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Journal des Luxus und der Moden, April 1808, 249-260: II. Neueste Literatur Teutschlands. (311 Zeilen); darin: 254-260 (ab Z. 116)\1\

„Phöbus“  


Nun aber zu der teutschen Literatur selbst. Ich habe zwei Hefte des Phöbus von den Herren v. Kleist und Müller gelesen, und es hat mich nicht gereut. Ein Prolog gebietet dem Phöbus, in den unendlichen Raum zu wettern, zu lenken, wie sich die Faust ihm stellet, wogegen ein Epilog warnt, Niemand überzupreschen, auch werde die Pferde nicht immer der Haber stechen. Beide sind von Kleist, der auch in dem mitgetheilten organischen Fragment aus dem Trauerspiel: Penthesilea, zeigt, daß er im Kräftigen bisweilen zu stark greift, und die Franzosen, z. B. mit der erznen Lunge der Drommete, welche bellt, mit der Vernunft, welche keilförmig auf eine rasende Entschließung gesetzt wird (wiewohl sich das noch eher hören läßt) und a. m. an einen andern Phöbus, als den er meint, erinnern könnte. Ungeachtet dessen aber, und obschon Manches mir ungriechisch vorkam, hat Hr. v. Kleist doch auch hiemit seinen ächten Beruf zur Poesie trefflich beurkundet, und uns neuerdings zu glänzenden Hoffnungen von ihm berechtigt. Ein wahrhaft dramatischer Genius beseelt ihn, der sich nur hin und wieder noch in Detailmalerei zu sehr gefällt, und ihn leicht an die gefährliche Klippe führen kann, wo die Darstellung ins Epische übergehend, nicht mehr die Wirkung des Drama thut, dessen Seele die Handlung ist. Vielleicht ist dies das Schlimmste, was dem Dramatiker begegnen kann, weil er darüber gar den Vortheil zu verlieren in Gefahr steht, das außerdem an sich Vortreffliche als solches anerkannt zu sehen. Viel Vortreffliches aber giebt Hr. v. Kleist; er faßt Eigenthümlichkeiten treu auf, und stellt sie, bisweilen mit nicht zu tadelnder Keckheit, treu wieder dar; er weiß das Innere schön zu veräußern, Situationen gut herbeizuführen, den Gang und Wechsel der Neigung und Leidenschaft zu halten und zu nüanciren, den Ton richtig zu treffen, mit Sprache und Vers gewandt umzugehn. Wo er das Anmuthige, Zarte, Liebliche darstellte, im 14ten Auftritt z. B. hat er sich als Meister bewiesen, eben so aber auch in der leidenschaftlichen 19ten Scene.
Über die Bedeutung des Tanzes von Müller. Gehört zu dem Besten, was darüber gesagt worden. Ein freies Spiel des lebenden Wesens in seiner Welt, ein Sieg der Form über die Masse in der Bewegung ist der Tanz. Für diese Bewegung giebt es eine Scala, zwischen deren Gränzen vielfache Abstufungen möglich sind, aus denen die Melodie des Tanzes besteht. Einheit erhält der Tanz durch Character. Im Ideal des Characters sind Kraft und Anmuth vereinigt, und die unendliche Verschiedenheit ihrer Verhältnisse gegen einander giebt einen reichen Stoff für die Darstellung. Ein Schritt weiter, und die Kunst benutzt den Geschlechtsunterschied zu der Wirkung des Contrasts; es entsteht das männliche und das weibliche Ideal. Beide dürfen einander nur gegenüber gestellt werden, und aus dem Verhältnisse der beiden Geschlechter entsteht alsdann eine Situation, die für die mannichfaltige Characterdarstellung unerschöpflich ist. Das allgemein menschliche Drama (des Tanzes) gewinnt an Individualität, wenn es durch das Nationelle des Volkstanzes irgend eine bestimmte, willkührlich scheinende Form erhält. – Jetzt folgen Characteristiken von Nationaltänzen, von denen wir eine Probe geben. Menuet wird ein Roman im Geiste der Chevalerie genannt. „Ritter und Dame treten auf in der Mitte eines glänzenden Hofes. Was sie zuerst ausdrücken, ist Ehrerbietung gegen den Zirkel, von dem sie sich umgeben sehen; aber in der Art ihrer Verbeugung zeigt sich das Gefühl ihres eignen Werths. Prangend schreiten sie neben einander einher, als ob sie den Neid aufforderten, und trennen sich sodann, um das Drama zu beginnen. Ihre Bewegung ist annähernd, aber in langsamen Fortschritten; und nach der größten Annäherung verschwindet eins für das andre. Man erblickt sich wieder, aber in der Entfernung, und diese Entfernung wird immer weiter. Nach einigen Wiederholungen dieser Scene darf endlich der Ritter die Hand der Dame berühren, die Liebenden scheinen am Ziele, aber sie werden aufs neue getrennt. Annäherungen und Entfernungen folgen auf einander, bis zuletzt dem Ritter beide Hände gereicht werden.“
Der Engel am Grabe des Herrn von Kleist, zu dem Titelkupfer, Zeichnung nach einem Gemälde des achtungswerthen Künstlers Hartmann; gehört zu den guten Legenden. An Dorothee, Gedicht von Novalis; gemüthvoll.
Fragmente über die dramatische Kunst und Poesie, von Müller. Wenn auch nicht alles hier Gesagte ganz so neu wäre, als es Hrn. Müller scheint, so ist es doch gut, und verdient gesagt zu werden. Oft scheint etwas neu, weil es in neuer Sprache gesagt ist. Müllers neue Sprache hat indeß nichts Abstoßendes, nichts Tiefsinn lügendes Unverständliches, man folgt ihm gern und sieht, welche Ansicht Er hat, denn seine Ansichten sind natürlich. Was ein besonderes Lob bei ihm verdient, ist, daß er nie bloß das Wahre, Gute und Schöne im Buch, sondern mit klarem, frischem Blick in dem Leben selbst, und in der menschlichen Brust sucht. Daher hat er denn auch hier sehr interessante Beobachtungen gemacht, die zu weiterem Nachdenken veranlassen. Er unterscheidet drei von einander verschiedene Naturen, die er monologische, dialogische und dramatische nennt. Von den erstern sagt er: sie sprechen und lehren, ohne selbst wieder zu hören, oder ohne eigentlich eines Hörers zu bedürfen, die ganze Welt wird von ihnen abgehandelt, ohne je behandelt zu werden; wenn man den Spuren der gesellschaftlichen langen Weile nachgeht, wird man meistentheils als Veranlassung auf eine dogmatische Creatur der Art stoßen, die aus der fröhlichen, reichen, sonnigen Natur nichts weiter zu machen weiß, als einen Katheder für ihre finstre, einsame Weisheit. Die zweite Gattung ist ein leichtblütigeres, lockeres Geschlecht: ohne ferneren Wunsch, die Welt weiter zu fördern, übt es sich, der Thorheit und Weisheit gleich faßlich und mundrecht zu sprechen. Diesen vielfragenden, wißbegierigen Wesen ist jeder andre in seiner Art, wie sie sich auszudrücken pflegen, der wahre und rechte, wie sie denn auch den Triumph ihrer Umgänglichkeit und Beweglichkeit darein setzen, sich in die Welt zu schicken, und die Menschen zu nehmen, wie sie sind. In sich etwas entwickeln, sich durch die Einsamkeit zu erheben und auszuweiten für umfassende Geschäfte oder lang nachklingende Werke ist ihre Sache nicht: was der Augenblick erwirbt, muß der Augenblick verzehren; wie der Gedanke sich meldet, muß er gesagt werden und ergreifen. Daher ihre Geselligkeit, ihre Unschädlichkeit, ihre zierliche Unruhe, ihre Flüchtigkeit, ihre Entzündbarkeit; daher die Gemeinsprüche meistentheils von ihrer Seite herklingen: alles in der Welt ist relativ, jede Sache hat zwei Seiten, es kommt auf den Standpunct an, aus dem man die Dinge betrachtet. Die dritte Gattung, gleichweit von der Versteinerung der ersten und der Zerschmolzenheit der zweiten entfernt, ist dennoch fester als Stein, beweglicher als Wasser; ihr Gespräch ist lehrreich und nachgiebig, tief und leicht, ernst und spielend zugleich, schreckt nicht zurück, wie bei der ersten Gattung, verführt nicht, wie die zweite, sondern reizt dahin, wohin man gern folgt, und wo man auch ewig bleiben kann. Auf diese Prämissen baut Hr. Müller mancherlei ästhetische Beobachtungen, besonders über das Drama, und man sieht schon selbst, daß sie anziehend seyn werden. Jene Eintheilung ist allerdings in der Natur gegründet, nur gegen die Benennung der erstern Gattung Gattung würde sich Manches einwenden lassen. Offenbar ist sie zu weit, und die Erklärung zu enge. Monologischer Natur ist sonder Zweifel auch der Lyriker; wie kommt aber dieser mit dem steifen dogmatischen Pedanten zusammen, den Hr. Müller schildert? In der Folge besinnt sich Hr. Müller auf den Lyriker, thut ihm aber offenbar Unrecht. Die Eintheilung in subjective und objective Naturen wäre also wohl schicklicher; von der letzten Gattung giebt es zwei Arten, die eine mit, die andere ohne Tiefe, darum jene ruhig, diese ewig beweglich. Ich will mich aber keineswegs um Worte streiten.
Popularität und Mysticismus. Ein Wort zu seiner Zeit. – Über den schriftstellerischen Character der Frau von Staël-Holstein, wozu im 2ten Heft Corinne ou l’Italie; enthalten sehr schätzbare Bemerkungen, unter denen auch das über Sentimentalität, als einem Wucher, einem Luxus, der mit dem Schmerze getrieben wird, und über Coquetterie der Sentimentalität Gesagte Beherzigung verdient. Das Resultat dürfte seyn: Fr. v. Staël ahnet in der Vereinigung des Entgegengesetzten das Göttliche, hat es aber nicht bis zur Einheit gebracht.
Im 2ten Heft dürfte sich Hrn. v. Kleist’s Erzählung: die Marquise von O…, vieler theilnehmender Leser erfreuen. Die beiden Tauben, eine Fabel nach Lafontaine, von Kleist, – ich muß gestehen, daß hinter der treuherzigen Einfalt, der schmucklosen Kunst des Originals die teutsche Nachbildung um Vieles zurücksteht. Die Taube nennt sich im Teutschen selbst: die süße Freundin, und wie sie, so trägt auch der Nachbildner fast immer zu stark auf. So z. B. statt des einfachen
et voilà qu’un nuage
L’oblige de chercher retraite en quelque lieu,
heißt es im Teutschen:
Und aus des Horizontes Tiefe
Steigt mitternächtliches Gewölk empor,
Gewitterregen häufig niedersendend.
Ergrimmte Winde brechen los:
um ein Schiff zu zertrümmern? – Behüte, um ein Täubchen unter einen Strauch zu jagen! Dagegen sind bei dem Teutschen die Liebenden mit
Seyd euch die Welt einander selbst, und achtet
Nicht eines Wunsches werth das Übrige
viel zu kahl abgefertigt gegen Lafontaine’s:
Soyez-vous l’un à l’autre un monde toujours beau,
Toujours divers, toujours nouveau;
Tenez-vous lieu de tout, comptez pour rien le reste.
Vorlesungen über das Schöne. Von Müller. Viel gut Gesagtes, wenig, bei dem nicht die alten Bedenklichkeiten auch hier wiederkehrten. Da indeß der Verf. diesen Aufsatz selbst nur eine einleitende Vorlesung nennt; so wäre es unbillig, nicht erst das Folgende abzuwarten, bevor man richtet. Der Hr. Verf. halte uns aber auch die Fortsetzung, auf die wir sehr begierig sind, nicht vor. Wie diese Zeitschrift überhaupt, so wird die Fortsetzung dieser Vorlesungen insbesondere uns sehr willkommen seyn. Wir wissen nun, dieser Phöbus bringt uns wirklich Licht und Wärme, wenn er bleibt, der er jetzt ist.

\1\ Verfasser des Artikels ist Johann Gottfried Gruber, cf. >> Hermann F. Weiss, Neuentdeckte Phöbus-Spuren, in: ZfdtPh 108/1989, 171ff.
Ritter und Dame] Phöb. I 37
Und aus] Phöb. II 33
Seyd euch] Phöb. II 34.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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