Der Freimüthige oder
Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser (Berlin), 5. 12. 1808,
Nr. 243, 969f.
Phöbus Literatur.
Nachdem der Sonnengott, wegen Ungunst der Zeit, die eignen Pferde hat abschaffen müssen, und den
gewöhnlichen Weg des literarischen Fortkommens eingeschlagen hat, das heißt: seit das
Journal
Phöbus, ein Journal für die Kunst, herausgegeben von Heinrich v.
Kleist, und Adam H. Müller,
den Selbstverlag verlassen hat, und in die Hände der Waltherschen Hofbuchhandlung in
Dresden übergegangen ist, verspricht es, regelmäßiger, als bisher, zu erscheinen, und
wir haben das 6te Stück, Junius 1808, vor uns liegen.
Als neue Mitarbeiter sind uns
Frau von Stael, die Gebrüder Schlegel und Ludwig Tiek angekündigt worden, und erstere
hat schon in diesem Hefte Wort gehalten. La fête de la Victoire, ou le retour des
Grecs, von ihr gedichtet, eröffnet es. Es sind 13 Stanzen, denen jedesmal der Chor
folgt. Wer mag ihnen Leichtigkeit, wer ihnen zahlreich gelungene Stellen absprechen? Aber
ein schönes Ganze bilden sie nicht; hie und da findet man Schwulst, und daneben fallen
völlig prosaische Stellen um so mehr auf. Doch wird man gern von dieser geistreichen Frau
auch etwas in der höhern Poesie lesen.
Das Mährchen von der langen Nase folgt darauf. Der Verfasser
desselben hat sich nicht genannt, aber er verdiente selbst mit der langen Nase
heimgeschickt zu werden; denn selten ist uns etwas faderes und abgeschmackteres, als dies
Mährchen, vorgekommen. In der Ammenstube findet man gewiß einen bessern Stil, als den,
in welchem hier erzählt wird. Das Ganze ist nicht einmal neu, sondern schon oft erzählt
worden, erinnert auch zu seinem großen Nachtheil viel zu sehr an die drei Rolandsknappen
des geistreichen Musäus. Er lehrte uns den wahren Ton des Vortrags für Mährchen, und
mit Unwillen wenden wir uns von der Nachlässigkeit und Plattheit, die in diesem herrscht.
Das Gedicht auf den großen Christoph von D. Wetzel steht dem, über
denselben Gegenstand, das uns der geniale Kind in seinen Tulpen (4. Bd.) gegeben hat, bei
weitem nach, und die liebliche Einfalt des Kindschen Gedichts artet hier in Härte
und Trockenheit aus.
Der Herr v. Kleist giebt uns darauf den Anfang von einer
Lebensgeschichte von Michael Kohlhaas, der uns auf die versprochene Fortsetzung gar nicht
neugierig macht. So langweilig ist dieser Eingang, so breitgesponnen jeder Faden, daß aus
diesem Gewebe ohnmöglich etwas anders, als ein Stück schlechter Waare, gewebt werden
kann. Wem dies Urtheil zu hart scheint, der lese nur Seite 26, 27 und 28 das erbauliche
Gespräch zwischen Kohlhass und seinem Knechte, und Seite 29 und 30 den Handel über sein
Gut. Was wir Seite 33 aus den Gedankenstrichen, als Kohlhaasens Weib gestorben war:
Kohlhaas dachte küßte sie, u. s. w. machen sollen,
können wir auch nicht einsehn. Übrigens hätten wir Herrn v. Kleist, ohne daß er
nöthig gehabt hätte, seinen Namen beizufügen, schon aus den schönen Wendungen: auf
Knieen, bleich im Gesicht wie Linnenzeug, wenn der H
A
die Pferde
nicht wieder nehmen will, wodurch auch hast Du Dir, u. s. w. als
Verfasser dieses Machwerks errathen.
Wir freuen uns, zu der Apologie der französischen dramatischen
Literatur, aus A. Müllers Vorlesungen über dramatische Poesie, übergehen zu
können. Die richtigen Ansichten, die milden Forderungen, die Herr Müller darin
aufstellt, der edle Stil, in dem diese Vorlesungen geschrieben, alles dies kontrastirt
sehr mit der vorhergehenden Nummer. Gern theilten wir einzelne Schönheiten aus diesem
Aufsatze mit, wenn nicht alles zu genau in einander griffe, um aus dem Ganzen das
Herausheben eines Bruchstücks zu erlauben. Möchte doch Herr Müller uns sehr viel über
Poesie mit dieser klaren Ansicht, dieser Unpartheilichkeit, wie hier vorwaltet, sagen. Und
dazu macht uns die folgende Nummer: Kunstkritik, an die Leser des Phöbus, Hoffnung. Herr
Müller sagt:
Nun kann ein Gespräch über die Kunst allgemach anfangen, da wir
bewiesen haben, daß wir über uns selbst, über die Zeit und das Würdigste in der Kunst,
zur Noth Red und Antwort geben können. Die Strahlen, welche Werke, vornehmlich
teutscher Art, auf uns werfen, werden wir auf unsre eigne Art verzehren, und reflectiren.
Ähnlichgesinnte, ja an Beruf noch überlegene, werden wir mit ihrer Stimme und ihrem
Urtheil zu versammeln wissen, um recht deutlich dem Leser zu zeigen, wie ein und dasselbe
Werk auf recht vielfältige Gemüther wirkt, um ihm die höchste Ehre und den
vollkommensten Gewinn zu geben, die wir zuzuwenden im Stande sind u. s. w.
Zunächst haben sie es auf die Betrachtung der künstlerischen
Laufbahn Schillers angesehn. Allerdings ein Stoff, der unser aller
Aufmerksamkeit reitzen, aber auch zu sehr hohen Erwartungen berechtigen muß. Vor allem
aber rufen wir ihnen zu: nur Unbefangenheit, Unpartheilichkeit! Aber ach! wie sollen wir
sie von denen erwarten, die, obschon sich bessern wollend, doch auf derselben Seite
gestehn, daß sie mit ihren Vätern über deren Gleim, und Hagedorn, und Wieland nie
hätten einig werden können, und daß diese Dichter von ihnen, den Zungen, wie sie
sich selbst nennen, bisher herabgesetzt worden seyn! Möchte der Phöbus selbst
unsre trüben Ahnungen widerlegen, wir würden uns herzlich darüber freuen.
Schließlich folgen nun noch zwei Dutzend Epigramme vom Herrn v.
Kleist, welche zum Theil nicht übel gerathen sind, ob wir schon nicht wissen, wohin wir
Nr. 3. das frühreife Genie:
Nein! das nenn ich ein frühgereiftes Talent doch! bei
seiner
Eltern Hochzeit bereits hat er das Karmen gemacht.
sowohl wegen seiner Eleganz, als seiner Versrichtigkeit rechnen
sollen.
Auf uns selbst müssen wir wohl die drei letzten Epigramme: Die
gefährliche Aufmunterung. An einen Anonymus im F.... (soll heißen Freimüthigen) ziehen;
indeß erfrechen wir uns immer noch, zu behaupten, daß Herr v. Kleist uns bis jetzt in
seinen Epigrammen vielleicht weil sie das kürzeste sind, was er schrieb
noch am besten gefiel; und zum Dank, daß er uns besang, geben wir ihm auch ein Xenion zum
Abschiede:
Das gezwungene Lachen.
Sieh! wir zeigen so sanft Dir Fehler und Schwächen und Mängel;
Aber Du lachst! Wir sehns, wie Du Dich kitzelst, dazu.
p.
neue Mitarbeiter] >>
Das Sonntagsblatt (Wien), 23. 10. 1808, Literarischer
Anzeiger Nr. 6, 39f.
das frühreife Genie] Phöb. VI 45: Nun, das
nenn ich ein frühgereiftes Talent doch! bei seiner / Eltern Hochzeit bereits hat er
den Carmen gemacht.
Emendation
Pferde] Pfrede J
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