BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ PHÖBUS(1) ]

[ ]

 

Adam Müller, Fragmente über die dramatische Poesie und Kunst, 41-52; darin: II. Monologisches Interesse für die Bühne, 42-44

II. Monologisches Interesse für die Bühne.

Das Interesse, welches wir alle bei dramatischen Vorstellungen empfinden, möchte sich aufs natürlichste nach unserm erwähnten Eintheilungsgrunde, unter dreierlei Gestalten betrachten lassen. Wir brauchen nur das monologische Interesse an der dramatischen Poesie in’s Auge zu fassen, so ergeben sich die beiden andern Gestalten von selbst: besonders dem weiblichen Character ist dieser monologische Antheil eigen. Empfänglicher für das Mitleiden und zur Hingebung fähiger folgen die Frauen gar zu leicht ausschließend den Schicksalen eines Lieblingshelden, der unter den übrigen Personen des Drama’s ihrer Neigung und dem Ideale in ihnen vornehmlich entspricht. Der Dichter verlangt für sein ganzes Drama und jeden einzelnen Character darin ein ungetheiltes Interesse: das reinere und zartere Urtheil der Frauen ganz besonders, sei es Eitelkeit oder ächter Kunststolz in ihm, möchte er für sich und sein ganzes Werk gewinnen; dies wünscht er, möge noch mehr als der einzelne Held interessiren. In den meisten Fällen wird indeß nicht der Dichter, sondern sein Held mit der weiblichen Gunst belohnt: hingerissen von der Schönheit des einzelnen Characters, unwillig über die vielen und harten Schläge des Schicksals, die der Dichter über seinen Helden herführt, bange um die endliche Lösung des traurigen Knotens, versäumen die Frauen oft die ganze schöne Umgebung des Helden, entschlossen sich lieber in Thränen aufzulösen, als seine Feinde oder das ihn verfolgende Schicksal irgend eines Antheils zu würdigen. – Ophelien, die einzige Erscheinung, die neben dem Hamlet zu interessiren vermochte, hat Wahnsinn und Tod schon verzehrt: allen An- <43:> theil, der ihr geweiht seyn mußte, erbt Hamlet, der liebe, weiche, unentschlossene Grübler; die Zuschauerinnen verfolgen ihn mit unverwandtem Blicke, sie möchten lieber, daß er sich nie entschlösse, nie die Rache für den ermordeten Vater ausführte; wie gern sähen sie ihn eingeschifft nach England und in Sicherheit. Aber der bösartige Dichter nöthigt ihn zur That.
Wenn nun endlich die ganze Familie von Leichen auf dem Boden gestreckt daliegt und der geliebte, blonde Schwärmer dahin ist, und der Dichter den Fortinbras kommen, und kalt und gleichgültig vom ausgestorbenen verödeten Throne Besitz nehmen läßt, – verläßt der Theil der Zuschauer, um dessen Beifall der Dichter am eifrigsten buhlte, die Bühne unbefriedigt und mit zerrissenem Herzen. Wie wenn nun der Dichter mehr ausdrücken wollte, als einen reizenden Jüngling, der nach hohem Ideale des Lebens vergeblich ringt, und, weil dieses sich nicht ergreifen läßt, sich schauerlich in Gedanken von Verbrechen, Wahnsinn und Tod vertieft: Wie wenn dem Dichter jene häßlichen Schlingen des Schicksals eben so werth wären, als der jugendliche Held, der sich darin verwickelt: wie, wenn er am Schluß mit der Aussicht auf eine glückliche Regierung eines thronbesteigenden Hamlets nicht zufrieden wäre, wenn er eine Aussicht in die Unendlichkeit, in das Universum der Schönheit grade dadurch eröffnen wollte, daß er den einzelnen Helden und die irdische Schönheit hinopfert, um das Heldenthum und eine himmlische Schönheit siegreich zu erhöhen. Dann wäre er dennoch zu rechtfertigen wegen der Angst, die er in schönen weiblichen Herzen entzündet. – Möge es also monologisches Interesse heißen, das den Hamlet lieber entführen, einzeln und allein herausheben möchte aus seiner ganzen Umgebung, ehe es ihn für einen großen Gedanken untergehen läßt. Ich habe meine Beschuldigungen an Frauen gerichtet, um das Beispiel zu veredeln. Beim männlichen Geschlecht, so oft es auch die hier beschriebene Schwäche für den Helden des Stücks theilen mag, drückt sich der monologische Antheil noch auf eine andre minder reizende und menschliche, als characteristische Weise aus.
Dieses Geschlecht nemlich von der Natur zum Erwerbe bestimmt, mag nicht leicht einen Schritt ohne bestimmten Zweck und augenscheinlichen Nutzen thun. Wenn es sich also in das Theater begiebt, so setzt es voraus, daß der Dichter durch sein Werk irgend eine wichtige und gemeinnützige Wahrheit wie an Beispielen erläutern werde, daß der Dichter wirklich keine höhere Absicht haben könne, als irgend eine Lebensregel oder Klugheitsmaxime gleichsam auf eine spielende Weise seinem Publicum beizubringen. Jede Sentenz, die der Dichter, Gott weiß in welcher andern Absicht, seinen Personen in den Mund legt, wird gierig zum fernern Hausgebrauch bei Seite gesteckt. Zeigt sich am Ende, wie es sich denn oft trifft, daß sich aus dem Drama wichtige und neue Lehren ergeben, als z. B., daß das Gute belohnt und das Böse bestraft werden müsse, daß alle Verbrechen endlich an den Tag kommen, und deshalb die Tugend geübt zu werden verdiene u. s. f., so geht unser lernbegieriger Zuschauer mit dem handgreiflich herausgebrachten Nutzen zufrieden nach <44:> Hause. – Aus diesem trocknen und ich darf es wohl sagen, unedlen monologischen Interesse an einem kalten Sittenspruch, dem zu Ehren der Dichter eine große, colossale, kleinen Herzen freilich zu überschwengliche Handlung in allen ihren unendlichen Zügen und großartigen Wendungen über die Bühne führen soll, aus diesem Interesse sind alle die alberne Fragen über den moralischen Nutzen des Theaters, und das ganze Heer langweiliger Predigten über den Werth des Hausfriedens, über die Schädlichkeit der Hazardspiele und des Schuldenmachens u. s. f., mit denen Ifland nun schon seit zwanzig Jahren langweilt, entsprungen. Wenn der Dichter in andre Zeiten, zu andern, gewaltigern Naturen hinreißend, erhebt, die Seele aus ihren alten, engen Fugen herausdehnt, aus dem dumpfen Alltagsleben, aus unnatürlicher Verkerkerung des Gesichtskreises fortführt in eine freie schrankenlose Weite, hier eine Aussicht auf hohe Laufbahnen menschlicher Größe, dort eine andre in das unermeßliche Meer menschlicher Schicksale eröffnet, hier in die Tiefe der Brust mit erschütternder, fast vernichtender Allmacht greift, dort eine unergründliche Verwicklung erhabner Leiden mit sanftem Finger leicht und natürlich löst – wenn ferner die Ideen, die sich aus den tragischen Schauern wie aus dem Taumel der Fröhlichkeit erzeugen, endlich wie ein einziger Sternenhimmel den weiten Horizont umspannen, wenn der Held, gleichsam die Sonne des Drama’s, welche die ganze reiche Gegend beleuchtete, nun untergegangen ist; wenn jede der einzelnen Ideen, die das Drama erweckt, nach dem Fallen des Vorhangs, wie ein einzelnes Gestirn zurückbleibt, und alle diese Gestirne deuten auf die unsichtbare, einfache, heilige Nothwendigkeit, die diesen großen Schauplatz des Lebens mit dem Gedanken der Schönheit beseelt – wenn also die Seele von dem Geiste des Drama’s erfüllt ist, dann laßt die Krämer kommen, mit ihren öconomischen Fragen, was wohl der Dichter mit seinem Werke habe sagen wollen, welchen philosophischen Satz beweisen, welche historische Begebenheit in ihr gehöriges Licht setzen, welche Thorheit bestrafen, welchen sitten- und weltverbessernden Plan an’s Herz legen – welches reine Gemüth wird dann nicht von diesem monologischen und monotonen Interesse verletzt werden.

 

[ PHÖBUS(1) ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 28-Mär-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]