Prometheus, 4. Heft, 1808,
Anzeiger, 12-17: An die Herausgeber des Prometheus, über einige theatralische
Vorstellungen zu Weimar, von Falk. (191 Zeilen); darin: 14-16 (Z. 85-145)
Der zerbrochne Krug II.
Über den zerbrochenen Krug des Herrn v. Kleist, und dessen Aufführung auf dem
Weimarischen Hoftheater.
- Warum der zerbrochene Krug des Herrn v. Kleist hier in Weimar
nicht gefallen hat! der doch voll genialer und glücklicher Züge ist, und eine Hand
verräth, die, des Zeichnens nicht ungewohnt, noch festere und glücklichere Produkte für
die Zukunft verspricht? Ich gebe Ihnen hierauf eine blos muthmaßliche Antwort.
Vielleicht, sage ich, aus dem nämlichen Grunde: warum der vierte Akt des Figaro,
wo eine ähnliche Prozeßführung vorkömmt, bey großem komischen Effekt des Einzelnen,
dennoch nie auf irgend einem Theater gefallen hat, noch je gefallen wird. Es fehlt
eine von Augenblick zu Augenblick fortschreitende Handlung, die Seele des
Dramas, wofür lustige Einfälle, welche der Leib sind, keinesweges dem Zuschauer
Ersatz geben. Ja man kann in dieser Behauptung noch weiter gehen und sogar sagen: So wie
ein Stück, ohne alle Zeichnung und Charaktere, wie z. B. gleich der bekannte Abällino, oder
große Bandit, blos durch das Interesse, das die Handlung desselben einflößt, dem
Zuschauer gefallen kann: so kann, ja so muß ein Stück, bey den glänzendsten
Vorzügen in Zeichnung und Charakteren, so bald es mit der Handlung irgendwo
stockt, auch wohl zuweilen mißfallen. Damit man aber vor diesem Paradoxon gleich im
Anfange in kein zu großes Schrecken geräth: so will ich nur lieber frischweg und offen
bekennen, daß es keineswegs mir zugehört, sondern schon einige tausend Jahr früher von
Aristoteles gesagt ist. Wer kennt nicht das dramatische Axiom, das dieser in seiner Poetik
aufstellt, und sogar mit Beyspielen erörtert: daß eine Tragödie voll
Handlung weit eher ohne Charaktere, als ein Stück voll Charaktere ohne Handlung gefallen
kann. So wie demnach der Erdball rollt, und keinen Augenblick stille steht, so soll
auch die Handlung in einem echten Drama unablässig fortrollen, und keinen Augenblick
stille stehen. Witziger Dialog, Beredsamkeit, veredelter Ausdruck der Empfindung,
psychologische Entwickelung der Gefühle, und alle diese tausend verführerischen Künste,
wie glänzend sie immer in Vorlesungen und Büchern, zu Pracht und Prunk verfertigt,
hervortreten mögen; so gewähren sie doch für den Abgang der Handlung in
einem echten Drama keine völlige Schadloshaltung. Muß doch selbst die herrlichste
Charakterzeichnung, wo sie, wie z. B. bey Göthes Egmont, in einigen
Szenen retardirend wirkt, dem dramatischen Effekt des Ganzen bey der Aufführung, mehr
hinderlich als zusagend befunden werden. Also weder Handlung ohne Charakter noch
Charakter ohne Handlung, sondern Handlung und Charaktere zugleich, wie in einem
Brennpunkt, auf das genaueste mit einander vereinigt. Wer diese Aufgabe am
befriedigendsten löst, wird auch zugleich das größte dramatische Genie aller Zeiten
seyn. Der Erdball soll nicht blos rollen, sondern auch die Sterne oben sollen
fortleuchten, und mitten in der anscheinend ruhigen Bewegung sollen herrliche Gestalten
dem festen Boden auftreten, und mit dem Umlauf jener göttlichen Gestirne wetteifernd, wie
selbstständige Götter darauf umherwandeln.
Davor auf S. 12-14, 84 Zeilen: I. Über Werners Wanda auf dem Weimarischen Hoftheater.
Danach auf S. 16f., 46 Zeilen: III. Nachschrift über den Tyroler Wastel und
die Aufführung desselben auf dem Weimarischen Hoftheater.
Abällino]
Abällino, der große Bandit Trauerspiel in 5 Aufzügen von Heinrich Zschokke,
1795 anonym erschienen und erstaufgeführt; Dramenfassung des ein Jahr zuvor von Zschokke
ebenfalls anonym publizierten Romans.
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