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Berlinische Nachrichten von Staats- und gelehrten Sachen (Spenersche Zeitung), 25. 10. 1810, Nr. 128 (unpag.)

Ballonfahrt

Über die angeblich bereits erfundene Direction der Luftbälle.

In dem 13ten Stücke der Berliner Abendblätter, und wiederholt im Extrablatte des 14ten Stückes, ist die unbedingte Behauptung aufgestellt:
„Die Kunst, den Luftball auf ganz leichte und naturgemäße „Weise, ohne alle Maschinerie zu bewegen, sey bereits (durch  „Hrn. Garnerin) erfunden worden.“
Die Beschreibung der Garnerinschen Luftreise, auf welche man sich bezieht, ist vielleicht nicht so allgemein bekannt, wie die Abendblätter voraussetzen. Nicht im Stande daher, ohne die fehlende bestimmte Nachweisung Hrn. Garnerins Aufschlüsse zu Rathe zu ziehn, erlauben wir uns bloß nachstehende, aus der Natur der Sache und dem angegebenen Resultate des Garnerinschen Versuchs selbst, hervorgehende Zweifel, begleitet von dem Wunsche einer anderweiten gründlichen Belehrung, anheim zu geben.
Die Grundlagen der natürlichen, leichten, keiner Maschinerie bedürfenden Direction der Luftbälle, sind angeblich:
1) die Wahrnehmung, daß in der Luft alle nur mögliche Winde in horizontaler Richtung über einander liegen;
2) daß diese Winde, während der Nacht, den mindesten Wechseln unterworfen sind;
3) die Leichtigkeit, in senkrechten Auf- und Niederschwebungen, vermittelst des Compasses, gerade den Luftstrohm zu finden, der zu enem gegebenen Ziele hinführt.
Bekanntlich hält der Compaß, nach der ganz gewöhnlichen Eintheilung, 32 Punkte. Man kann wenigstens eben so viele verschiedene Winde annehmen. Wenn diese also, wie behauptet wird, wirklich zur beliebigen Wahl übereinander, etwa wie die horizontalen Schichten eines Bücherrepositoriums, vorhanden sind, so ist es erforderlich, daß der Luftschiffer denjenigen Wind erkenne und wähle, der zu seinem Ziele erforderlich ist. Die genaueste Wahl ist aber um desto unumgänglicher nothwendig, da der geringste Winkel zwischen zwei der nächstgelegenen der 32 Radien des Compasses 11 1/4 Grade beträgt. Will man ohne genaue mathematische Berechnung, auf einer gleichen Peripherie den Abstand zwischen zwei benachbarten der 32 Radien, bei einer gleichen Länge derselben von z. B. 30 Meilen, annehmen, so beträgt die Entfernung zwischen den Endpunkten über 6 Meilen.
Hieraus folgt, daß wenn ein Luftschiffer, der in einer genauen Richtung nach Süden 30 Meilen weit zu reisen sich vorsetzte, und daher directen Nordwind bedürfte, wenn er nur in die 11 1/4 Grad abweichende Richtung des Windes aus Nord-Nord-Ost gen Nord geriethe, in eben der Entfernung von 30 Meilen sich über 6 Meilen weit rechts, oder westlich, von dem Punkte befinden würde, welchen er sich vorgesetzt hatte.
Herrn Garnerins eigne Erfahrung dient zum Beweise dieses Calcüls. Er wollte von Rheims nach Trier, (in gerader Linie etwa 25 Meilen), gerieth aber anstatt dessen nach Cölln (wenigstens 38 Meilen). Aber – was das Wesentlichste ist, – beide Richtungen sind sehr von einander abweichend. Wollte man die 25 Meilen, die die Entfernung von Rheims nach Trier beträgt, auf der graden Linie von Rheims nach Cölln absetzen, so würde die Entfernung zwischen dem auf diese Weise gefundenen Punkte (der in der Gegend von Stavelot ohnweit von Spaa läge) und Trier, eine Winkelöffnung von 12 Meilen betragen. Die Entfernung zwischen Trier und Cölln selbst aber beträgt 18 Meilen. Dieses Resultat kann man keine eintreffende Vorherbestimmung nennen; es beweiset mithin nichts weniger, als die erfundene Direction der Luftbälle.
Daß die angenommenen Luftströhmungen nicht stetig und zuverlässig sind, wird dadurch zugegeben, daß Herr G. die Nacht zu seiner Reise gewählt habe, worin sie dem mindesten Wechsel unterworfen seyn sollen. Aber wie ist es möglich, auch nur bei der geringsten Abweichung von der geraden Linie zwischen zwei Punkten, das beabsichtigte Ziel zu erreichen? Wie bei der Dunkelheit der Nacht, da jede, schon bei Tage ohnfehlbar schwürige Orientirung von oben herab zur Unmöglichkeit wird, und wo daher, selbst bei entdeckter irriger Luftströhmung, nicht daran gedacht werden kann, diejenige aufzusuchen, welche allein dienlich wäre? Ist man einmal vom directen Course abgekommen, so wäre in der Dunkelheit der Nacht, wie auf dem offnen Meere, keine Möglichkeit ihn wieder zu gewinnen, als nach einer pünktlich richtigen Bestimmung der Längen- und Breiten-Grade, Minuten und Sekunden. Da diese aber bei dunkelm Wetter bei allen Hülfsmitteln für den Seefahrer noch nicht ausgemittelt ist, so würde sie in der Nacht dem Luftschiffer in seiner Gondel schwerlich zu Gebote stehn. Wo ist für den Luftschiffer das Längenmaaß (nicht Höhenmaaß) des zurückgelegten Weges?
Und was weiß man denn mit Genauigkeit von jenen Luftströhmungen, worauf alles ankommt? Jahrhunderte, und die anhaltendsten, sorgfältigsten und scharfsinnigsten Beobachtungen haben die Theorie der weit wahrnehmbareren Seeströhmungen noch nicht aufs Reine gebracht, und der geschickteste brittische Seemann unterliegt oft ihrem praktischen Effekt, trotz Steuerruder und Seegeln. Wie wird man denn auf oberflächliche Wahrnehmungen bauen können, die sich vielleicht kaum im halben Dutzend zählen lassen. Welches ist das Maaß der Höhe oder Tiefe dieser Luftströhmungen? Welcher der Grad ihrer Geschwindigkeit? Welcher der Erfolg ihrer gegenseitigen Einwirkungen? Und welchem Wechsel sind sie nach Tags- und Jahrezeiten unterworfen? Welchen Einfluß auf sie gewinnen Sturm oder Windstille in der untern Region der Luft? Die Erörterung aller dieser Fragen würde, zumal in der Nacht, dem Luftschiffer unentbehrlich seyn, um sich „der Leichtigkeit in senkrechten „Auf- und Niederschwebungen vermittelst des Compasses gerade „seinen Luftstrohm zu finden“ getrösten zu können.
Ein Beispiel sey es noch erlaubt, aus der Navigation zur Parallele darzustellen. Bekanntlich herrschen zwischen den Wende-Zirkeln die Passat-Winde, vermittelst welcher z. B. die Seefahrer,die nach Westindien zu segeln beabsichtigen, jenseits des Wendekreises des Krebses auf einen regelmäßigen Ostwind rechnen können. Nach Hrn. Garnerins Systeme würde man also in jener Breite, wenn dem Boogsprit des Schiffes einmal die gehörige Richtung gegeben wäre, des Steuerruders entbehren können. Demohnerachtet, und selbst wenn es keine Seeströhmungen gäbe, dürfte bei einer Vernachlässigung des Steuerruders, der z. B. nach St. Domingo bestimmte Schiffer, höchstwahrscheinlich das Ziel seiner Reise in Trinidad, Cayenne, oder an irgend einer andern nicht gesuchten Küste finden. Der bloße Mangel des mathematisch genauen Gleichgewichts irgend eines Körpers, stelle er ein Seeschiff oder Luftschiff dar, ist zu den auffallendsten Abweichungen hinlänglich.
Bei der Schifffahrt hat man hauptsächlich nur mit den Einwirkungen zu thun, welche die horizontale Richtung des Schiffes hemmen oder fördern. Bei der Luftschifffahrt sind die Einwirkungen auf die horizontalen und verticalen Richtungen, gleich unbeständig, und weniger bekannt, wie die zur See, zu berücksichtigen und zu beherrschen. Wenn man der einfachern Wirkung sich nicht ohne Steuer versichern kann, wie will man bei der complicirteren irgend eines stellvertretenden Hülfsmittels entbehren?
Es bliebe noch der Beweis der eingetroffenen Vorhersagung des Garnerischen Fluges von Paris nach Rheims zu widerlegen. Aber hat es mit der Vorhersagung seine Richtigkeit? Sie scheint einer unumstößlichen Authorität zu bedürfen, wie die der Evangelien des Tages.
Es ist in unsern Zeiten nichts ungewöhnliches, aus manchen Gegenden der Welt die kühnsten Behauptungen des Wissens und Wollens hervortreten zu sehn. Sie erscheinen wie unumstößliche Axiomen und Maximen. Der ursprüngliche, arglose, achtungswerthe Wahrheitssinn der Deutschen glaubt und folgt in den mehrsten Fällen dem imposanten Schalle hochklingender, aber trügerischer Terminologien neuer und unverschämter Lehren, oder stützt sich auf erdichtete oder scheinbar herausgeputzte Facta. Werden beide in einfache, klare Sprache übersetzt, oder nach bestimmten und zuverlässigen Angaben von Zeit, Ort, Maaß und Zahl analysirt, so geben sie zur letzten Ausbeute – Wind. Freilich verschieden vom Charakter des physischen Windes darin, daß man bei jenem, nach einiger Erfahrung und Beobachtung, nur zu wohl gewahr wird, von wannen er kommt, oder wohin er fähret. Auch erreicht er wunderbar seinen Zweck in den mehrsten practischen Directionen, nur schwerlich in der vorherbestimmten Direction der Luftbälle.

Diesem Aufsatz antworten die BA mit dem Artikel „Aëronautik“ (25., 26. Bl./29., 30. X. 1810)
Zum Thema Ballonfahrt cf.:
>> Königlich privilegirte Berlinische Zeitung von Staats- und gelehrten Sachen (Vossische Zeitung), 18. 10. 1810, Nr. 125
>> Der Freimüthige oder Berlinisches Unterhaltungsblatt für gebildete, unbefangene Leser, 22. 10. 1810, Nr. 211, 844

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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