Der Freimüthige oder
Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser (Berlin), 5. 2. 1808,
Nr. 26, 101f.
Phöbus“ Neue Zeitschriften.
Der vielversprechend angekündigte, und ungebührlich schon vor seinem Erscheinen in
einer gelesenen Zeitung mit dem Satyr heimgesuchte
Phöbus, ein Journal für die Kunst, herausgegeben von Heinrich
von Kleist und Adam H. Müller.
hat nun seine ersten Strahlen über uns leuchten lassen, und gewiß, sie verkünden in
mehrerer Hinsicht einen heitern Tag.
Der Umschlag stellt den Sonnengott vor auf seiner Quadriga, umtanzt
von den Horen, und Dresden erleuchtend. Über ihm die Himmelszeichen vom Löwen zum
Schütz. Die Zeichnung war ursprünglich von dem genialen Hartmann zu einem Vorhange für
das Dresdner Theater entworfen, da sie aber wegen Kostbarkeit der Ausführung nicht
genehmigt ward, so fand sie hier einen bezeichnenden Platz. Sie ist vortrefflich gruppirt
und gedacht, richtig und rein, und ein Schmuck des Journals. Weniger gefällt mir die dem
Hefte selbst beigegebene Zeichnung eines von Hartmann bereits in Öl groß ausgeführten
Gemäldes, die drei Marien am Grabe mit dem Engel vorstellend. Dies Gemälde befand sich
in vorigem Jahre auf der Dresdner Kunstausstellung, und bei dieser Gelegenheit ist in
mehrern Zeitschriften so viel darüber gesprochen worden, daß es dessen nicht weiter
bedarf. Daß der hier mitgetheilte Umriß weit hinter höhern Forderungen zurückgeblieben
sey, haben die Herausgeber Seite 39 selbst anerkannt.
Nach einem Prologe des Hrn. v. Kleist, der bis auf den Anfang des
Pentameters:
u u u u
Und auch vom Wartthurm entdeckt
recht gut versifizirt ist, nimmt nun beinah 2/3 des ganzen 7 Bogen starken Hefts ein
organisches Fragment, aus dem Trauerspiele Penthesilea des Herrn v. Kleist, ein. Das
dürfte denn doch wohl ein wenig zu viel seyn, wäre auch das Ganze weit gediegener, als
die vorliegenden Bruchstücke, denn zum organischen erheben sie doch kaum die beigefügten
kurzen Erklärungen des Inhalts der ausgelassenen Scenen. Sogar der Schluß fehlt
gänzlich, selbst die Andeutung davon. Über den Werth des Polyidos, der Ätolier und ähnlicher Arbeiten
sind unbefangne Beurtheiler meist einig, sie erkennen ihr Verdienst in Nachahmung
griechischer Formen, können ihnen aber kein eigenthümliches Lob zugestehen. Auch
Penthesilea scheint in die Reihe dieser Dichtungen treten, zugleich aber auch dabei auf
eine Genialität und Kühnheit Anspruch machen zu wollen, die ihr gerade am allerübelsten
lassen, und das Gute, das sie noch besitzt, vollends ersticken. Die Geschichte giebt uns
von selbst den Plan des Stücks, so weit es die Fragmente gewähren. Es ist der Kampf des
Achilles und seiner Gefährten mit Penthesilea, die bald siegend, bald besiegt, endlich in
liebender und doch Verderben ihr drohender, Wuth gegen ihn ausrückt, und ihn gefangen
nimmt. Das Stück in Akte abzutheilen, wäre zu gemein gewesen; der Verf. giebt uns bloß
Auftritte. Der 22ste schließt die Fragmente. Beweglichkeit ist viel in diesem
Trauerspiele, denn die Helden und Amazonen gehen und kommen fleißig ab und zu; Handlung?
nach dieser soll man ja nicht fragen. Einfach ist sie freilich; denn sie ist
durchaus nichts, als Kampf zwischen den beiden Heeren. Im 5ten Auftritt sind die Griechen
geschlagen, im 6ten treffen sich Penthesilea und Achill im Felde, im 7ten ist Penth. überwunden worden, im 14ten
ist sie, nachdem wieder ein Gefecht vorhergegangen war, gar gefangen genommen, und hält
sonderbarer und unnatürlicher sollte man sichs doch nicht träumen selbst
den Achill für ihren Gefangnen, im 29ten ist sie schon wieder befreit, und geht wieder
zum Kriege, im 42ten wird Achill von ihr gefangen, und was nun weiter geschieht non habet
textus. Man schimpft auf die jetzigen sogenannten Spektakelstücke, und besonders geht es
über das Pferdegetrampel, das jetzt auf den großen Bühnen oft eintritt, her. Aber so
toll, wie der Spektakel in diesem Trauerspiele getrieben wird, dürfte er doch wohl
nirgends ausgeführt seyn. Außer Schaaren von Griechen und Amazonen, Mädchen und
Müttern Weibern kann man doch nicht sagen treten im 19ten Auftritt Amazonen mit Meuten gekoppelter
Hunde und Elephanten, mit Sichelwagen und Fackeln auf. Nun folgt eine schöne Anrede der
Penth. an ihre Hunde.
Auf, Tigris, jetzt, dich brauch ich! Auf, Leäne!
Auf, mit der Zoddelmähne du, Melampus!
Auf, Akle, die den Luchs
erhascht, auf, Sphinx,
Und der die Hirschkuh übereilt, Alector,
Auf, Oxus, der den Eber niederreißt,
Und der den Leuen nicht erbebt, Hyrkaon!
Hierzu rollt der Donner. Doch nun kömmt das Meisterstück.
Prothor O! sie ist außer
sich!
Die Oberpriesterin. Sie ist wahnsinnig.
Penthesilea. (kniet nieder, mit allen Zeichen der Raserei, während die
Hunde ein gräßliches Geheul anstimmen.)
Dich, Ares, ruf ich jetzt, u.s.w.
Wenn das nicht packt, wenn das nicht theatralischen Effekt
macht, so begreife ich nicht, wie irgend etwas sonst dies zu thun im Stande ist. Ach! Du
armer Kotzebue, über dessen Theatercoups man so sehr herzieht, hättest Du das gewagt,
ausgetrommelt wärest Du von jedem Buben geworden!
Doch nur ein paar Worte noch vom Stil und Versbau. Der letztere ist im
Ganzen nicht zu tadeln, nur einzelne Stellen enthalten Härten: z.B. im 6ten Auftritt.
So wenden sich die Trotzgen schmähnd hinweg.
Dagegen finden sich eine Menge Stellen, wo der Sinn entweder ganz und gar nicht zu finden,
oder doch sehr verdreht und verschroben ist. Beispiele des erstern:
Seite 16. Penthes. Mir diesen Busen zu zerschmettern, Prothor!
Die Brust so voll Gesang, Asteria,
Ein Lied jedweder Saitengriff auf ihm.
Seite 11. Penth. Wo ist der Sitz mir, der kein Busen ward,
Auch des Gefühls, das mich zu Boden wirft?
Von dem zweiten:
Seite 7. Diomedes. Der Krone ganze Blüthe liegt, Ariston,
Astyanax, vom Sturm herabgerüttelt,
Menandros, auf dem Schlachtfeld da, u. s. w.
Seite 11. Prothor. Willst du
Weil unerfüllt ein Wunsch, ich weiß nicht welcher,
Dir im geheimen Herzen blieb, den Seegen,
Gleich einem übellaungen Kind, hinweg,
Der deines Volks Gebete krönte, werfen?
Was sagt man zu neuen Worten, wie sich umkämpfen, die
Straße verschlingen die wetternde Flucht keilförmige Vernunft die
Sehne strafft sich matt zum Versinken Begierden, die, wie losgelaßne Hunde,
mir der Drommete erzne Lunge bellend u.s.w.
Was soll man endlich zu Stellen sagen, wie:
S. 16. Amazone. (zu den Griechen.) Zum Tempel Aphrodites euch ? Was
denkt ihr?
Zu Amors heiligem Altar, wo eurer
Entzücken ohne Maas und Ordnung wartet.
S. 30. Achilles. Er spricht von der Dardanerburg.
Ulysses. Was?
Achilles. Was?
Ulysses. Mich dünkt, du sagtest was?
Achilles. Ach!
Ulysses. Du!
Achilles. Ich sagte,
Er spricht von der Dardanerburg.
S. 30. Eine
Amazone. Die Königin, sagst du?
Die Oberpriesterin. Die Hündin, sag ich!
Dagegen ist die Szene des 14ten Auftritts zwischen Achill und Penthes.
voll Zartheit, Würde und Schönheit, im reinsten Stil, und sticht wunderbar gegen alle
Umgebungen ab.
Von dem Dichter der Familie Schroffenstein und des Amphitruon, von der
ersten Stelle in einer Zeitschrift, die Göthens Begünstigung sich rühmt, von dem
allgemeinen Rufe endlich, der dieser Penth. voran ging, und dem Aufsehn, das Kleists
Freunde von ihr verkündeten, konnte man, und mußte man durchaus etwas Besseres und
Vollendeteres erwarten, als in diesen Fragmenten gegeben worden ist, und um so strenger
und ausführlicher durfte die Kritik seyn.
- cho -
(Der Beschluß folgt.)
Seite 39 Phöb. I 39 : Anm. Wir
enthalten uns für jetzt aller Bemerkungen über das vortreffliche Bild, welches
vorstehende Behandlung desselben Stoffen veranlaßt hat. Der Umriß des Hartmannischen
Gemäldes, welchen wir unsern Lesern in dem gegenwärtigen Hefte mitgetheilt, bleibt, da
seine Ausführung durch die Umstände sehr beschleunigt worden, weit hinter den
Forderungen zurück, die wir selbst an uns machen: aber der gelungenste Umriß selbst
würde nur eine schwache Vorstellung von dem einfachen und frommen Geiste geben können,
der im Bilde waltet. Deshalb versprechen wir eine ausgeführte Beschreibung desselben, die
uns Gelegenheit geben wird, die Natur der Malerei an dem großartigen Streben unsers
Freundes zu entwickeln. Wo es irgend angeht, wird der in diesen Blättern monatlich
ausgestellte Umriß durch eine poetische Darstellung des Stoffes begleitet werden, damit
eine Sammlung von Beispielen vorliege, an denen, vielleicht gegen Ende des Jahres, die
alte wichtige Frage: von den Grenzen der Malerei und Poesie, deutlich erörtert werden
könne.
Polyidos, Ätolier
anonym in Leipzig publizierte Tragödien von Johann August Apel (1771 1816):
Polyidos (1805), Die Aitolier (1806)
im 7tenAuftritt
Phöb. I bietet die Auftritte 1, 5, 6, 9, 14, 19, 21, 22; vmtl. wurde das
Rezensionsmanuskript falsch entziffert: 7 statt 9, 29 statt 19, 42 statt 22.
19ten Auftritt
Phöb. I 27
Luchs recte: Fuchs
passim.
Prothor recte: Prothoe
Ach! Phöb.: Ich?
S. 30 recte: S.
32
Emendation
gewagt] grwagt J
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