<Christian Gottfried
Körner>, II. Über die Bedeutung des Tanzes,
33-38
II.
Über die Bedeutung des Tanzes.
Schutz
für die zarten Blüten der Kunst gegen den Druck einer beschränkenden
Theorie bedarf vorzüglich Musik und Tanz. Ein Kunstrichter,
der in einer Reihe von Bewegungen und Tönen nur ein vollständig
bestimmtes Object der Darstellung aufsucht, erklärt alles,
was sich durch Worte nicht aussprechen läßt, für leer an
Bedeutung. Fühlt sich der Künstler dadurch gedemüthigt,
und hält er es für schimpflich, den Verstand nicht zu befriedigen;
so verkennt er leicht die eigenthümlichen Schätze seiner
Kunst und glaubt sie durch fremde Beihülfe bereichern zu
müssen. Die Musik erborgt ein Object von der Poesie, der
Tanz von der Malerei und der Mimik.
Einer
Vereinigung mehrerer Musen verdanken wir manches Prachtwerk
in der ästhetischen Welt; aber das gemeinschaftliche Ziel
konnte nicht ohne gegenseitige Opfer erreicht werden. Um
auf einmal so vielerlei zu empfangen, mußten wir vieles
entbehren. Daher manches harte Urtheil über die Totalwirkung
einer Oper, die aus irgend einem einseitigen Gesichtspuncte
betrachtet wurde. Wer nur den poetischen Werth zu schätzen
wußte, vermißte in den Gesängen und Tänzen oft Wahrheit
und Stärke des Ausdrucks, während daß ein andrer die Darstellung
trocken und dürftig fand, wenn bloß der Gedanke des Dichters
darin erschien.
In
einem Ballet, das unsern Sinn für Schönheit der Bewegung
befriedigt, erfreut uns vieles, das zu der Handlung, die
versinnlicht werden soll, gar nicht eigentlich gehört, und
gleichwohl möchten wir diesen Genuß gerade am wenigsten
aufgeben. <34:> Auch besteht er nicht in einem bloßen
Reize der Sinnlichkeit, sondern ist von edlerer Art und
erhebt uns anstatt uns herabzuwürdigen. Der Tanz muß also
doch in sich selbst eine Bedeutung haben, und scheint sich
zur Mimik zu verhalten, wie der Gesang zur Rede. Sollte
es vielleicht Töne und Bewegungen geben, die eben deswegen
nichts Bestimmtes bezeichnen, weil sie etwas Unendliches
andeuten?
Um
zu einem würdigen Begriffe von irgend einer Kunst zu gelangen,
dürfen wir bei dem nicht stehen bleiben, was sie in ihrem
gegenwärtigen Zustande leistet. Ihre Ausartung hat oft schon
angefangen, während ihr äußerer Glanz uns noch blendet.
Der Wirkungskreis ist erweitert, größere Fertigkeiten sind
erworben und vielfältige Schwierigkeiten überwunden; aber
es zeigt sich ein falscher Geschmack, der die Kunst mit
Zierrathen überladet, es werden ihr fremdartige Zwecke aufgedrungen
und beim Verfall der Sitten wird sie zum Dienst verächtlicher
Leidenschaften gemißbraucht. In einer solchen Lage könnten
ihr die warnenden Stimmen der Philosophie und Geschichte
sehr wohlthätig seyn. Aber der practische Künstler sträubt
sich gewöhnlich gegen den Anschein von Willkühr in den Gesetzen
einer abstracten Theorie, und dünkt sich mündig genug, einer
solchen Leitung nicht zu bedürfen. Wirksamer ist es vielleicht,
ihn an das Blüthenalter der Kunst zu erinnern, wo sie selbstständig
und rein als ein freies Product der schönen menschlichen
Natur erschien.
Der
Tanz gehört nicht zu den Künsten, deren Geschenke nur wenigen
glücklichen Völkern zu Theil wurden. Auch unter den rohesten
Wilden gab es Feste, wo der Mensch sich über den thierischen
Zustand erhob, und im berauschenden Gefühl seiner Kraft
die Schranken seines dürftigen Lebens vergaß. Was in ihm
vorgieng, verkündigte sich durch Bewegungen und Töne, und
in beiden zeigte sich eine gewisse Auswahl. Das Gemeine
und Alltägliche wurde vermieden, es entstand ein Bedürfniß
der Pracht, und der tobende Sprung bildete sich allmählig
zum Tanz, so wie das Jauchzen des frohen Taumels zum Gesang.
Was
in einem solchen Falle dargestellt wird, ist ein Ideal des Lebens,
eine festliche Stimmung, ein Zustand der Begeisterung, die
menschliche Natur auf einer höheren Stufe. Für eine solche
Bedeutung der Kunst hat auch der Tanz seine besondere Sprache.
Das
freie Spiel des lebenden Wesens in seiner Welt wird durch
den Sieg der Form über die Masse in der Bewegung bezeichnet.
Die Gestalt schwebt im Raume ohne Anstrengung und ohne Widerstand.
Sie wird nicht durch Schwere an den Boden gefesselt; sie
haftet an ihm aus Neigung. Jede Muskel behält ihre eigne
Reizbarkeit und Elasticität, aber alle stehen unter der
milden Herrschaft einer innern Kraft, der sie freiwillig
zu gehorchen scheinen.
Je
größer die Bestimmtheit ohne Spur eines äußeren Zwangs,
desto vollständiger erscheint die Freiheit. Das Unbestimmte
in der Erscheinung deutet auf Unvermögen in der bestimmenden
Kraft. <35:>
Für
die Bewegungen des menschlichen Körpers giebt es eine Art
von Scala, worin man Grade der Spannung und Nachlassung,
wie in der Tonleiter Höhe und Tiefe, unterscheidet. Die
äußersten Gränzen dieser Scala sind ein Emporschweben, ein
Streben ins Unendliche – und ein Zusammensinken, eine Hingebung
gegen äußere Eindrücke. Zwischen diesen Gränzen sind vielfältige
Abstufungen möglich und aus diesen besteht die Melodie des
Tanzes. Sind diese Abstufungen deutlich wahrzunehmen, so
ist die Ausführung präcis, und befriedigt die Foderung der
Bestimmtheit, so wie die reine Intonation in der Musik.
Je
mannichfaltigere Abstufungen der Bestandtheile des Tanzes
bestimmt erscheinen, desto reicher ist die Sprache der Kunst,
aber bei diesem Reichthum soll die Einheit nicht vernachlässigt
werden. Einheit erhält der Tanz durch Character,
dem es ebenfalls nicht an Bestimmtheit fehlen darf.
Für die Characterdarstellung leistet der Tanz, so wie die
Musik und Poesie, viel durch den Rhythmus. Das Regelmäßige
in der Ausfüllung der Zeit ist ein Symbol eines innern beharrlichen
Gesetzes. Der Tanz hat seine Spondeen, Jamben, Dactylen,
sein Metrum, seine Strophen. An die Stelle der längern und
kürzern Sylben treten Bewegungen von verschiedner Dauer,
und in ihrer Verknüpfung erscheint gleichsam ein Umriß der
Seele.
Aber auch in der Melodie des Tanzes kann der Character sich
aussprechen. Für jedes Gefühl giebt es einen natürlichen
Ausdruck in irgend einer bestimmten Gebehrde. Aber diese
Gebehrde ist nur der rohe Stoff, der durch die Kunst erst
gestaltet werden soll. Das Persönliche und der Zustand des
Menschen stehen in Wechselwirkung. Das Resultat beider zur
Anschauung zu bringen, ist das Geschäft der Tanzkunst und
der Mimik.
In
einer Reihe von Bewegungen soll das Leben nicht erstarren,
damit der Character herrsche, aber einzelne Momente, in
denen er über die Leidenschaften siegt, werden durch die
Stellung versinnlicht. Sie ist desto bedeutender,
jemehr sich ein Streben nach Bewegung in ihr wahrnehmen
läßt, das nur durch eine höhere Kraft zurückgehalten wird.
Eine
Annäherung zur Stellung bemerken wir in jeder leidenschaftlichen
Bewegung, die durch Würde oder Grazie gemildert ist. In
dem Eckigten, Gewaltsamen und Krampfhaften der Gebehrde
erscheint eine rohe Natur, die sich ganz dem Gefühl ihres
Zustandes überläßt. Die wellenförmigen Linien bezeichnen
das Überirdische einer Seele, die auch den heftigsten Stürmen
nicht unterliegt.
In
dem Ideale des Characters sind Kraft und Anmuth vereinigt,
und die unendliche Verschiedenheit ihrer Verhältnisse gegeneinander
giebt einen reichen Stoff für die Darstellung. Ein Schritt
weiter und die Kunst benutzt den Geschlechtsunterschied
zu der Wirkung des Contrasts; es entsteht das männliche
und das weibliche Ideal. <36:>
Um
die Pracht zu erhöhen, verbinden sich sodann mehrere Personen
zu einem Ganzen, so wie mehrere Stimmen zu einer Reihe von
Harmonien. Es erscheinen tanzende Chöre, bald nach Geschlecht
und Alter von einander getrennt, bald in einer einzigen
Gruppe als Bild eines Volks. Die Kunst hat nur darüber zu
wachen, daß bei der größten Mannichfaltigkeit des Ausdrucks
in den einzelnen Bewegungen die Einheit der Totalwirkung
nicht aufgeopfert werde.
Die
Erhaltung dieser Einheit wird erleichtert, wenn das Eigenthümliche
eines besondern Fests dem Tanze eine bestimmte Bedeutung
giebt. So lange die Lebenskraft eines Volks noch ungeschwächt
ist, so fehlt es nicht an Anlässen, um gleichgestimmte Seelen
zu der Feier einer beglückenden Naturerscheinung, eines
wohlthätigen Ereignisses, einer begeisternden That zu vereinigen.
Gesänge
und Tänze, die die Stimmung eines solchen Festes aussprechen,
bleiben noch innerhalb der Gattung des Lyrischen.
Aber wenn nunmehr die Poesie zum Dramatischen übergieng,
so wagte sich auch die Tanzkunst an die Darstellung einer
bestimmten Handlung. In dem ältern griechischen Schauspiel
hatte indessen der Tanz nur eine untergeordnete Rolle. Der
Chor bewegte sich, weil das Stillstehen lebendiger Wesen
einen widrigen Eindruck gemacht haben würde. Seine Bewegung
war alsdann dem Character gemäß und den Gesetzen der Schönheit
unterworfen, aber der Dichter führte das Wort.
In der Folge glaubte man das Wort des Dichters entbehren
zu können. Man gab dem Tanz einen Namen, in einem
bestimmten Costum traten bekannte Personen auf, und ihre
Bewegungen wurden sprechend durch Hülfe der Mimik. Der Geist
einer Reihe von Gemälden sollte in lebenden Gestalten erscheinen.
Auf diese Gattung von Kunstwerken wurden außerordentliche
Talente verwendet, und der Eindruck war auf den ersten Blick
bezaubernd. Aber bei einer ruhigern Betrachtung entdeckte
die strengere Critik manche Unvollkommenheiten der Darstellung.
Die Situation foderte den höchsten Affect, und dieser ist
starr, oder convulsivisch. Der Tanz hat für ihn keine Zeichen.
Der Ausdruck war also entweder schwach, oder ein Verstoß
gegen die Gesetze der Kunst. Auch war die Erscheinung nicht
durchaus in sich selbst
verständlich. Die Überschrift des Ballets und die Bekanntschaft
mit der Fabel des Stücks mußte ihr zur Erklärung dienen.
Aber der dramatische Tanz ist gar nicht genöthigt, in dem
Gebiete der Poesie und Mimik sein Object der Darstellung
zu suchen. Ein äußerst reichhaltiger Stoff liegt ihm sehr
nahe, und ist in dem Inhalte der meisten Nationaltänze gegeben.
Das männliche und das weibliche Ideal dürfen einander nur
gegenüber gestellt werden. Aus dem Verhältnisse der beiden
Geschlechter entsteht alsdann eine Situation, die für die
mannichfaltigste Characterdarstellung unerschöpflich ist.
Es bedarf keiner historischen oder mythologischen Personen
und keiner künstlichen Dichtung. Aber das allgemein-menschliche
Drama gewinnt an Individualität, wenn es durch das <37:>
Nationelle des Volkstanzes irgend eine bestimmte, willkührlich-scheinende
Form erhält.
Jener französische Kunstkenner, der bei Betrachtung eines
tanzenden Paars voll Begeisterung ausrief: „Que de choses
dans un menuet!“ wurde von wenigen verstanden. Gleichwohl
ist die Bedeutung des Menuet-Tanzes nichts anders, als ein
Roman im Geiste der Chevalerie. Ritter und Dame treten auf
in der Mitte eines glänzenden Hofes. Was sie zuerst ausdrücken,
ist Ehrerbietung gegen den Zirkel, von dem sie sich umgeben
sehen; aber in der Art ihrer Verbeugung zeigt sich das Gefühl
ihres eignen Werths. Prangend schreiten sie neben einander
einher, als ob sie den Neid auffoderten, und trennen sich
sodann, um das Drama zu beginnen. Ihre Bewegung ist annähernd,
aber in langsamen Fortschritten, und nach der größten Annäherung
verschwindet eines für das andre. Man erblickt sich wieder,
aber in der Entfernung, und diese Entfernung wird immer
weiter. Nach einigen Wiederholungen dieser Scene darf endlich
der Ritter die Hand der Dame berühren, die Liebenden scheinen
am Ziele, aber sie werden aufs neue getrennt. Annäherungen
und Entfernungen folgen auf einander, bis zuletzt dem Ritter
beide Hände gereicht werden.
Von ganz andrer Art ist der Tanz des Engländers. Er stellt
sich seinem Mädchen gegenüber und fliegt mit ihr durch die
Reihen. Aber die Freunde und Freundinnen, die ihn umgeben,
sollen auch an seiner Freude Theil nehmen. Er verläßt sogar
auf Augenblicke seine Schöne, um alles um sich her zu beleben.
Der kosackische Tanz gleicht einem Wechselgesang, worin
ein Theil den andern durch Reichthum, Stärke und Feinheit
des Ausdrucks zu übertreffen sucht. Der deutsche Tänzer
scheint nichts weiter darstellen zu wollen, als die Nähe
der Geliebten. Das glückliche Paar bildet eine unzertrennliche
Gruppe, und die ganze übrige Welt ist ihm verschwunden.
Bald dreht es sich in langsamern oder schnellern Kreisen,
bald erkünstelt es in der innigsten Vereinigung kleine Entfernungen,
die in den sanftesten Übergängen mit Annäherungen abwechseln.
Ähnliche Darstellungen sind in andern Nationaltänzen noch
in ihrer Reinheit enthalten, aber in einigen entdeckt man
Spuren der Ausartung. Die Kunst war nicht selten herabgewürdigt
worden, um die niedere Sinnlichkeit zu reizen, oder sie
hatte sich ganz der Herrschaft des Verstandes oder der Mode
unterworfen, und ihre Producte wurden trocken und geistlos.
Im letzteren Falle suchte sie vergebens durch überwundne
Schwierigkeiten, oder durch neue Zusammensetzungen der gegebenen
Bestandtheile sich ein Verdienst zu erwerben. Trotz aller
angewandten Mühe glich das Ganze nur einem Gewebe von hochtönenden
aber sinnlosen Phrasen.
Um den Tanz vor solchen Abwegen zu verwahren, hat die Theorie
noch wenig geleistet. Sie beschäftigte sich fast bloß mit
dem theatralischen Tanze, und der gesellschaftliche wurde
entweder ganz seinem Schicksal überlassen, oder aus der
Classe der schönen Künste unter die angenehmen Spiele herabgesetzt,
oder durch Vor- <38:> schläge zu verbessern gesucht,
die theils nicht ausführbar waren, theils die Sphäre der
Kunst beschränkten.
Durch eine Theorie kann die todte Kunst nicht wieder belebt
werden, aber für die lebendige sind die Warnungen der Critik
nicht ohne Nutzen. Die ächte Critik ist bis zur Ängstlichkeit
schonend gegen den Geist der Kunst, aber streng gegen alles,
was diesen Geist entstellt. Sie duldet nicht, daß ein Symbol
für die Schönheit der Seele zur Üppigkeit entweiht werde.
Aber der Sinnlichkeit soll nicht durch den Verstand, sondern
durch die Phantasie entgegengewirkt werden, die den vorhandenen
Trieb nicht unterdrückt, sondern veredelt. Und wehe dem
Zeitalter, das an der Veredlung dieses Triebes verzweifelt!
Auch der besondere Character des Nationaltanzes fodert sorgfältige
Schonung. In ihm verkörpert sich gleichsam das männliche
und weibliche Ideal, und der Gedanke wird zur lebendigen
Erscheinung. Wer wollte sich nicht an dem Reichthum der
menschlichen Natur erfreuen, die in höchst mannichfaltigen
Bildern den innern Streit zwischen Leidenschaft und holder
Sittlichkeit aufstellt?
Ein minderer Grad von Kunstfertigkeit kann auf Nachsicht
Anspruch machen, wenn es nur der Geist der Kunst ist, der
durch das unvollkommne Organ sich versinnlicht. Die glänzende
Ausführung entschädigt nicht für die Dürftigkeit der Idee.
Wer bei einem ausgezeichneten Talent keine andre Triebfeder
kennt, als Coketterie, steht tief unter dem weniger ausgebildeten
Dilettanten, den die reine Liebe zur Kunst beseelt.
Neigung zum Tanz ist ein liebenswürdiger Characterzug der
Jugend, der sich bei egoistischen Seelen nicht findet. Dieser
Genuß darf ihr nicht erschwert werden. Die Kunst hebt ihre
Freude auf eine höhere Stufe, und zu einer Zeit, da die
festliche Stimmung so selten geworden ist, erzeugt sie dadurch
ein Fest für jeden Freund der schönen menschlichen Natur.
**r.
Emendation:
selbst] selbt D
|