Der
Freimüthige oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser
(Berlin), 11. 6. 1808, Nr. 117, 465-467
Phöbus
Literatur.
(Beschluß.)
Weniger einverstanden sind wir mit dem, was Hr.
Müller nun, freilich viel zu kurz, und folglich vielleicht nicht ganz verstanden, über
den Charakter des ächten Lustspiels sagt. Wenn seine, als höchste Blüthe desselben,
aufgestellte Idee: Ich kann mir eine Zeit denken, und sie kömmt vielleicht noch, wo
das wirkliche Leben im Parterre, und das idealische Leben auf der Bühne so einig sind,
von dem Geiste derselben Ironie so gleichmäßig beseelt, wo Eines das Andre so versteht,
daß die Schauspieler nur die Tonangeber eines großen Dialogs sind, der zwischen dem
Parterre und der Bühne geführt wird, wo z. B. improvisirende Wortführer des Publikums
mit Witz und Grazie eingreifen in das Werk des Dichters, und andre Improvisatoren auf der
Bühne mit Kunst das Werk des Dichters, wie ihre Festung vertheidigen und die
Dichter im Parterre gemeinschaftlich mit dem Dichter auf der Bühne, dem
ganzen Hause, und jedem Schauspieler und Zuschauer offenbaren die unsichtbare Gegenwart
eines höhern Dichters, eines Geistes der Poesie, eines Gottes; wenn diese Idee zur
Reife käme, so würden die meisten sich bedanken, eben so wenig Dichter, als Zuschauer zu
seyn, und die Gesten zu dem im Parterre geführten Dialoge vielleicht oft die Wache
veranlassen, sich als Chor auch mit ins Lustspiel zu mengen, um Ruhe zu gebieten. So lasen
wir Ausfälle wie: das Ifflandsche Guckkasten-Prinzip unsrer Bühne: ein
modern ehrbarer Sinn u. s. w. ungern. Wie thörigt sind wir bisher
gewesen, wie geschmacklos, uns im Theater aufs Höchste zu ergötzen, und Kunst jeder Art
dort zu bewundern; denn Hr. Müller ruft uns an: Muthet uns nicht zu, dieses trübe,
erzwungene, peinliche Vergnügen, was sich mit seinen ungeheuern Anstalten, mit allem
seinem Glanze und seiner Pracht ja doch am Ende nur um den kleinen Tisch an der Kasse, wo
gezahlt und gewechselt wird, dreht, dies für die Feier der Kunst zu halten u.
s. w. Wir werden auf die Zeit vertröstet, wo der Vorhang nicht bloß deshalb
aufgehen wird, damit ihr den Schauspieler sehen könnt, sondern auch damit der
Schauspieler euch sieht: und, damit diese Zeit beschleunigt werde, wird
es für passend gefunden, daß in Städten, wie Berlin, wo eine elende stehende
Theaterkritik in den Zeitungen geduldet wird, ein geistreicher Schauspieler es sich
herausnehmen möchte, nicht eine Antikritik, sondern eine fortlaufende Publikumskritik zu
schreiben. Wie kann ein Mann von Hrn. Müllers Geist und Kenntnissen mitten
unter die Rosen seiner Ideen solche Dornen und Disteln pflanzen!
Nro. 8. giebt Fragmente aus einer Vorlesung des
D. Schubert; sie beschäftigen sich mit einer merkwürdigen Versteinerung, und der
ehemaligen Ansicht der nördlichen Welt, sind aber viel zu kurz. Eine hohe Poesie des
Vortrags spricht aus ihnen. Die Vorlesungen selbst sind bereits unter dem Titel: Über den
Wunderglauben, angekündigt.
Die Epigramme des Hrn. v. Kleist, Nro. 9. deren wir 24 erhalten, sind
nicht ohne Witz und meist gegen seine eignen Werke, die Penthesilea, Marquise von O und
Robert Guiskard gerichtet, wo denn die Persiflage freilich ziemlich leicht ward. Seit dem
Unglücksfalle, der den zerbrochenen Krug in Weimar noch einmal fallen ließ, scheint er
selbst auf Göthe bös zu seyn; denn das erste Epigramm heißt:
Herr von Göthe.
Siehe, das nenn ich doch würdig, fürwahr, sich im Alter beschäftgen !
Er zerlegt jetzt den Strahl, den seine Jugend sonst warf.
und das neunte:
Der Theater-Bearbeiter der Penthesilea.
Nur die Meute, fürcht ich, die wird in W
(Weimar) mit Glück nicht
Heulen, Lieber; den Lärm setz ich, vergönn, in Musik.
Hierauf Nro. 10. Etwas über Landschaftsmalerei, von A. Müller.
Kurz, aber durchdacht. Liebliche Bilder begegnen uns bei dem Schritte, zu hohen Ideen
leitend, und wir bedauern bloß, daß wir so schnell von ihnen uns trennen müßen; denn
ohnmöglich können uns Nro. 11. Variationen auf die Musen und Grazien in der Mark vom
Doktor Wezel, dafür entschädigen. Göthes Gedicht, welches den Grundtext giebt, war
bloß, als eine herrliche Satyre auf die Schmidtische Pastor-Ökonomie in Reime gebracht,
für die Zeit wo es erschien, ein höchst ergötzliches Werk, als daß wir jetzt, wo die
Veranlassung dazu hinwegfällt, Variationen darauf besonders reitzend finden sollten,
welche doch die Genialität und Naivetät Göthes nicht erreichen. Leicht versifizirt sind
sie außerdem, und einige Stellen dürften wohl selbst den Ernst zum Lächeln bewegen.
In Nro. 12. ein Druckfehler sagt XIV. spendet Hr. von
Kleist uns abermals ein Fragment, deren überhaupt doch wohl zuviel in diesem Hefte
seyn möchten und
zwar diesmal von einem halb in Prosa, halb in Jamben gedichteten Schauspiele: Käthchen
von Heilbronn, oder die Feuerprobe. Dies muß ein Zug- und Kassen-Stück werden; denn
gleich der erste Akt spielt in einer unterirdischen Höhle, wo das Vehmgericht
haust, welches eben in seiner ganzen fürchterlichen Düsternheit versammelt ist.
Hr. v. Kleist scheint sich, wie der zerbrochene Krug besagt, nun einmal in die
Gerichtsscenen besonders einstudiert zu haben; denn der ganze erste Akt enthält auch hier
die Anklage gegen Graf Wetter vom Strahle ein gewaltiger Name dessen
Vertheidigung und Konfrontation mit Käthchen von Heilbronn, so wie endliche Absolvierung.
Warum nun das erste bis zu Käthchens Eintritt in ehrlicher Prose verhandelt wird, dann
aber plötzlich bis ans Ende der vornehme Jambus sich hören läßt, ist nicht abzusehen,
besonders da der zweite Akt, welchen ein in nicht geringer Geistesbewegung von dem Grafen
vom Strahle gesprochener Monolog eröffnet, der den Vers eben deshalb recht gut vertrüge,
ebenfalls wieder in die Prosa zurücksinkt. Was nun obbesagtes Verhör, und zwar
namentlich die Klage Vater Theobalds anlangt, so ist nicht in Abrede zu stellen, daß
derselbe sehr kraftvoll seine Worte zu setzen wisse. In der That herrscht viel kecke
Poesie in den Reden Theobalds, deren Derbheit sein Waffenschmidtshandwerk wohl
entschuldigt, dagegen die Reden des Grafen vom Strahle matt und weitschweifig sind,
besonders wenn er erzählt, wie er Käthchen auf der Treppe gefunden habe, mit Hemden, die
er abgelegt, und Strümpfe (nicht Strümpfen) flickend beschäftigt. So ruft der
Waffenschmidt auch grundgelehrt Seite 85 die Hekate, Fürstin des Zaubers, moorduftige
Königin der Nacht, an, und sehr höflich nennt ihn der Graf dagegen eben daselbst einen
alten Esel. Ob sich Ideen, wie Seite 89 in des Vehmrichters Munde:
Du Närrin, kaum der Nabelschnur entlaufen,
und Ausdrücke wie Seite 90:
Gestürzt auf Knieen
entschuldigen lassen, überlassen wir dem Leser. Romantisch ist die Anlage des Ganzen
gewiß, wenn man darunter unbegreiflich versteht. Ein schmuckes Mädchen, das beim ersten
Anblick eines Ritters bis zur Ohnmacht erschüttert wird, ihm, als er fortreitet, 30 Fuß
hoch zum Fenster heraus nachspringt, dabei beide Lenden sich bricht, und nach 6 Wochen
doch dem Ritter flink nachzieht, ihn auch richtig trift, die niedrigsten Mägdedienste
verrichtet, in seinen Ställen schläft, und, vom Vater zurückgefordert, vor der heiligen
Vehm durch ein Versprechen, das sie so eben dem Ritter gegeben, gebunden, nur unter einer
abermaligen schweren Ohnmacht zu dem Vater zurückkehrt..... Doch wir wollen über den
Plan aus einem Fragmente nicht richten. Die unendliche Ergebung Käthchens an den Grafen,
die Demuth gegen ihn im Verhör, rühren gewiß jedes Gemüth, nur sind sie zu lang
ausgesponnen, und oft die Rede zu zerstückelt, wie überhaupt an vielen Stellen die
öftern kurzen Fragen, Wiederholungen u. s. w. einen unangenehmen Eindruck machen. Der
Monolog des Grafen, womit der 2te Akt sich anfängt, und der zwei enggedruckte Quartseiten
lang ist, verdirbt wieder all die angenehmen Empfindungen, die man vielleicht aus einigen
Stellen des letzten Auftritts mit herübergebracht hat. Zu weitläuftig wär es, ihn genau
durchzugehn; was soll man aber zu Stellen sagen, wie: O Du Käthchen! Mädchen!
Käthchen! warum kann ich Dich nicht aufheben und in das duftende Himmelbett tragen, das
mir u. s. w. Käthchen! Mädchen! Käthchen! Du, deren junge Seele, als sie heut
nackt vor mir stand, von wollüstiger Schönheit gänzlich triefte, u.s.w. Käthchen!
Mädchen! Käthchen! Du Schönere als ich singen kann, ich will eine eigne Kunst erfinden
und Dich weinen u. s. w.
Das Heft schließt Nro. 13. mit einem Gedichte auf das Gemählde des
Hrn. v. Kügelchen, Saul und David. Reine Versifikation, edler Gang und hohe Bilder
zeichnen dies Gedicht aus, und machen es des herrlichen Gegenstands, den es besingt,
würdig. Denn in der That ist dies Gemählde des hochverdienten Meisters Kügelchen selbst
eine erhabene Dichtung, welcher kaum das Wort nachzufliegen im Stande ist. Wir erhalten
mit dem Phöbus einen recht guten Umriß davon; aber man muß das Original gesehen haben,
um von seiner Kraft und Milde ganz urtheilen zu können. Das zweite Kupfer stellt den Amor
dar, welchem Bacchus eine Schaale mit Wein reicht, nach einer Zeichnung Carstens. Die
Gruppe ist lieblich, aber der Ausdruck in den Köpfen scheint uns nicht bezeichnend genug.
- z. -
Emendation
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