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Der Freimüthige oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser, 4. 3. 1808, Nr. 46, 181f.

„Phöbus“  

Neue Zeitschriften.

Wir hofften, daß der Nebel, welcher oft dem Aufgange der Sonne vorherzugehn pflegt, beim

Zweiten Stücke des Phöbus,

das nun auch vor uns liegt, schwinden werde; aber leider! scheint er sich immer mehr zu verdichten, und gießt schon Wasser, und verbreitet unangenehme Dünste über die Erde. Diese meteorologische Bemerkung gilt namentlich wieder dem Verfasser der Penthesilea, der uns hier auf 4 Bogen – 6 hat der ganze Heft nur – mit einer Erzählung zu unterhalten versucht, von der wir abermals nicht begreifen, wie es der geschmackvolle Mitherausgeber wagen konnte, sie dem Publikum zu übergeben. Der Zweck dieser Blätter fordert uns auf, kurz zu seyn; aber die Sache selbst verdiente eine weitläuftige Auseinandersetzung; denn wenn solche Dinge sich mit solcher Prätension ankündigen dürfen, so ist es Pflicht der unpartheiischen Kritik, dergleichen Anmaßungen um so strenger zu züchtigen, je mehr es jetzt Sitte wird, durch stolzen Schein zu blenden, und je absprechender gewisse Kunstjünger über altes, anerkanntes Verdienst wegwerfend aburtheln. – Die erwähnte Erzählung nun – doch sie soll wahre Begebenheit, und der Schauplatz, als ob das gar nichts zur Sache beitrüge, nur vom Norden nach Süden verlegt worden seyn – führt die Überschrift: Die Marquise von O… Nur die Fabel derselben angeben, heißt schon, sie aus den gesitteten Zirkeln verbannen. Die Marquise ist schwanger geworden, und weiß nicht wie, und von wem? Ist dies ein Süjet, das in einem Journale für die Kunst eine Stelle verdient? Und welche Details erfordert es, die keuschen Ohren durchaus widrig klingen müssen. Doch da der Verfasser der, als hohes Muster aufgestellten, Amazonenköniginn und ihres Gefolges, für das Schamerröthen der weiblichen Unschuld die hohe Ehrfurcht nicht zu haben scheint, die wir dafür hegen, so wollten wir mit ihm deshalb nicht rechten, wenn jene Erzählung nur an und für sich unterhaltend, oder in einem vorzüglichen Style geschrieben wäre. Beides vermissen wir jedoch ganz. Schon nach den ersten Seiten erräth man den Schluß des Ganzen, und die Menschen darin benehmen sich alle so inkonsequent, albern, selbst moralisch unmoralisch, daß für keinen Charakter irgend ein Interesse gewonnen werden kann. Wir sind überhaupt Feind aller Auszüge der Pläne aus Schauspielen oder Erzählungen, und wollen also auch hier kein Skelet dieses Werkchens aufstellen; aber wir berufen uns in dieser Hinsicht kühn auf alle unpartheiische Leser. Was jedoch den Styl betrifft, so ist dieser zu undeutsch, steif, verschroben, und wieder zu gemein, um nicht unwillig darüber einige Proben zu geben. Welcher Teutsche sagt, wie hier: auf Knieen jemand bitten, – herabschluchzen – ob ihm die heftige Erschütterung nicht doch, in welche sie ihn versetzt hatte, gefährlich seyn könne – abschlüpfen. – Doch diese: denn nicht nur, fuhr sie fort – darauf er: sein Gewissen, spricht er, lasse – den Sinn eines Papiers wiederkäuen u. s. w. Der erzählende Ton ist besonders schön. So kommt Seite 8 die Wendung: „er sagt daß er“ u. s. w. in einem Punkte 13 Mal und überhaupt auf Einer Seite diese Konstruktion mit daß 30 Mal, richtig gezählt, vor. – Doch genug; nur noch ein paar vortreffliche Stellen. Seite 27 wird von dem alten Kommandanten, einem tapfern Krieger und beinahe zu harten Manne, welcher ein seiner Tochter angethanes Unrecht in ihrer Gegenwart bereuet, gesagt: „er beugte sich ganz krumm, und heulte, daß die Wände erschallten; – er gebährdete sich ganz konvulsivisch.“ – Das Benehmen der Mutter an dieser Stelle ist besonders zart. – Zum Schlusse jedoch noch Seite 28 die Art, wie die Mutter dann, als sie zurückkehrt, den versöhnten Vater bei der Tochter findet. „Sie sah die Tochter, die Augen festgeschlossen, in des Vaters Armen liegen, indessen dieser, auf dem Lehnstuhl sitzend, lange, heiße und lechzende Küße, das große Auge voll glänzenden Thränen, auf ihren Mund drückte, gerade wie ein Verliebter.“ Die Tochter sprach nicht, er sprach nicht, mit über sie gebeugtem Antlitz saß er, wie über das Mädchen seiner ersten Liebe, und legte ihr den Mund zurecht, und küßte sie. Die Mutter nahte sich dem Vater endlich, und sah ihn, wie er eben wieder mit Fingern und Lippen in unsäglicher Lust über dem Mund (sic) seiner Tochter beschäftigt war, sich um den Stuhl herumbeugend von der Seite an. Der Kommandant schlug bei ihrem Anblick das Gesicht schon wieder ganz kraus nieder, und wollte etwas sagen, doch sie: o was für ein Gesicht, rief sie, küßte es jetzt auch ihrerseits in Ordnung, und machte der Rührung durch Scherzen ein Ende.“
Darf so etwas in einer Zeitschrift vorkommen, die sich Göthes besondern Schutzes, ankündigungsgemäß, zu erfreuen hat, so muß entweder der Herausgeber mit uns scherzen wollen, oder dieser – oder Göthe – Brechen wir ab.

- och -

(Der Beschluß folgt.)

Seite 28 In J unvollständig zitiert.

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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