Alsogleich blasen die Wächter
auf den Thürmen Sturm, wie sie des Volks ansichtig werden,
die Bürger lauffen auf die Mauern, und in Zeit einer Viertelstunde
war kein rothes Gesicht mehr in der ganzen Stadt. Und
doch kunt kein Mensch begreifen, was es für ein Feind
sein möchte, und woher des Landes? Sintemahl auch nicht
die kleineste Zeitung von feindlichem Einfall vernommen,
und wars, wie wenn das Volk aus der Erden aufgeschossen.
Indem stehet Roß und Mann schon vor den Thoren, und die
Riesen fangen an, die Stadtmauern niederzureißen. Nun
erst erkennet man den Prinzen an der Spitze seines reisigen
Gezeugs und weiß, welchen Feind man vor sich hat. Eilends
verfüget sich Sr. Majestät, der Kayser, zu Ihrer
Prinzessin Tochter, bittet, sie möchte flugs hinausgehen
und den Prinzen besänftigen, sie allein vermöchte das
Unheil zu wenden von Stadt und Land. Wie die Prin- <13:>
zessin solches vernommen, gedachte sie: den Vogel wollen
wir schon fangen! oder das Kernsprüchlein müßte lügen:
Alte Liebe rostet nicht! Schmücket sich aufs allerköstlichste,
als sollts stracks zur Trauung gehn, also daß einem die
Augen übergingen, so man sie ansahe, für großer Pracht
und Herrlichkeit und dem Blitz und Schein der Juwelen.
Und so gehet sie mit dreyßig ihrer auserwählten Jungfrauen
hinaus in der Feinde Heer. Da gabs nun große Augen, wie
sie durch den Zug hindurchging, unerschrocken und wohlgemuth,
thät ihr auch Niemand was zu Leide.
Wie
der Prinz ihrer nun ansichtig wird, fähret alsbald der
alte Narr in ihn, nimmt sich jedoch zusammen, macht ein
krausgrimmig Gesicht, und spricht: Was willtu mir, du
Otterngezücht? Wart! Nun solltu deinem verdienten Lohn
nicht entlauffen. Worauf die kayserliche Jungfrau sich
vor ihm auf die Knie wirft, gar kläglich sich gebehrdet
mit Weinen und Händeringen, sprechend: Ach habe Gnade
mit deiner armen und elenden Magd! Ein böser Zauber hat
mich verführet, daß ich also gottlos an dir gehandelt.
Nun aber ist mir das Auge aufgegangen, sehe wohl, welch
großen und mächtigen Herrn ich beleidigt, und es gereuet
mich meiner Schuld von Herzensgrund. Bittet darauf gar
demüthiglich um seine Liebe und Hand, wolle ihm hold und
getreu seyn all ihr Lebelang, wofern er sein Kriegsvolk
abzöge und der armen unschuldigen Stadt sich erbarmte.
Spricht der Prinz: Wo du mir den gestohlnen Beutel und
Gurt herausgiebst, will ich Gnade für Recht ergehen lassen.
Welches denn die Prinzessin mit einem hochtheuren Eyd
gelobet, er solle nur mit ihr kommen zu Stadt und Schloß,
wolle ihm die Sachen selber einhändigen. Der Prinz, wie
er solches höret, ist, wie wenn er vom Tod’ auferstünde,
macht sich sofort auf den Weg, und die Prinzessin führet
ihn an ihrer zarten schneeweißen Hand in ihr Schlafgemach.
Siehe da fängt die Schlange – ihr höllisch Spiel
und Teufelskunst mit Herzen, Drücken und Liebkosen von
neuem an, daß der arme Prinz schier von seinen fünf Sinnen
kömmt, nicht weiß, was oben, was unten? Spricht zu ihm
das giftige Kraut, wie er seine Sachen verlangt: Es hat
nicht Eil. Lieber! so ruhe ein wenig aus von dem Kriegszug!
und setzte ihn auf ihr Ruhebettlein nieder – – –
Ueber
ein kleines spricht die Prinzessin: Lieber, aber sage
mir doch, denn siehe, ich bin dein Weib und brauchts da
wohl kein Geheimhalten mehr: Wie in aller Welt bistu zu
dem Kriegsvolk kommen? da doch keine Seele von erfahren.
Der Prinz antwortet: Ey das will ich dir sagen. Siehe
da mein Horn, blas’ ich hinein, steht alsogleich so viel
Kriegsvolk da, als ich wünsche. Ey, spricht das saubere
Kräutlein, laß sehen, ob ichs auch vermag. Stößt ins Horn,
und wünschet sich sechs großmächtige Riesen ins Gemach,
stößet noch eins hinein, damit das Kriegsheer vor der
Stadt zerstiebe. (Denn auch diese Kraft war in dem Horn,
lebendig machen und tödten.) Den Riesen drauf gebot sie:
dem Prinzen Hände und Füße zu binden und ihn aus dem Lande
zu werfen. Das Horn aber behielt sie und hings zu dem
Beutel und dem Gurt in den Wandschrank. <14:>
So
begab sichs nun, daß der arme Prinz anstatt der gehofften
Himmelfahrt zum Dritten in Höll’ und Elend mußte, wollt’
auch das Tageslicht nicht mehr sehen für großer Scham
und Betrübniß. Ging in die Wüste, da kein Mensch hinkam,
daselbst wollt’ er sich ums Leben bringen. Nur konnt’
er nicht sogleich mit sich eins werden, welches Todes
er sterben wolle, hängen däuchte ihm zu niederträchtig,
ersäuffen, da, dacht’ er, könnt’ ihn wohl gar der Schlag
im Wasser rühren, zum Erstechen gebrachs ihm an Schwerdt
oder Messer, und das Pulver war dazumal noch nicht erfunden,
er auch just nicht der Mann dazu. Endlich beschloß er
bey sich, Hungers zu sterben, fastet auch richtig drey
Tag, und bereitet sich gar erbaulich zu seinem Ende. Am
vierten Morgen aber geschah’s, daß er einen Feigenbaum
zu Gesicht bekömmt, der mitten im bittersten Schnee und
Winter grün war über und über, und schier brach unter
der allerherrlichsten Frucht. Da sprach der Arme bey sich:
Sterben will und muß ich einmal, aber eine Feige möcht’
ich doch noch kosten vor meinem sel’gen Ende. Gedacht!
Gethan! Die Feige zerfloß ihm auf der Zung’, so gar süß
und saftig war sie, und mundete ihm wie Himmelsmanna.
Wie
er aber im besten Essen, kömmt’s ihm vor, wie wenn seine
Nase länger werde. Ey, denkt er bey sich, krieg’ ich auch
eine lange Nase mit ins Grab, was schadets? will mich
doch zu guter letzt satt Feigen essen! Und so macht er
sich über den Baum her, schlägt seiner Frucht wohl eine
Metz’ in den Leib. Lässet sich auch nicht abschrecken,
daß seine Nase mit jedem Bissen zusehends wächset, steckt
das Ende davon, wie er sich wohl gesättigt, in die Tasch’,
und denket nun im Ernst an seinen Tod und Abscheiden aus
diesem Jammerthal.
Nach
dreyen Tagen Fastens aber plagt ihn der leidige Hunger
wieder gar zu sehr, als sollt’ er nach seiner Geburt noch
den ersten Imbiß thun. Und wie er seine Augen aufhebet,
siehe so stehet ein Apfelbaum vor ihm, übersäet mit der
allerschönsten Frucht, wie Paradiesäpfel, roth und weiß,
daß einem das Herz im Leibe lacht. Ey, spricht der arme
verlaßne Pilgrim: Muß ich sterben, will ich noch einmal der köstlichen Gottesgabe mich erlaben.
Die Aepfel wachsen ohnedem in der Wildniß, da es keinem
Menschen zu gut kömmt.
Unter
solchen und andern beweglichen Reden kömmt er zum Baum
und bricht sich einen Apfel. Isset ihn auch mit großer
Begier, und däucht ihm, kein Apfel in seinem Leben hab’
ihm also wohl geschmeckt. Kaum aber, daß er ihn gegessen,
wills ihm bedunken, als reget sich was Lebendigs in seiner
Taschen. Und wie er zusiehet, ists ja die Nase, die wird
ihm in und unter der Hand kürzer, worüber der gute Prinz
große Freud’ empfindet, denn wiewohl er ihme zu sterben
gar ernstlich fürgesetzet, mucht er doch lieber mit seiner
ordentlichen denn mit einer langen Nasen sterben. Danket
auch Gott mit lauter Stimme, daß er ihn wollt’ von solchem
Ungethüm in Gnaden erlösen, nimmts für einen Wink von
oben, daß er sein junges Leben annoch friste, und isset
mit Zuversicht eine gute Tracht von den allerliebsten
<15:> Aepfeln hinein. Gleichwie nun bei den Feigen
die Nase zusehends gewachsen, nimmt sie bey den Aepfeln
mit jedem Bissen ab und kriechet ein. Also daß er gar
furcht, wo er mit Essen so fortführe, möcht’ ihm auch
seine wahre Nase einschwinden. Hielte daher mit der linken
Hand das Ende derselben fest, damit er zu rechter Zeit
aufhörte mit Essen. Allein wo die gedrehte Nas’ an der
rechten anfing, nahm das Abnehmen glücklicherweis nicht
mehr zu, und nun mucht’ er so viel essen als er wollt’,
seine natürliche Nase blieb ihm und schälte sich auch
kein Häutlein davon.
Wie
nun der Prinz den Bauch voll hatte, war Sterben und Vorbereitung
zum Himmel rein verfressen und vergessen; gedachte
schon, wie er sich wollt’ noch manch lustigen Tag auf
Erden machen. Vor allem kam ihm das Leid wieder in den
Sinn, so die grundböse, ehr- und tugendvergeßne Prinzessin
ihm angethan, und er sann hin und her, wie er sich an
ihr rächete. Mit Eins fuhrs ihm durch den Kopf, er suche
den Esel und reite selber drauf, gedachte der Feigen und
Aepfel, und fand darin das unvergleichlichste Mittel zu
seinem Fürhaben.
Er
verkleidete sich als Bauer, thät der Feigen eine gute
Meng’ in einen feinen Korb, und macht sich auf den Weg
nach der Residenz. Er wußte gar wohl, daß die Prinzessin,
dazu ihre Frau Mutter, große Liebhaberin von Feigen war,
und so ging er mit den saubern Früchtlein ohn’ Umständ’
aufs Schloß, ließ sich bey der Prinzessin melden, und
überreichte den Korb in ihre Hand. Diese war für Freuden
ganz außer sich, konnt gar nicht begreifen, wie der Mann
mitten im Winter zu den schönen Feigen käme. Er sagte,
er habe in seiner Wohnstuben ein Bäumlein gezogen, aus
großer Liebe zu ihr, dieweil er ihrer sonderbaren Lust
an den Früchten wohl wissend sey. Die Prinzessin nimmts,
danket, ißt, läufft auch zu ihrer Frau Mutter, und giebt
ihr von den Feigen, welche darob gleicherweis höchlich
erfreuet ist.
Wie
sie aber so recht behäglich aßen, da hätte man den Schreck
sehen sollen und die beiden Weibsbilder hören schreyen:
sie hatten beyde gar ungeheuer lange Nasen bekommen. Der
Kayser schickt sogleich nach dem Bäuerlein auf alle Weg’
und Stege, setzt tausend Dukaten auf den Fund, läßt Haussuchung
thun, die Thore sperren u. s. w. Aber wen man
nicht fand, das war mein Bauer, der Schadenfroh hatte
sich, in dem Augenblick, wie die Prinzessin zu ihrer Frau
Mutter gelauffen, wie der Blitz aus dem Staube gemacht,
und wollte sich schier todt lachen seines wohlgelungenen
Schwankes halber. Kurzum: die beyden Frauen behielten
ihre langen Nasen.
Nun
begab sichs, daß um diese Zeit ein junger, schöner und
steinreicher Prinz auf dem Wege war, der wollte die Prinzessin
freyen, und hatte sein Bildniß, kostbarlich gemalt, schon
vorausgesandt, nebst einem zuckersüßen Liebesbrieflein.
Man war keinen Tag sicher, daß er nicht ankam, und die
vermaledeyte Nase dazu! Was da für ein Jammern und Wehklagen
am kayserlichen Hofe war, lässet sich schwer in Worte
fassen. Die Prinzessin zumal kam schier von Sinnen, wollte
sich ein Leids anthun, weshalb man sie haarscharf bewachen
mußte. <16:>
Dem
verkappten Bauer bliebs nicht lang verborgen, welch große
Noth und Herzeleid am Hofe war, freuete sich darob herzinniglich,
und gedachte: Nun wollen wirs weiter treiben! Verkleidete
sich ohn’ Verzug als ausländischer Wunderdoktor, in rothsammet
Rock, mit Gold gestickt, Degen und Federhut. Nahm auch
künstliche Augen vor, so daß ihn sein leiblicher Vater
nicht mucht’ erkennen. Vor allen aber ging er zum Apfelbaum,
der ihm von seiner Nasen geholffen, steckt etliche Aepfel
zu sich und begiebt sich eilends nach der Residenz. In
der Herberg’, da er ankehrt, höret er nichts wie von der
langen Nase der Prinzessin und ihrer Frau Mutter, einer
gönnets ihr, der ander nicht, dazu von der übergroßen
Angst und Noth am Hofe, auch, wie man bereits alle Aerzt’
In- und Auslandes zusammen beruffen mit Versprechen großes
Lohns, wo sie dem Uebel steuerten, aber da stund alle
Kunst am Berge, kein Doctor mucht’ helffen, kein Feldscheerer
sich den schönen Groschen verdienen, und alle Fakultäten
hatten die Maulsperre kriegt.
Wie
der Wundermann das höret, sagt er mit hochwichtiger Mine:
die guten Leut’ wären samt und sonders auf Irrweg, wüßten
nichts von den geheimen Kräften der Natur, das höre er
wohl, ihm wärs ein Spaß und Frühstück, habe schon manchen –
– – von ihren Nasen geholffen u. s. w.
Der
Wirth, kaum hat ers gehört, ist er schon oben aufm Schloß,
läßt sich in aller Eyl beym Kayser melden, und erzählt
Sr. Majestät mit großen Freuden von dem wildfremden Wundermann.
Und kaum ist ein halb Viertelstündlein ins Land, hält
ein Staatswagen mit sechs prächtigen Schimmeln vor dem
Gasthaus, ein fürnehmer Herr mit Ordensband und Stern
springt heraus, und entbeut im Namen Sr. Majestät den
Wunderarzt eilends nach Hofe. Er kömmt, allen ist, wie
wenn ein Geist erscheinen sollt’, besieht die Nasen, macht
wenig Wort, langet ein Pulver herfür, mischt insgeheim
von seinen Wunderäpfeln dazu und giebts der Prinzessin
ein, dazu ihrer Frau Mutter, sagt, sie möchten übrigens
lustig und guter Dinge seyn, mit Gottes Hülff’ sollt’
sichs schon geben. Und siehe, kaum ist das Pulver an seinem
Ort, nehmen auch die Nasen schon ein wenig ab, darob der
ganze Hof für Freuden fast närrisch wird. Wissen nicht,
was sie dem Fremden für Ehr’ anthun sollen, tragen ihn
schier auf den Händen.
Indessen
rückt die Cur von Tag zu Tag vorwärts, die Nasen nehmen
langsam, jedoch merklich ab, und werden alle Morgen im
Beywesen Sr. Majestät, des Kaysers, mit einer richtigen
Ellen gemessen. Wie nun beyde Nasen ohngefähr zur Hälffte
herunterwaren, mischet der böse Schalk seiner Herzallerliebsten
keine Aepfel mehr unter ihr Pulver, der Kayserin aber
gab er fortgehends davon ein. Was Wunder, daß der Prinzessin
ihre kein Haarbreit mehr wanken noch weichen wollt’, ihrer
Frau Mutter Nase hingegen war in Zeit von acht Tagen ihres
Auswuchses vollkommen entledigt und hergestellt. <17:>
Die
Prinzessin fiel darob in große Traurigkeit, meynte, das
Scheusal müßte sie nun wohl unter die Erde mitnehmen.
So thät auch der Arzt, als nähm es ihm wie groß Wunder,
daß es nicht rücken wollt. Sagte eines Tages zur Kranken
mit gar bedenklicher Miene: sie müßte irgend was auf ihrem
Gewissen oder was Böses begangen haben; wo sie ihm das
nicht offenbarte, möchte sie nun und nimmermehr genesen.
Die Prinzessin erschrickt, wird bleich und roth, nimmt
den Doctor beyseit und beichtet dem losen Schalk ihre
ganze Geschichte mit dem fremden Prinzen, (der doch leibhaftig
vor ihr stund,) wie sie ihn von seinen drey Kleinodien
geholffen, gehöhnt, verspottet und ins Elend bracht. Sie
wollte es von Herzen wieder gut machen, ihn auch zu ihrem
Gemahl nehmen, wo sie nur ihres Uebels quitt und los würde.
Drauf antwortet der Doctor: Wo es ihr redlich Ernst wäre,
müßte sie den Anfang ihrer Bekehrung damit machen, daß
sie die gestohlnen Sachen dem Eigenthümer wieder gebe.
Ueberhaupt komm’ es ihm vor, es sey die ganze Sache wohl
nur Einbildung von ihr, und eitel Gedicht, sie möchte
ihm die Wunderdinge doch zum Scherz weisen. Drauf führet
ihn die Prinzessin zu dem bewußten Wandschrank, schleußt
das Thürlein auf und thut den Beutel heraus zusammt dem
Gürtel und dem Horn. Der Doctor nimmt die Sachen zur Hand,
stellet sich an, als wollt’ ers besehen, und kehret sich
mit dem Antlitz nach dem Fenster hin. Indessen hat er
der falschen Augen sich abgethan, wendet sich zur Prinzessin
mit grimmen Angesicht, und fähret auf sie ein: Ey du feine
Dirne, sieh mir nur in die Augen, ich bin der Prinz, den
du mit langer Nasen hast abfahren lassen: siehe da, ich
mache dir ein Gegenpräsent damit, du sollt sie wohl behalten
mit sammt dem Narren, den du dir an den Feigen gefressen,
bis an den jüngsten Tag. Und unter den Worten hat er den
Gürtel schon am Leibe, nimmt Horn und Beutel, wünscht
sich nach Haus, und mein Mährchen ist aus.
Emendation:
noch] noch noch D