Zeitung für die elegante
Welt, 4. 7. 1808, Nr. 106, Sp. 841-846: Frau von Stael. An den Herausgeber der
Zeitung für die elegante Welt. (228 Zeilen; drey Urtheile ganz unbefangener
Menschen über sie); darin: Sp. 842-844 (Z. 38-149)
Phöbus
Dresden, den 9ten Juny. Unter den Fremden, die unsre durch Reize der Kunst
in den Museen und der Natur in unserer Umgegend einladende Stadt neuerlich besuchten,
zeichnete sich die berühmte Dichterin der Delphine und Corinna, Frau v. Stael,
vorzüglich aus. Sie kam von Wien und ging hier durch über Weimar nach ihrem Sitz zu
Copet zurück. Kennerin und prüfende Beobachterin alles Edeln und Schönen versäumte sie
nicht außer unsern nur durch den Geist der Hinzutretenden zu belebenden Kunstschätzen
auch die Kunstwerkstätte mehrerer unserer vorzüglichsten Künstler zu besuchen; sie sah
bei unserm Altmeister Graff einige seiner ältern, in Kraft und Ausdruck
unerreichten Portraits; bei Grassi sein eignes, in der letzten Ausstellung so
gern gesehenes Bildniß; bei Kügelgen seine neuesten historischen
Komposizionen, besonders seinen David und Saul, und seinen Belisar mit dem Knaben;
bei Hartmann seine drei Marien, die ihren uneingeschränkten Beifall erhielten und selbst
den Wunsch nach ihrem Besitz bei ihr hervorbrachten, und seine Magdalene beim Gastmahl.
Überall fällte sie verständige Kunsturtheile, die wohl hinlänglich das hie und da
anklingende Vorurtheil hinlänglich widerlegten, daß sie die Werke der Malerei weder zu
schätzen noch zu loben verstehe. Nur muß sie freilich gerade dazu gestimmt
seyn. Bei Kügelgen sowohl als Grassi sah sie Portraits des Kaisers Napoleon, die beide
Künstler mit großer Kunst gemalt hatten. Sie brachte einige Abende in dem Hause des
französischen und russischen Ministers zu, und fand hier Gelegenheit, die Bekanntschaft
mehrer interessanter Fremden und Einwohner Dresdens zu machen. Mit dem Hrn v. Bourgoing,
dessen genaue Bekanntschaft sie nicht erst hier zu machen brauchte, besah sie auch die
Dresdner Bildergallerie und erhielt von ihm, dem kein Verdienst fremd ist, alle Achtung,
die eine so geistreiche und von der Politik jetzt durchaus entfernte Frau verdient. Ihre
Reisegefährten waren der Genfer Sismond Sismondi und der Prof. August Wilhelm
Schlegel,die beide von Wien mit ihr gekommen waren. Der anspruchslose, doch feurige
Sismondi kam eigentlich von einer Reise nach Florenz, wo er seine Mutter und Schwester
besucht hatte, und war bloß der Frau von Stael zu Gefallen über Wien zurückgereiset. Er
sah erst hier den 3ten und 4ten Theil seiner Geschichte der italienischen Freistaaten
fertig gedruckt, da er während des Abdrucks seine italische Reise von Genf aus angetreten
hatte. Dieß treffliche, ganz aus der Quelle geschöpfte und durch die reiche,
künstlerisch geordnete Komposizion eben so sehr, als durch den männlich schönen Vortrag
klassische Geschichtswerk, ist wahrscheinlich jetzt schon in allen Händen und bedarf
nicht erst unsere Empfehlung. Wie wir hier von ihm selbst erfuhren, dürfen wir noch 4
Bände dieser Histoire des républiques italiennes (in Zürich bei Geßner, wo
auch die gutgearbeitete deutsche Übersetzung zugleich erschienen ist) um so sicherer
erwarten, als der größere Theil derselben schon völlig ausgearbeitet ist. Er fand auf
der hiesigen königl. Bibliothek mehrere Seltenheiten und bessere Hülfsmittel zur ital.
Geschichte, als er selbst erwartet hatte, und ließ der schönen Aufstellung und Anordnung
derselben eben so sehr, als dem liberalen Geist des Bibliothekars, Hofrath Daßdorf,
vollkommne Gerechtigkeit widerfahren. Mit Vergnügen lernte er hier die korrekte, kritisch
und philologisch erläuternde Ausgabe des Dante in 3 Bänden von Fernow (bei Frommann)
kennen und erinnerte durch das, was er von diesem Vater aller neuen Poesie sprach, an das
mit Meisterhand entworfne Kulturgemälde des 13ten Jahrhunderts im 25. Kapitel seiner
Geschichte, wo auch eine treffende Charakteristik von Dantes göttlicher Komödie
vorkommt. Aug. Wilh. Schlegel fand sich hier durch Merciers Satires
contre Racine et Boileau dediées à Mr. A. W. Schlegel überrascht, von deren
Erscheinung in Paris er noch nichts wußte und deren gutmüthige Tendenz der Verfasser der
scharfsinnigen Vergleichung zwischen der Racinischen und Euripideischen Phädra keineswegs
verkannte. Wir haben zuvörderst seine in Wien mit so ausgezeichnetem Beifall gehaltne
Vorlesungen über die dramatische Kunst im Druck zu erwarten; auch denkt er sehr ernstlich
an die Vollendung seines Shakspeare. August Wilh. fand sich hier mit seinem jüngern
Bruder, dem bisher in Cöln privatisirenden Friedrich Schlegel, zusammen, der
seiner hier schon erwartend war und nach der Abreise der Frau von Stael auf kurze Zeit
nach Wien ging, uns aber die Hoffnung zurückließ, ihn im Spätsommer wieder hier zu
sehn. Der ältere Bruder wird nach einer kurzen Reise zu seinen Verwandten im
Hannöverschen sich mit Frau v. Stael in Frankfurt wieder vereinigen und mit ihr nach
Copet zurückgehn. Dort wird dann auch Frau v. Stael unverzüglich Hand an das
vielversprochene Werk legen, was sie seit mehrern Jahren schon vorbereitet, über die
deutsche Nazion und Deutschlands geistige Kultur und Fortschritte. Einer der drei
Hauptabschnitte des ganzen Werks wird dem deutschen Theater gewidmet seyn, und so wie das
Ganze, gewiß viel dazu beitragen, in Frankreich richtigere und gerechtere Urtheile über
den Standpunkt unserer Philosophie und Literatur zu verbreiten. Um dieß desto sicherer zu
bewirken, gedenkt die Verfasserin mehrere von ihr selbst verfertigte metrische
Übersetzungen aus den Werken unsrer ersten Nazionaldichter ins Ganze zu verweben. Als
Probe wird ein von ihr übersetztes Gedicht von Schiller im nächsten Stück des hier von
Ad. Müller und v. Kleist herausgegebenen Phöbus
erscheinen, ein sicherer Beweis, um dieß im Vorbeigehn und gegen gewisse Ausstreuungen
anzumerken, daß jenes
freimüthige Urtheil, welches Ad. Müller im zweiten Stück dieser Zeitschrift
über die Corinna der Frau v. Stael ausgesprochen hat, von ihr nicht gemißbilligt worden
sey. Möge diese nur zu oft mißverstandene Frau, in der Verstand und Gemüth, zartere,
gefühlvolle Weiblichkeit und gerader Männersinn, Fantasie und Urtheil auf eine
wunderbare Weise in seltenem Bund sich befinden, die nichts sucht, und doch alle
Augenblicke findet, was andere Stundenlang vergeblich suchen würden, mit dem
freundlichsten Eindruck von uns geschieden seyn!
Emendationen
uneingeschränkten]
uneigeschränkten J
jenes] jedes J
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