadt, gar hoch und hehr,
Darf
nichts Unreines kommen;
Er segnet die Menschen mit Leben, Er!
Hat
Manchen dem Tode genommen,
Trägt heilendes Kraut in seiner Hand,
Drum ist er Balder der Gute genannt.
Seit lange viel böser Traum ihn
traf,
Mocht’
keine Ruhe finden,
Ihm war Gefängniß der schwere Schlaf,
Ein
Wandeln in düsteren Gründen,
Und es saßen die Herrscher spät und früh,
Von wannen die Träume? beriethen sie. <4:>
Weit tief gen Mitternacht hinab,
In
mitten eisiger Fluthen,
Da ruhet die Wole, es steht um ihr Grab
Ein
Morgen in ewigen Gluthen,
Die uralte Seherin, göttlicher Art,
Die mit der Erde gebohren ward.
Und es gingen die mächtigen Herrscher
zur Stund’,
Prophetenweisheit
zu fragen.
Die Seher sprechen mit Einem Mund:
Bald
wird der Jüngling erschlagen,
Der Einzig-Liebliche, Aller Freund,
Wird bald mit goldenen Thränen beweint.
Frohlocken im Lande der Riesen
war,
Wie
dort die Kunde vernommen,
Die Mutter jammernd zerrauffet ihr Haar,
Es
sprachen die Götter beklommen:
Auf! lasset uns flehn, was auf Erden sich regt,
Daß Keins die Hand an Balder legt!
Da wandelten Boten zu aller Natur,
Zu
bitten für Balder um Gnade,
Und von Thieren und Bäumen die Mutter nahm Schwur,
Das
Keins dem Lieblichen schade,
Von Vögeln und Fischen und Würmen zumal,
Von Feuer und Wasser, von Gift und Stahl.
Ein Kraut stund draußen auf grüner
Flur,
Am
östlichen Thor von Walhalle,
Das däuchte der Mutter zu jung zum Schwur,
Den
Frieden gelobten sonst Alle.
Er aber, der AllesErhalter, schwieg,
Schlimm ahndend sein Roß mit acht Füssen bestieg.
Und hinab gen Nebelheim reitet
Er,
Die
alten Felsen erkrachen;
Er traf ein Hündlein, das kam draus her,
Voll
Bluts um Brust und Rachen,
Es heulet entgegen dem Vater der Welt,
Wohl Odin ein gräßlich Ahnden befällt. <5:>
Und weiter ritt Odin gen Norden
hinaus,
Tief
unter ihm bebet der Boden,
Er kam nach Hela’s hohem Haus,
Zur
düsteren Halle der Todten,
Nach der östlichen Pforte den Weg er nahm,
Bis daß er zum Grabe der Seherin kam.
Der Vater des Zaubers stille stund,
Des
Grabes Siegel zu brechen,
Er leget die Zeichen, des Schrecklichen Mund
Hub
an die Beschwörung zu sprechen,
Gen Norden das Auge, das eiserne, sieht,
Der Zauberin singt er das wilde Lied.
Es stund vom Grabe die Seherin,
Aus
langem Schlummer gezwungen,
Sie setzt auf’s Hünengrab sich hin,
Und
Todtenworte klungen,
Hoch braußten die ewigen Wasser darein,
Ihr leuchtet vom Angesicht Morgenroths Schein.
Wer ist der Mann, so vom Schlafe
mich weckt?
Wer
störet den Frieden der Seele?
Ich lag wohl lange von Schnee bedeckt,
In
meiner einsamen Höhle,
Vom Regen des Himmels benezet, vom Thau,
Todt war ich lange und starr und grau.
Drauf Odin, der Alles-Erhalter,
sprach:
Sprich
du mir von Nacht und Hölle,
Ich sprech’ von der Welt und dem himmlischen Tag;
Sag’
an, o Wole, zur Stelle:
Weß ist die Halle der Herrlichkeit?
Das glänzende Lager, mit Gold bestreut?
Die Wole sprach: Auf dem Schilde
hier steht
Zum
feierlichen Empfange
Für Balder den Guten der köstliche Meth,
Sein
harren die Todten schon lange,
Die Götter weinen, die Göttinnen all’,
Es weinet die Erde des Herrlichen Fall. <6:>
Sprach Odin, der Alles-Erhalter,
darnach:
Wer
raubet dem Jüngling das Leben?
Die graue heilige Seherin sprach:
Den
Tod wird ein Blinder ihm geben,
Sein schonet wohl Eisen und tödtlich Gift,
Durch Höder, den Blinden, sein Loos ihn trift.
Ein zartes Kraut, Mysteltheire
genannt,
Nur
alt erst wenig Stunden.
Das wird den Guten in Höders Hand
Zum
ewigen Tode verwunden.
Gezwungen sprach ich das finstre Wort,
Nun schweig’ ich und wecke mich Niemand hinfort.
Bis Loke befreit, der ewige Feind,
Hervorbricht
aus den Ketten,
Bis die Abenddämm’rung der Götter erscheint,
Davor
sich keiner wird retten,
Da steh’ ich von den Todten auf,
Und führe die neuen Götter herauf.
Drauf Odin, der Alles-Erhalter,
sprach:
Schweig
nicht, laß Alles mich wissen!
Da sang die Wole: Es kömmt ein Tag,
Da
Alle folgen müssen,
Der Schönste fällt ums Morgenroth,
Euch Allen, ihr Götter, die Nacht einst droht: