Karl
v. Holtei (Hrsg.), Briefe an Ludwig Tieck, 4 Bde. (Breslau: Trewendt 1864), Bd.
2, 173f.
Marie v. Kleist an Ludwig Tieck, o. O., 3. 3. 1817
? den 3ten März 1817.
Ganz wunderbar ist mir zu Muthe, indem ich
heute die Feder ergreife, um an Tieck zu schreiben, an Tieck mit dem ich seit so vielen
Jahren gelebt und geliebt. Mit einem mahle stehen mir eine ganze Reihe von Gefühlen und
Genüssen im Geiste und im Herzen ich weiß nicht mit welchen Worten ich einen
so lieben alten Bekannten begrüßen soll? Ohnmöglich kann ich Ihnen wie einem Fremden
schreiben. Sie sind ja mein alter Freund Tieck, mit dem ich ganz intim bin, mit dem ich
froh, traurig, fromm, heilig war. Daß eine solche Intimität stattfinden kann, so ganz
von einer Seite, ohne daß der Andere sie ahnet ist wunderbar. Noch wunderbarer, daß ein
Buch den Menschen lebendiger ergreift, als alle Sterbliche die ihn umringen; mehr zu
seinem Innern, aus seinem Innern spricht, als Alle die er genau kennt, und die ihn
genau kennen; daß manches Buch den Menschen, der es lieset, deutlicher ausspricht, als er
sich selbst auszusprechen vermag!
Ach, wenn dem armen einsamen Sterblichen Dieses begegnet, soll er sich
gleich aufmachen, Pferde bestellen, und mit Extrapost den Schriftsteller aufsuchen, um
durch seinen Anblick die Fäden, die sie so unbewußt an einander binden, fester und
fester zu verweben. Solche Reise zu Ihnen hätte ich schon lange unternehmen müssen!
Außerdem sind Sie noch der Geistes-Verwandte meines Vetters Heinrich Kleist, den er oft
selbst für seinen Nächsten Einen erklärte. Jetzt wollen Sie noch seine Werke
herausgeben: wie viele Fäden zu einem <174:> Seelenbündniß! Werde ich
Sie denn einmal sehen? sprechen?
Ueber die Details der Herausgabe habe ich mit Schützen geredet;
ohnmöglich kann ich diese Sachen gegen Sie berühren. Das wäre mir eine unleidliche
Störung. Auch abschreiben kann ich diesen Brief nicht; auch das würde mich Ihnen
entfremden. Ach, und leider fühle ich mich so fremd, daß es mir recht wohl thut, mich
Ihnen ganz unzierlich und bequem darzustellen. Ich drücke Ihnen recht herzlich die Hand.
Maria Kleist.
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