II. Das Mährchen von
der langen Nase.
Es war einmal ein König, der hatte drey
Söhne, dazu viel Land und Leute. Wie es nun mit ihm zum
Sterben kam, rief er seine Söhne vors Bett, übergab dem
Aeltesten Kron’ und Scepter; zu den andern aber sprach
er: Sehet mir nicht scheel, auch ihr sollt mir nicht leer
ausgehen. So wie ich die Augen zu, machet euch auf den
Weg alle drey nach meinem Sommerschlößlein, da steiget
den tiefen Keller hinunter, so wird euch rechter Hand
ein eisern Kistlein in die Augen fallen, das öffnet (hier
zog er einen güldnen Schlüssel herfür, gab ihnen den und
sprach weiter:) und was ihr drinnen findet, das nehmet
zu euch, jeglicher ein Stück. Aber hütet euch, daß ihrs
ja nicht verschenket oder lüderlicher Weise verliert:
so wirds euch wohl gehen auf Erden.
Als
der König solches geredet, entschlief er alt und lebenssatt
und ward versammelt zu seinen Vätern.
Also
machten die drey Brüder sich auf und ritten nach dem Schlößlein,
das war gelegen in einem großen dicken Wald. Gingen in
den Keller und funden, wie der Alte ihnen gesaget, das
Kistlein rechter Hand. Da war Freude über Freude! Schlossens
flugs auf mit großer Begier, der Aelteste ließ sichs nicht
nehmen, thut den ersten Griff hinein, und was bringet
er herfür? Ein metallnes Hörnlein, darauf stund eingegraben:
Wie viel Kriegsleut willtu? Darnach zog der Andre
heraus einen Gürtel, darauf war zu lesen: Wohin willtu?
Endlich zum dritten griff der Jüngste hinein, und siehe
da einen ledernen Beutel mit den Worten: Wie viel Geld
wünschestu?
Da
sahen alle drey einer den andern an, meinten, es sey Possen
und Narrentheiding, und der Schatz noch unten auf dem
Boden des Kistleins, wie sie aber hinein- <9:> guckten,
funden sie’s leer. Da sprach der Aelteste: Wohlan! laß
sehen, ob mein Wunschhörnlein Probe hält, oder obs eitel
Trug ist mit alle diesem Ding? Wünschte sich alsbald tausend
der allerschönsten Feldjäger zu Roß, stößt ins Horn, und
wie er zum Fenster hinausschaut, siehe, da zeucht die
Schaar schon auf im Schloßhof, fehlt kein Häärlein an
tausend Mann, alles stattliche Leut und Roß, mit Hörnerschall
und Jagdmusik, fast lieblich anzuhören. Drauf wünschet
sich der Andre an den Hof seines Herrn Großvaters, mütterlicher
Seit, Herzogen zu Samarkand, thut den Gürtel um seine
Lenden, und eh man sagt: Huy! war er daselbst, wohl hundert
Meilen weit, wünschet sich augenblicks wieder zurück,
und ehe man auf drey zählen mag, stund er wieder unter
seinen Brüdern. Da kriegt der Jüngste auch Lust, seinen
Beutel zu probiren, wünscht sich hinein tausend Goldgülden.
Wird der Beutel stracks schwer in seiner Hand, daß er
ihn schier muß fallen lassen, und wie ers ausschüttet
und zählt, ists von Heller zu Pfennig die verlangte Münz.
Deß wurden die drey gar höchlich froh, sprechen unter einander:
Nun sind wir gemachte Leut, kein Kayser noch König auf
Erden mag uns was anhaben, und Hungers sterben werden
wir, so Gott will, auch nicht.
Der
Aelteste ging hin, und sazte sich auf seines Vaters Thron,
regierte schlecht und recht, in Fried’ und guter Ruh,
thät auch den Armen viel Guts. Der Ander bauete sich ein
Haus in einer gar anmuthigen Aue, nahm ein Weib von den
Töchtern des Landes und lebete fein still und vergnüglich.
Brauchte also der Beyden keiner das ihm zugedachte Geschenk.
Der Aeltest kein Kriegsvolk, dieweil er mit seinen Nachbarn
in guter Eintracht lebete. So wünschte sich auch der Ander
um alle Reiche der Welt und ihre Herrlichkeit von Weib
und Kind, Haus und Hof, keinen Augenblick anders wohin.
Dem
Jüngsten aber kam ein Gelüsten an, sein Heyl zu versuchen
in der Fremde, und auswärtige Höfe zu besehen. Denn er
gedachte in seinem Herzen: Mir kann’s nicht fehlen! Wer
nur hat Geld, kömmt durch die Welt! (Ja wohl, mein Prinz,
hättest nur auch das Sprüchlein wissen sollen: Wer hat
Verstand, kömmt auch durchs Land!) Aber höret nur weiter!
Nach
vielen Ebentheuern (deren hie zu gedenken zu weitläuftig)
kömmt mein Prinz an eines großmächtigen Kaysers Hof, weit
draußen, wo die Welt schier ein Ende hat. Da ist eine
Pracht und Herrlichkeit, dagegen ihm seines Vaters Hof
fast nur ein Bauerhäuslein bedünken will: Gold, Silber
und Edelgestein in solcher Meng’, als ob man in die Sonne
sähe. Das edelste Kleinod aber war des Kaysers Tochter,
ein Ausbund und Allerweltswunder an Schönheit, Augen wie
Demant, und gewachsen wie eine Ceder auf Libanon: also,
daß, wo ihr Gemüth wär’ gewesen gleich ihrer Leibes- und
Liebesgestalt, mucht’ man sie leicht für die Schönste
auf Erden halten. Aber inwendig da saß der Rost, wie blank
und gülden sie von Außen war. Arglistig war sie, tückischer
und schadenfroher Gemüthsart, kurz eine böse Sieben von
Kin- <10:> desbeinen an, und hatte schon manchen
edlen Prinzen, der kommen war, tugendlich um sie zu freyen,
gottserbärmlich genarrt und ins Unglück bracht, also,
daß ihrer etliche sich ersäuft oder sonst ein Leids angethan
hatten.
Nun
kömmt mein Prinz angefahren, siehet das Meerwunder, darnach
alle Welt wie toll rennet, und davon er schon gehöret
in fernen Landen, auf einem Turnier, so eben ihr zu Ehren
gehalten ward, und wie’s von einem jungen hitzigen Blut
kaum anders zu erwarten, vergafft sich gleicherweis in
sie. Von Gestalt war der Prinz ein feiner Mann, hatte
lang goldgelbes Haar, schöne blaue Augen und eine Adlernase,
dazu Arm und Bein wie gegossen. Machte daneben überschwenglichen
Aufwand, was ihm nicht theuer zu stehen kam, stolzirte
überall in Gold, Seide und Purpur, Perlen und köstlichem
Gestein, gleich als hätte er die ganze Welt an sich bracht.
Was
Wunder, daß der Prinz Gnade fand vor den Augen der kayserlichen
Jungfrau, denn Gold, Stand und Schönheit sind die Angel,
da man dergleichen Fische gar leicht mit fänget. Sie nahm
ihn also zu ihrem Buhlen, behielt jedoch beständig den
Schalk im Herzen, und so heiß verliebt er in sie war und
so grausam ernstlich er sich gebehrdete, meynte sie’s
doch eben nicht allzu redlich mit ihm. Gedachte wohl gar
bey sich, es ihm wie den andern je eher je lieber tüchtig
einzutränken, und ihn mit einer langen Nase abziehen zu
lassen. Aber hinterm Berge wohnen auch Leute.
Der
Prinz kam also in der Liebe nicht weit mit ihr und bliebs
lediglich beym A. B. C., bald war sie lau, bald
gar eiskalt, und quälte den armen Prinzen, daß er hätte
mögen Blut weinen. Nun wunderte sich aber Jedermann am
Hof über den unsäglichen Reichthum des Prinzen, denn es
war ihm Gold wie Sand und Diamanten wie schlechte Kiesel.
Und doch sah und hörte man niemalen, daß er Geld oder
Wechsel von Haus oder sonst woher bekäme. Meynten dahero
etliche, es sey nicht gar geheuer mit ihm, und der Leidige
schleppe ihm den Mammon anbey. Ja den Kayser selber wollt’
es seltsamlich bedünken, störte deshalb seine Prinzessin
Tochter an, sie möchte es von ihrem Schatz auszulocken
suchen, von wannen ihm das ewig viele Geld käme? Die Prinzessin
sprach: Ich will zusehen. Wie nun der Prinz eines Tages
bei ihr saß, und sie ihm mit Herzen und Küssen dermaßen
zugesetzt, daß er in seinem Leibe keinen Rath wußte, fragt
sie ihn um das Geheimniß. Siehe da erzählts ihr der Thor
mit dem Beutel, bittet aber inständigst, sie möchte ja
Niemandem ein Wort von sagen. Sie sprach: Ey, Lieber!
du kurzweilest mit mir; wie mag ein Beutel so große Dinge
thun? (Scil. ein leerer.) Da zog ers herfür in seiner
Verblendung, gabs ihr und bat, sie möchte eine Probe damit
machen. Die Prinzessin thät also, wünschet sich flugs
zehentausend Goldgülden, und da sie’s ausschüttet, fand
sichs also. Wie sie nun des Dings inne worden, daß es
wahr und richtig, rief sie mit lauter Stimme ihrem Herrn
Vater, (der im Nebengemach hielt zusamt dem ganzen Hofstatt.)
Der trat herein, da überantwortet sie den Wunderbeutel
in seine Hand. Gebot zugleich dem Hofgesind, daß sie den
Prinzen griffen und über die Gränze <11:> schafften.
Und es geschah also. Da half kein Singen noch Sagen, kein
Bitten noch Klagen, der Prinz mußte fort, und sein Glücksbeutel
blieb dahinten.
Nun
scheuete er sich, heim zu ziehen zu seinen Brüdern, meynete,
sie möchten ihn gar hart anlassen seines Unverstands halber,
welches er auch vollauf verdienet. Endlich aber, wie der
arme Schächer gebrannten Hunger und Kummer zu leiden anfängt,
macht er sich doch auf, und kömmt bey Nacht und Nebel
auf seinen andern Bruders Landgütlein. Der kennt ihn kaum,
so abgerissen und ausgezehrt sieht er aus, wie des leibhaftigen
Hungers Mundkoch. Fragt ihn darauf: wie er so herunterkommen?
Da erzählt der verlohrne Sohn von seinem Unfall mit dem
Beutel, bittet auch den Bruder aufs allerflehentlichste,
er möcht’ ihm seinen Gürtel leihen, daß er den Beutel
wiederholen könnt, ohne den wär’ er ja ein geschlagner
Mann für seine ganze Lebenszeit. Der Bruder sprach: Du
bist ein Narr, würdest mir auch den Gürtel verdämmern,
gleichwie du dir den Beutel hast abschwatzen lassen. Darum
so will ich meinen Gürtel bey mir behalten, auf daß ich
nicht auch um mein Erbtheil lüderlich komme. Der Jüngste
sprach: Ach nein, liebster Herr Bruder, gewißlich bring’
ich ihn wieder, und den Beutel dazu, da wollen wir fein
brüderlich beysammen leben. Das Fraunbild aber hab’ ich
mir längst aus dem Sinn geschlagen, die soll mir kein
Häärlein aus dem Barte ziehn. Wie nun der Bruder sah,
daß der arme Schelm so gar kläglich thut, gings ihm durchs
Herz und gab ihm den Gürtel. Den schnallet der Jüngste
ohn’ Verzug um den leeren Magen, wünschet sich ins Schlafgemach
seiner schönen Grausamkeit, allwo, wie er wohl vermerket,
sie den Beutel in einem Wandschrank verschlossen, (NB.
einen guten Dietrich nicht zu vergessen,) und ehe man
die Hand umdreht, ist er am gewünschten Ort.
Aber
ach unglücklich Glück! Es war eben ein Stündlein vor Mitternacht,
ein Nachtlicht brannte im Gemach, die Prinzessin aber
lag auf ihrem Ruhebettlein ausgestreckt, blühete wie eine
Rose, und schlief so sanft und süß, wie wenn sie in ihrem
Leben kein Wässerlein getrübt. Ganz leise auf den Zehen
will der Prinz nach dem Wandschrank schleichen, den Beutel
herausthun und sich auf und davon machen. Wie er aber
an der schlafenden Schönheit vorbeykommt, mocht er sich
doch nicht entbrechen, ein wenig hinzuschielen, dachte:
ein Kuß wird doch den Hals nicht kosten! schlich also
herbey und küßte sie recht inbrünstig auf ihren warmen
purpurrothen Mund. Drob fährt sie aus dem Schlaf, wird
des Prinzen gewahr, fasset sich aber gleich, wohl merkend,
daß er nicht auf natürlichem Weg hereinkommen. Fällt ihm
ohn’ Umständ’ um den Hals und treibts also minniglich
mit Herzen und Küssen und was sonst des Brauchs bey jungem
Volk, daß er wohl siebenmal verliebter wird, wie zuvor
nimmermehr. Wie er nun so recht in seinem Esse, ersiehet
sich der Schalk den Augenblick, spricht: Mein! wie bistu
doch zu mir hereinkommen? sintemahl alle Zugäng’ und Pforten,
dazu alle Stiegen des Schlosses mit Schweizern und Trabanten
besetzet sind. Da lässet sich der einfältige Tropf ja
abermal fangen, antwortet: er wolle es ihr nur sagen:
er habe einen Gürtel, wenn er den um seine Lenden <12:>
gürtete, und wünschte sich wohin, den Augenblick wär’
er da. Die schlaue Katz (wo anders solch Meisterstück
des Schöpfers, leibliche Schönheit anlangend, also zu
nennen) stellt sich, wie wenn sie in die Wahrheit seiner
Aussag Zweifel setzte, bittet sich darauf den Gürtel aus,
ihn zu besehen. Kaum aber hat sie ihn in ihrer boshaftigen
Hand, schreyt sie aus Leibeskräften: Heda! Trabanten,
herein! Der Schurk da hat sich böslicherweis zu mir hereingeschlichen,
und stehet nach meiner jungfräulichen Ehre. Die Kriegsknechte,
wie sie solches hören, brechen herein, fahen und binden
ihn, und, nachdem man ihn wohl gestäupet, wird der arme
Schelm abermal Lands verwiesen, auch ihm angedeutet, wofern
er wiederkäme, wolle man ihn henken lassen.
Da
zieht nun mein Prinz vom Berge Miserere hin, hängt den
Kopf, wie ein alter übertriebner Gaul, weiß nicht, wo
aus noch ein. Endlich fasset er sich ein Herz, und machet
sich auf zu seinem ältesten Herrn Bruder, dem König, denkt
bey sich, mein Bruder hat Land und Leut, kann mich wohl
zum Landpfleger machen, hab’ ich keinen Beutel, haben
andre Leute welche, die will ich schon pflegen (wollte
sagen: fegen). Sein Bruder aber, der König, lässet ihn
sehr zornig an, schilt ihn einen Schalksnarren über den
andern, so auch alle auf ihm Raum hatten. Dieser aber,
der Jüngste, thut gar sehr busfertig über seinen losen
Streich, vermisset sich auch hoch und theuer, wofern ihm
der Bruder sein Horn liehe, wolle er blutige Rach’ an
der Bübin nehmen, ihr ganz Geschlecht vertilgen vom Angesicht
der Erden, ja auch des Kinds im Mutterleibe nicht schonen.
Der König denkt: Das klinget fein! Wenn er nur Wort hält!
lässet sich endlich durch viel Bitten und Flehen bewegen,
daß er ihm sein Horn leihet.
Wie
nun mein Prinz wieder vor der kayserlichen Hauptstadt
ist, thut er sein Horn herfür, stößt gar gewaltig hinein,
und siehe da! ein zahllos Heer, wie Sand am Meer! daß
die Erde schier bricht und die Luft in Brand geräth von
der Waffen Glanz. Auch dreytausend Riesen waren dabey,
die stunden vor dem Kriegshauffen, gleich als ein Eichenwald.