Jedoch verlassen wir
dieses Ziel, und kehren wieder ein wenig zurück, wo zugleich
die Wichtigkeit der letztern Bemerkung desto heller hervorleuchten
soll. Es wurde nemlich vorhin gezeigt, wie die wahre Philosophie
selbst unter uns, bei so durchsichtigem Wesen und hoher
Reinigkeit – und wie vielmehr dann zu andern Zeiten –
dem Individuellen sich nähere und auf die Gegenwart hinstrebe,
welches hauptsächlich daraus hervorgeht, daß sie, auch
bei noch so geistiger Natur, immer das Gepräge von dem
unbegreiflichen Gesetz, welches die Zeiten hervorruft,
und welches wir, doch in der höchsten Bedeutung, Zeit-
oder Geschichts-Geist nennen, gegen unser eignes Wissen
an sich hat; so daß der Denker, wenn er glaubt, das Werk
der Freiheit vollendet zu haben, fortwährend an dem eignen
Innern, als der Spitze von allen, inne gehalten wird,
und sich neu und tiefer verstrickt, aus welcher Verstrickung
ihn nur die Macht der Gefühle oder die Allgewalt der göttlichen
Phantasie, wiewohl nimmer als vollendeten Sieger emporträgt.
In jene erste und ursprüngliche Berührung nun der Philosophie
mit der Poesie, als die nur Individualität zu erzeugen
sucht, setzen wir das Wesen der didaktischen Kunst, oder,
wenn man recht es deutet, des Lehrgedichts, als der sich
individuell gestaltenden Philosophie. An den Worten selbst
wollen wir jenes Wesen erläutern, indem wir zuförderst
handeln von dem didaktischen, dann von dem poetischen
und endlich insbesondre von dem lyrischen in demselben.
Das
didaktische, welches wir einen Augenblick in der Trennung
vom organischen der Gattung, als einzelnen Bestandtheil
setzen wollen, ist dasjenige, was am meisten der Philosophie
angehört. Denn jede Individualisirung des Göttlichen,
jede <19:> Erweckung der vom Endlichen umfangenen
Vernunft, für die unendliche Ausrüstung, diese, so viel
immer möglich, in sich, doch in den Gränzen der Eigenthümlichkeit,
vollendet darzustellen, ist Didaxis, Lehre im ungetrübten
Sinne. Soll das Gesetz des unendlichen individuellen Innern
dem Gesetz der Totalität des Innern, welche wir Menschheit
zu nennen pflegen, von der die Geschichte zeugt, gleich
gesetzt werden, so entsteht Erziehung, die unserer Tage
immermehr als die höchste Aufgabe im Leben aufgestellt
zu werden anfängt. Dem Leben aber soll die Kunst jederzeit
gleich gehen. Obgleich sich nun die Erziehung immerfort
weigert, ein reines Produkt der Freiheit zu werden, so
ist dieß doch minder der Fall mit der Lehre: allein auch
sie hat es mit einem unergründlichen und unwandelbaren
Individuellen zu schaffen, und berührt schon deshalb unvermerkt
das Gebiet der Poesie, noch mehr aber, weil sie strebt,
die Zukunft zu gestalten. Wegen des letztern wurden auch
alle Lehrdichter der Vorwelt mit Recht Propheten genannt,
und alle begeisterte Weisen unserer Zeit, und auch die,
vielleicht von hoher Religiosität getrieben, mit deren
eigenthümlichen Wesen sich eine übermächtige Fülle des
Unendlichen verband, sind und waren, oft unbewußt, Lehrdichter.
Von diesem Unbewußten aber, und was wir im Bewußtsein
der Freiheit vermögen, späterhin. Weit entfernt indeß,
daß der Lehrdichter nur andre lehre, lehrt er vielmehr
sich selbst, indem er öffentlich sein Innres entfaltet,
die eigne Harmonie nach dem Muster der unvergänglichen
anstimmt, tiefer und tiefer aufregt, und sich vor dem
Volke ins unendliche erzeugt nach dem Grundgesetz, das
in allen lebendig wacht. Andre lehrt er nur, indem sein
Werk sie ermuntert, dasselbe auch an sich zu vollbringen.
So wie die obengenannten falsch Philosophirenden unbewußt
Poeten waren, so ist er es als der richtig Philosophirende
im Vorgefühl der Freiheit, schon deshalb, weil er nie
verschmäht zu individualisiren, und dem, was er im innersten
Heiligthum erschaut, menschlich lebendigen Hauch einzuflößen.
Wie
nun aber alle frühere Philosophie aus verschiedenen Gründen,
sowohl im Alterthum als der neuen Zeit die didaktische
Poesie streifte, dort vornehmlich, weil sich in Allem
die Fülle menschlicher Natur offenbarte, hier, weil der
Mensch von sich aus das Unendliche erobern zu wollen glaubte:
mag es, bei so bestimmter Klarheit und Geschiedenheit,
als ihr nunmehr zu Theil geworden, immer noch bedenklich
scheinen, wie sie so innigem Verein sich fügen könne mit
dem Lyrischen. Dies aber darzuthun ist schon deswegen
höchst belohnend, weil desto deutlicher auf eine Vermittelung
zwischen Philosophie und Poesie überhaupt hingewiesen
werden kann, je genügender dargethan ist, wie innig jene
diese selbst in dem durchdringe, was wir gleich anfangs
als ihren entferntesten Endpunkt dargestellt haben. Die
Gründe dafür müssen um so leichter Eingang finden, da
sie schon durch so vieles bereits gesagte vorbereitet,
ja einem Theile nach hinlänglich entwickelt sind. In der
letztern Rücksicht werden sie hier der Kürze halben übergangen
und allein noch einmal daran erinnert, wie wir oben die
nahe Verwandtschaft der Philosophie mit aller Poesie zeig-
<20:> ten. Immer aber liegt der letztern das Lyrische
zum Grunde, wie ein das Ganze durchströmender Accord,
denn alle Darstellung derselben entsprang aus dem Innern
der Empfindung und was auch immer dargestellt werden mag,
so ist dieß der Freiheit des Dichters unterworfen, die
er in gleichem Grade bei dem Empfangenden erwecken will:
unbedingt frei aber ist der Lyriker. Gleichwie demnach
die Philosophie das Reich der Wissenschaften hervorruft,
die sie beseelt, deren jede aber zur Basis eine Wirklichkeit,
ein Endliches hat, dabei aber stets ihre unendliche Natur
bewahrt, eben so durchdringt das Lyrische eine Reihe von
Dichtungsarten, mehr oder weniger auf dem Wirklichen,
welches man auch die prosaische Basis nennen kann, erbaut,
behauptet jedoch nichts desto weniger sein flüchtiges,
unergreifbares Wesen. Jenes Wirklichen, Endlichen wegen
gesellt sich auch keine Form so leicht mit der Wissenschaft
des Unendlichen als die Lyrische. Diejenige Gattung der
Poesie, welche die äußere Natur am deutlichsten im Einwirken
auf die unendliche Empfindung darstellt, und wo das Lyrische
sich am engsten verschlingt mit dem Wirklichen, ist die
dramatische; das Band aber, welches dieß bewerkstelligt,
der Dialog; eben so muß sich auch in den Gesetzen der
Behandlung der didaktischen Form das Band späterhin finden,
welches zur Verknüpfung der innern, ewigen Natur –
im Gegensatz jener äußern – mit dem individuellen
Innern erforderlich ist. Jemehr indeß der Dichter sich
von der äußern Wirklichkeit entfernt und nach innen sich
kehrt, desto gereinigter und geweihter darf die Basis
sein, über der er seine Empfindungen laut werden läßt.
Ein neuer Grund ist noch in dem Bestreben der lyrischen
Poesie enthalten, die unermeßliche Verschiedenheit der
Dinge zu tilgen und aufzulösen, unter der Gewalt des mächtig
erregten Innern, welches er nur allein erkennt und wohin
er Alles, gleichwie in einen unbändigen Strom, hinanzieht,
weshalb er einem Jeden selbst das Fremdeste kühn gesellt
und beimischt. Eben diese Einheit des Gesammten sucht
auch die Philosophie hervorzubringen, und wie sie so der
lyrischen Poesie entgegen kommt, so vermählen sie sich
durch die reinste, erhabenste Begeisterung, diese über
dem Anschaun des errungenen Ziels, jene über der Eröffnung
der innern Tiefen des Gemüths. Wenn man ferner –
welches sehr wohl erlaubt ist – die verschiedenen
Epochen der Philosophie mit den einzelnen Dichtungsarten
vergleicht (indem überall Einheit und Verwandtschaft herrscht)
könnte man die früheste Philosophie die Epische, die neueste
hingegen die Lyrische nennen, oder doch einen solchen
Character derselben zugestehn. Man darf auch dem Lyriker
keinesweges vorwerfen, daß er der begränzteste sei, daß
er unter allen die engsten Schranken seinem Geschäft gesetzt;
vielmehr werden es uns diejenigen, die sich der stillen
Selbstbeschauung geweiht, bezeugen, daß Niemand weder
die Höhe noch die Tiefe, noch die Ausdehnung des eignen
Innern, mißt, daß vielmehr dort Alles wohne, was die Meisten
erst hinein zu tragen wähnen. Weshalb man auch wohl sagt,
daß die Poesie, die das Innre darstellt, die freiste und
ungebundenste sei, obgleich man auch wiederum sagen könnte,
daß sie überall Schranken habe; ist dem aber nicht so,
und ist die Urwissenschaft allein geschlossen und gebunden:
so müssen auch in der Vereinigung <21:> beide, Nothwendigkeit
und Freiheit, eins werden. Von dem aber, daß der Philosoph
des Individuellen sich nicht entrathen könne, ist schon
oben gehandelt.
Kann
der Philosoph indeß nur das Individuelle erklären, und
sucht vielmehr der Dichter es zu ergründen, so müssen
sich beide ergänzen und erst ein Zusammen, ein vollendetes
Schaffen, und hierin die Grund-Strebungen des menschlichen
Geistes, wie die Sprache, sein Abbild, durch die Metapher,
Stetigkeit und Einheit erhalten. Wir fühlen indeß gar
wohl, daß durch alles dieses der Begriff der didaktischen
Poesie noch nicht gehörig entwickelt, geschweige völlig
bestimmt worden sei; denn erst im Verfolge dieser Untersuchungen
soll sich dieselbe immer mehr vor unsern Augen individualisiren,
daher wir auch über das, was die Gesetze derselben betrifft,
Manches an einen bequemern Platz des zweiten Theils verweisen
werden. Es könnte nun Manches, was bisher von dem didaktischen
Gedicht gesagt worden, füglich auch auf das Lyrische angewandt
werden. Von diesem unterscheidet es sich aber schon durch
sein Streben nach Totalität, welches es von der Wissenschaft
überkommen hat, jedoch nicht in der Art, daß es, wie jene,
kunstgemäß die Begriffe entwickeln, abschränken und richten
sollte: es erfaßt vielmehr das Ganze aus dem erfüllten
Gemüth, und wird empor getragen von demselben. Daher wird
es dieser Gattung auch immer anheim gestellt bleiben,
wie sie die Totalität organisch gestalte; wenn nur überall
Einheit der Behandlung und ungestörte Harmonie zwischen
dem darstellenden und dem dargestellten herrscht. Denn
wie im Drama das Lyrische eine objektive Richtung gewinnt,
ist im didaktischen subjektives und objektives im Bunde,
und eins durch das andre: die Wahrheit gilt dem Dichter
über Alles, aber, indem ihr ungetrübter Glanz an seinem
Innern sich bricht, will er sie als Schönheit, gleich
dem ächten Künstler, darstellen, keine jedoch soll von
der andern verdunkelt werden. Wegen des Lyrischen ist
ihm auch sinnliche Gestaltung, sei sie nun beschreibender,
oder vergleichender oder mythischer Natur, erlaubt, denn
der Lyriker sucht gern nach außen hin das Gegenbild seiner
Empfindungen auf, und schafft Tropen, ja er bedient sich
sogar der reinen Darstellung in Erzählung, in Bildern
und Gesichten, worein es ihm gerade am schicklichsten
dünkte, sein eigenthümliches Gefühl auszuprägen, so daß
dieses gleichsam die Seele jenes Leibes wird. Nur weil
er in jener Gattung auch nie das Unsinnliche, das ewig
Wahre aus den Augen verlieren darf, und sein Innres von
demselben gestimmt und geordnet bleiben soll, kann er
kein plastisches Gesetz befolgen, nach stetigen Umrissen
und abgeschlossenen Formen trachten, und obgleich dies
den didaktischen Dichtern der Vorzeit oftmals wiederfahren
ist, so wird sich der Grund davon und wiefern uns das
nicht verführen darf, späterhin ergeben. In der Berührung
nun des heiligen Ernstes der Philosophie mit der aufgeregten
Empfindung erzeugt sich, was die äußre Behandlung betrifft,
die erhabne Ruhe, die über dem Ganzen, wenn auch nicht
über dem Einzelnen waltet, das Rednerische, wie dort im
Drama das Dialogische. Eine bestimmte äußere Form wagen
wir nicht zu gebieten, eben weil dieß dem Innern des Dichters
selbst obliegt, der sich überall in die Mitte <22:>
der Darstellung setzt, und nie sein Individuelles vor
dem Unendlichen verleugnet; vielmehr je nachdem er dieses
erblickt, wird er die Töne in sich lauter hervorrufen
und dämpfen. Im Ganzen dürfte diejenige Form am zweckmäßigsten
sein, die, ihrem Ganzen nach organisch vollendet nicht
bloß, sondern auch durch kunstreiche Schranken gefügt,
im Einzelnen aber unendlicher Abstufung und Mannichfaltigkeit
empfänglich wäre. Es befänden sich dann auch, wie (nach
dem folgenden) im didaktischen Gedicht, die besondern
Gattungen der Poesie, so auch in der äußern Form die verschiedenen
einzelnen Formen dieser Gattungen, gleichsam versteckt
und eingewickelt; die Ordnung indeß, welche das Ganze
beherrscht, deutete an, daß das Streben des Gedichts darauf
ginge, das bewegte Gemüth zu sättigen und zu dämpfen,
die Empfindung abzumessen nach dem Maaßstab des Unendlichen,
und das Innre zu umkreisen; wie dagegen das rein-lyrische
uns immer selbst am Schluß noch eine unabsehbare Tiefe
dahinten ahnen läßt, und seine Wirkung auf uns erst recht
beginnt, wenn sein eigner Ton verhallt.
Noch
Etliches von dem Verhältniß dieser Gattung zur Allegorie
versparen wir für den dritten Theil. Daß sie übrigens
nichts mit den bloß darstellenden Gedichten gemein habe,
erhellt schon daraus, daß diese immer bedingt sind durch
das Dargestellte, sei es ein Äußeres oder Inneres, dem
der Dichter sich fügt; hier ist ein Nothwendiges, dem
er seine Freiheit anzupassen sucht, dort ein Produkt der
Freiheit mit einem schlechthin freien im Bunde. Es verdienten
aber vor allen viele Gegenstände aus dem Gebiete der Religion
didaktisch behandelt zu werden, indem das Meiste, welches
wir der Art besitzen, lyrischer Natur ist, und dennoch
das Lyrische wohl nirgend leichter den Bund eingeht mit
einer weltumfassenden Idee, als gerade hier – dasselbe
gilt auch von den geheimnißvollen Erscheinungen im Leben,
wie von den Offenbarungen des Weltgeists in der Natur
und Geschichte, jedoch allezeit nur solchem, dessen Wahrheit
unvergänglich ist, und über der Antastung schnöder Zeiten
hinaus besteht. Das aber bedarf kaum der Erwähnung, und
dazu haben wir von der didaktischen Poesie einen zu hohen
Begriff aufgestellt, daß wir keinesweges solche Werke
in seinem Gebiet länger gestatten, als wohl oftmals dahin
gerechnet sind. Besonders haben die Engländer uns mit
solchen Lehrgedichten versehen, die, wie sie denn einen
reinlichen Putz über alles lieben, und auch das rauheste
und selbst was an das gemeinste Bedürfniß erinnert, geglättet
und von sauberm Anstrich oder kostbaren Stoff sich wünschen,
auch die dürresten Gegenstände, wie sanctionirte Systeme
und das Handwerk sogar, wie in ihren Gärten die Natur,
durch die rednerische Pracht der Dichtkunst haben schmücken
und verschönern wollen. Eben so die Franzosen im Trachten
nach Eleganz, und wir im jugendlichen Aufflug der Sprache,
da Prunk im Ausdruck und ein kräftiger Ton übermäßig hochgeschätzt
ward, haben diesen Zweig mit Früchten bereichert. Jetzt
aber, da die vergängliche Form, das an sich Reelle uns
immer weniger genügt, und wir in Allem nur ein ewiges
Gesetz verehren, hingegen das Vorübergehende uns nicht
mehr dergestalt anlockt, <23:> daß wir es ausschließlich
durch den Glanz der Kunst verherrlichten; können wir jene
Werke nur den vorhin erwähnten darstellenden beizählen.
(Die Fortsetzung
folgt.)
Nienstädt.