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Heinrich Zschokke, Erinnerungen an Aloys Reding, in: Heinrich Zschokke u. a. (Hrsg.), Prometheus. Für Licht und Recht. Zeitschrift in zwanglosen Heften. Dritter Theil (Aarau: Sauerländer 1833), 54-149; darin: 115f.

Frühjahr 1802


Ungeachtet ich der persönliche Freund des Landammanns der Schweiz war, oder vielleicht, weil ich es war, wurde ich in Bern von der Polizei aufs strengste in meinem Umgang beobachtet. Man fürchtete vermuthlich meinen Einfluß auf Reding, oder daß ich Verschwörungen anzettle, und nahm sich sogar nicht einmal die Mühe, diese beleidigende Sorgfalt zu verheimlichen. Als ich eines Tages Freunde bei mir zum Abendessen hatte, die nichts weniger, als in Politik hineingeben wollten\1\, stellte man mir gradezu eine Polizeiwacht vor die Hausthür, die aber zu nichts diente, als den fröhlichen Muthwillen meiner Gäste zu erhöhen, und die nicht eher vom Posten wich, bis wir um Mitternacht <116:> auseinander gingen. – Ich erzählte es dem Landammann. Er lachte und sagte: „Die Berner sind halt Narren.“

Inzwischen war mir diese Art Narrheit doch lästig, und mit Beginn des Frühlings verließ ich Bern, um mich in der Einsamkeit des Schlosses Biberstein, ohnweit Aarau, in Vergessenheit zu begraben. Beim Abschiede von Reding waren wir beide tief bewegt. Er machte mir Vorwürfe, daß ich ihm meinen Beistand entzöge; ich ihm, daß er seinen frühern und bessern Grundsätzen untreu geworden sei. Wir schieden, bei der letzten Umarmung, mit nassen Augen auseinander.
Heinrich v. Kleist und  Ludwig Wieland begleiteten mich bis Aarau. Wir wanderten zu Fuß, und abentheuerten einige Tage lang, in ziemlich poetischer Lust, durch Thäler und Wälder umher, wohin uns das Ohngefähr trieb. Bald nach meiner Ankunft in Aarau schrieb ich an Reding noch einmal Alles, was mir Sorge für seine Stellung und für das Vaterland eingab. Ich sah ihn in gefährlichen Täuschungen befangen. Ich weissagte ihm mit Bestimmtheit seinen und seiner jetzigen Freunde Sturz. Er antwortet mir nicht. Die Weissagung erfüllte sich unerwartet schnell.

<Fußnote S. 115:>
\1\ Der Berner Oberst v. Grafenried, der bei Neuenegg Sieger gegen die Franzosen gewesen war, Heinrich Geßner, der Sohn des Idyllendichters, Ludwig Wieland, sein Schwager, Sohn vom Sänger des Oberon, Pestalozzi, Professor Tralles, nachmals Akademiker zu Berlin, Heinrich von Kleist, den Deutschland noch heute ehrt, Balthaser von Luzern, der Bibliothekar, u. s. w. – Überall keine gefährliche Gesellschaft.

in Bern]Zschokke übersiedelte am 24. 11. 1801 von Basel nach Bern
Beginn des Frühlings] am 27. 3. 1802; cf. >> Heinrich Zschokke, Eine Selbstschau. Erster Theil: Das Schicksal und der Mensch (Aarau: Sauerländer 1842). – (a:) 204-206; (b:) 217
Schlosses Biberstein] Zschokke mietet das Schloß am 5. 4. 1802

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Letzte Aktualisierung 22-Jan-2003
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