BKA-Brandenburger Kleist-Ausgabe Start Übersicht Suchen Kontakt Andere interessante Websites Institut für Textkritik e. V.

[ DOKUMENTE UND ZEUGNISSE ]

[ ]

Z

Zeitung für die elegante Welt, 30. 7. 1803, Nr. 91, Sp. 724f.

„Die Familie Schroffenstein“

Unsre Schöne Literatur
hat neuerdings in dem Trauerspiel in fünf Aufzügen:
Die Familie Schroffenstein\1\
ein sehr ausgezeichnetes, geniales Produkt gewonnen. Jede Zeitschrift, die auf die Fortschritte in unserer Poesie hinzudeuten sich bemüht, sollte sich’s in der That als Pflicht angelegen seyn lassen, es als eine sehr merkwürdige Erscheinung zu empfehlen, da besonders in der jetzigen Periode so leicht zu befürchten ist, daß ein aufkeimendes Genie dem Drange ungünstiger Umstände, die hauptsächlich aus der Kälte der Zeitgenossen für alles wahrhaft Gute herfließen, unterliegt.
Jeder gebildete Leser dieses Stücks wird das Inkorrekte, Unzusammenhängende, Wilde, und mit einem Worte Jugendliche, das darin herrscht, auf den ersten Blick erkennen, und gerade hierauf stützt sich die schönste Hofnung bei demselben, daß nehmlich der Verfasser erst ein angehender junger Schriftsteller ist. – Eben so wenig aber kann ihm der eigene, selbstständige Geist entgehen, der darin durchgängig herrscht, und der sowol aus den einzelnen Parthien, als aus der kühn gedachten Anlage des Ganzen hervorleuchtet. Göthe und Schiller scheinen dem Verf. weniger zu Vorbildern gedient zu haben, als die Quelle der modernen dramatischen Poesie selbst – Shakspear, an dem sich sein Genie innig erwärmt hat; was, außer mehreren Stellen, besonders aus dem Schlusse des Stücks hervorzugehen scheint, der durch die Reflexionen des Wahnsinnigen eine so schneidende Wildheit bekommt, wie sie nur Shakspear allein darzustellen gewagt hat. Meisterhaft und von großer Wirkung ist die Szene in der Höhle.
Vorschriften und Hindeutungen sind übrigens bei einem wahrhaft genialen Schriftsteller überflüssig; sein Weg wird ihm von innen angewiesen, und deshalb mag hier nur noch blos der Wunsch stehen, daß der Verf. sich bald seiner Nazion näher bekannt machen möge.

\1\ Bern und Zürich bei Gesner 1803.

[ Z ]

[ ]

Copyright © 2000 by Institut für Textkritik e. V., Heidelberg
Letzte Aktualisierung 23-Jan-2003
[ Webdesign: RR 2000 ]