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<Friedrich Gottlob Wetzel>, II. Das Märchen von der langen Nase, 8-17; darin: 12-17

Alsogleich blasen die Wächter auf den Thürmen Sturm, wie sie des Volks ansichtig werden, die Bürger lauffen auf die Mauern, und in Zeit einer Viertelstunde war kein rothes Gesicht mehr in der ganzen Stadt. Und doch kunt kein Mensch begreifen, was es für ein Feind sein möchte, und woher des Landes? Sintemahl auch nicht die kleineste Zeitung von feindlichem Einfall vernommen, und wars, wie wenn das Volk aus der Erden aufgeschossen. Indem stehet Roß und Mann schon vor den Thoren, und die Riesen fangen an, die Stadtmauern niederzureißen. Nun erst erkennet man den Prinzen an der Spitze seines reisigen Gezeugs und weiß, welchen Feind man vor sich hat. Eilends verfüget sich Sr. Majestät, der Kayser, zu Ihrer Prinzessin Tochter, bittet, sie möchte flugs hinausgehen und den Prinzen besänftigen, sie allein vermöchte das Unheil zu wenden von Stadt und Land. Wie die Prin- <13:> zessin solches vernommen, gedachte sie: den Vogel wollen wir schon fangen! oder das Kernsprüchlein müßte lügen: Alte Liebe rostet nicht! Schmücket sich aufs allerköstlichste, als sollts stracks zur Trauung gehn, also daß einem die Augen übergingen, so man sie ansahe, für großer Pracht und Herrlichkeit und dem Blitz und Schein der Juwelen. Und so gehet sie mit dreyßig ihrer auserwählten Jungfrauen hinaus in der Feinde Heer. Da gabs nun große Augen, wie sie durch den Zug hindurchging, unerschrocken und wohlgemuth, thät ihr auch Niemand was zu Leide.
Wie der Prinz ihrer nun ansichtig wird, fähret alsbald der alte Narr in ihn, nimmt sich jedoch zusammen, macht ein krausgrimmig Gesicht, und spricht: Was willtu mir, du Otterngezücht? Wart! Nun solltu deinem verdienten Lohn nicht entlauffen. Worauf die kayserliche Jungfrau sich vor ihm auf die Knie wirft, gar kläglich sich gebehrdet mit Weinen und Händeringen, sprechend: Ach habe Gnade mit deiner armen und elenden Magd! Ein böser Zauber hat mich verführet, daß ich also gottlos an dir gehandelt. Nun aber ist mir das Auge aufgegangen, sehe wohl, welch großen und mächtigen Herrn ich beleidigt, und es gereuet mich meiner Schuld von Herzensgrund. Bittet darauf gar demüthiglich um seine Liebe und Hand, wolle ihm hold und getreu seyn all ihr Lebelang, wofern er sein Kriegsvolk abzöge und der armen unschuldigen Stadt sich erbarmte. Spricht der Prinz: Wo du mir den gestohlnen Beutel und Gurt herausgiebst, will ich Gnade für Recht ergehen lassen. Welches denn die Prinzessin mit einem hochtheuren Eyd gelobet, er solle nur mit ihr kommen zu Stadt und Schloß, wolle ihm die Sachen selber einhändigen. Der Prinz, wie er solches höret, ist, wie wenn er vom Tod’ auferstünde, macht sich sofort auf den Weg, und die Prinzessin führet ihn an ihrer zarten schneeweißen Hand in ihr Schlafgemach. Siehe da fängt die Schlange – ihr höllisch Spiel und Teufelskunst mit Herzen, Drücken und Liebkosen von neuem an, daß der arme Prinz schier von seinen fünf Sinnen kömmt, nicht weiß, was oben, was unten? Spricht zu ihm das giftige Kraut, wie er seine Sachen verlangt: Es hat nicht Eil. Lieber! so ruhe ein wenig aus von dem Kriegszug! und setzte ihn auf ihr Ruhebettlein nieder – – –
Ueber ein kleines spricht die Prinzessin: Lieber, aber sage mir doch, denn siehe, ich bin dein Weib und brauchts da wohl kein Geheimhalten mehr: Wie in aller Welt bistu zu dem Kriegsvolk kommen? da doch keine Seele von erfahren. Der Prinz antwortet: Ey das will ich dir sagen. Siehe da mein Horn, blas’ ich hinein, steht alsogleich so viel Kriegsvolk da, als ich wünsche. Ey, spricht das saubere Kräutlein, laß sehen, ob ichs auch vermag. Stößt ins Horn, und wünschet sich sechs großmächtige Riesen ins Gemach, stößet noch eins hinein, damit das Kriegsheer vor der Stadt zerstiebe. (Denn auch diese Kraft war in dem Horn, lebendig machen und tödten.) Den Riesen drauf gebot sie: dem Prinzen Hände und Füße zu binden und ihn aus dem Lande zu werfen. Das Horn aber behielt sie und hings zu dem Beutel und dem Gurt in den Wandschrank. <14:>
So begab sichs nun, daß der arme Prinz anstatt der gehofften Himmelfahrt zum Dritten in Höll’ und Elend mußte, wollt’ auch das Tageslicht nicht mehr sehen für großer Scham und Betrübniß. Ging in die Wüste, da kein Mensch hinkam, daselbst wollt’ er sich ums Leben bringen. Nur konnt’ er nicht sogleich mit sich eins werden, welches Todes er sterben wolle, hängen däuchte ihm zu niederträchtig, ersäuffen, da, dacht’ er, könnt’ ihn wohl gar der Schlag im Wasser rühren, zum Erstechen gebrachs ihm an Schwerdt oder Messer, und das Pulver war dazumal noch nicht erfunden, er auch just nicht der Mann dazu. Endlich beschloß er bey sich, Hungers zu sterben, fastet auch richtig drey Tag, und bereitet sich gar erbaulich zu seinem Ende. Am vierten Morgen aber geschah’s, daß er einen Feigenbaum zu Gesicht bekömmt, der mitten im bittersten Schnee und Winter grün war über und über, und schier brach unter der allerherrlichsten Frucht. Da sprach der Arme bey sich: Sterben will und muß ich einmal, aber eine Feige möcht’ ich doch noch kosten vor meinem sel’gen Ende. Gedacht! Gethan! Die Feige zerfloß ihm auf der Zung’, so gar süß und saftig war sie, und mundete ihm wie Himmelsmanna.
Wie er aber im besten Essen, kömmt’s ihm vor, wie wenn seine Nase länger werde. Ey, denkt er bey sich, krieg’ ich auch eine lange Nase mit ins Grab, was schadets? will mich doch zu guter letzt satt Feigen essen! Und so macht er sich über den Baum her, schlägt seiner Frucht wohl eine Metz’ in den Leib. Lässet sich auch nicht abschrecken, daß seine Nase mit jedem Bissen zusehends wächset, steckt das Ende davon, wie er sich wohl gesättigt, in die Tasch’, und denket nun im Ernst an seinen Tod und Abscheiden aus diesem Jammerthal.
Nach dreyen Tagen Fastens aber plagt ihn der leidige Hunger wieder gar zu sehr, als sollt’ er nach seiner Geburt noch den ersten Imbiß thun. Und wie er seine Augen aufhebet, siehe so stehet ein Apfelbaum vor ihm, übersäet mit der allerschönsten Frucht, wie Paradiesäpfel, roth und weiß, daß einem das Herz im Leibe lacht. Ey, spricht der arme verlaßne Pilgrim: Muß ich sterben, will ich noch einmal der köstlichen Gottesgabe mich erlaben. Die Aepfel wachsen ohnedem in der Wildniß, da es keinem Menschen zu gut kömmt.
Unter solchen und andern beweglichen Reden kömmt er zum Baum und bricht sich einen Apfel. Isset ihn auch mit großer Begier, und däucht ihm, kein Apfel in seinem Leben hab’ ihm also wohl geschmeckt. Kaum aber, daß er ihn gegessen, wills ihm bedunken, als reget sich was Lebendigs in seiner Taschen. Und wie er zusiehet, ists ja die Nase, die wird ihm in und unter der Hand kürzer, worüber der gute Prinz große Freud’ empfindet, denn wiewohl er ihme zu sterben gar ernstlich fürgesetzet, mucht er doch lieber mit seiner ordentlichen denn mit einer langen Nasen sterben. Danket auch Gott mit lauter Stimme, daß er ihn wollt’ von solchem Ungethüm in Gnaden erlösen, nimmts für einen Wink von oben, daß er sein junges Leben annoch friste, und isset mit Zuversicht eine gute Tracht von den allerliebsten <15:> Aepfeln hinein. Gleichwie nun bei den Feigen die Nase zusehends gewachsen, nimmt sie bey den Aepfeln mit jedem Bissen ab und kriechet ein. Also daß er gar furcht, wo er mit Essen so fortführe, möcht’ ihm auch seine wahre Nase einschwinden. Hielte daher mit der linken Hand das Ende derselben fest, damit er zu rechter Zeit aufhörte mit Essen. Allein wo die gedrehte Nas’ an der rechten anfing, nahm das Abnehmen glücklicherweis nicht mehr zu, und nun mucht’ er so viel essen als er wollt’, seine natürliche Nase blieb ihm und schälte sich auch kein Häutlein davon.
Wie nun der Prinz den Bauch voll hatte, war Sterben und Vorbereitung zum Himmel rein verfressen und vergessen; gedachte schon, wie er sich wollt’ noch manch lustigen Tag auf Erden machen. Vor allem kam ihm das Leid wieder in den Sinn, so die grundböse, ehr- und tugendvergeßne Prinzessin ihm angethan, und er sann hin und her, wie er sich an ihr rächete. Mit Eins fuhrs ihm durch den Kopf, er suche den Esel und reite selber drauf, gedachte der Feigen und Aepfel, und fand darin das unvergleichlichste Mittel zu seinem Fürhaben.
Er verkleidete sich als Bauer, thät der Feigen eine gute Meng’ in einen feinen Korb, und macht sich auf den Weg nach der Residenz. Er wußte gar wohl, daß die Prinzessin, dazu ihre Frau Mutter, große Liebhaberin von Feigen war, und so ging er mit den saubern Früchtlein ohn’ Umständ’ aufs Schloß, ließ sich bey der Prinzessin melden, und überreichte den Korb in ihre Hand. Diese war für Freuden ganz außer sich, konnt gar nicht begreifen, wie der Mann mitten im Winter zu den schönen Feigen käme. Er sagte, er habe in seiner Wohnstuben ein Bäumlein gezogen, aus großer Liebe zu ihr, dieweil er ihrer sonderbaren Lust an den Früchten wohl wissend sey. Die Prinzessin nimmts, danket, ißt, läufft auch zu ihrer Frau Mutter, und giebt ihr von den Feigen, welche darob gleicherweis höchlich erfreuet ist.
Wie sie aber so recht behäglich aßen, da hätte man den Schreck sehen sollen und die beiden Weibsbilder hören schreyen: sie hatten beyde gar ungeheuer lange Nasen bekommen. Der Kayser schickt sogleich nach dem Bäuerlein auf alle Weg’ und Stege, setzt tausend Dukaten auf den Fund, läßt Haussuchung thun, die Thore sperren u. s. w. Aber wen man nicht fand, das war mein Bauer, der Schadenfroh hatte sich, in dem Augenblick, wie die Prinzessin zu ihrer Frau Mutter gelauffen, wie der Blitz aus dem Staube gemacht, und wollte sich schier todt lachen seines wohlgelungenen Schwankes halber. Kurzum: die beyden Frauen behielten ihre langen Nasen.
Nun begab sichs, daß um diese Zeit ein junger, schöner und steinreicher Prinz auf dem Wege war, der wollte die Prinzessin freyen, und hatte sein Bildniß, kostbarlich gemalt, schon vorausgesandt, nebst einem zuckersüßen Liebesbrieflein. Man war keinen Tag sicher, daß er nicht ankam, und die vermaledeyte Nase dazu! Was da für ein Jammern und Wehklagen am kayserlichen Hofe war, lässet sich schwer in Worte fassen. Die Prinzessin zumal kam schier von Sinnen, wollte sich ein Leids anthun, weshalb man sie haarscharf bewachen mußte. <16:>
Dem verkappten Bauer bliebs nicht lang verborgen, welch große Noth und Herzeleid am Hofe war, freuete sich darob herzinniglich, und gedachte: Nun wollen wirs weiter treiben! Verkleidete sich ohn’ Verzug als ausländischer Wunderdoktor, in rothsammet Rock, mit Gold gestickt, Degen und Federhut. Nahm auch künstliche Augen vor, so daß ihn sein leiblicher Vater nicht mucht’ erkennen. Vor allen aber ging er zum Apfelbaum, der ihm von seiner Nasen geholffen, steckt etliche Aepfel zu sich und begiebt sich eilends nach der Residenz. In der Herberg’, da er ankehrt, höret er nichts wie von der langen Nase der Prinzessin und ihrer Frau Mutter, einer gönnets ihr, der ander nicht, dazu von der übergroßen Angst und Noth am Hofe, auch, wie man bereits alle Aerzt’ In- und Auslandes zusammen beruffen mit Versprechen großes Lohns, wo sie dem Uebel steuerten, aber da stund alle Kunst am Berge, kein Doctor mucht’ helffen, kein Feldscheerer sich den schönen Groschen verdienen, und alle Fakultäten hatten die Maulsperre kriegt.
Wie der Wundermann das höret, sagt er mit hochwichtiger Mine: die guten Leut’ wären samt und sonders auf Irrweg, wüßten nichts von den geheimen Kräften der Natur, das höre er wohl, ihm wärs ein Spaß und Frühstück, habe schon manchen – – – von ihren Nasen geholffen u. s. w.
Der Wirth, kaum hat ers gehört, ist er schon oben aufm Schloß, läßt sich in aller Eyl beym Kayser melden, und erzählt Sr. Majestät mit großen Freuden von dem wildfremden Wundermann. Und kaum ist ein halb Viertelstündlein ins Land, hält ein Staatswagen mit sechs prächtigen Schimmeln vor dem Gasthaus, ein fürnehmer Herr mit Ordensband und Stern springt heraus, und entbeut im Namen Sr. Majestät den Wunderarzt eilends nach Hofe. Er kömmt, allen ist, wie wenn ein Geist erscheinen sollt’, besieht die Nasen, macht wenig Wort, langet ein Pulver herfür, mischt insgeheim von seinen Wunderäpfeln dazu und giebts der Prinzessin ein, dazu ihrer Frau Mutter, sagt, sie möchten übrigens lustig und guter Dinge seyn, mit Gottes Hülff’ sollt’ sichs schon geben. Und siehe, kaum ist das Pulver an seinem Ort, nehmen auch die Nasen schon ein wenig ab, darob der ganze Hof für Freuden fast närrisch wird. Wissen nicht, was sie dem Fremden für Ehr’ anthun sollen, tragen ihn schier auf den Händen.
Indessen rückt die Cur von Tag zu Tag vorwärts, die Nasen nehmen langsam, jedoch merklich ab, und werden alle Morgen im Beywesen Sr. Majestät, des Kaysers, mit einer richtigen Ellen gemessen. Wie nun beyde Nasen ohngefähr zur Hälffte herunterwaren, mischet der böse Schalk seiner Herzallerliebsten keine Aepfel mehr unter ihr Pulver, der Kayserin aber gab er fortgehends davon ein. Was Wunder, daß der Prinzessin ihre kein Haarbreit mehr wanken noch weichen wollt’, ihrer Frau Mutter Nase hingegen war in Zeit von acht Tagen ihres Auswuchses vollkommen entledigt und hergestellt. <17:>
Die Prinzessin fiel darob in große Traurigkeit, meynte, das Scheusal müßte sie nun wohl unter die Erde mitnehmen. So thät auch der Arzt, als nähm es ihm wie groß Wunder, daß es nicht rücken wollt. Sagte eines Tages zur Kranken mit gar bedenklicher Miene: sie müßte irgend was auf ihrem Gewissen oder was Böses begangen haben; wo sie ihm das nicht offenbarte, möchte sie nun und nimmermehr genesen. Die Prinzessin erschrickt, wird bleich und roth, nimmt den Doctor beyseit und beichtet dem losen Schalk ihre ganze Geschichte mit dem fremden Prinzen, (der doch leibhaftig vor ihr stund,) wie sie ihn von seinen drey Kleinodien geholffen, gehöhnt, verspottet und ins Elend bracht. Sie wollte es von Herzen wieder gut machen, ihn auch zu ihrem Gemahl nehmen, wo sie nur ihres Uebels quitt und los würde. Drauf antwortet der Doctor: Wo es ihr redlich Ernst wäre, müßte sie den Anfang ihrer Bekehrung damit machen, daß sie die gestohlnen Sachen dem Eigenthümer wieder gebe. Ueberhaupt komm’ es ihm vor, es sey die ganze Sache wohl nur Einbildung von ihr, und eitel Gedicht, sie möchte ihm die Wunderdinge doch zum Scherz weisen. Drauf führet ihn die Prinzessin zu dem bewußten Wandschrank, schleußt das Thürlein auf und thut den Beutel heraus zusammt dem Gürtel und dem Horn. Der Doctor nimmt die Sachen zur Hand, stellet sich an, als wollt’ ers besehen, und kehret sich mit dem Antlitz nach dem Fenster hin. Indessen hat er der falschen Augen sich abgethan, wendet sich zur Prinzessin mit grimmen Angesicht, und fähret auf sie ein: Ey du feine Dirne, sieh mir nur in die Augen, ich bin der Prinz, den du mit langer Nasen hast abfahren lassen: siehe da, ich mache dir ein Gegenpräsent damit, du sollt sie wohl behalten mit sammt dem Narren, den du dir an den Feigen gefressen, bis an den jüngsten Tag. Und unter den Worten hat er den Gürtel schon am Leibe, nimmt Horn und Beutel, wünscht sich nach Haus, und mein Mährchen ist aus.

Emendation:
noch] noch noch D

 

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Letzte Aktualisierung 28-Mär-2003
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