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<Friedrich Gottlob Wetzel>, II. Das Märchen von der langen Nase, 8-17; darin: 8-12

II. Das Mährchen von der langen Nase.

Es war einmal ein König, der hatte drey Söhne, dazu viel Land und Leute. Wie es nun mit ihm zum Sterben kam, rief er seine Söhne vors Bett, übergab dem Aeltesten Kron’ und Scepter; zu den andern aber sprach er: Sehet mir nicht scheel, auch ihr sollt mir nicht leer ausgehen. So wie ich die Augen zu, machet euch auf den Weg alle drey nach meinem Sommerschlößlein, da steiget den tiefen Keller hinunter, so wird euch rechter Hand ein eisern Kistlein in die Augen fallen, das öffnet (hier zog er einen güldnen Schlüssel herfür, gab ihnen den und sprach weiter:) und was ihr drinnen findet, das nehmet zu euch, jeglicher ein Stück. Aber hütet euch, daß ihrs ja nicht verschenket oder lüderlicher Weise verliert: so wirds euch wohl gehen auf Erden.
Als der König solches geredet, entschlief er alt und lebenssatt und ward versammelt zu seinen Vätern.
Also machten die drey Brüder sich auf und ritten nach dem Schlößlein, das war gelegen in einem großen dicken Wald. Gingen in den Keller und funden, wie der Alte ihnen gesaget, das Kistlein rechter Hand. Da war Freude über Freude! Schlossens flugs auf mit großer Begier, der Aelteste ließ sichs nicht nehmen, thut den ersten Griff hinein, und was bringet er herfür? Ein metallnes Hörnlein, darauf stund eingegraben: Wie viel Kriegsleut willtu? Darnach zog der Andre heraus einen Gürtel, darauf war zu lesen: Wohin willtu? Endlich zum dritten griff der Jüngste hinein, und siehe da einen ledernen Beutel mit den Worten: Wie viel Geld wünschestu?
Da sahen alle drey einer den andern an, meinten, es sey Possen und Narrentheiding, und der Schatz noch unten auf dem Boden des Kistleins, wie sie aber hinein- <9:> guckten, funden sie’s leer. Da sprach der Aelteste: Wohlan! laß sehen, ob mein Wunschhörnlein Probe hält, oder obs eitel Trug ist mit alle diesem Ding? Wünschte sich alsbald tausend der allerschönsten Feldjäger zu Roß, stößt ins Horn, und wie er zum Fenster hinausschaut, siehe, da zeucht die Schaar schon auf im Schloßhof, fehlt kein Häärlein an tausend Mann, alles stattliche Leut und Roß, mit Hörnerschall und Jagdmusik, fast lieblich anzuhören. Drauf wünschet sich der Andre an den Hof seines Herrn Großvaters, mütterlicher Seit, Herzogen zu Samarkand, thut den Gürtel um seine Lenden, und eh man sagt: Huy! war er daselbst, wohl hundert Meilen weit, wünschet sich augenblicks wieder zurück, und ehe man auf drey zählen mag, stund er wieder unter seinen Brüdern. Da kriegt der Jüngste auch Lust, seinen Beutel zu probiren, wünscht sich hinein tausend Goldgülden. Wird der Beutel stracks schwer in seiner Hand, daß er ihn schier muß fallen lassen, und wie ers ausschüttet und zählt, ists von Heller zu Pfennig die verlangte Münz. Deß wurden die drey gar höchlich froh, sprechen unter einander: Nun sind wir gemachte Leut, kein Kayser noch König auf Erden mag uns was anhaben, und Hungers sterben werden wir, so Gott will, auch nicht.
Der Aelteste ging hin, und sazte sich auf seines Vaters Thron, regierte schlecht und recht, in Fried’ und guter Ruh, thät auch den Armen viel Guts. Der Ander bauete sich ein Haus in einer gar anmuthigen Aue, nahm ein Weib von den Töchtern des Landes und lebete fein still und vergnüglich. Brauchte also der Beyden keiner das ihm zugedachte Geschenk. Der Aeltest kein Kriegsvolk, dieweil er mit seinen Nachbarn in guter Eintracht lebete. So wünschte sich auch der Ander um alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit von Weib und Kind, Haus und Hof, keinen Augenblick anders wohin.
Dem Jüngsten aber kam ein Gelüsten an, sein Heyl zu versuchen in der Fremde, und auswärtige Höfe zu besehen. Denn er gedachte in seinem Herzen: Mir kann’s nicht fehlen! Wer nur hat Geld, kömmt durch die Welt! (Ja wohl, mein Prinz, hättest nur auch das Sprüchlein wissen sollen: Wer hat Verstand, kömmt auch durchs Land!) Aber höret nur weiter!
Nach vielen Ebentheuern (deren hie zu gedenken zu weitläuftig) kömmt mein Prinz an eines großmächtigen Kaysers Hof, weit draußen, wo die Welt schier ein Ende hat. Da ist eine Pracht und Herrlichkeit, dagegen ihm seines Vaters Hof fast nur ein Bauerhäuslein bedünken will: Gold, Silber und Edelgestein in solcher Meng’, als ob man in die Sonne sähe. Das edelste Kleinod aber war des Kaysers Tochter, ein Ausbund und Allerweltswunder an Schönheit, Augen wie Demant, und gewachsen wie eine Ceder auf Libanon: also, daß, wo ihr Gemüth wär’ gewesen gleich ihrer Leibes- und Liebesgestalt, mucht’ man sie leicht für die Schönste auf Erden halten. Aber inwendig da saß der Rost, wie blank und gülden sie von Außen war. Arglistig war sie, tückischer und schadenfroher Gemüthsart, kurz eine böse Sieben von Kin- <10:> desbeinen an, und hatte schon manchen edlen Prinzen, der kommen war, tugendlich um sie zu freyen, gottserbärmlich genarrt und ins Unglück bracht, also, daß ihrer etliche sich ersäuft oder sonst ein Leids angethan hatten.
Nun kömmt mein Prinz angefahren, siehet das Meerwunder, darnach alle Welt wie toll rennet, und davon er schon gehöret in fernen Landen, auf einem Turnier, so eben ihr zu Ehren gehalten ward, und wie’s von einem jungen hitzigen Blut kaum anders zu erwarten, vergafft sich gleicherweis in sie. Von Gestalt war der Prinz ein feiner Mann, hatte lang goldgelbes Haar, schöne blaue Augen und eine Adlernase, dazu Arm und Bein wie gegossen. Machte daneben überschwenglichen Aufwand, was ihm nicht theuer zu stehen kam, stolzirte überall in Gold, Seide und Purpur, Perlen und köstlichem Gestein, gleich als hätte er die ganze Welt an sich bracht.
Was Wunder, daß der Prinz Gnade fand vor den Augen der kayserlichen Jungfrau, denn Gold, Stand und Schönheit sind die Angel, da man dergleichen Fische gar leicht mit fänget. Sie nahm ihn also zu ihrem Buhlen, behielt jedoch beständig den Schalk im Herzen, und so heiß verliebt er in sie war und so grausam ernstlich er sich gebehrdete, meynte sie’s doch eben nicht allzu redlich mit ihm. Gedachte wohl gar bey sich, es ihm wie den andern je eher je lieber tüchtig einzutränken, und ihn mit einer langen Nase abziehen zu lassen. Aber hinterm Berge wohnen auch Leute.
Der Prinz kam also in der Liebe nicht weit mit ihr und bliebs lediglich beym A. B. C., bald war sie lau, bald gar eiskalt, und quälte den armen Prinzen, daß er hätte mögen Blut weinen. Nun wunderte sich aber Jedermann am Hof über den unsäglichen Reichthum des Prinzen, denn es war ihm Gold wie Sand und Diamanten wie schlechte Kiesel. Und doch sah und hörte man niemalen, daß er Geld oder Wechsel von Haus oder sonst woher bekäme. Meynten dahero etliche, es sey nicht gar geheuer mit ihm, und der Leidige schleppe ihm den Mammon anbey. Ja den Kayser selber wollt’ es seltsamlich bedünken, störte deshalb seine Prinzessin Tochter an, sie möchte es von ihrem Schatz auszulocken suchen, von wannen ihm das ewig viele Geld käme? Die Prinzessin sprach: Ich will zusehen. Wie nun der Prinz eines Tages bei ihr saß, und sie ihm mit Herzen und Küssen dermaßen zugesetzt, daß er in seinem Leibe keinen Rath wußte, fragt sie ihn um das Geheimniß. Siehe da erzählts ihr der Thor mit dem Beutel, bittet aber inständigst, sie möchte ja Niemandem ein Wort von sagen. Sie sprach: Ey, Lieber! du kurzweilest mit mir; wie mag ein Beutel so große Dinge thun? (Scil. ein leerer.) Da zog ers herfür in seiner Verblendung, gabs ihr und bat, sie möchte eine Probe damit machen. Die Prinzessin thät also, wünschet sich flugs zehentausend Goldgülden, und da sie’s ausschüttet, fand sichs also. Wie sie nun des Dings inne worden, daß es wahr und richtig, rief sie mit lauter Stimme ihrem Herrn Vater, (der im Nebengemach hielt zusamt dem ganzen Hofstatt.) Der trat herein, da überantwortet sie den Wunderbeutel in seine Hand. Gebot zugleich dem Hofgesind, daß sie den Prinzen griffen und über die Gränze <11:> schafften. Und es geschah also. Da half kein Singen noch Sagen, kein Bitten noch Klagen, der Prinz mußte fort, und sein Glücksbeutel blieb dahinten.
Nun scheuete er sich, heim zu ziehen zu seinen Brüdern, meynete, sie möchten ihn gar hart anlassen seines Unverstands halber, welches er auch vollauf verdienet. Endlich aber, wie der arme Schächer gebrannten Hunger und Kummer zu leiden anfängt, macht er sich doch auf, und kömmt bey Nacht und Nebel auf seinen andern Bruders Landgütlein. Der kennt ihn kaum, so abgerissen und ausgezehrt sieht er aus, wie des leibhaftigen Hungers Mundkoch. Fragt ihn darauf: wie er so herunterkommen? Da erzählt der verlohrne Sohn von seinem Unfall mit dem Beutel, bittet auch den Bruder aufs allerflehentlichste, er möcht’ ihm seinen Gürtel leihen, daß er den Beutel wiederholen könnt, ohne den wär’ er ja ein geschlagner Mann für seine ganze Lebenszeit. Der Bruder sprach: Du bist ein Narr, würdest mir auch den Gürtel verdämmern, gleichwie du dir den Beutel hast abschwatzen lassen. Darum so will ich meinen Gürtel bey mir behalten, auf daß ich nicht auch um mein Erbtheil lüderlich komme. Der Jüngste sprach: Ach nein, liebster Herr Bruder, gewißlich bring’ ich ihn wieder, und den Beutel dazu, da wollen wir fein brüderlich beysammen leben. Das Fraunbild aber hab’ ich mir längst aus dem Sinn geschlagen, die soll mir kein Häärlein aus dem Barte ziehn. Wie nun der Bruder sah, daß der arme Schelm so gar kläglich thut, gings ihm durchs Herz und gab ihm den Gürtel. Den schnallet der Jüngste ohn’ Verzug um den leeren Magen, wünschet sich ins Schlafgemach seiner schönen Grausamkeit, allwo, wie er wohl vermerket, sie den Beutel in einem Wandschrank verschlossen, (NB. einen guten Dietrich nicht zu vergessen,) und ehe man die Hand umdreht, ist er am gewünschten Ort.
Aber ach unglücklich Glück! Es war eben ein Stündlein vor Mitternacht, ein Nachtlicht brannte im Gemach, die Prinzessin aber lag auf ihrem Ruhebettlein ausgestreckt, blühete wie eine Rose, und schlief so sanft und süß, wie wenn sie in ihrem Leben kein Wässerlein getrübt. Ganz leise auf den Zehen will der Prinz nach dem Wandschrank schleichen, den Beutel herausthun und sich auf und davon machen. Wie er aber an der schlafenden Schönheit vorbeykommt, mocht er sich doch nicht entbrechen, ein wenig hinzuschielen, dachte: ein Kuß wird doch den Hals nicht kosten! schlich also herbey und küßte sie recht inbrünstig auf ihren warmen purpurrothen Mund. Drob fährt sie aus dem Schlaf, wird des Prinzen gewahr, fasset sich aber gleich, wohl merkend, daß er nicht auf natürlichem Weg hereinkommen. Fällt ihm ohn’ Umständ’ um den Hals und treibts also minniglich mit Herzen und Küssen und was sonst des Brauchs bey jungem Volk, daß er wohl siebenmal verliebter wird, wie zuvor nimmermehr. Wie er nun so recht in seinem Esse, ersiehet sich der Schalk den Augenblick, spricht: Mein! wie bistu doch zu mir hereinkommen? sintemahl alle Zugäng’ und Pforten, dazu alle Stiegen des Schlosses mit Schweizern und Trabanten besetzet sind. Da lässet sich der einfältige Tropf ja abermal fangen, antwortet: er wolle es ihr nur sagen: er habe einen Gürtel, wenn er den um seine Lenden <12:> gürtete, und wünschte sich wohin, den Augenblick wär’ er da. Die schlaue Katz (wo anders solch Meisterstück des Schöpfers, leibliche Schönheit anlangend, also zu nennen) stellt sich, wie wenn sie in die Wahrheit seiner Aussag Zweifel setzte, bittet sich darauf den Gürtel aus, ihn zu besehen. Kaum aber hat sie ihn in ihrer boshaftigen Hand, schreyt sie aus Leibeskräften: Heda! Trabanten, herein! Der Schurk da hat sich böslicherweis zu mir hereingeschlichen, und stehet nach meiner jungfräulichen Ehre. Die Kriegsknechte, wie sie solches hören, brechen herein, fahen und binden ihn, und, nachdem man ihn wohl gestäupet, wird der arme Schelm abermal Lands verwiesen, auch ihm angedeutet, wofern er wiederkäme, wolle man ihn henken lassen.
Da zieht nun mein Prinz vom Berge Miserere hin, hängt den Kopf, wie ein alter übertriebner Gaul, weiß nicht, wo aus noch ein. Endlich fasset er sich ein Herz, und machet sich auf zu seinem ältesten Herrn Bruder, dem König, denkt bey sich, mein Bruder hat Land und Leut, kann mich wohl zum Landpfleger machen, hab’ ich keinen Beutel, haben andre Leute welche, die will ich schon pflegen (wollte sagen: fegen). Sein Bruder aber, der König, lässet ihn sehr zornig an, schilt ihn einen Schalksnarren über den andern, so auch alle auf ihm Raum hatten. Dieser aber, der Jüngste, thut gar sehr busfertig über seinen losen Streich, vermisset sich auch hoch und theuer, wofern ihm der Bruder sein Horn liehe, wolle er blutige Rach’ an der Bübin nehmen, ihr ganz Geschlecht vertilgen vom Angesicht der Erden, ja auch des Kinds im Mutterleibe nicht schonen. Der König denkt: Das klinget fein! Wenn er nur Wort hält! lässet sich endlich durch viel Bitten und Flehen bewegen, daß er ihm sein Horn leihet.
Wie nun mein Prinz wieder vor der kayserlichen Hauptstadt ist, thut er sein Horn herfür, stößt gar gewaltig hinein, und siehe da! ein zahllos Heer, wie Sand am Meer! daß die Erde schier bricht und die Luft in Brand geräth von der Waffen Glanz. Auch dreytausend Riesen waren dabey, die stunden vor dem Kriegshauffen, gleich als ein Eichenwald.

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Letzte Aktualisierung 28-Mär-2003
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