II. Von der didaktischen
Poesie.
I. Begriff und Wesen der didaktischen Poesie.
Jede ächte Huldigung,
die der Mensch entweder der Wissenschaft oder der Kunst
darbringt, geschieht nur durch Entäußerung seiner selbst,
durch Hingebung alles dessen, was an ihm Endliches ist,
an das Unendliche, aus freier Lust und vorherrschender
Neigung. Ein großes Ganze, eine unendliche Welt lockt
sie beide an, den Denker sowohl als den Dichter, und nur
darin mag das Eigenthümliche eines Jeden beruhn, daß
der erstre mehr in die Tiefe seines Elements sich gräbt,
den Mittelpunkt erstrebt, von welchem aus er sich wieder
nach allen Seiten hin gesetzmäßig ausbreite, gleichmäßig
alle Regungen des großen Pulses in sich aufnehme –
dieser hingegen mehr die lichte Höhe sucht, daß der Einklang
des Ganzen in möglichster Fülle zu ihm hinauf töne, und
er ihn wiederum in gleichmäßigen Accorden aus sich heraus
vernehmen lasse. Der Denker lebt in dem All und mit demselben,
der Dichter baut über ihm und aus ihm seine Wohnung auf.
Natürlich, daß jener mehr der Nothwendigkeit, der Strenge
des Gesetzes angehört, dieser mehr der Freiheit der heitern
<13:> Willkühr. Gleichwie auch die Jugend ausschließlich
von der Gegenwart ergriffen wird, und wiederum sie lebendig
ergreift und festhält, ungebunden und jedesmal mit eigenthümlicher
Gewalt sie zu formen sucht; das Alter aber, nachdem die
Kraft erloschen, ein geistiges Reich von Reflexion und
Lehre, die ihm ein ernstrer Blick und ein weitrer Umfang
von Zeit gewährten, um sich erschafft: so kann es auch
dem Dichter, bei aller Selbstentäußerung, weniger um Hingebung
seiner Eigenthümlichkeit zu thun sein. Er soll sie vielmehr
bewahren, denn nur dadurch erhält er sich schaffend und
bildend über dem Ganzen, damit nicht seine Töne, unmittelbar
in dessen Harmonie aufgenommen und aufgelöst, verklingen,
schnell vorübergehn, daß sie vielmehr auch als die seinen,
dauern und bleiben.
Wie
aber Jugend und Alter ein einiges Leben sind und auf einem
Boden sprießen, so soll auch für das, was beiden verglichen
worden, eben so wenig zu feindseliger Trennung das Wort
gegeben sein: denn gerade die Trennung ist es, die auch
dem besten Wollen in unsern Tagen, für die Wissenschaft
wie für die Kunst, die meiste Gefahr bereitet. Beide vielmehr
leben in und durch einander. Nur auf eine Richtung, eine
Hinneigung der einzelnen; auf das, wodurch allein, wenn
irgend eine Individualisirung möglich ist, sollte gewiesen
werden. Es ist nun nicht schwer abzusehn, daß, jener Beziehung
gemäß, auf der einen Seite die Philosophie, der lyrischen
Form auf der andern, vollkommen gegenüber stehe, in ihnen
Wissenschaft und Poesie, als in ihren entferntesten Enden,
sich darstellen. Aus der einen spiegelt sich, in ruhiger
Klarheit und Durchsichtigkeit, das Leben des All; aus
der andern, in bunten und unruhig wechselnden Farben,
die Eigenthümlichkeit des Endlichen. Für diese Enden der
mächtigen Kette soll das Mittelglied gefunden werden,
sie sollen sich in einer besondern Form versöhnen und
somit der unendliche Kreislauf sich ründen und wölben.
Wie
es nun zwar dem Aufmerksamen nicht entgangen sein wird,
daß wir in Erwähnung jener nothwendigen Ausgleichung beider
Sphären bereits den Hauptgegenstand der Untersuchung berührt,
ja fast genügend bestimmt haben, so mögte dies doch den
Meisten zu rasch und voreilig dünken. Wir wollen daher
die Strahlen von neuem vertheilen und vervielfachen, um
nachher desto genauer ihren gemeinschaftlichen Vereinigungspunkt
zu bestimmen, indem wir zuförderst den anscheinenden Gegensatz
zwischen Philosophie und Kunst überhaupt, dann ihre gegenseitige
Bedingung entwickeln und darauf insbesondere von der Urwissenschaft,
im Verhältnß zur lyrischen Poesie, reden, woraus sich
zur Gnüge Begriff und Wesen der didaktischen Poesie ergeben
wird. Denn bei einer, wie uns dünkt, noch wenig erforschten
und abgemessenen Form findet die Entwickelung nur auf
dem Wege neuer Gestaltung, nicht, wie bei dem schon als
vollendet gegebenen, durch Darlegung der aufgelösten Bestandtheile,
Statt.
Die
gesammte Unterscheidung zwischen Philosophie und Kunst
besteht allein mit der Trennung der innern Anschauung
von der äußern, des Unsinnlichen vom Sinnli- <14:>
chen. Die Philosophie demnach, welche durch die erstre
der beiden Sphären begründet wird, sondert jedes Verhältniß
des Gegebnen zu dem Empfangenden, jede Empfindung, als
ein Wandelbares, von ihrem Streben ab: deshalb gewinnt
ihr Alles Ausdehnung, der die Beschränkung entgegensteht,
und nur dann hat ihr Leben Einklang und Fülle erreicht,
wenn sie sich, gleich dem Lichte, nach allen Enden des
unermeßlichen Umkreises gleichmäßig ausgedehnt hat; das
besondre Leben muß in ihrem Glanze ersterben. Die Kunst
dagegen, welche nur von äußrer Anschauung, mithin von
einem Besondern, gepflegt wird, ergreift nur Alles in
Bezug auf dieses Besondre; was sie auch gestalten möge,
immer ist es gestaltete Empfindung, und wie mannichfaltig
diese Darstellung auch sei, immer ist sie vom Endlichen
entnommen, immer ein Individuelles, Äußeres. Da nun Philosophie
das Besondre nie als solches, sondern nur im Zusammensein
mit dem Allgemeinen, gelten läßt, so wird ihr Streben
auf Totalität gerichtet sein, wie das der Kunst auf Individualität.
Jene ist, was uns im Leben die Vergangenheit, da aufs
höchste nur dieses oder jenes einzelne Ereigniß uns von
neuem lebhaft berührt, alle aber wir, ruhig genug, der
Leitung Eines Grundgesetzes unterzuordnen suchen; diese
ist die wirksame, lebendige Gegenwart. Eben aber, weil
die Philosophie nur ein allgemeines, durchgängiges Grundgesetz
aufsucht, der Blick auf das Einzelne aber als nur eines
Theils vom Ganzen, nur jene Ordnung stören, den Zusammenhang
unterbrechen würde: wird sie sorgfältig jede Berührung
der Realität vermeiden, diese soll sich vielmehr unbewußt
in ihrem Gesetz abspiegeln und Andern liegt es ob, darauf
hinzuweisen; ihr reicht es hin, die Möglichkeit dargethan
zu haben, die ihr eins gilt mit der Nothwendigkeit. Die
Kunst im Gegentheil behandelt nur die Realität und wenn
sie, wie sich nachher darthun wird, überall vermeiden
muß, mit derselben zusammenzufließen, so soll sie desto
sorgfältiger sich bemühen, den Schein des Wirklichen zu
bewahren: so wäre demnach hier Täuschung, dort Wahrheit,
hier ein Vergängliches, dort ein Unvergängliches. Aber
auch ein Innerstes, eine Entfernung jedes Einwirkens,
jeder Stimmung, die nur der Zufall erweckte, ein Streben
nach Geschlossenheit und Vollendung, als dem Elemente
ihres Lebens, daher bleibende Ruhe, Dauer für alle Zeit,
wie hier ein Äußeres, ein durch Umstände, nicht zwar hervorgebrachtes,
jedoch angeregtes, mithin Wandelbarkeit und Wechsel. Wiederum
wird endlich die Philosophie, so sehr sie sich auch hüten
mag, die Anschauung aufzunehmen, dennoch von derselben
entfernt geleitet und beherrscht und ihren Bewegungen
gerade durch sie eine Nothwendigkeit auferlegt, welcher
die Kunst auf einem ganz verschiedenen Wege ausweicht,
indem sie nämlich mit Freiheit eine neue Anschauung, wiewohl
nach dem verborgnen Gesetz der ursprünglichen, hervorbringt.
Unvermerkt
jedoch sind wir hiermit demjenigen näher getreten, worin
sich beide zu begegnen und gegenseitig zu bedingen anfangen,
und welches die Kunst, durch das Gesagte vielleicht ein
wenig herabgezogen, wieder zu der gebührenden Höhe emporrückt.
Denn nicht nur daß die Natur dieser sowohl als jener Einziges
und Höch- <15:> stes ist, welches sie immer neu
erweckt, daß sie sich ihm in stiller Andacht näheren,
weshalb sie auch beide entfernt sind, sie nach Willkühr
zu handhaben, trachten sie vielmehr darnach, sie abermals
aus sich zu erschaffen und Freiheit in das Werk der Nothwendigkeit
zu bringen. Trennt sich nun der Philosoph vom Künstler
auf der Bahn zu diesem Ziele, sucht der erstre ein ewiges
Urbild, in welchem Endliches wie Unendliches als eins
zusammenfallen, dieser ein neues Gegenbild, (mit nichten
also eine genaue Abbildung des Bestehenden,) in welchem
sich Bedingtes und Unbedingtes auf menschliche Weise –
und nicht entwürdigen kann, was wir menschlich nennen –
aussöhnen; so dient ihnen doch insgesammt Eine Grundform,
Eine ihr Innres stimmende und beherrschende Regel der
Harmonie, zur Führerin. Es ließe sich vielleicht nur das
von einem Jeden insbesondere sagen, daß der Künstler vollendet,
was der Philosoph begann, das gleichsam erfüllt, was dieser
verheißen, indem er, nachdem ihm die Gestaltung der Nothwendigkeit
zur Freiheit gegeben, nach solchem Gesetz eine Welt hervorbringt,
in der auf sein Geheiß sich Nothwendigkeit und Freiheit
durchdringen. Dem Wollen des erstern gesellt er seine
Kraft, weshalb auch die Philosophie, nicht ohne Grund,
die Lehrerin der Künste genannt wird.
So
aber heben und tragen sich nicht allein Philosophie und
Kunst; sie trachten sogar unaufhörlich nach innigem Verein,
und suchen nicht so sehr friedlich mit einander
sondern in einander zu leben. Welchergestalt sich
nun diese Anneigung bereits in frühern Zeiten oftmals
kund gethan und bewährt habe, mag im folgenden Abschnitte
schicklicher erzählt werden, hier ist es genug zu zeigen,
auf welche Art dieselbe möglich sey. Da scheint es denn,
daß erstlich auf dem Wege der Kunst überhaupt, oder, welches
dasselbe sagen will, zu Gunsten des Individuellen der
Gegensatz am ersten vermittelt werden könne. Denn wie
die Philosophie es nur mit dem Unendlichen zu schaffen
hat, welches sie mit Freiheit gestaltet, nachdem sie es
als nothwendig erkannt, alles Endliche dagegen in dessen
Tiefe vergräbt; so behandelt die Kunst mit dem Endlichen
zumal das Unendliche, sucht dieß mit jenem zu verweben;
weshalb auch ihre Sprache volltöniger, unerschöpflicher,
den Meisten sogar noch naturverwandter ist. Ja, in welche
Tiefe auch der Geist des Forschers sich versenke, gleich
als ob er herausträte aus dem eignen Innern; immer ruht
dennoch in seiner besondern Natur Anfang, Mittelpunkt
und Ausgang, welchen er nie verläßt, vielweniger dahin
zurückkehrt, so daß er nimmer umhin kann, sich selbst
als Inbegriff und vollendetes Ebenbild des Erforschten
zu erkennen, in dem die Fülle des Unendlichen wohnet,
und er angehalten wird, sein eignes Wesen an die Spitze
des Ganzen zu stellen, welches die Gesammtheit treuer
denn irgend etwas anders wiederstrahle: er dünkt sich
selbst nur die Harmonie, die die Dinge, nur in unsterblicher
Gestalt, um dasselbe bilden, zu verkünden. Auch haben
wir viele der Vorzeit, die sich allerdings unter die Weisen
rechnen durften, mit nicht geringer Unbestimmtheit den
Dichtern beigezählt, und nicht wenigen unter uns, die
das Zeitalter für große Denker gelten ließ, haben wir
angefangen ihren Ruhm zu schmälern, ohne zu bedenken,
daß das Opfer, wel- <16> ches sie der Kunst mit
ihren Bestrebungen dargebracht, ein unvertilgbares ist
und jede Antastung vergeblich sein läßt. Beide haben nemlich
durch ihre, wie wir es nennen mögen, Philosopheme oder
Systeme, nichts weniger bezweckt, denn die Welt von innen
heraus mit Bewußtsein der Freiheit wiederum zu erzeugen;
haben sie aber etwas, dem Urbilde nicht gleiches, ein
Ideelles ohne Reelles, dargebracht; womit anders wollen
wir sie zurückweisen, als durch die so kühne als gefährliche
Versicherung, entweder Mitte und Tiefe des All richtiger
getroffen, genauer ergründet, oder, ein vollendeteres
Bild des Unermeßlichen in unserm Innern empfangen zu haben,
inniger vom Leben des All begrüßt zu sein. Sobald uns
aber dieses noch zweifelhaft schiene, wem wollen wir uns
selbst dann beigesellen, den Philosophen oder den Künstlern?
den letztern doch gewiß.
Um
uns indeß immer mehr dem Ziele dieser Untersuchung zu
nähern, sagen wir demnächst, daß Poesie diejenige Kunst
sei, die von dem Lichte der Philosophie vor allen am vollkommensten
erfüllt und genährt werde. Denn genießen die Künste insgesammt
dieses Anrechtes, sowohl die, welche durch vielfache und
entferntere Media das Innre des Empfangenden berühren,
als diejenige, welche unmittelbar und ausschließend das
Gemüth ergreift: wie viel mehr diejenige, welche von dem
Wesen aller in sich trägt und die verschiedenen Richtungen
der einzelnen in einem Punkte verknüpft. Ein andrer Grund
liegt aber auch in dem Unendlichen der Poesie. Denn sie
stellt überall das Innre des Menschen dar und ist sie
auch in diesem nicht so zart, flüchtig und reingeistig
als die Musik, so erscheint sie dennoch ungleich umfassender,
indem sie nie das Äußre, das dem Plastischen verwandte,
verschmäht; dennoch hat sie dieses, bevor sie es neu gestaltet,
erst jedesmal in den Strom des unermeßlichen Innern getaucht,
dessen Wogen nie bestehen, stets wechselnd und verändert
emporwallen. Nur wo die Form mächtig vorherrscht, giebt
es Endlichkeit und Begränzung. Gleichwie die Historie
das Unendliche im Menschen in der möglichsten Vollendung
darzustellen strebt, und daher nicht nur das Menschliche,
sondern auch Außer- und Übermenschliche in jenes auflöst
und nach ihm gestaltet, so daß es ihr sogar gelingt, ihr
eignes Wesen, sich selbst wiederum darzustellen, ist auch
die Dichtkunst geeignet, was nur immer ihr sich darbietet,
in die unbegreifliche Menge ihrer Farben zu tauchen, nur
mit dem Unterschiede, daß jene bloß ein Gegebenes, Gewordenes
kennt, diese aber immer erst zur Stunde hervorgeht, immer
jung sich darstellt, und nie eine Gränze ihres Daseins
blicken läßt, daher sie auch denen, die es sehen können,
sogar der Geschichte Erzeugerin, und nicht bloß Vergangenheit,
sondern diese nebst der Gegenwart und Zukunft zugleich
ist. Was der Philosophie als möglich abzuleiten genügen
mußte, das ist sie, indem sie sich darstellt und zwar
auf höchst wunderbare, unerklärliche Weise. Sie trat daher
auch immer mit der Spekulation im Bündnisse auf, selbst
als sie schon die Zeiten geschieden hatten, und offenbarte
immer, wiewohl oft ohne es zu wollen, die Gestaltungen
dieser. Ja, dasjenige, durch welches sie sich äußerlich
offenbart, die Sprache, zeugt noch in den Tagen der schneidendsten,
gewalt- <17:> samsten Trennung von ihr, wie sie
immer einmal mit der Philosophie im Bunde gewesen: denn
auch noch haben die Sprachen die herrlichsten Denkmale
ihrer Kindheit nicht frech genug von sich gethan, und
erinnern uns, durch die Metapher besonders, an ihrer aller
Mutter, die Anschauung, in der Zeit, da Bild und Begriff,
Phantasie und Reflexion, eins waren, zugleich aber auch
an die Einheit des Unendlichen mit dem Endlichen. Wo auch
jene Scheidung sich noch so versprödet hat, immer stehen
doch Begriff und Bild in vertraulicher Mischung unter
einander, bewahren bald hartnäckig ihre erlangte Würde,
bald gehn sie, unvermerkt und gegen unsern Willen biegsam,
in die Natur des andern über.
Es
ist nun noch übrig von dem Individuellen der Poesie zu
reden, und wie gerade darin, bei aller anscheinenden Entfernung,
eine höchst merkwürdige und nothwendige Annäherung zwischen
ihr und der Philosophie statt finde. Nur ist zu befürchten,
daß das Folgende, wenn auch nicht einer Misdeutung unterworfen,
für geringer und unwichtiger gehalten werden möge, als
wir es, bei dem größten Bestreben nach Klarheit und Deutlichkeit,
zu machen wünschen. Es ist bereits oben manches da gewesen
von dem, vermöge der nothwendigen Beschaffenheit alles
Irdischen, selbst in der Urwissenschaft unvermeidbaren
Individuellen und der Begränzung anheim fallenden; weshalb
auch das, was wir Philosophie zu nennen nicht umhin können,
besonders aus früherer Vergangenheit, gar sehr verschieden
ist von dem Begriff, den wir jetzt damit verbinden. Die
gepriesensten unter uns sind nemlich, im Bewußtsein der
Freiheit, überaus tief gedrungen, und haben das ewige,
das, was jenseit der Zeit zum Grunde liegt, deutlicher
ausgesprochen, als die übrigen, und darum auch kunstreicher
und schärfer das Äußere von ihren Forschungen abgesondert.
Weil aber ein durchaus Ideelles dem Geiste nie alleinig
genügt und ihm leer erscheint, ferner, angezogen von dem
hohen Urbilde der Natur, haben die Wissenschaften des
Reellen, ehedem mit der Wissenschaft des Unendlichen im
verwickelten Bunde, nun aber nach der Oberfläche hinaufgedrängt,
ein neues Leben und eigenthümliches Streben gewonnen,
welches darin besteht, sich gleichsam wie von oben herab
in die ruhige Klarheit des gefundenen Ewigen zu versenken,
und mit ihm eins zu werden. Sogar die Gesammtheit ihrer
irdischen Gestalten zieht die Philosophie dahinab, und
bespiegelt sich daher selbst in dem Unendlichen: ein Beweis
von dem großen Bewußtsein ihrer Freiheit. Und nicht eher
läßt sie ab von ihrem eifrigsten Bestreben, nicht eher
hört sie auf, das Nothwendige der Erscheinung unter die
Freiheit zu ordnen, bis sie zu einem Punkte gelangt ist,
der ihr Streben nicht blos am lebhaftesten beschäftigt,
sondern auch beständig inne hält: dieser Punkt aber ist
die Gegenwart. Obgleich sie nun unaufhörlich strebt, dieselbe
zu verklären, das Einzelne, wie es ist, mit Freiheit wiederum
zu erzeugen, immer bleibt es flüchtiger, unbegreiflicher
Natur. Wie sie demnach immer, bei aller Neigung zur Totalität,
weil sie einmal vom Menschen kömmt, eine Sehnsucht behält
nach dem Individuellen; muß sie doch, was das Gegenwärtige
betrifft, dieß Geschäft abgeben an die Poesie, denn dieser
gelingt <18:> es, mehr als jeder andern Kunst, weil
sie das Innre darstellt, und vor allem, weil ihr die Sprache
als Werkzeug dient, jenes untrennbare Gewand des eigenthümlichen
Innern, zugleich auch das Bild der Zeit und des Geschlechts,
Gegenwart und Individuum zu verklären, zu erschöpfen,
und in der reichsten Fülle gestaltend auszusprechen; in
der Gegenwart nun entsteht dieselbe und wird sie genossen,
ohne Unterschied ihres Alters, und als die Vergangenheit
noch dunkel und unbekannt dem Geiste vorlag, herrschte
sie auch allein; nur den spätern Geschlechtern erscheint
eben das als Philosophie, was damals lautre Poesie war.
Auch uns indeß giebt es ein Gebiet, wo diese zwei ein
einiges, oder eins so gut wie das andre werden, und dieses
ist die Zukunft. Denn nachdem die Philosophie ihr Geschäft
abgegeben, und ihre Kraft auf eine Zeitlang als unzulänglich
erkannt, beginnt sie dasselbe von neuem, eben an den jenseitigen
Gränzen des Gegenwärtigen. Was sie für alle Zeit als nothwendig
erfunden, das sucht sie auch nach den Gesetzen des Ewigen,
mit kühner Begeisterung und nichts minder denn gebrochnem
Stolze, für die künftige Zeit, schon im voraus in das
Leben zu rufen. Wenn sie indeß, statt vorher ein Unendliches
zu finden, dem sie das Endliche verband, nunmehr ein noch
nicht erschienenes Endliches hervorbringt, das dem Unendlichen
gleich ist, ein Ideal-Reelles, – ist sie nicht zumal
auch die vortrefflichste Dichterin und Seherin in vollendeter
Bedeutung?